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20.03.2009
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SOPHIE HUNGER

Guten Appetit!

Sophie Hunger
Auch in der Schweiz gibt es das: Junge Songwriterinnen, die sich mittels eigener Kraft und der Qualität ihrer Arbeit abseits von Moden und Trends ins Bewusstsein der Öffentlichkeit drängen. Sophie Hunger ist so jemand. Nachdem sie ihr selbst produziertes Debüt zunächst im Eigenvertrieb verbreitete, gelang ihr jetzt, mit dem zweiten Album "Monday's Ghost" in der Schweiz und in Frankreich ein veritabler Hit. Und das, obwohl Sophie ganz auf individuelles, alternatives Songwriting mit extremer stilistischer Bandbreite setzt: Ihre Songs bieten alles vom Blues über Pop, Alt-Folk und Jazz bis hin zur Piano-Ballade auf deutsch (im ansonsten englischsprachigen Umfeld).

Sicher, in der Schweiz hatte sie ein wenig Schützenhilfe von Stephan Eicher, mit dem sie zusammen ein Duett auf "Monday's Ghost" sang. Es ist dann aber bezeichnend, dass sie gerade dieses Stück auf der deutschen Version des Albums durch den stark von Dylan beeinflussten "Sophie Hunger Blues" ersetzte - aus reich musikalischen Erwägungen heraus, weil Sophie meint, dass in Deutschland die Leute besser englisch sprechen als in Frankreich. In eine Schublade ist Sophie jedenfalls so schnell nicht zu stecken. So sagt Sophie von sich selbst, dass sie nicht viel von Musik verstehe. "Das stimmt", meint sie, "denn mein Ausgangspunkt ist ein ganz anderer als der meiner Mit-Musiker, die alle Profis sind, ihre Instrumente studiert haben und die sich dauernd mit Musik auseinander setzen. Ich bin hingegen ein wenig blind in diesem Bereich, denn ich weiß eigentlich nicht genau, was ich mache." Das muss ja kein Nachteil sein, denn so kann man ja auch nichts falsch machen. "Genau", bestätigt Sophie, "die meiste Zeit sehe ich das auch als Vorteil, als befreiende Naivität." Wie entstehen dann die Songs? "Meistens schicke ich meinen Musikern Aufnahmen der fertigen Stücke und wir suchen dann gemeinsam eine Version." Woher stammen die musikalischen Ideen? Denn davon gibt es in Sophies eine ganze Menge. Womit beginnt Sophie z.B. ein Stück? "Das ist eine gute Frage", überlegt sie, "ich glaube, ein Stück beginnt immer mit gar nichts - deswegen schreibt man es dann ja auch. Es ist eine Art von Gefühl, dass man etwas machen muss. Ich sehe das als eine Art weißes Blatt, das man vor sich hat. Musik passiert, indem sie passiert. Es funktioniert nicht wie Bücher schreiben oder etwas anderes mentales. Es ist eine Sprache für sich." Was muss ein guter Song denn haben? "Er muss vor allen Dingen sich selbst haben, komplett sein. Ich denke, dass sich das, was sich ergeben muss, auch ergibt, wenn ich nur anfange. Insofern denke ich nicht, dass ein Song etwas bestimmtes haben muss, um zu funktionieren - er muss nur komplett sein." Woher weiß Sophie, dass ein Song fertig ist? "Wenn ich ihn gerne und dauernd spielen möchte", lacht sie, "damit geht es dann ja eigentlich erst los."

Welche Funktion haben die Texte? "Die Texte sind schon sehr wichtig", erklärt Sophie, "das Lautbild, oder wie man das nennen will, muss zur Musik passen - wobei ich dabei nicht Musik und Text trennen möchte. Das gehört zusammen wie das Wort und seine Bedeutung, wie die Form und der Inhalt. Viele Songs entstehen auch durch ein Wort oder einen Satz, den man gerne singen möchte, weil man ihn gerne in den Mund nimmt." Typisches Storytelling ist das aber nicht? "Nein, aber was ich sicher sagen kann, ist, dass ich mit meiner Musik kommunizieren möchte", erklärt Sophie. Neben englisch und deutsch gibt es auch Passagen in schytzerdütsch auf der Scheibe. Ist das ein Bedürfnis, verschiedene Sprachen zu verwenden? "Ja, schon", überlegt Sophie, "zum Beispiel war mir immer schon klar, dass irgendwann ein Mal der Moment kommen würde, in dem ich einen Song auf deutsch zu schreiben versuchen musste. Für mich ist das schwieriger, weil Deutsch meine Muttersprache ist. Da bin ich mir dann bis ins kleinste Detail sicher, was ich tue. Englisch ist dahingegen noch so weit entfernt, dass ich mir eine gewisse Bewusstlosigkeit erhalten kann. Damit kann ich leichtfertiger oder unbeschwerter umgehen." Ist deswegen der deutsche Titel, "Walzer für Niemand", ernsthafter als die anderen Nummern? "Das ist eine gute Frage", zögert Sophie, "auf jeden Fall war er sehr schwer zu schreiben. Vielleicht liegt das daran, dass er so klingt." Was hat es mit dem Titelsong auf sich? Und warum kippt dieser musikalisch mittendrin um? "Ich weiß es nicht genau, weil ich mit dem 'Kippen' auf den Rest des Songs reagieren musste. Ich finde auch nicht, dass es wirklich ein Widerspruch gibt. Der Song ist ja von Stille geprägt - und wenn man dann mittendrin laut wird, ist es ja das Gleiche - nur umgekehrt. Die Intensität bleibt ungefähr gleich und wird nur anders formuliert. Der Titelsong ist es geworden, weil ich als Titel nichts nehmen wollte, was etwas aussagt oder bedeutet. Ich wollte, dass es offen bleibt und unbestimmt bleibt. Das ist aber alles, was ich dazu sagen möchte. Ich muss dazu sagen, dass es wichtig ist, dass jedes Lied etwas für sich selbst ist. Weder eine Kopie eines Erlebnisses, noch etwas von einem ganz anderen Planeten. Natürlich hat das mit mir zu tun, weil ich es ja geschrieben habe, aber ich sehe meine Stücke nicht als Illustrationen von Sachen, die ich erlebt habe. Ein Lied ist eine neue Realität, die für sich alleine entsteht und funktioniert. Das ist wichtig, wenn man über Musik nachdenken möchte. Jeder Song hat auf jeden Fall sein eigenes Leben." Ist das auch der Grund für die enorme stilistische Bandbreite? "Ja, aber es hat auch damit zu tun, dass man sich selbst ein wenig unterhalten möchte und dass es einfach nicht so spannend ist, zwei mal das selbe zu tun. Vielleicht wird mir nächstes Jahr nichts mehr einfallen, aber bis jetzt ist immer irgendetwas gekommen, was für mich neu war. Und ich denke auch, dass das wichtig ist."

