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24.02.2012
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LISA HANNIGAN

Die mit sich selbst tanzt

Lisa Hannigan
So gesehen ist die Irin Lisa Hannigan auf dem zweiten Bildungsweg zu ihrer eigentlichen Berufung - der autarken Songwriterin - gekommen. Bevor sie nämlich 2008 ihr erstes Solo-Album "Sea Sew" einspielte, hatte sie schon ein respektables Resumé als Künstlerin aus der zweiten Reihe vorzuweisen. Hauptsächlich war Lisa zu dieser Zeit nämlich als Partnerin von Damien Rice bekannt, mit dem sie bis 2007 zusammenarbeitete - meist als Sängerin, gelegentlich als Songwriterin und ab und zu als Bühnenmusikerin. Doch auch mit anderen Künstlern arbeitete Lisa an verschiedenen Projekten zusammen, bevor sie sich entschloss, eigenes Material aufzunehmen und erst jetzt, mit dem neuen Album, dem von Joe Henry produzierten "Passenger", gesteht sie sich auch ein, dass sie eben nicht hauptsächlich "nur" eine Sängerin sein will, sondern eine hauptberufliche Songwriterin.

Dabei kam Lisa recht früh zur Musik. "Ich habe eigentlich immer schon gesungen", erklärt sie mit einer eher rauchigen Sprechstimme, die sich beim Singen auf magische Weise in ein fein temperiertes, kreideweiches Medium verwandelt, "jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern, ein Mal nicht zu gesungen zu haben bis auf eine kurze Phase, in der ich einfach zu viel rauchte, was ich dann aber schnell in den Griff bekam."

Lisas Solo-Karriere begann so richtig mit Fernsehauftritten, wie jenem bei Jools Holland, die Lisa als rundum glückliche Performerin zeigten. "Also ich bin grundsätzlich glücklich, wenn ich singen kann", beschreibt Lisa dieses, "das ist etwas, was ich wirklich genieße. Davon mal abgesehen, wäre wohl jedermann glücklich, bei Jools Holland aufzutreten." Wie ist denn die Zusammenarbeit mit Joe Henry zustande gekommen, der "Passenger" als Produzent betreute? "Das war ein glücklicher Zufall", erklärt Lisa, "er hat zufällig ein Konzert von mir gesehen und mir dann eMails geschrieben. Ich habe ihn schließlich besucht und wusste gleich, dass er der richtige Mann für den Job war, denn er ist wundervoll." Die Arrangements der neuen Scheibe sind eine der Stärken des Albums, denn hier passiert auf subtile Weise eine Menge zwischen den Zeilen - seien es rhythmische Spielereien, die Wahl der Instrumente und die Betonung bestimmter Akzente. "Also, ich schreibe die Songs und bringe die dann zur Band", erklärt Lisa, "wir müssen sie ja zusammen spielen und da ist es nur folgerichtig, dass wir auch gemeinsam daran arbeiten. Jeder kümmert sich dann um seinen Part. Lucy Wilkins, die die Geige spielt, hat zum Beispiel alle Streicher-Arrangements ausgearbeitet. Ross Turner, der Drummer, hatte den Hut bei den Rhythmen auf. Ich hatte natürlich das letzte Wort, aber im Prinzip ist es eine gemeinsame Arbeit." Entstehen die Songs bereits mit einem bestimmten Sound im Hintergrund? "Nö - daran denke ich beim Schreiben nicht besonders. Wenn wir aber zusammen daran arbeiten, dann müssen wir schon daran denken, dass wir diese ja irgendwann ein Mal live aufführen und spielen wollen. Also muss das von vorneherein möglich sein. Wir haben ja eine große Auswahl von Instrumenten, die gut zueinander passen, so dass wir hier schon einiges machen können." Wenn der Stil also keine große Rolle beim Songwriting spielt - was ist Lisa denn dann wichtig? "Also ich erkläre mal kurz, wie das vor sich geht", führt Lisa aus, "ich probiere zunächst mal auf der Gitarre irgendetwas aus. Wenn ich dann irgendetwas Brauchbares habe - eine Zeile etwa oder eine Akkordfolge -, dann gehe ich - im wörtlichen Sinne - spazieren und summe und murmele zu mir selbst wie eine Verrückte. Normalerweise finde ich dann irgendetwas, von dem es sich lohnt, es in irgendeinem Notizbuch festzuhalten. Dann mache ich mit der Gitarre weiter. Es ist ein wenig wie ein Tanz mit mir selbst."

Lisas Songs bieten kein klassisches Storytelling sondern humorvoll/poetisch verbrämte, philosophische Überlegungen und Situationsbeschreibungen. Sind diese eigentlich persönlicher Natur? "Meistens ja", bestätigt Lisa, "jedenfalls beginnt es immer auf diese Weise. Manchmal gibt es auch etwas anderes, wie zum Beispiel dieses Buch 'Skippy Dies' von Paul Murray, das ich gerade gelesen hatte. Ich wollte einen Song über die Zeit als Teenager schreiben und dieses Buch handelt von einem Jungen von 14 Jahren. Das fand ich sehr hilfreich, und so schrieb ich den Song 'Home' mit diesem Buch im Hinterkopf. Hoffentlich finde ich auch andere Bücher mit geeigneten Themen - aber normalerweise tue ich das nicht."

