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11.05.2007
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THE NATIONAL

Links der Realität

The National
Mit ihrer letzten Scheibe, dem vieldeutig benannten "Alligator", erlebten The National den Durchbruch. Vergangen waren die Tage, in denen die Jungs um Matt Berninger noch als Americana Band durchgingen. Immer stärker entwickelte sich die Band aus New York in eine eigene Richtung, die mit irgendeiner Art von Schubladendenken nicht so richtig erfasst werden konnte. Dieser Prozess wird auf dem neuen Album, "Boxer", konsequent fortgesetzt. "Boxer" ist nicht so rockig wie "Alligator", doch dafür sind die Songs komplexer, ja epischer geworden, es gibt mehr Raum für Instrumente wie Piano oder Bläser und die klassische Gitarrenpop-Songstruktur löst sich immer mehr auf. Was geblieben ist, ist eine allgemein melancholische Note, Matts typischer, leicht lamentöser Gesang und ein sicheres Gespür für Dramatik und Pathos - das in dem Fall aber nichts Negatives darstellt, sondern den neuen Tracks eher so eine Art besonderer Würde verleiht.

Auch "Boxer" hat wieder einen Namen, der auf den ersten Blick nichts Spezifisches auszudrücken scheint. "Ja, das stimmt", schmunzelt matt, "er hat nicht direkt etwas mit den Songs zu tun - obwohl es einige subtile Verweise auf den Boxsport auf der Scheibe gibt. Etwa in dem Sinne, dass sich die Charaktere durchboxen müssen, wenn du so willst. Dass sie darum kämpfen, jung zu bleiben, dass sie nach Dingen suchen, zu denen sie den Bezug verloren haben, dass sie kraftvoll und stark sind. Da geht es quasi um Boxkämpfer, die ihren Zenith überschritten haben. Es gibt auch kleine Momente, wie z.B. dieser Charakter, der sich an die Wand lehnt, die nachgibt - weißt du, wie die Seile im Boxring. Sachen in dieser Art. Wenn man danach sucht - was man gar nicht tun braucht - dann kann man kleine Verweise dieser Art auf der Scheibe finden. Das ist so ähnlich wie bei 'Alligator'. Und am Ende des Tages hört sich 'Boxer' einfach gut an." Wie sind The National die neue Scheibe denn angegangen? Immerhin ist sie in vielerlei Hinsicht eine Abkehr von der letzten Scheibe. Einige Reviews des neuen Materials werfen demselben vor, dass die Songs als solche nicht so gut zu erkennen seien - wie z.B. im Falle der Vorab-Download-Single "Fake Empire" (welches ein Stück ist, das sich langsam aufbaut und steigert). Das ist aber doch gerade die Stärke der neuen Scheibe, dass hier eben NICHT nach dem klassischen Vers / Refrain-Verfahren gearbeitet wird. Wie sieht Matt selbst diese Problematik? "Das liegt immer daran, wie eng man die Definition des Begriffes 'Song' fasst", gibt er zu bedenken, "aber es ist richtig, dass wir versucht haben, offensichtliche Dinge zu vermeiden. Es gibt ja auch konventionellere Songs, aber im allgemeinen haben wir den Begriff 'konventionell' schon ein wenig gebeugt. Stell' dir einen Song wie ein Gebäude vor - da geht es auch nicht von A nach B, sondern du kannst hingehen, wo du willst. Oder du bleibst in A - und das verändert sich dann. Wie gesagt: Die Songs sollten in die Richtung gehen, in die sie wollten."

