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27.04.2007
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JOHN BUTLER TRIO

Der Knochengräber

John Butler Trio
Ein ernster Blick, wild gezottelte Dreadlocks, drei vampirmäßig zurechtgefeilte, weiß lackierte Fingernägel an der Gitarrenhand - ein wenig gefährlich sieht er schon aus, John Butler, der australische Superstar, der auch bei uns immer größere Hallen füllt. Ein wenig passt diese Beschreibung auch auf Johns Musik: Niemand käme schließlich auf den Gedanken, ihm vorzuwerfen, er gehe beim Musizieren auf Nummer sicher - wagen tut er immer etwas. So gibt es auf seiner neuen Scheibe "Grand National" neben den üblichen Mörder-Grooves und virtuoser Gitarrenläufe auch erstmals eine richtige Ballade, eine musikalische Liebeserklärung an seine Frau Daniella sowie Streicher und Bläsersätze zu hören. Das Album wurde des Weiteren von Mario Caldato Jr., der auch G. Love und Jack Johnson - von dem John den Tipp bekommen hatte, als er ihn zufällig im Flugzeug traf - betreut. Der Kreis schließt sich also und die Speerspitze der internationalen Bewegung um den akustischen Groove rückt enger zusammen.

"Grand National" ist - so scheint es - nicht nur musikalisch expandiert, sondern auch inhaltlich. John widmet sich hier aktuellen Themen, wie z.B. dem Leben nach 9/11 oder den Folgen von Hurricane Katrina. Was dann doch ein wenig verwundert, denn leben tut John nach wie vor in Australien. "Ja, in Freemantle in West-Australien", erklärt John, "aber ich war ja in den USA, als das passierte. Ich habe es also erlebt und es hat mich sehr berührt. Ich tendiere dazu, darüber zu schreiben, was um mich herum passiert und was in meinem Inneren passiert. Und wir sind heutzutage ja ein globales Dorf. Wenn etwas auf der anderen Seite der Welt passiert, betrifft es dich ja auch, wenn du weißt, was ich meine." Besonders australisch klingt Johns Musik ja nun auch nicht unbedingt. "Nee, außer einem Digeridoo wirst du nichts australisches auf meiner Scheibe finden", meint er, "sie hat eher einen universellen Anspruch." Gehört John also zu den Leuten, die auf Tour schreiben können und das als Inspirationsquelle einsetzen können? "Ja, das ist eine Inspiration für mich. Das Leben ist eine Inspiration. Der Zustand des Menschen ist eine Inspiration für mich und darüber schreibe ich - Liebe, die Heimat, Politik, Ökologie..." Gab es einen Plan für das neue Album? "Wir haben die Songs ausgesucht, die am besten zusammenpassen und haben versucht, ihnen als Künstler gerecht zu werden. Ich versuche immer die Kunst, die ich mache, sie selber sein zu lassen. Ich mache Musik eigentlich nur für mich selber. Es ist meine Verantwortung den Songs gegenüber, diese in der bestmöglichen Weise zum Leben zu erwecken. Das war mein einziger Plan für diese Scheibe. Es ging darum, die Songs scharf zu halten, sie sollten sich vermengen und sie sollten Funk haben!" Was ist denn die größte Herausforderung als Songwriter für John? "Das sind die Texte", erklärt John, "ich muss immer an den Texten hart arbeiten. Die Sache ist nämlich die, dass man eine Menge in wenigen Worten sagen kann, wenn man weiß, wie man diese auswählt. Ich fühle mich inspiriert von Leuten, die so etwas können. Wie Ani DiFranco, Eminem oder Jack Johnson z.B."

