Fenster schließen
 
19.10.2012
http://www.gaesteliste.de/texte/show.html?_nr=1444
 
BENJAMIN GIBBARD

So simpel wie möglich

Benjamin Gibbard
Seit mehr als 15 Jahren stehen Death Cab For Cutie inzwischen für hochklassigen amerikanischen Indierock im Sound der Zeit, während The Postal Service 2003 zwar nur ein einziges Album namens "Give Up" veröffentlichten, darauf aber mit "Such Great Heights" gleich einen Hit für die Ewigkeit fabrizierten. Nun veröffentlicht der Frontmann beider Bands, Ben Gibbard, sein erstes Soloalbum. Zwar lässt der Titel "Former Lives" vermuten, dass der aus dem Staate Washington stammende und inzwischen in Los Angeles lebende Musiker darauf seine Scheidung von Zooey Deschanel verarbeitet, doch weit gefehlt. "Former Lives" ist eine Sammlung alter Songs, die auf den Platten von Death Cab For Cutie nie so recht einen Platz finden wollten. Die ältesten Stücke des Albums stammen aus dem Jahr 2004, doch Ben mag das kaum glauben. Offenbar sind die letzten Jahre in einem rasanten Tempo an ihm vorbeigezogen.

"Oh ja, die Zeit verfliegt nur so!", gesteht er zu Beginn des Gesprächs mit Gaesteliste.de, als er Mitte September in Berlin weilt. "Ich hab immer noch das Gefühl, als sei es gestern gewesen, dass wir 'Something About Airplanes' (das DCFC-Debüt von 1998) den letzten Schliff geben haben. Du blinzelst einmal und plötzlich sind fast 15 Jahre um. Je älter man wird, desto schneller verfliegt die Zeit. Trotzdem: Wenn ich auf mein bisheriges Leben zurückblicke, schätze ich mich glücklich, dass ich ein Teil dieser Band sein durfte und die Musik als Broterwerb betreiben konnte. Ich bin mir der Tatsache vollkommen bewusst, dass ich ein Glückspilz bin, und mit all den weniger coolen Sachen, die mir als Mensch, der mehr oder weniger unter öffentlicher Beobachtung steht, passiert sind, komme ich zurecht."

"Former Lives" klingt anders als alles, was Ben bislang veröffentlicht hat, weniger im Hier und Jetzt verankert, dafür zeitlos schön, wie Auszüge aus der breit gefächerten Plattensammlung des Protagonisten. Fast könnte man meinen, dass all seine Songs anfangs so geklungen haben, bevor sie im Bandgefüge von Death Cab in eine neue, modernere Richtig geschubst wurden. "Ja, der Sound der Songs auf dieser Platte kommt meinen ursprünglichen Demos wesentlich näher als das, was für gewöhnlich auf Death Cab-Platten zu hören ist", bestätigt Ben. "Dort nehmen wir viele der Songs, die ich geschrieben habe, komplett auseinander und setzen sie anschließend als Band neu zusammen. Ein schönes Beispiel dafür ist der Song '405' auf 'We Have The Facts And We Are Voting Yes'. Es gibt die Version des Albums, aber es existiert auch eine Akustikversion, die so klingt, als hätte sie auch auf 'Former Lives' erscheinen können. Die Albumversion dagegen wurde vollkommen zerlegt und ist gewissermaßen eher ein Kunstprojekt. Für mich hat beides seinen Wert, aber bei dieser Platte wollte ich die Songs so simpel wie möglich klingen lassen und sie das sein lassen, was sie sein wollten, anstatt sie zu intellektuell anzugehen, wie wir das bisweilen - mit tollen Ergebnissen - bei Death Cab tun. Bei diesen Songs hätte das aber einfach nicht gepasst."

Die Songs auf "Former Lives" stammen aus verschiedenen Perioden des Gibbard'schen Schaffens. Früher hätte man sie vermutlich Outtakes geschimpft, Ben allerdings hat eine elegantere Umschreibung parat. "Bei jeder DCFC-Platte gab es das, was man beim Film als 'Deleted scenes' bezeichnen würde", erklärt er. "Sie waren ursprünglich als Teil des Films gedacht, den jedes Album repräsentiert, aber letztlich wollten sie nicht so recht passen. Indem ich diese Platte nun veröffentlichte, nehme ich diese entfallenen Szenen und schneide gewissermaßen einen neuen Film daraus zusammen. All diese Songs repräsentieren verschiedene Orte, an denen ich über die Jahre gelebt habe, verschiedene Perspektiven, die ich im Laufe meines Lebens hatte. Ich finde, zusammen funktionieren sie als Album ziemlich gut, sind aber definitiv ziemlich unterschiedlich. Ich denke, es kommt ein bisschen auf den Geschmack des Hörers an, ob ihnen die Tatsache, dass dieses Album solch ein Sammelsurium ist, gefällt oder nicht."

