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14.11.2014
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EXIT VERSE

Veränderung ist etwas Gutes

Exit Verse
Fast zehn Jahre sind seit der Trennung der so ungemein einflussreichen und experimentierfreudigen Bostoner Indierock-Band Karate vergangen. Seitdem hat sich ihr Sänger, Gitarrist und Songwriter Geoff Farina in erster Linie mit akustischer Musik in allen erdenklichen Formen beschäftigt, als Solist unter eigenem Namen genauso wie mit Glorytellers oder im Duo mit Chris Brokaw. Jetzt überrascht uns der sympathische Amerikaner mit einem klanglichen U-Turn. Mit seiner neuen Band Exit Verse kehrt der inzwischen in Chicago heimische Musiker nun erstmals wieder zu lauter Rockmusik zurück - und klingt dabei so entschlossen wie nie zuvor. Zusammen mit Pete Croke (Brokeback, Tight Phantoms) am Bass, John Dugan (Chisel, Edsel) am Schlagzeug und Special Guest Thalia Zedek als zweiter Stimme hat er ein ganz ausgezeichnetes Album mit viel 70s-Rock-Feeling und einer ordentlichen Portion Punk-Spirit aufgenommen, das mit kurzen, direkten Songs und scharfkantigen Riffs begeistert. Natürlich finden sich auch ein paar Rückbezüge auf Karate zu "In Place Of Real Insight"-Zeiten - immerhin stammen die Songs vom gleichen Autor! -, dennoch haben Exit Verse, bei denen Chris Dye (Speck Mountain, Chin Up Chin Up) inzwischen den Schlagzeugstuhl übernommen hat, unbestreitbar ein Eigenleben.

"Die Abwechslung ist sehr befriedigend", erklärt Geoff, als wir ihn spätabends in seinem Studio erwischen. "Ich lebe jetzt seit fünf Jahren in Chicago und ich fühle mich wie ein Kind im Spielzeugladen. Fast jeden Abend trete ich auf oder probe. Exit Verse üben jeden Mittwoch, freitags habe ich meine Solo/-Duo-Konzertserie im Whistler und außerdem spiele ich mit verschiedenen anderen Leuten hier in der Stadt, sodass immer Konzerte und Proben anstehen. Ich genieße es sehr, verschiedene Arten von Musik zu spielen, und möchte nie nur auf eine Sache festgelegt sein."

Deshalb ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass Geoff bei seinen ausgezeichneten Solo-Akustik-Konzerten der letzten Jahre viel lieber alte Blues- und Folk-Songs als Stücke von Karate spielte, gleichzeitig aber auch sein Interesse an der elektrischen Gitarre wieder entflammte. "In meinem ersten Jahr in Chicago bat mich Nathan McBride, Gitarre bei Bando zu spielen, bei denen Frank Rosaly am Schlagzeug saß. Bando konzentrierten sich auf kantige, punkige Songs, die Nate bereits seit Jahren schrieb. Zunächst war ich nicht wirklich daran interessiert, Stromgitarre in einer lauten Band zu spielen, aber die beiden waren zwei meiner Lieblingsmusiker in Chicago und außerdem improvisieren sie. Das interessierte mich. Zunächst war mir ein wenig mulmig, aber schnell wurde mir klar, wie sehr ich das alles vermisst hatte, und die Proben und wenigen Konzerte, die wir bestritten, waren ein Heidenspaß. Als Nate sich entschied, zurück nach Boston zu gehen, ging die Band auseinander, aber ich war fest entschlossen, weiter Rockmusik zu machen, und so begann ich, Songs für Exit Verse zu schreiben."

Anstatt das Offensichtliche zu tun und bei Karate anzuknüpfen, entschied sich Geoff für einen anderen Weg. Ob der hörbaren Rolling Stones-Einflüsse von Exit Verse könnte man fast meinen, er sei eines Morgens aufgewacht und hätte beschlossen, seinem inneren Keith Richards freien Lauf zu lassen. "Ich denke, das kann man so sagen!", bestätigt Geoff. "Ich bin seit meiner Jugend Keith-Fan und bin mit dem Classic Rock und Punk der70er und 80er aufgewachsen, und das kann man meiner neuen Band deutlich anhören. Der Grund dafür ist, dass ich jetzt älter bin und bei Karate und anderen Bands viel Zeit damit verbracht habe, mit Rockmusik zu experimentieren. Karate haben ihr Ding zwölf Jahre lang durchgezogen, und ich habe kein Interesse daran, diesen Sound wiederaufleben zu lassen. Damit will ich nicht sagen, dass ich diese Art von Musik nie wieder machen will, aber bei Exit Verse wäre es einfach unpassend. Ein wichtiger Teil des Sounds der Band kommt von meinen Mitstreitern. Jeff und Gavin von Karate waren Musiker durch und durch, reich an musikalischen Erfahrungen und in der Lage, Noten zu lesen und Musiktheorie zu verstehen. Sie sind Chamäleons, die jede erdenkliche Art von Musik spielen können. Nate und Frank von Bando waren improvisierende Musiker und ihr Sound wurde in erster Linie von diesem Hintergrund und Nates Songs definiert. Pete und Chris von Exit Verse (und John, der auf der Platte spielt) sind Rock-Typen mit ganz anderen Fähigkeiten. Sie klingen laut und präzise und sind in der Lage, mit ihrem Sound einen Raum vollkommen zu füllen, das ist eine völlig andere Situation."

