Fenster schließen
 
02.04.2010
http://www.gaesteliste.de/texte/show.html?_nr=1300
 
MELISSA AUF DER MAUR

Multimedial

Melissa Auf der Maur
Es schien alles nach dem üblichen Schema zu verlaufen: Nachdem Melissa Auf der Maur - nach ihrem Gastspiel bei den Smashing Pumkins und der Karriere als Hole-Bassistin - 2004 ihr Solo-Debüt "Auf der Maur" aufnahm, schien ihr die Welt offen zu stehen. Das Album zeitigte einige Hits und die anschließende Tour führte sie durch aller Herren Länder. Doch dann brachen die damals noch vorhandenen Strukturen der klassischen Majorlabels zusammen. "Ich hatte eigentlich nie Probleme mit meiner Plattenfirma und fühlte mich auch recht wohl dort", erinnert sich Melissa, "und ich hatte auch gleich nach meiner Tour, noch im Jahre 2005 begonnen, neue Songs zu schreiben. Aber dann wurden plötzlich über Nacht alle Leute, mit denen ich bei meinem Label zu tun hatte, gefeuert und es begann eine lange Phase mit rechtlichen Problemen, die mich dazu zwangen, mein Albumprojekt erst ein Mal auf Eis zu legen." Dennoch sind sechs Jahre zwischen zwei Scheiben ja selbst unter diesen Umständen eine verdammt lange Zeit. "Ja, das war für mich aber auch eine Zeit der Selbstfindung und gleichzeitig mein Kampf ums Überleben in der Branche. Ich habe viele Reisen unternommen in den letzten fünf Jahren!"

Dazu gehörte auch, dass Melissa die Chance nutzte, die sich ihr durch die Unterbrechung der Arbeiten am Album eröffnete, und zunächst ein Mal - mit Untertützung des Regisseurs Tony Stone - eine Filmversion des Titeltracks produzierte. "Ja, ich wollte immer schon mal einen Fantasy-Film machen", erklärt Melissa, "ich nahm das Konzept von 'Out Of Our Minds', dem Song her - weil das das Zentrum des Albums war. Der Refrain enthält ein generelles Statement - "Travel out of our minds into our hearts standing by"- das das Thema des Albums vorgibt. Ich spielte damit herum, als es darum ging, den Film vorzubereiten. Das, was du als Video zu dem Song siehst, ist eine Video-Version von diesem Film. Die Bilder, die in dem Film vorkommen - die Sekretärin, die blutenden Bäume, der Wikinger-Helm - sind Szenen aus dem Film - wie in einem Traum." An wen richtet sich eigentlich "Out Of Our Minds"? "Das ist eine gute Frage", räumt Melissa ein, "es ist eine universelle Aussage - ich, du, wir - alle. Es gibt definitiv kein 'sie' in dem Song, es geht um uns. Jeder von uns hat so viel Herz wie Verstand, aber jeder muss auch immer wieder daran erinnert werden, dem Herzen so viel Raum zu geben, wie dem Verstand. Das ist die Aussage des Songs." Und was hat das mit dem Film zu tun, der im Wesentlichen eine Abfolge von traumähnlichen Bildern zu sein scheint? "Nun, wenn ich 'OOOM' nicht geschrieben hätte, hätte es den Film in dieser Art auch nicht gegeben. Dieser 'Reise-Gedanke' war die Grund-Idee für den Film. Ich habe mit dem Regisseur besprochen, dass es um eine psychedelische Zeitreise gehen sollte. Es geht um eine zeitlose Frau, die aber durch die Zeit reist und sich selbst in parallelen Welten wieder findet, in denen es überall die in 'OOOM' beschriebene Suche nach dem Herzen geht. Das ist die Story. Als wir dann an dem Film arbeiteten - der übrigens eine ziemlich große Produktion war, auch wenn er nur eine halbe Stunde dauert -, brauchte ich auch weitere Musik. Ich wollte, dass der Film und das Album mit demselben Herzschlag-Motiv beginnen. Dann aber gehen das Album und der Film eigene Wege. Dem Film unterliegt am Ende ein halbstündiger Instrumental-Jam und das Album hat normale Songs. Als ich mich dann aber nach einem Jahr wieder dem Album zuwandte, beeinflusste diese Filmmusik auch die Songs. Das ist auch der Grund, warum es viele Instrumentals gibt. Instrumentals gehören genauso zu meiner Arbeit wie Songs mit Texten und das wollte ich damit auch verdeutlichen. Was ich damit sagen will, ist, dass der Film und das Album sich beeinflusst haben und beide zusammen gehören. Es sind Schwester-Projekte, die sich zusammen um das selbe Zentrum drehen. Aber du musst nicht beide zusammen konsumieren - Film und Scheibe können auch separat gesehen werden."