Bei den Aufnahmen zur Seite stand Ben Aaron Espinoza von Earlimart, der sich als Allround-Musiker und Produzent einbrachte und auch dazu beitrug, dass im Studio eine für Ben ungewohnt relaxte Atmosphäre herrschte. "Aaron und ich haben die ganze Zeit gelacht und herumgealbert", erinnert er sich. "Das war wirklich ein Riesenspaß. Damit will ich natürlich nicht sagen, dass wir bei Death Cab For Cutie keinen Spaß haben oder nicht lachen, denn natürlich tun wir das, aber dieses Mal war es einfach so, dass wir dieses Soloprojekt begonnen haben, ohne zu wissen, was am Ende dabei herauskommen würde. Es ging nur um den Spaß. Es gab keinerlei Druck, denn niemand wartete auf diese Platte. Bei meiner Kollaboration mit Jay Farrar und damals bei The Postal Service war das ganz ähnlich. Die Leute erfuhren erst davon, als die Platten bereits existierten. Das gefällt mir sehr. Wenn die Neuigkeit die Runde macht, dass wir eine neue Death Cab-Platte machen wollen, gehen in der Öffentlichkeit sofort endlose Diskussionen los: 'Wird sie so klingen wie... oder anders? Wird sie so gut sein wie...?' Da steckt eine Menge Leidenschaft drin und das respektiere ich, aber bei dieser Platte wusste niemand, dass ich daran arbeite. Ich musste niemandem vom Stand der Dinge bei den Aufnahmen berichten und während der Entstehung auch keine Interviews geben. Ich ging einfach in das Studio meines Freundes und wir haben mit viel Spaß Songs aufgenommen, und als wir das Gefühl hatten, dass bei einem Song eine Mariachi-Band passen würde, haben wir einfach eine geholt!"

Doch nicht nur die Mariachis wurden (für "Something's Rattling") eingeladen, auch Aimee Mann hat einen Gastauftritt, als Duettpartnerin beim heimlichen Höhepunkt des Albums, "Bigger Than Love". Ein wenig könnte man da vermuten, Ben habe Aimee bei ihrem Auftritt in der Comedy-Show "Portlandia" gesehen, wo sie eine abgehalfterte Musikerin mimte und Carrie Brownsteins Haus putzen musste, und gedacht: "Ich muss die arme Frau zurück ins Tonstudio holen!" Der einzige an den Aufnahmen beteiligte Musiker, der sich nebenbei noch Geld mit einem Zweitjob verdienen muss, war allerdings Aaron Espinoza, der zehn Jahre zuvor als Fliesenleger ausgerechnet im Haus von Aimee Mann gearbeitet hatte! "Die Zusammenarbeit im Studio war natürlich eine tolle Bestätigung für ihn. Jetzt konnte er MIT Aimee arbeiten, nachdem er zuvor FÜR sie gearbeitet hatte, noch dazu im musikalischen Umfeld anstatt als Handwerker!", freut sich Ben für seinen Mitstreiter.

Ein Flashback in die alten Zeiten steht allerdings auch Ben bevor. Die Ende November/Anfang Dezember in Europa anstehenden Solo-Konzerte finden in wesentlich kleineren Clubs statt als die letzten Death Cab-Auftritte. Doch Ben ist nicht bange vor der Rückkehr in die kleineren Locations. "Es gibt nichts, auf das ich mich nicht freue", sagt er am Ende unseres kurzen Gesprächs. "Das Schöne bei meinen Soloauftritten ist, dass ich spielen kann, was ich will. Ich kann spontan Coverversionen spielen und Lieder aus all den Platten aussuchen, die ich mit verschiedenen Leuten aufgenommen habe. Das ist toll! Ich hab 2007 schon mal spaßeshalber eine Solotournee in den USA bestritten und bin dabei in viele der kleinen Clubs zurückgekehrt, in denen ich ganz zu Anfang der Karriere von Death Cab gespielt habe. Zunächst war mir ein wenig mulmig bei dem Gedanken, zu diesen Venues zurückzukehren, aber es war großartig!"

Weitere Infos:
www.facebook.com/bengibbardofficial
de.wikipedia.org/wiki/Ben_Gibbard
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Ryan Russell-
Benjamin Gibbard
Aktueller Tonträger:
Former Lives
(City Slang/Universal)
 

Copyright © 2012 Gaesteliste.de
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Gaesteliste.de