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06.07.2010
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GISBERT ZU KNYPHAUSEN

Komische Chartsplatzierungen und gesperrte Gleise

Gisbert zu Knyphausen
Münster, Mitte Juni: Gisbert zu Knyphausen spielt gemeinsam mit Desiree Klaeukens im Rahmen der diesjährigen Sozialpalast-Konzertreihe im Münsteraner Hauptbahnhof im Wartehäuschen auf Gleis 9/12, und am Ende tauchen so viele Hundert Zuschauer auf, dass Münster nicht nur einen im Chor singenden Bahnhof erlebt, sondern sich die Deutsche Bahn gezwungen sieht, die Gleise zu sperren und die fahrplanmäßig einfahrenden Züge umzuleiten! Kein Zweifel, Gisbert zu Knyphausen ist längst nicht mehr nur der hochangesehene Troubadour, der von der Fachpresse geliebt wird. Spätestens seit sein im Mai veröffentlichtes zweites Album, "Hurra! Hurra! So nicht.", sofort auf Platz 12 der Verkaufshitparade schnellte, ist der sympathisch schüchterne Singer / Songwriter, der seit Neuestem in Berlin zu Hause ist, ein veritabler Star und Kleinmädchenschwarm.

Gisbert zu Knyphausen
Unsere erste Frage beim Treffen mit Gisbert Ende Mai in Düsseldorf war deshalb eigentlich auch keine Frage, sondern eher eine Feststellung: Es läuft gut für dich, oder? "Ja, es läuft wirklich sehr gut", bestätigt Gisbert unseren Eindruck. "Ich bin immer überrascht davon, was da so alles passiert mit meinen Liedern. Dass es jetzt so abgeht - die Konzerte waren ja zum Teil schon sehr voll, und dann gab es da auch noch diese komische Chartsplatzierung - hätte ich wirklich nicht gedacht. Aber ich find's lustig! Die Tour ist gerade sehr, sehr schön. Es macht sehr viel Spaß - gerade auch, weil so viele Leute da sind. Das ist schon toll (lacht)!"

Das Problem, dass alles zu groß, zu viel wird und dadurch die in seiner Musik so wichtige Intimität verloren geht, hat Gisbert glücklicherweise derzeit (noch) nicht. "Die beiden größten Konzerte, die wir jetzt gespielt haben, waren in Hamburg und in Wiesbaden, da waren es 900 Leute in dieser riesigen Schlachthofhalle. Das ist ja schon eher eine Rock Show-Halle, da hab ich mir schon ein wenig Sorgen gemacht, ob das wohl funktionieren würde, aber meiner Meinung nach haben wir das hingekriegt - und das haben mir auch die Leute bestätigt, die ich nachher gesprochen habe. Da war ich dann beruhigt!"

Auffällig war bei den Konzerten vor großem Publikum allerdings dennoch, das Gisbert sichtlich froh zu sein schien, seine Band bei sich auf der Bühne zu haben, die ihm im wahrsten Sinne des Wortes Rückendeckung gab. "Ja, wobei es wahrscheinlich auch solo gehen würde. Ich habe einfach alleine noch nie vor so vielen Menschen gespielt", sinniert er lachend. "Ich bin aber sowieso gerade sehr froh, dass die Band dabei ist, weil ich momentan viel mehr Lust auf Band- als auf Solokonzerte habe und es gerade sehr genieße, mit den Jungs unterwegs zu sein."