Zusätzlich gibt es bei diesem Projekt noch ein Comic-Book des New Yorker Zeichners Jack Forbes. "Ja, das gehört auch dazu und es basiert auch auf 'OOOM' - mit ein paar kleinen Twists. Es ist eine Art Spiegelbild des Films", sagt Melissa, "wie der Film hat auch dieses keine Worte. Wie die Musik und der Film ist auch das Comic eine Art guter Sprache für Fantasie. Ich wollte etwas, das man auf der ganzen Welt verstehen kann. Comics sind auch ein Stück Kultur - nichts hochtrabendes, aber Kultur für die Leute. Das rundet das Projekt ab." Was hat Melissa denn rein musikalisch inspiriert? Verglichen mit dem ersten Album ist das Album vergleichsweise zurückhaltend inszeniert. "Mein erstes Album habe ich in meinen Zwanzigern in den 90ern geschrieben, als die Musikszene noch omnipräsent war. Ich sehe es heute als Schnappschuss eines Momentes in der Zeit. Das neue Album begann ich quasi bei null. Ich fühle mich von mehr als der Musik beeinflusst - Filme, Geschichte, Mythologie. Ich wollte dieses Mal mehr Einflüsse in meine Musik einbauen. Praktisch gesehen, habe ich mich bei dieser Scheibe wieder auf das Bass-Spielen konzentriert. Meine erste Scheibe habe ich auf der Gitarre geschrieben, aber ich bin eine weitaus bessere Bassistin als Gitarristin. Das schwierige an der Situation ist eigentlich nur, dass ich eine Rockmusikerin ohne Band bin. Also bin ich zusammen mit einem Drummer ins Studio gegangen, wo wir dann an den Songs arbeiteten. Zum Beispiel 'The Hunt' mit John Stamier von Helmet - daher kam die Herzschlag-Geschichte. Und so haben sich einige Songs mit einem Drummer ergeben - etwas, was ich vorher noch nicht gemacht habe. Es gibt aber auch Songs, die ich anders geschrieben habe. Zum Beispiel '22 Below', das ich mit zwei Fingern auf einem Piano komponierte habe oder 'Paradise', das ich auf einer Autoharp geschrieben hatte, die ich in einem kleinen Musikladen in dem Ort kaufte, in der mein Großvater gelebt hatte. Ich wollte einfach meinen Horizont erweitern." Das gilt ja mit Sicherheit auch für "Father's Grave", ein Duett, das Melissa mit der Goth-Legende Glenn Danzig aufnahm. "Glenn Danzig ist seit frühester Jugend mein Held", schwärmt Melissa, "seine Solo-Scheiben sind die einzige Art von Blues, mit der ich etwas anfangen kann. Was mich reizte, war nicht nur seine Stimme, die mich fasziniert, sondern auch die Gegenüberstellung von dieser idolisierten, gottähnlichen Person und mir als Frau. Ich hatte diese kleine Geschichte geschrieben, von dem Totengräber und der Frau, die ihren Vater verloren hatte. Sie treffen sich am Grab des Vaters und die Unterhaltung, die sie führen, hilft ihr, sich vom Vater verabschieden zu können. Ich hatte noch nie für jemand anderen geschrieben - geschweige denn in Form eines fünf Minuten langen Blues-Songs. Ich schloss also meine Augen, stellte mir vor, dass ich Glenn Danzig wäre und machte dieses Demo, auf dem ich beide Stimmen sang. Dazu schrieb ich im einen Brief mit der Geschichte des Songs und schrieb ihm auch, welchen Eindruck er auf mich und mein Leben hinterlassen habe. Das steckte ich in die Post und dachte schon, dass ich nie wieder etwas davon hören würde. Monate später rief er mich dann aber an und meinte, dass er meinen Song möge und mitmachen wolle. Die Frage aber, wie ich es geschafft habe, diesen Blues-Song zu schreiben, kann ich nicht beantworten."