John Butler Trio
Wie arbeitet John Butler beim Schreiben von Songs? "Ich murmele eine Menge", führt er aus, "ich sehe das Song-Schreiben als Archäologie." Was heißt das denn? "Mal sehen, ob ich das ordentlich erklären kann: Wenn ich an einem Song arbeite, stolpere ich manchmal über ein Wort oder einen Satz und versuche Sinn daraus zu machen. Z.B. schwirrte mir der Satz 'I used to get high for a living' im Kopf herum und ich versuchte nun, das in einen Kontext zu bringen. Das ist, als stolpere man bei einer Ausgrabung über einen Knochen und versucht nun, das ganze Bild zu erkennen. Ich murmele also über einen Knochen und versuche dann zu erkennen, wie das Skelett aussieht. Und dieses Skelett ist dann der Song. Wenn ich als Songwriter geschickt genug bin, kann ich das, was da unter der Oberfläche liegt, freischaufeln. Es ist ein wenig so, wie bei Michelangelo, der gesagt hat, dass David in dem Block gewesen sei und er nur noch die Teile, die ihn verdeckten habe freilegen müssen. So ist das auch beim Song-Schreiben. Man muss nur aufpassen, dass man dabei nichts zerstört." Diesen Prozess hat sich John im Laufe der Jahre angeeignet. "Ja, es war eine große Aufgabe, aber ich habe gefühlt, dass ich es schaffen könnte." Wie sieht er dann das Song-Schreiben? "Für mich ist die Musik wie ein Eintrag in einem Tagebuch. So verarbeite ich auch Informationen und Gefühle. Es ist schon eine sehr persönliche Sache. Es ist dann meine Entscheidung, dies mit anderen Leuten zu teilen." War es denn eine bewusste Entscheidung, das neue Album politischer werden zu lassen? "Ursprünglich wollte ich es 'Love & War' nennen, weil es darum geht", berichtet John, "es ist das, was im Moment passiert." Was hat - in diesem Zusammenhang - dann der Titel des Albums zu bedeuten? Entgegen anders lautender Gerüchte ist mit "Grand National" nicht Johns Gitarre gleichen Namens gemeint, oder? "Nein, das ist nur eine Interpretation eines Einzelnen", stellt John klar, "wir sind zu einem Gig in Queensland gefahren und haben nach einem tollen Namen für die Scheibe gesucht. Auf dem Weg sind wir dann an einem Gebäude vorbeigefahren - ich weiß gar nicht, was es war - auf dem stand 'Grand National'. Das gefiel mir sehr gut. Ich weiß nicht, was es bedeutet, aber - wie gesagt - da ist auch so ein Knochen. Es kann ja alles Mögliche bedeuten und passt zu unserer zusammenwachsenden Welt."

Was macht dann einen guten Song aus? Wann fühlt er sich richtig an? "Wenn ein Song mich tief berührt und mir eine Gänsehaut verpasst. Er muss auch für mich sprechen. Auch wenn es die Geschichte einer anderen Person ist. Gutes Musikerhandwerk ist mir auch wichtig. Und zumindest ein Hauch von Seele. Man muss spüren können, dass der Künstler die Musik macht, weil er das tun muss und nicht, weil er sie macht, um zu gefallen. Musikalisch bedeutet das, dass ein guter Song eine gute Melodie, einen guten Rhythmus und einen guten Text haben muss. Die Kombination von allem macht es dann aus. Es gelingt mir selbst natürlich nicht immer, aber manchmal kommt alles ganz nett zusammen." Welchen Anteil haben dann Johns Musiker, Bassist Shannon Birchall und Drummer Michael Barker, am Gelingen dieses Prozesses? "Nun, ich schreibe die Musik und die Texte und habe generelle Ideen darüber, wie wir das arrangieren könnten. Ich bringe das dann immer zu Michal und Shannon und wir arbeiten dann zusammen an dem Stück. Sie bringen dann ihre Ideen, ihre instinktiven Eingebungen und Reaktionen dazu und am Ende kommt immer etwas weitaus besseres dabei heraus, als ich es mir alleine hätte vorstellen können." Wessen Idee war es denn, dieses Mal mit Streichern, Bläsern, Marimbas und ähnlichem zu arbeiten? "Es ist hier so, dass die Songs das diktieren", führt John aus, "Michael hat indes die Streicher für 'Caroline' vorgeschlagen und die Beatbox in 'Daniella" hat auch jemand vorgeschlagen. Die Bläser in 'Gov Did Nothing' habe ich mir vorgestellt. Diese Scheibe ist - wie soll ich sagen - destillierter, klarer, definierter als die letzten. Wir haben Sachen gemacht, die wir vorher noch nicht gemacht haben." Hat John den Song Daniella, den er für seine Frau geschrieben hat, irgendwie anders behandelt als die anderen Stücke? "Sie hat gar nicht so viel dazu gesagt", lächelt John - du das tut er selten, "meine Frau kann manchmal ganz schön cool sein. Ich habe den Song nicht anders behandelt. Es war ein guter Moment, den wir da eingefangen haben. Wir haben den Song einfach live eingespielt." In dem Song "Caroline" geht es um eine Frau, die Selbstmord begeht. Wie kam John denn darauf? "Ich habe alle Geschichten dieser Art, die ich gehört habe, zusammengefasst", gesteht er, "ich bin sicher, du hast auch schon mal Geschichten dieser Art gehört. Ich kenne auch ein paar Leute aus meinem Bekanntenkreis, die Selbstmord begangen haben. Es ist komisch, aber als ich an dem Riff arbeitete, war ich auf diesem Camping-Trip mit einem Freund. Ich habe den Song danach fertig geschrieben, und später hat er dann Selbstmord begangen. Es ist sehr seltsam, denn mir wurde bewusst, dass ich an dem Song arbeitete, als er dabei war - obwohl da keine Verbindung bestand." Zu wem singt John in dem Stück "Good Excuse"? "Ich singe zu mir selber, ich singe zu privilegierten weißen Kids, die denken, es ginge ihnen schlecht wohingegen sie in Wahrheit doch ein ganz gutes Mittelklasse-Leben führen und verwöhnte Gören sind."