Beeinflussen die Orte, an denen Lisa sich aufhält das Songwriting? Immerhin heißt das neue Album ja "Passenger" (ein Begriff, den Lisa auf die Songs, nicht sich selbst bezieht) und die Stücke handeln teilweise auch davon auf Reisen oder zumindest nicht zu Hause zu sein. "Ein wenig ist das schon der Fall", zögert Lisa, "es ist aber hauptsächlich das Gefühl, von zu Hause weg zu sein, das ich ausdrücke. Natürlich haben einige Stücke, wie etwa der Titeltrack, einen direkteren Bezug. Da geht es ja darum, in den USA zu reisen und ich denke, deswegen hat der Song auch irgendwie ein Americana-Feeling. Aber das ist kein bewusster Prozess, den ich anstrebe. Natürlich absorbiert man Dinge, weil manche Situationen ja Gedankenprozesse in Gang setzen - etwa, wenn man aus einem Fenster in einem Bus schaut - das ist ja etwas anderes als das Fenster zu Hause."

Was macht dann am Ende einen guten Song aus? "Hm - etwas, was ein Gefühl auslöst, denke ich. Und sei es, dass dich der Song nur zum Tanzen anregt. Aber es muss irgendetwas sein, das dich im Bauch trifft, etwas, zu dem man eine Verbindung aufbauen kann." Was ist dann die größte Herausforderung als Songwriterin? "Ich denke, jedermann sollte anstreben, jeweils einen besseren Song zu schreiben. Einen Song, der fundierter ist und mehr Gewicht hat als der letzte und einer, der ehrlich ist. Denn Ehrlichkeit und Wahrheit ist für mich das Wichtigste." Lisa sah sich zunächst ja eher als Sängerin und dann als Songwriterin. Wie sieht sie sich heute selbst als Sängerin? Herbie Hancock sagte ein Mal, Lisa habe eine Menge Jazz in der Stimme. "Ich würde mich nicht im Stil einer bestimmten Gesangstradition, eines bestimmten Stiles sehen. Es gibt aber sicher Leute, die das besser beurteilen können. Beim Singen geht es mir darum, eine Verbindung zum Song aufzubauen. Etwas, das diesen weiter illuminiert. Da gibt es eine gewisse Alchemie diesbezüglich. Keine, die immer funktioniert, aber wenn eine Verbindung zwischen Stimme und Song zustande kommt, dann funktioniert das Ganze. Ich will ja keine Opernsängerin sein - es geht darum, meinen Songs mit dem Gesang auf die aufrichtigste Weise zu dienen." Was inspiriert Lisa musikalisch? "Ich versuche, wenn ich aufnehme, keine Musik von anderen zu hören, weil dann die Gefahr besteht, dass irgendetwas vermischt wird. Aber im Allgemeinen mag ich alle möglichen Arten von Musik."

Dann gibt es noch eine Besonderheit: Lisa gestaltet ihr eigenes Artwork. Das Cover von "Sea Sew" war eine Stickarbeit und jenes von "Passenger" zeigt eine Karte, die Lisa mit einer Schablone und Fototechnik erstellt hat. "Ja, das ist etwas, was ich mag. Ich habe noch nichts für andere gemacht, aber für mich ist das Erstellen des Artworks ein Teil des Prozesses, eine Scheibe zu machen, den ich wirklich genieße. Ich mag Dinge, die schön aussehen und auf die man zugeht. Es repräsentiert auch irgendwie die Musik - das, was man tut und ausdrücken möchte. Es ist etwas, was ich wirklich genieße. Es ist auch etwas Besonderes für Leute, die das noch zu schätzen wissen, denn auf das Artwork achtet heute längst nicht mehr jeder."

Lisa Hannigan
Was ist Lisa am wichtigsten in Bezug auf ihre neue Scheibe? "Ich habe immer an die Songs geglaubt - auch bevor wir diese aufgenommen haben. Als wir dann die Sachen einspielten, war das eine wundervolle Zeit, in dem wir uns als Band sehr nahe gekommen sind. Die Scheibe repräsentiert diese Zeit - die guten wie auch die schwierigen Momente und die Art, wie alles zusammengewachsen ist. Das ist mir das Wichtigste an 'Passenger'."

Lisa hat ja mit vielen Leuten zusammengearbeitet, bevor sie als Solo-Künstlerin in Erscheinung trat - wobei der wichtigste davon sicherlich Damien Rice war. Gehörte das von Anfang an zum Konzept? "Ich liebe es, mit anderen zusammen zu arbeiten", gesteht Lisa, "es macht zunächst mal eine Menge Spaß und das ist etwas, was ich heute leider nicht mehr so oft machen kann. Man lernt aber auf jeden Fall eine ganze Menge, wenn man mit anderen zusammen arbeitet und deswegen bin ich immer daran interessiert." Was möchte Lisa denn in der Zukunft musikalisch machen? "Ich möchte einfach fortfahren, ehrliche Scheiben zu machen aber ich möchte auch, dass diese immer besser werden. Auch für das Artwork und die Musikvideos interessieren mich. Und natürlich ist es wichtig, Konzerte zu spielen. Ich bin noch nie in Europa, den USA oder Australien aufgetreten. Das ist als nächstes auf meiner Liste." Dann wollen wir mal hoffen, dass bald eine Tour zustande kommt, denn wenn Lisa Hannigan als Performerin nur halb so glücklich ist, wie bei Jools Holland vor den Fernsehkameras, dann dürfte dies ein intensives Erlebnis werden.

Weitere Infos:
www.lisahannigan.ie
en.wikipedia.org/wiki/Lisa_Hannigan
www.facebook.com/lisahannigan
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Lisa Hannigan
Aktueller Tonträger:
Passenger
(Hoop/Pias/Rough Trade)
 

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