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14.12.2012
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NEIL HALSTEAD

Von Herzen

Neil Halstead
Wenn Neil Halstead dieser Tage auf deutschen Bühnen steht, um sein just veröffentlichtes drittes Soloalbum "Palindrome Hunches" live vorzustellen, wird der frühere Kopf der Früh-90er-Shoegazer-Legende Slowdive und der Country-Folk-Offenbarung Mojave 3 gerne als einer der besten britischen Singer/Songwriter der letzten 30 Jahre angekündigt, jemand, dessen wundervoll lebendige, den Geist des britischen 60s-Folk atmende Songs auf einer Stufe stehen mit den Werken von Großmeistern wie Nick Drake, Chris Bell oder Will Oldham. Das ist umso bemerkenswerter, als Neil zu Beginn seiner Karriere bei Slowdive sein Augenmerk komplett auf einen effektgetriebenen Sound anstatt auf melodiöse Songs legte - bis ihm bewusst wurde, dass zu einem echten Musiker mehr gehört als das Bedienen von Effektmaschinen.

"Direkt nachdem Slowdive sich aufgelöst hatten, bin ich auf Reisen gegangen, und immer, wenn ich sagte, dass ich Musiker bin, und mir jemand eine Akustikgitarre reichte, damit ich was spielen könnte, merkte ich, dass ich dazu nicht wirklich in der Lage war, weil mir all die Effektpedale und die Lautstärke fehlten", erinnert sich Neil bei unserem kurzen Treffen vor seinem ausgezeichneten Konzert im Münsteraner Gleis 22. "Da habe ich den Entschluss gefasst, mir das Songschreiben wieder neu beizubringen."

Das ist inzwischen fast 20 Jahre her, doch als Songwriter ausgelernt hat der heute 42-jährige Engländer deshalb trotzdem noch lange nicht. "Die Suche nach dem perfekten Song ist das, was dich als Songschreiber ständig antreibt", sagt er lachend. "Mir geht es allerdings nicht darum, die Songwriterkunst zu meistern, im Vordergrund steht eher mein Drang, mich selbst auszudrücken und das auf eine Art zu tun, die ehrlich und direkt ist." So unterschiedlich die Herangehensweise bei Slowdive, Mojave 3 und Neils Solowerken auch sein mag, im Kern sind seine Lieder doch immer noch sehr ähnlich. "In gewisser Weise schreibe ich seit 20 Jahren immer wieder den gleichen Song", gibt er lachend zu. "Ich schreibe immer noch vor allem über Dinge, die mir passieren. Ich erkunde einfach verschiedene Phasen meines Lebens. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich inzwischen besser darin bin, Songs zu schreiben, aber das stimmt vermutlich nicht. Wenn mein Songwriting heute erwachsener ist, dann nur, weil ich als Mensch auch erwachsen geworden bin. Ich schreibe heute natürlich über andere Dinge als damals mit 18." Das ist also das große Erfolgsgeheimnis des Songwriters Neil Halstead? Einfach erwachsen werden? Er lacht schallend. "Nein, wichtig ist vor allem, dass die Songs von Herzen kommen", ist er sich sicher.

Auch deshalb entstand "Palindrome Hunches" nicht etwa in akribischer Kleinarbeit in steriler Studioumgebung, sondern an nur einem Wochenende im Musikzimmer einer Grundschule im englischen Wallingford. Produzent Nick Holton, dessen Kinder besagte Schule besuchen, hatte Neil auf die Idee gebracht. Mit der ebenfalls aus Wallingford stammenden Band Of Hope im Schlepptau nahm er das Album an nur einem Wochenende auf. "Wir haben die Platte live eingespielt", erinnert er sich. "Diese Herangehensweise hatte ich bei einer Solo-Platte noch nie versucht, insofern war das von Anfang an eine neue Erfahrung." Zerbrechlich, verletzlich und intim auf der einen Seite, sorgt die organische Instrumentierung auf der anderen Seite dafür, dass die Folk-Songs auf "Palindrome Hunches" trotz durchaus vorhandener morbider Untertöne - "Wittgenstein's Arm" erzählt die Geschichte eines österreichischen Konzertpianisten Paul Wittgenstein, der im ersten Weltkrieg seinen rechten Arm verlor, um anschließend Songs "nur für die linke Hand" zu schreiben -, nie ins Weinerliche abdriften und bei einigen Songs, wie dem Titelstück, sogar Platz für humorig-alberne Zeilen wie "Do geese see God? I don't suppose they do!" bleibt.