John Butler Trio
Gibt es für John Butler noch einen musikalischen Traum - nachdem er ja doch schon so einiges erreicht hat? "Ja, ich habe alle möglichen Träume", überlegt er, "dazu gehört dass ich weiter Musik für Leute rund um die Welt spielen will. Am besten in großen Amphitheatern, wo es eine Menge Kommunikation und Intimität herrscht. Diese Energie möchte ich kanalisieren, damit etwas ganz Spezielles entsteht. So etwas machen wir manchmal schon, aber ich möchte, dass es überall passiert. Und ich möchte die Grammies rocken. Ich will für die Leute spielen, ihnen eine Gänsehaut verpassen und sie jubeln lassen. Also ja, ich habe noch Träume." Kann man so etwas nur durch Live-Spielen erreichen? "Nein, es gibt auch Scheiben von anderen Künstlern, die mir eine Gänsehaut verpassen und die in schweren Zeiten für mich eine Stütze waren - Tracy Chapman, Midnight Oil, Beastie Boys - zahllose Künstler, die mich in den Schlaf gewiegt und meinen Kopf gestreichelt habe, wenn du weißt, was ich meine." Was ist John Butlers Lieblings-Emotion? "Die Liebe", antwortet er, "es ist auch die treibende Kraft hinter meiner Musik." Ist es das, was John Butler als Musiker am glücklichsten macht? "Was mich am glücklichsten macht, ist, wenn wir alle zusammen in einem Raum sind", überlegt er, "die Musiker und das Publikum und es alles toll klingt, wenn alles von Herzen kommt und nicht vom Kopf. Und das Ärgerlichste ist, wenn das nicht passiert - z.B. wenn ich zornig bin oder jemand betrunken ist und es dann Scheiße klingt." Ist das noch schlimmer als der Business-Aspekt des Berufes Musiker? "Ach das ist gar nicht schlimm. Das ist notwendig. Man muss das beste daraus machen, die unangenehmen Seiten beiseite schieben. Die menschlichen Aspekte beachten, gute Beziehungen pflegen, integer sein. Dann klappt es schon und das ist auch das, was ich tue." Man merkt schon: Als Musiker, Künstler und Business-Man steht John Butler mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Tatsachen und weiß sehr genau, was er will und was er kann. Andere würden dabei wahrscheinlich überheblich werden oder abheben. John Butler macht stattdessen lieber Scheiben wie "Grand National" - und dagegen gibt es nichts weiter zu sagen...

Weitere Infos:
www.johnbutlertrio.com
de.wikipedia.org/wiki/JBT
www.myspace.com/johnbutlertrio
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-
John Butler Trio
Aktueller Tonträger:
Grand National
(Atlantic Records/Warner Music)
 

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