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23.03.1999
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JAY JAY JOHANSON

Milan, Madrid, Chicago, Paris, Cologne

Jay Jay Johanson
Ganz Europa liegt Jay Jay Johanson zu Füßen. Jedenfalls die schreibende Zunft, die in ihm den neuen...und da wird's schwierig...sieht, denn Johansen ist ziemlich einzigartig. Der bläßliche, aber freundliche Mann kommt aus Schweden und kennt Kent (Cover Gästeliste #1). Auf die Frage, worin denn nun genau sein Erfolgsgeheimnis liegt, zuckt er mit den Schultern. Das kann der sympathische Schwede selbst nicht so ganz verstehen. Dabei schafft er - scheinbar mühelos - was andere vor ihm verzweifelt vergeblich versuchten: Eine universell begreifbare Musik zu kreieren nämlich. Daß die Sache gerade auf unserem Kontinent so gut ankommt, hat ihre Gründe.

Der Mischmasch aus Ambient, Dance, Jazz, Samba, Chanson, Songwriting und Triphop klingt nun mal absolut unamerikanisch - weswegen die dauernden Vergleiche mit Frank Sinatra auch absolut unangebracht sind.


"Ich weiß auch nicht, woher diese Sache kommt", gesteht Jay, "aber das ist tatsächlich nicht meine Sache. Was mich immer wieder wundert, sind die Bemerkungen, die ich in Frankreich oder Portugal zu hören bekomme - Ländern in denen ich vorher nie war: Immer wieder heißt es dort, ich habe typisch französische Musik oder typisch portugiesische Musik gemacht. Was mich sehr wundert. Eigentlich sind meine Songs zunächst einmal Jazz-Songs..."


Meine Assoziation wäre hier Chet Baker gewesen - doch auch dieses verneint Jay Jay - kein direkter Einfluß hier, obwohl das gar nicht so weit hergeholt ist:


"Ich begann Klavier zu spielen, als ich 7 war und Klarinette und Saxophon mit 10. Richtig angefangen hat aber die Sache erst Anfang der 80er, als mein älterer Bruder und ich uns Synthesizer kauften und Synth-Pop machten. Ich war auch mal ein DJ Mitte der 80er - das erklärt vielleicht die Vorliebe für solche Sounds. Mein Vater war nun ein richtiger Jazz-Narr. Er organisierte Jazz-Konzerte im ganzen Land. 1984 brachte er Chet Baker nach Schweden (aha!). Bis dahin hatte ich mich nicht für das interessiert, was mein Vater hörte - geht ja auch nicht, als richtiger Jugendlicher. Das änderte sich, als ich Chet Baker hörte. Ich mußte zugeben, daß diese Musik ungemein melancholisch und lieblich war. So begann ich Songs zu schreiben, die in eine jazzige Richtung gingen. Als ich Anfang der 90er nach Stockholm kam - was mir sehr gut gefiel - war es auch nicht schwer ein Jazz-Quartett aufzutreiben, mit dem ich dann spielte. Dabei realisierte ich aber sehr schnell, daß meine Songs in diesem Umfeld nicht richtig funktionierten. Sie klangen uninteressant, retrospektiv und veraltet. Mir kam aber nie in den Sinn die verschiedenen Richtungen zu kombinieren, weil ich dachte, daß diese Sounds zu weit auseinanderlägen. Ich traf dann einen alten Freund wieder, den ich schon länger kannte, ein klassisch ausgebildeter Klavierspieler und wir begannen zusammen zu arbeiten. Langsam kamen dann die Sachen zusammen und wir arbeiteten an Material, welches später für "Whisky", mein erstes Album, verwendet wurde. Wir spielten ein paar Konzerte und auf der Geburtstagsparty eines Freundes war da diese Frau von einer Plattenfirma, die mich ansprach - und das war's dann."


Die Erfolgsstory schlechthin. Gut, daß sich Jay Jay nicht auf der Jazz-Schiene festgebissen hat. Zusammengehalten wird sein Erfolgscocktail durch den melancholischen, klagenden Gesang. Dabei geht es textlich meistens um verflossene Liebschaften, vertane Chancen, wehmütige Reminiszenzen.


"Ich singe natürlich in englisch, weil ich mich ansonsten zu sehr limitieren würde. Ich habe ein Tagebuch, in welchem ich ständig schreibe. Das ist die Basis für meine Songs. Nun ist es so, daß ich nicht perfekt englisch kann. Ich habe meine Texte auch Engländern vorgelegt und die Reaktion war sehr aufschlußreich. Sie sagten, daß es dort einige Formulierungen gäbe, die ein Engländer so nie gesagt hätte, die aber gerade deswegen sehr interessant wären. Ich habe mir schon überlegt, die Texte daraufhin abzuändern, mich dann aber entschlossen, sie unverändert beizubehalten. Es würde der Sache auch einiges vom Charme nehmen, denke ich. Und was die Melancholie betrifft: Das kommt vom Jazz her."


Was übrigens nicht heißen soll, daß Jay Jay's Musik depressiv ist. Na ja, vielleicht doch, aber der Punkt ist: Sie hat daneben jede Menge Pop-Appeal. Interessanterweise kommt Jay Jay live fast noch besser rüber als auf Platte - was bei Musik dieser Art ungewöhnlich ist. Auch hierbei ist nicht ganz klar, wodurch diese Faszination überhaupt entsteht. Denn Jay Jay ist weder ein geborener Performer, noch ein guter Instrumentalist. Was macht also die Faszination dieser Darbietung aus? Daß es Johanson spielerisch schafft, seine altmodischen Jazz-Songs mittels moderner Soundkonstrukte auf ein völlig neues Level zu heben oder aber daß er es versteht, alle diese Effekte stets im Sinne des Songs einzusetzen, sodaß niemals die übliche Dancefloor Monotonie aufkommt? Vielleicht. Vor allem ist es aber des Mannes Mut, trotz aller Limitierungen stets ans Limit des Möglichen zu gehen.


Das zahlt sich aus. "Klingt das nicht wie Julio Iglesias?" murmelt es aus dem Publikum oder: "Das ist ja eine tolle Mischung zwischen Portishead und Jaques Brel" ein anderer will Morricone herausgehört haben. Fakt ist: Johanson ist - live wie auf Platte - schwer zu fassen, aber einfach zu begreifen und bietet für jeden etwas. Mit drei Musikern trat Johanson bei dem Konzert auf, auf dem dieses Interview stattfand: Einem virtuosen Keyboarder, der souverän zwischen jazzigem E- und klassischem Grand-Piano wechselte, einem Gitarristen, der allerdings so ambientmäßig spielte, daß man ihn für den Teil der Dekoration halten konnte und einem DJ, der sich in pfiffigen Zwitscher und Blubber-Geräuschen und vielseitigen Beats erging. Diese Zutaten wurden - bewußt und gezielt - in einem Meer von Delays, Echos und Reverbs ertränkt, was der Performance eine beinahe unwirkliche Qualität verlieh. Darüber aber - oder darunter, dahinter, davor und mittendrin - lag Johansons filigraner, melodiöser Gesang, stets Anker und Drehpunkt aller Kompositionen und somit trotz aller Trip-Hop-Einflüsse stilbildendes Element des ganzen Unterfangens.


Als Zugabe gab's dann einen von drei Gitarren getriebenen harten elektronischen Rocker. Aber das überraschte dann auch nicht mehr so richtig. Wie gesagt: Schwer zu fassen, aber einfach zu begreifen, der Mann.

Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Pressefreigabe-
Jay Jay Johanson
Aktueller Tonträger:
Tattoo
(BMG)
 

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