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06.06.2014
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SABINA

Eine enge Vertraute

Sabina
Als Frontfrau (und einziges Girl) des New Yorker Artrock-Quartetts Brazilian Girls dürfte Sabina Margrit Sciubba Insidern vielleicht schon ein Begriff sein. Aber obwohl die Brazilian Girls, mit denen Sabina 2010 für einen Grammy nominiert wurde, seit fünf Jahren eine Auszeit nehmen, ist sie bislang als Solo-Künstlerin noch nicht Erscheinung getreten. Das macht Sabina, die seit einigen Jahren mit ihrer Familie in Paris lebt, nun mit einem Album wett, das einen besonders breiten Rahmen einnimmt. Die Frau mit der italienisch-deutschen Herkunft, dem US-amerikanischen Musik-Erbe und der französischen Heimat lässt es sich nämlich nicht nehmen, auf dem Solo-Album "Toujours" in gleich vier Sprachen zu Werke zu gehen und sich musikalisch ziemlich weit von den eklektischen Jam-Sessions der Brazilian Girls zu entfernen.

Zunächst mal sei die Frage erlaubt, was denn eigentlich aus den Brazilian Girls geworden ist, denn im Sommer letzten Jahres berichtete BG-Bassist Jesse Murphy noch davon, dass die Band an einem neuen Album arbeite. "Ja, die Brazilian Girls gibt's noch und wieder, noch und nöcher", bestätigt Sabina dieses, "wir waren eine Zeit lang getrennt, aber haben uns dann wieder zusammengerauft. Das neue Album ist fast fertig, es fehlen noch einige Feinschliffe, und, naja, natürlich will ich meinem Solo-Album die Zeit geben, überall schön einzusickern, bevor ich mich wieder mit den Jungs zusammentue." In dem Gespräch mit Jesse Murphy letztes Jahr bestätigte dieser, dass die Brazilian Girls so eine Art Jazz-Ansatz im Rock- und Dance-Setting verfolgten. Das Album Sabinas ist aber stattdessen - in der besten Bedeutung - eine Art musikalischer Wundertüte oder Füllhorn. Mit welcher Erwartungshaltung ist sie selbst die Arbeiten an dem Material denn angegangen? Was war das Ziel? "Für mich ist Musik wie eine enge Vertraute", beschreibt Sabina den Prozess, "einerseits vertraue ich ihr meine intimen Gefühle an, andererseits fühle ich mich mit ihr so wohl, dass ich auch meine Traumpersona ausleben kann. Ich hatte keine Erwartung a priori, aber dieses Album war eine tolle Vertraute und Freundin. Es hat mir sehr geholfen. Mein Ziel ist, generell so glücklich wie möglich zu sein und alle Elemente, die ich zum Glücklichsein brauche, vereinen zu können. Musik zu machen und zu singen, ist eins dieser Elemente." Was war anders als bei den Brazilian Girls und was nicht? Und warum? "Die Brazilian Jungs sträuben sich immer, wenn ich den Taktstock auspacke", meint Sabina, "wir sind eben zu viert, und jeder hat eine Meinung, einen Stil und ein Ego. Bei meinem Solo-Projekt konnte ich endlich ungestört alle rumkommandieren, wie ich es so gerne tue. Die drei Jungs sind auf jeden Fall unglaublich tolle Musiker, und ich muss sagen, dass mit ihnen zu spielen, immer eine große Freude und ein Privileg ist. Anders bei meinem Projekt ist, dass ich nicht mehr als ein paar Elemente gleichzeitig hören wollte. Nur das Essenzielle."