Obgleich Neil durchaus ein Anhänger der Möglichkeiten digitaler Bedroom-Recordings ist, wurde das neue Album schön altmodisch auf Band mitgeschnitten. "Ich mag den kreativen Aspekt digitaler Produktionen, mir gefällt die Idee, dass man heute mit Garageband eine Platte auf dem Computer produzieren kann, aber meiner Erfahrung nach sind digitale Produktionen immer etwas seelenlos, weil alle kleinen Fehlerchen und jegliche Spontaneität nachträglich ausgemerzt werden - ganz einfach, weil es so leicht ist, das zu tun. Am Ende hast du dann etwas, auf das die Leute nicht wirklich anspringen, denn ob sie es wissen oder nicht, die Menschen reagieren auf die Unvollkommenheiten genauso wie auf den Rest. Die Fehler sind Teil der Atmosphäre, ohne sie geht viel vom Charme der Musik verloren."

Der besondere Charme einer Band, die zusammen in einem Raum spielt, zeichnete auch die besten Werke von Mojave 3 aus. Obwohl die Band vor inzwischen sechs Jahren ihre letzte gemeinsame Platte veröffentlichte, ist das Thema für Neil noch nicht vollkommen abgehakt. "Ich hoffe, dass es eine weitere Mojave-3-Platte geben wird", gesteht er. "Es existieren eine Reihe Songs dafür, die allerdings noch aufgenommen werden müssen. Wir wohnen zwar alle nah beieinander und sehen uns regelmäßig, aber trotzdem fehlt uns die Zeit, zusammen Musik zu machen. Vor einigen Monaten haben wir eine Tournee in China absolviert, die großartig war, aber uns hinzusetzen und ernsthaft über eine weitere Platte zu sprechen, das haben wir einfach noch nicht geschafft." Vermutlich auch, weil Neil kein Antreiber ist, sondern eher jemand, der die Dinge gelassen auf sich zukommen lässt. "In gewisser Weise bin ich etwas apathisch", sagt Neil lachend. "Man sollte das, was man tut, auch mögen. Ich würde keine Musik machen, wenn sie mir nicht auch Freude bereiten würde!"

Die Musik ist allerdings nicht Neils einzige Leidenschaft. Obwohl man es auf den ersten Blick nicht unbedingt vermuten würde und es so gar nicht zum Klischee des britischen Folk-Sängers passt - Neil ist begeisterter Surfer! "In Cornwall, wo ich lebe, ist das eine große Sache", verrät er. "Ich selbst habe in Kalifornien damit angefangen, als ich 21 war. Einige Kids aus Huntington Beach haben mich nach einem Konzert dort verschleppt, und so bin ich da reingerutscht. Sie haben mich zum Surfen mitgenommen und ich war sofort vollkommen begeistert davon, und als ich dann nach England zurückkehrte, bin ich ziemlich schnell an die Küste nach Cornwall umgezogen. Das Surfen hat einen großen Einfluss auf mein Leben, schließlich bin ich inzwischen bei Brushfire Records, dem Label von Jack Johnson, unter Vertrag - und auch ihn habe ich durchs Surfen kennengelernt!"

Weitere Infos:
www.neilhalstead.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Pressefreigabe-
Neil Halstead
Aktueller Tonträger:
Palindrome Hunches
(Sonic Cathedral/Rough Trade)
 

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