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28.02.2014
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THALIA ZEDEK

Ein Gefühl von Dankbarkeit

Thalia Zedek
Vielleicht wäre es etwas übertrieben zu sagen, dass Thalia Zedek derzeit so beschäftigt ist wie nie. Unbestreitbar ist dagegen, dass die amerikanische Sängerin und Gitarristin, die Ende der 80er am Mikro der New Yorker Noise-Rock-Experimentalisten Live Skull erstmals Beachtung fand, gerade in einer extrem kreativen Phase steckt. Letztes Jahr brachte sie nicht nur ihre großartige 90er-Jahre-Band, die Blues-infizierten Bostoner Indierocker Come, wieder für eine Tour passend zum Deluxe Reissue ihres 1992er-Debüt-Meisterwerks "Eleven:Eleven" zusammen, sondern veröffentlichte innerhalb des letzten Jahres auch gleich zwei ausgezeichnete Solowerke. Mit dem 2013er-Album "Via" schlug Thalia ein Stück weit eine Brücke zwischen der elektrisierenden Energie Comes und dem klagenden, melancholischen Element ihrer Soloalben der letzten Dekade. Passend zu ihrer Ende Februar in Dortmund beginnenden, seit Jahren längsten Europa-Tour mit der Thalia Zedek Band erscheint nun mit "SIX" ein Sechs-Song-Album, das weniger als "Via" auf die brillant-ungewöhnliche Besetzung ihrer Band (Gitarre, Klavier, Viola, Bass und Schlagzeug) zurückgreift, jedoch verstärkt auf ihre emotional-eindringlichen Qualitäten als Solistin und ihre herrlich raue Stimme setzt und sogar noch mit einem feinen Freakwater-Cover aufwartet. Doch die Soloaktivitäten sind nur die Spitze des Eisbergs, wie uns Thalia verrät, als wir sie am Morgen nach einem großen Schneesturm in ihrer Heimstadt Boston zu Hause erwischen.

GL.de: Wie fühlt sich Thalia Zedek im Frühjahr des Jahres 2014 und was ist der größte Unterschied zu 2001, als dein erstes Soloalbum "Been Here And Gone" erschien?

Thalia: Ich bin ziemlich aufgekratzt ob der vielen Dinge, die ich für 2014 geplant habe. Neben der Veröffentlichung von "SIX" und der ausführlichen Europa-Tour, die am 28. Februar startet, habe ich zusammen mit zwei sehr interessanten Musikern hier aus Boston (Jason Sanford von Neptune und Alec Tisdale von Bad Man) eine neue Band namens E gegründet und wir werden im März eine 7" auf dem Label Absolutely Breakfast veröffentlichen. Außerdem habe ich gemeinsam mit Wrekmeister Harmonies einige Aufnahmen im Hotel2Tango in Montreal gemacht. Ich bin also in der Tat in einer sehr arbeitsreichen und produktiven Phase. Der Unterschied zu den "Been Here And Gone"-Zeiten ist, dass meine Platten damals viel stärker nach innen gewandt waren, während es mir jetzt viel mehr um Kollaborationen geht.

GL.de: Trotz viel, viel Kritikerlob ist dir der große Durchbruch in den letzten drei Jahrzehnten stets versagt geblieben. Wurmt das manchmal?

Thalia: Ich bin wirklich dankbar dafür, dass ich all die Jahre Platten machen und Konzerte spielen konnte, wenngleich ich natürlich wie jeder in diesem Betätigungsfeld immer mal wieder Selbstzweifel habe. Zu musizieren macht mich glücklicher als alles andere, und obwohl ich natürlich so viele Menschen wie möglich erreichen will, mache ich alles doch in erster Linie für mich selbst.

GL.de: "Via" klingt ein bisschen so, als sei es die Platte, auf die du mit all den Vorgängern hingearbeitet hast. Darf man das so sagen?

Thalia: Ich bin nicht sicher, ob ich es genauso ausdrücken würde, richtig ist aber, dass ich für das Album gewissermaßen zu meinen Songwriting-Wurzeln zurückgekehrt bin. Die Songs des Albums beinhalten einige Einflüsse, die ich zuvor eine Weile ausgeblendet hatte, und die Tatsache, dass ich mit einer ganzen Reihe verschiedener Schlagzeuger zusammengearbeitet habe, hat die Songs etwas offener gemacht. Der Schlagzeuger auf "Via", Dave Bryson von Son Volt, spielt auf sehr relaxte, minimalistische und dennoch umfangreiche Art und Weise, und das hat dafür gesorgt, dass die anderen Instrumente mehr Raum zum Atmen hatten. Das hat dazu geführt, dass "Via" geschlossener klingt als einige der Vorgängerwerke.

GL.de: Allgemeiner gefragt: Wie hat sich dein Songwriting über die Jahre verändert? Bei Come waren damals viele Songs das Resultat von Jam-Sessions. Hast du heute die fertigen Songs bereits vor den Studioaufnahmen im Kopf und wie entscheidest du, ob die Songs ein volles Band-Arrangement bekommen (wie der "SIX"-Opener "Fell So Hard") oder ob wie bei "Afloat" Stimme und Gitarre reichen?