Das erklärt wohl auch, warum die Stücke Sabinas wesentlich geradliniger, transparenter und somit auch irgendwie konkreter daherkommen als die Musik der BGs, die ja immer einen improvisatorischen, Jam-Charakter mit sich brachte. Wie erklärt sich denn das witzige Covermotiv?, das Sabina als eine Art modernder Lady Godiva auf einem Esel zeigt. "Das war eine Vision, die ich nachts hatte, und in die Tat umgesetzt habe", gesteht Sabina, "Ich habe mich auch im Nachhinein gefragt, was es genau bedeuten könnte. Ich denke, dass es unglamouröser ist, als auf einem weißen Ross zu sitzen, gekleidet in einem pompösen Gewand. Es spricht sicherlich für Bescheidenheit, Fortbewegung und Verwandlung - aber das kommt vielmehr im Video raus, das ich zu dem Stück "Toujours" gemacht habe." Was sollen die umgedrehten Buchstaben im Titel der CD? Heißt das, dass das auch ein Album für Kinder ist? "Ja, für Kinder und natürlich auch dafür, dass man das Album auch rückwärts anhören kann." Wie gesagt, singt Sabina ja in mehreren Sprachen, zwischen denen sie - scheinbar mühelos - hin und her springst. In welcher Sprache denkt oder träumt Sabina und in welcher schreibt sie ihre Songs? Ist das für die Musik irgendwie relevant? "Das ist eine Reflektion meines Alltags", führt sie aus, "ich springe immer zwischen Sprachen und Persönlichkeiten hin und her. So bin ich auch aufgewachsen, also scheint es durchaus selbstverständlich, dass es in der Musik so bleibt. Ich bin oft gefragt worden, in welcher Sprache ich träume, und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich überhaupt eher im Stummfilmstil träume. Ich kann mich nie an Sätze oder Worte aus Träumen erinnern. Nur Bilder, Gefühle, Wesen."

Sabina
Was war denn die musikalische Motivation hinter dem Album? Was hat Sabina inspiriert? "Frederik Rubens, der Produzent (auch der BG) und ich haben fast alle Stücke auf dieser Platte mit elektrischer Gitarre angefangen, die ich zum ersten Mal auf einem Album gespielt habe. Also zuerst kam immer ein Gitarren-Riff. Dann hat Fred Bass gespielt. Meistens haben wir dann ein Tambourin hinzugefügt, und manchmal Schlagzeug, entweder programmiert, oder einen Schlagzeuger angerufen. Auf dem Stück 'The Sun' singt ein Freund von mir, Adanowsky mit. Fertig war ein Song immer dann, wenn egal was wir noch hinzufügen wollten, dieses immer einfach überflüssig schien." Das Album hat dabei einen total unamerikanischen Touch. "Das ist mir nicht neu; ich bin total unamerikanisch", meint Sabina, "Ich höre zum Beispiel hauptsächlich klassische Musik, aber natürlich auch viel neuere traditionelle Musik, viel aus den 60ern und 70ern, z.B. Violeta Parra, Paolo Conte, Rolling Stones, Leonard Cohen, Caetano Veloso, Chico Buarque, Serge Gainsbourg, Leo Ferré, Bob Dylan, Beatles, Atahualpa Yupanqui, David Byrne, etc. etc." Worum geht es denn in den Texten? Sind die irgendwie autobiographisch ("Sailor's Daughter") oder geht es da um für den Song konstruierte Charaktere? "Alles autobiographisch", räumt Sabina ein, "mein Vater ist zwar kein Seemann, aber er hat eine Frau in jedem Hafen. Und meine Mutter ist wirklich gut gebaut." Wonach sucht Sabina, die Songwriterin, denn, wenn sie einen guten Song schreiben möchte? "Ich denke, dass es für einen richtig guten Song viele Kriterien gibt", überlegt sie, "was mich selbst angeht, bin ich mit einem Stück dann zufrieden, wenn es mich rührt und die initiale Emotion, aufgrund dessen ich das Stück schrieb, unbeschädigt aus Arrangements und Interpretation herauskommt. Das ist die größte Herausforderung. Deshalb nehme ich auch nie Demos auf, denn dann besteht die Gefahr, dass das Demo viel authentischer ist als die fertige Aufnahme." Wie sieht denn die nahe und mittelferne musikalische Zukunft der Sabina Sciubba aus? "Bis Ende diesen Jahren möchte ich dieses Album promoten, nächstes Jahr wird das Brazilian Girls-Album rauskommen, dann machen wir damit Konzerte. Mein nächstes Solo-Album kommt dann danach. Und so weiter." Obwohl also die Zukunft der Brazilian Girls somit gesichert scheint, wird uns also auch die Solo-Künsterlin Sabina erhalten bleiben - nachdem sie sozusagen mit diesem Debüt-Werk erst mal Blut geleckt hat. Es ist aber schon wichtig, noch mal ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass "Toujours" ein ganz echtes Solo-Album ist, das musikalisch mit der Mutterband recht wenig zu tun hat.

Weitere Infos:
www.sabina-sciubba.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Sylvain Gripoix-
Sabina
Aktueller Tonträger:
Toujours
(Naim/Indigo)
 

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