Etwas, mit dem sich Melissa aber beschäftigt, sind die lieben Wikinger. Bereits bei dem Interview zur ersten Scheibe meinte sie, dass ihre Musik klänge wie "Winkinger, die Land in Besitz nehmen". Und das passt ja auch zu dem Fantasy-Thema ihres Films. "Das begann als unschuldige Faszination eines 16-jährigen Mädchens, das auch Glenn Danzig gut fand", erklärt Melissa, "ich mag auch Fantasy Filme. Zwar habe ich kaum noch Zeit ins Kino zu gehen - dabei liebe ich das Ritual mit Popcorn und so. Ich schaue mir alle Superhero-Filme an und Hellboy zum Beispiel. Sowas in der Art. Deswegen wollte ich auch selbst einen Film mit fantastischem Thema machen." Melissa erwähnt die Erde als Thema in Bezug auf die Wikinger: Ist die Natur für sie auch eine Inspirationsquelle? "Mittlerweile ja", gibt sie zu, "eigentlich bin ich ja ein Stadt-Mädchen, aber als wir diesen Film drehten, lebten wir viele Monate draußen in der Natur im Wald und waren natürlich auch den Naturgewalten ausgesetzt. Wir wussten, dass der Wald eine gewisse Rolle in dem Film spielen sollte, aber wenn man im Wald lebt, dann wird der Wald auch zum Hauptdarsteller. Man ist dann auch von der Natur abhängig und die Natur entscheidet, wie der Tag verläuft. Das Filmcamp war eine alte Hippie-Kommune ohne Strom und fließendes Wasser. Dadurch entdeckte ich dann, dass man durchaus in der Natur überleben kann. Auf gewisse Weise gab mir das auch Hoffnung, dass man ohne Technik und Maschinen überleben kann. Und das hat mich doch auf eine sehr fundamentale Weise verändert. Sogar so sehr, dass ich aus der Stadt auf's Land gezogen bin." Wird es denn mehr Filme von Melissa geben? "Wenn ich mehr Banken ausrauben kann oder mehr Geld borgen kann, dann ja", erklärt Melissa, "ich würde gerne einen Kurzfilm aus 'Father's Grave' machen."

Melissa Auf der Maur
Und was können wir von der nächsten Tour erwarten? "Ich habe eine neue Live-Band gefunden", freut sich Melissa, "es ist ja eine Herausforderung, als Frau ohne Band da zu stehen. Ich fand diese Jungs aus Denver, die in einer Band namens Vox spielten. Die Band war ziemlich klein, aber sie haben sehr viel live gespielt. Ich habe die Jungs auf der Vans Warped Tour gesehen und sie waren da die beste Band. Wir sind in Kontakt geblieben und als sie von ihrem Label gedropped wurden, erfuhr ich, dass drei Leute - zwei Gitarristen und einen Drummer - zur Verfügung standen und das ist genau das, was ich brauche. Ich habe jetzt erstmals eine eigene Band. Der Song 'Isis Speaks', den wir als letztes für die CD aufgenommen haben, habe ich bereits mit den Jungs eingespielt. Für meine Tour möchte ich außerdem noch etwas Besonderes machen. Ich stelle mir das so vor, dass ich über das Web ein Thema vorgebe und dann lokale Künstler gewinnen kann, die auf der Tour vor Ort beteiligt werden - entweder als Musiker oder konzeptionelle Künstler. Ich möchte einfach eine lokale Komponente einbinden, die sich aber um das gleiche Thema dreht. Es ist mehr ein konzeptioneller Ansatz als eine 'normale' Tour." Das zweite Album von Melissa Auf der Maur, "Out Of Our Minds", ist also so gesehen sehr viel mehr als bloß eine neue Scheibe. Es ist gleichzeitig Teil eines größeren Ganzen und obendrein auch ein Statement des Überlebens in einem nicht sehr nachsichtigen Genre.

Weitere Infos:
www.xmadmx.com
de.wikipedia.org/wiki/Melissa_Auf_der_Maur
www.melissaaufdermaur.org
www.myspace.com/aufdermaur
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Melissa Auf der Maur
Aktueller Tonträger:
Out Of Our Minds
(Roadrunner Records/Warner Music)
 

Copyright © 2010 Gaesteliste.de
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Gaesteliste.de