Schon bei unserem Treffen in Haldern vor rund zwei Jahren hatte Gisbert erzählt, dass er damals an neuen Stücken oft gemeinsam mit der Band anstatt nur alleine feilen würde. Ist das rückblickend betrachtet der größte Unterschied zwischen seinen beiden Alben, dass das erste - wenngleich auch mit Band eingespielt - eher Gisbert als Solisten und das zweite - trotz einiger Alleingänge - eher den Bandmenschen repräsentiert? "Ich weiß gar nicht, ob das so ein Riesenunterschied ist. Die Band, mit der ich die Platten aufgenommen habe und mit der ich auch unterwegs bin, gibt es ja nun seit den Aufnahmen zum ersten Album. Vor der ersten Platte hatten wir nur zehn Konzerte zusammen gespielt und sind dann gleich ins Studio und haben die Songs aufgenommen. Das ist alles sehr schnell passiert und die ersten Arrangements wurden so gelassen, wie sie waren. Dieses Mal haben wir uns mit der gesamten Band mehr Mühe gegeben, oder besser, wir waren geduldiger, die Lieder auszuarbeiten - auch in Zusammenarbeit mit Tobias Levin, der die Platte ja aufgenommen hat. Im Prinzip empfinde ich die alte Platte auch irgendwie schon als Band-Album, der Unterschied ist lediglich, dass wir nun eingespielter sind und dadurch eine Art Bandsound im Entstehen ist - oder vielleicht schon da ist."

Ein Stück Verantwortung abzugeben, fiel Gisbert nach eigener Aussage sehr leicht, mehr noch: "Ich bin eigentlich ziemlich auf andere Leute wie Tobias und die Bandmitglieder angewiesen. Ich finde es immer schöner, mit anderen zusammen etwas zu erschaffen. Am Ende kann ich immer noch den Daumen heben oder senken, denn letztendlich bin ich ja doch irgendwie der Chef. Außerdem bin ich nicht besonders gut darin, mir auszudenken, was die anderen Bandmitglieder spielen könnten, ich lasse das immer komplett offen. Das finde ich sehr spannend. Ich musiziere auch viel lieber mit anderen Menschen zusammen, ich bin gar nicht so ein Einzelgänger, was die Musik angeht (lacht). Bei den Konzerten finde ich es zum Beispiel auch deshalb schöner, eine Band dabeizuhaben, um variantenreicher im musikalischen Spektrum sein zu können. Natürlich sind Solo-Konzerte oft intimer. Einen meiner Lieblings-Songwriter, Conor Oberst, habe ich mal solo gesehen, und das fand ich schon unglaublich geil. Deshalb werde ich auch in Zukunft weiter solo auftreten. Die nächsten Konzerte sind alle mit Band, aber es wird bestimmt auch wieder mal eine kleine Solo-Tour geben."

Auf "Hurra! Hurra! So nicht." waren es wie erwähnt nicht nur die Musiker, die sich einbrachten, sondern vor allem auch Produzent Tobias Levin, der nicht zuletzt berüchtigt dafür ist, an Platten geradezu endlos lange herumzuwerkeln. Anders als beim Album von Kristof Schreuf, das jahrelang in der Mache war, ging die Zusammenarbeit von Tobias und Gisbert allerdings vergleichsweise schnell, innerhalb weniger Wochen, über die Bühne. "Es hat länger gedauert, als ich gedacht hätte, aber das lag an uns beiden", erinnert sich Gisbert. "Tobias ist schon bekannt dafür, dass er sich in seine Produktionen reinbeißt und sich unglaublich einbringt. Das ist sein Erfolgsrezept, aber je nachdem, was für eine Basis man mit ihm hat, kann das natürlich auch anstrengend werden. Bei uns war es so, dass wir positive Reibungen hatten. Es war auch schon anstrengend zwischen uns. Das lag mal an mir, mal an ihm, es hat aber immer etwas Schönes ergeben. Ich bin mit der Ergebnis, damit, wie die Platte nun klingt, seeehr zufrieden. Tobias hat's einfach raus!"