Zwei Dinge springen ins Ohr: Zum einen die Keyboards und Zusatzinstrumente und dann das Drumming. "Das war so beabsichtigt", gesteht Matt, "unser Drummer Brian schreibt seine Drumparts alleine für sich. Er ist ein Komponist, der auch Noten liest und er schreibt seine Drumparts auf Papier auf. So arbeiten wir übrigens alle relativ isoliert und kommen dann mit unseren Ideen zusammen. Das kann manchmal auch in verschiedene Richtungen gehen. Es ist sehr interessant, das alles zusammenzuführen. Speziell die Drumparts und die Bläser und Keyboards. Wir wollten allen Instrumenten ihren Platz geben und sie nicht bloß als Verzierungen zu verwenden." Woher wissen die Jungs dann, ob etwas zusammenpasst? "Das ist eine gute Frage", meint Matt, "es ist so, dass wir einfach viele Sachen ausprobieren, die eben nicht funktionieren. Man muss dann schon aufpassen, das man das Richtige raushört. Wenn es passt, ist das nicht immer unbedingt offensichtlich. Manchmal muss man sich die Sachen einfach mehrfach anhören, bis sie Sinn machen. Aber das sind die Dinge, die uns selbst auch gefallen: Songs mit einer Lebensspanne, die dir auch nach dem zehnten Anhören noch neue Dinge offenbaren. Es ist also wirklich eine gute Frage, woher wir wissen, ob etwas passt. Ich glaube sogar, dass wir es gar nicht mal zu 100% wissen." Das bedeutet aber auch, dass "Boxer" mit der Zeit wachsen wird, oder? Muss man da als Zuhörer Arbeit investieren, wenn man die neue Scheibe goutieren möchte? "Das ist die Natur dessen, was wir tun", entschuldigt sich Matt beinahe, "wir verlieren schnell das Interesse an Sachen, die sich auf den ersten Blick gut anhören. Die Songs, die es auf unsere Scheiben schaffen, sind meistens die, die nicht auf Anhieb funktioniert haben. Das sind aber dann auch die, die vor uns selber bestanden haben. Ich kann ja verstehen, wenn man dies der Scheibe vorwirft. Ich kann aber sagen, dass wir das nicht absichtlich so machen. Es wäre nett, wenn es uns gelänge, Scheiben zu machen, die unseren Ansprüchen genügen und gleichzeitig nett und zugänglich sind. Ich weiß also schon, warum unsere Scheiben als 'Growers' bezeichnet werden."

The National
Was ist an der Sache dann die größte Herausforderung? "Wow", zögert Matt, "ich glaube, dass unsere größte Herausforderung - wie auch die der meisten Bands - die ist, dass wir das Interesse behalten müssen, dass wir uns fordern und überraschen müssen. Es ist leicht, Anerkennung für eine bestimmte Art von Song zu bekommen und dann der Versuchung zu erliegen, mehr davon zu machen. Zu vermeiden, in diese Falle zu tappen, das ist uns am Wichtigsten. Ich weiß nicht, ob dies eine Herausforderung ist, aber es ist der Grund, warum wir weiter Songs schreiben." Gehören dazu auch die zum Teil recht poetisch ausformulierten, aber auch bilderreichen Texte? "Ja, es ist nur so, dass diese dann interpretiert werden müssen. Nimm z.B. 'Fake Empire', was auch schon als politischer Song ausgelegt wurde, es aber gar nicht so sehr ist. Ich kann das verstehen, weil das Wort 'Imperium' ja schon eine politische Note hat. Es ist nur so, dass es hier um einen Typen geht, der sich in einem Zustand der Verwirrung befindet. Er spaziert in der Nacht herum und hat fast märchenhafte Visionen. Es ist die Vision einer Fantasiewelt, die er halb schlafend durchwandelt. Ein wenig wie in einem Traum. Eine Menge der Songs auf der Scheibe haben diese Grundstimmung, dass nämlich nicht alles ganz real ist. Es ist alles ein wenig links der Realität angesiedelt. Der letzte Song ist auch so ein Song. Es sind da diese Typen, die nachts beim Swimming-Pool sitzen und den Fernseher laufen haben. Die reale Welt findet da im Fernsehen statt, aber das ist nur der Background. Sie selber flüchten sich in Traumvorstellungen und versuchen die Realität zu vermeiden. Der Name, 'Gospel', kam von einer ganz frühen Version des Songs und ist dann hängen geblieben. Es ist aber ein schönes Coda für die Scheibe." Suchen die Charaktere Matts nach etwas Bestimmten? "Nun, eine Menge der Typen sind an einer Kreuzung in ihrem Leben angelangt", führt er aus, "sie müssen sich entscheiden, ob sie die Realität verleugnen wollen oder nicht. Sie sind entweder jung und wollen die Realität noch nicht akzeptieren, oder aber sie haben sich mit ihren Hirngespinsten abgefunden und sich sogar damit angefreundet. Ich sehe es als Kombination zwischen Eskapismus und Akzeptanz. Es ist doch ein seltsamer Zustand, in dem wir uns befinden, nicht? Die Scheibe ist weniger ein Kommentar als eine Reflektion dieses Zustandes. Für mich hat das eine hypnotische Wirkung." "Boxer" ist dabei teilweise in heimischen Gefilden entstanden und teilweise in Studios. Das gibt der Sache ein ungemein organisches Feeling. Auch das gehört zur Philosophie von The National, die sich so von lauteren und hektischeren New Yorker Kollegen absetzen. Ihre Musik ist zugleich ländlich wie urban und vielleicht macht gerade dies den besonderen Reiz aus. Mit "Boxer" haben sich The National jedenfalls die eigene Messlatte wieder ein gutes Stück höher gelegt.

Weitere Infos:
www.myspace.com/thenational
www.americanmary.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
The National
Aktueller Tonträger:
Boxer
(Beggars Banquet/Beggars Group/Indigo)
 

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