Sophie Hunger
Das klingt alles ziemlich selbstverständlich. Was ist denn dann noch eine Herausforderung für Sophie? "Einerseits ist es ja so, dass man als Mensch vollkommen limitiert ist", überlegt Sophie, "ich kann ja nur das, was ich kann. Meine Stimme ist, wie sie ist, mein Körper ist, wie er ist. Daraus aber alles machen zu können, das ist - glaube ich - die Herausforderung. Sich über diese Limitationen hinwegzusetzen und sich vorzustellen, was alles möglich ist." Dass es möglich ist, zeigt Sophies Scheibe. "Ja, aber das ist das positive Resultat", gibt sie zu bedenken, "es passiert oft, dass ich an mir zweifle und nicht über meine Grenzen hinwegkomme." Welche musikalischen Inspirationen gibt es denn da? Die Scheibe hört sich in ihrer stilistischen Ungebundenheit an, wie eine klassische Radiohead-Scheibe. "Ja also das trifft voll ins schwarze. Radiohead war für mich als Teenager das einzige große Vorbild. Ich habe alles gehört und mich auch für die Band interessiert. Das passt schon." Wie entstanden denn die Arrangements? "Daran waren auch schon die Musiker beteiligt", räumt Sophie ein, ergänzt dann aber: "Bei meiner Art von Musik ist es aber relativ schnell klar, wie man die Stücke spielen muss. Man kann da nicht immer alles auf den Kopf stellen und überlegen, wie man etwas anders machen kann. Das muss man sich nicht so technisch vorstellen." Das vielleicht nicht - aber auf der Scheibe gibt es z.B. ja auch Bläsersätze - so etwas muss man ja schon planen, oder? "Ja, das stimmt", bestätigt Sophie, "aber die beiden Bläser spielen schon seit zwei Jahren mit mir zusammen. Wenn ich neue Stücke habe, dann zeige ich die denen und dann ist das Arrangement dazu eine natürliche Sache." Welche Rolle spielt denn da ein Produzent? "Ich kann natürlich nur für mich sprechen, aber für uns war Marcello Giulani (Etienne Daho, Jane Birkin) da, uns zu helfen, den Klang der Stücke einzufangen. Welche Mikrophone muss man nehmen? Welche Gitarre muss man spielen, damit es richtig klingt? Das sind Sachen, die weiß ich nicht und die werden sich im Laufe der Jahre vielleicht erschließen. Das finde ich aber auch gar nicht so wichtig. Ich weiß ja, was ich nicht kann und suche mir dann halt einen Profi." Was ist für Sophie selbst denn das Wichtigste bei ihrer neuen Scheibe? "Das Wichtigste für mich ist, dass sie endlich rauskommt", lacht Sophie, "denn ich bin jetzt schon mitten drin, neue Sachen aufzunehmen und muss einfach weitermachen. In Zukunft ist es für mich wichtig, weiter arbeiten zu können und dass mir etwas einfällt. Ich suche im Moment einen bestimmten Klang. Ich spiele viel elektrische Gitarre, habe mir Effekte gekauft und suche meinen Weg. Am Schluss werde ich vielleicht zwei Prozent von dem, was ich gerade ausprobiere. Momentan befinde ich mich ein wenig im Dschungel." Dass sich Sophie darin verlaufen wird, ist nicht anzunehmen.

Weitere Infos:
www.sophiehunger.com
de.wikipedia.org/wiki/Sophie_Hunger
www.lastfm.de/music/Sophie+Hunger
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Sophie Hunger
Aktueller Tonträger:
Monday's Ghost
(Emarcy/Universal)
 

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