Natürlich klingt das Album nicht nur gut, vor allem sind auch die Songs - wie schon beim Erstling - ganz ausgezeichnet. Auffällig ist allerdings die - vorsichtig ausgedrückt - negative Stimmung. Nun macht Erfolg allein natürlich nicht glücklich, etwas überraschend ist die düstere Grundfärbung des neuen Albums aber dennoch. "Ich trenne das nicht bewusst, aber es ist schon so, dass ich in den Momenten, in denen es mir richtig gut geht, oft gar nicht das Bedürfnis habe, ein Lied zu schreiben. Deshalb spiegelt die Platte sehr einseitig meine melancholische Seite wider. Letztes Jahr ging es mir auch nicht so besonders, vor allem nicht in der Phase Herbst / Winter, da war ich in einem komischen Loch - und das hört man dann auch auf der Platte. Ich find es auch ein bisschen schade, dass die Platte so dermaßen negativ geworden ist, aber na ja, irgendwie musste das halt mal wieder raus! Bei der nächsten Platte ist das dann vielleicht hoffnungsvoller (lacht)."

Gisbert zu Knyphausen
Songs für eine dritte Platte hat Gisbert zwar noch nicht geschrieben, doch um vielleicht schon erahnen zu können, wohin die Reise geht, fragten wir ihn natürlich auch nach seiner derzeitigen Lieblingsmusik. "Aktuell bin ich ein riesiger Wilco-Fan, sowohl von ihren neuen als auch ihren älteren Sachen", verrät er. "Die 'Yankee Hotel Foxtrot' kannte ich schon eine ganze Weile, und die fand ich schon immer super. Ich hab die Band dann auf dem Rolling Stone-Weekender gesehen und fand sie live ziemlich cool. Ich habe dann die Live-DVD 'Ashes Of American Flags' geschenkt bekommen und mir die inzwischen sehr oft angehört. Ich finde es einfach beeindruckend, was sie für eine Bandkonstellation haben und wie sie zusammenspielen. Das ist Wahnsinn. Immer wenn es droht, ins Muckermäßige abzugleiten, finden sie die geschmackvolle Kurve. Ich versuche dann natürlich auch, wenn auch nicht immer bewusst, das auf meine eigene Musik zu übertragen und zu schauen, ob ich da etwas für mich selbst rausziehen kann. Bei Wilco hat mich zum Beispiel besonders fasziniert, mit welcher Spielfreude die da auf der Bühne stehen, wie sie total bei sich sind und zwei Stunden lang Spaß haben an ihrer Musik." Hilfreich ist dabei sicherlich auch, dass Wilco inzwischen so viele Platten haben, dass sie allabendlich das Programm ändern können und keine Songs mehr spielen "müssen", die ihnen keinen Spaß machen. "Ich bin auch ziemlich froh, dass es von mir jetzt zwei Platten gibt", sagt Gisbert. "Ich hab ja auch schon im Vorfeld meines ersten Albums und dann im Anschluss sehr viele Konzerte gespielt, sodass es immer mal wieder Songs gab, die ich nicht mehr spielen wollte. Momentan ist das 'Herzlichen Glückwunsch', das mir zwar musikalisch zusammen mit der Band viel Spaß macht, bei dem ich aber gerade den Text nicht singen mag."

Weiter im Programm sind die großartigen, oft etwas obskuren Coverversionen von Künstlern wie Moritz Krämer oder Daantje & The Golden Handwerk, was Gisbert ebenso wie die Auswahl seiner Supportacts - letztes Jahr Schöftland, dieses Jahr der eben erwähnte Moritz Krämer - schon ein wenig als "pädagogischen Auftrag" begreift. Eine, wenngleich etwas weniger ausgefallene feine Coverversion, "Wer ich wirklich bin" von Element Of Crime, wurde zudem als iTunes-Bonus veröffentlicht. "Ursprünglich sollte das Lied mit auf die Platte, aber dann dachte ich mir, das sei ein dunkler Text zu viel auf dem Album!", verrät er zum Schluss unseres Gesprächs. "So wurde es leider nur der iTunes-Bonus. Ich hätte es viel lieber auf einer 7"-Single herausgebracht, aber vielleicht kann man das immer noch machen. Ich muss da mal mit meinem Label reden..."

Weitere Infos:
www.myspace.com/gisbertzuknyphausen
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Carsten Wohlfeld-
Gisbert zu Knyphausen
Aktueller Tonträger:
Hurra! Hurra! So nicht.
(Pias/Rough Trade)
 

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