Thalia: Bei "SIX" wollte ich einiges anders machen. Ich hatte "Fell So Hard" bereits in einer spartanischen Version als Bonustrack für "Via" aufgenommen, aber sobald ich die Nummer dann mit der Band spielte, änderte sich die komplette Stimmung des Songs, sodass daraus fast ein neues Lied wurde. Das gefiel mir so gut, dass ich das Band-Arrangement unbedingt aufnehmen wollte. Bei "Afloat" war es umgekehrt. Ich hatte mir das Stück immer als Band-Song vorgestellt, aber als ich das Stück letzten August ein paarmal solo gespielt habe, erhielt ich darauf sehr positive Rückmeldungen. Das hat mich ziemlich überrascht, also dachte ich: Warum nehme ich es nicht einfach so auf?" Für die Tour arbeiten wir aber an einer Band-Version. Aus "Midst" wird womöglich irgendwann auch noch ein Band-Stück. Für gewöhnlich höre ich nämlich beim Songwriting bereits die komplette Band in meinem Kopf, auch wenn ich es den Musikern letztlich selbst überlasse, ihre Parts auszuarbeiten. Sie sind allesamt großartig und kommen meist auf Ideen, die viel cooler sind als meine."

GL.de: Wäre es richtig zu sagen, dass du dich vor allem dann sparsameren Arrangements zuwendest, wenn du willst, dass den Texten besondere Beachtung geschenkt wird, oder ist das zu simpel ausgedrückt?

Thalia: Nein, ich denke, da ist schon was Wahres dran. Mit Viola, Piano, Bass und Schlagzeug zu spielen, sorgt für eine ungemein reichhaltige Klangpalette, aber manchmal ist sie fast schon zu reichhaltig, vor allem, wenn alle bei allen Songs mitspielen. Deshalb ist es eine bewusste Entscheidung, bei einigen Songs dem Gesang mehr Platz einzuräumen.

GL.de: Genau das macht den besonderen Reiz von "SIX" aus. Fast könnte man glauben, das neue Album sei von Anfang an als düsterer "Zwilling" von "Via" konzipiert gewesen.

Thalia: "SIX" entstand, nachdem ich die eigentlich schon für letzten Herbst geplante Europa-Tournee verschieben musste. Ich war ziemlich enttäuscht, dass es keine richtige Tournee zu "Via" gab. Bettina Richards von meinem Label Thrill Jockey wusste, dass ich ein paar neue Songs herumliegen hatte, und schlug vor, dass ich die Zeit nutzen sollte, um eine EP aufzunehmen, die ich dann gemeinsam mit "Via" auf der neu angesetzten Tournee im Frühjahr würde präsentieren können. So betrachtet ist "SIX" wirklich so etwas wie ein "Zwilling" von "Via", das ist eine prima Formulierung und ich hoffe, dass sich die beiden Platten gut ergänzen."

GL.de: Apropos Tour: Die letztjährige Gastspielreise mit Come hatte einen strikten Fahrplan (das Debütalbum erneut auf die Bühne zu bringen), bei deinen kommenden Auftritten in Dortmund, Hamburg, Berlin und Köln hast du dagegen viel mehr Freiheiten. Was erwartet uns?

Thalia: Unser neuer Schlagzeuger Jonathan Ulman ist gerade schwer damit beschäftigt, viele der alten Songs zu lernen. Natürlich hat er alle Songs von "Via" und "SIX" drauf, aber inzwischen haben wir ja ein wirklich großes Repertoire, aus dem wir auswählen können. Er wird definitiv genug Stücke lernen, dass wir jeden Abend eine andere Setlist haben können. Jeden Abend das Gleiche zu spielen, mag ich gar nicht. Jeder in der Band hat Jonathan eine Liste seiner Favoriten geben, die er können soll, wir werden also viel durchwechseln. Wird bestimmt interessant!

GL.de: Letzte Frage: Wenn du die Chance hättest, einen Auftrittsort selbst zu gestalten: Wie sähe der perfekte Saal für eines deiner Konzerte aus?

Thalia: Das ist eine Frage, die mir noch nie gestellt wurde! Ich denke, der Laden hätte einen Holzfußboden, außerdem wären hohe Decken wichtig. Dennoch sollte er klein und gemütlich sein. Oder, um eher filmische Antwort zu geben: Öffne die Tür und betritt den Club, auf der rechten Seite ist eine lange Bar aus dunklem Holz, auf der linken Seite stehen Cafétische. Dann gehst du durch einen Bogengang, und drei Stufen weiter unten befindet sich der Auftrittsraum. Geradeaus befindet sich eine kleine Bühne, vielleicht 60 cm hoch mit Samtvorhängen hinten. Der Fußboden ist auch hier aus Holz und auf der linken Seite gäbe es eine weitere kleine Bar.

Weitere Infos:
thrilljockey.com/thrill/Thalia-Zedek
www.facebook.com/pages/Thalia-Zedek-Band/534135196606206
en.wikipedia.org/wiki/Thalia_Zedek
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Lana Caplan-
Thalia Zedek
Aktueller Tonträger:
SIX
(Thrill Jockey/Rough Trade)
 

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