Darauf musste sich Geoff erst einmal einstellen, und nicht alles lief von Anfang an glatt. Die ersten Stücke, die er schrieb (und die es letztlich nicht auf die Platte schafften), klangen seinen Worten nach wie "upbeat, vibey Karate-Songs". Aus Angst, dass Exit Verse wie Karate für Arme klingen könnten, suchte er nach einem anderen Ansatz. "Letztlich habe ich versucht, Songs zu schreiben, die natürlich klangen und von Herzen kamen und trotzdem die Stärken der Band berücksichtigten", verrät er. "Bei 'Perfect Hair' und 'Under The Satellite' machte es Klick!, und dann hatten wir unser Ding gefunden!"

Mit Mary Timony hat eine von Geoffs alten Weggefährtinnen aus Bostoner Zeiten kürzlich einen ganz ähnlichen Weg eingeschlagen. Im Interview mit Gaesteliste.de gestand sie, dass sie mit ihrer neuen Band Ex Hex gar nicht erst versucht, ein großes, bedeutsames oder verrücktes künstlerisches Statement abzugeben, sondern vor allem Spaß haben und musikalisch die Sau rauslassen will. Gilt für Exit Verse etwas Ähnliches? "Ich würde nicht sagen, dass es bei Exit Verse vor allem darum geht", erwidert Geoff. "Die Songs haben immer noch die gleiche Dringlichkeit wie einst bei Karate, und daran wird sich wohl auch nie etwas ändern. Die Musik ist immer noch ziemlich kalkuliert, nur nicht mehr so barock und kompliziert und nicht mehr in erster Linie auf das Austesten musikalischer Ideen ausgerichtet. Ex Hex sind definitiv launiger und charismatischer, als Exit Verse das je sein werden."

Der Grund dafür ist vermutlich, dass Geoff als Mensch und Musiker viel zu nachdenklich und umsichtig ist. Dennoch klingt das Album von Exit Verse erfreulich sorgenfrei und spontan. Das ist allerdings das Ergebnis harter Arbeit. "Die Musik ist ganz und gar nicht spontan, auch wenn ich wünschte, sie wäre es", gesteht Geoff. "Es freut mich allerdings, wenn du sagst, dass sie so klingt. Wir haben sehr viel geprobt und genau gewusst, was wir spielen wollen, bevor wir ins Studio gegangen sind. Allerdings war Johns Zeitplan eng gesteckt, und deshalb haben wir die Platte relativ schnell und in wenigen Takes eingespielt. In diesem Sinne war sie dann doch spontan. Wir haben nur zwei Tage mit der kompletten Band im Studio verbracht. Im Anschluss habe ich allerdings noch viele weitere Tage am Gesang und an den Gitarren-Overdubs gearbeitet."

Vollkommen spontan war dagegen der Gastauftritt der früheren Come-Frontfrau Thalia Zedek, die zu einigen Songs die zweite Stimme beisteuerte. Die Idee dazu stammte von ihr selbst. "Ich bin nach Boston geflogen, um im Studio von Andy Hong einige Overdubs für die Platte aufzunehmen und an der Hochzeitsparty von Chris Brokaw teilzunehmen", erinnert sich Geoff. "Thalia und ich schauten uns gemeinsam Mission Of Burma an (die auf Chris' Party spielten) und sie fragte mich, was ich derzeit so treibe. Ich erzählte ihr, dass ich bei Andy an der Exit Verse-Platte arbeitete, und sie meinte nur: 'Wenn du noch eine Stimme brauchst, lass es mich wissen!' Ich dachte zuerst, sie scherzt, aber am nächsten Tag kam sie im Studio vorbei. Ich zeigte ihr die Texte zu allen Songs, damit sie wusste, worum es ging, und sich ein paar Gedanken machen konnte, aber sie war völlig spontan und hat ihre Sache ganz toll gemacht. Ich bin wirklich stolz darauf, sie auf der Platte zu haben, denn ich habe mir Come damals in Boston ständig angeschaut und sie waren immer eine große Inspiration für meine Arbeit."

Thalia war allerdings nicht die Einzige, die instinktiv wusste, was das Richtige für Geoffs Songs war. "Ich versuche mit Leute zusammenzuspielen, die wissen, was ich gerne hören würde, und die bis zu einem gewissen Maße stolz auf ihren Sound und ihr Können sind", sagt Geoff über die Wahl seiner Mitstreiter. "Gavin und Jeff haben bei Karate immer Sachen gespielt, die ich mochte. Ich musste ihnen nie sagen, was sie bei den von mir geschriebenen Songs zu spielen hatten, auch wenn ich das manchmal trotzdem getan habe. Sie haben immer bessere Parts für ihre Instrumente geschrieben, als ich da je gekonnt hätte, und bei Pete und Chris ist das nun ähnlich. Ich vertraue auf ihre Fähigkeiten, und sie liefern immer Parts ab, die zum Song passen. Außerdem spielen sie mit Stolz und nehmen ihren Sound sehr wichtig. Ich finde, darauf kommt es an, denn das unterscheidet eine gute Band vom Mist. Letztlich gibt es eine kurze Diskussion über die Stimmung des Songs, und danach laufen Chris und Pete los und kommen mit Parts zurück, auf die ich im Leben nicht gekommen wäre. An dem Punkt sorge ich letztlich nur noch dafür, dass alle Teile wie bei einem Puzzle zusammenpassen (eine Lektion, die ich auch von Keith gelernt habe). Das Schwierigste für mich ist stets, Gitarre und Gesang auf die Reihe zu kriegen."

Im Alter von 45 eine neue Band zu gründen, hat offensichtlich Vor- und Nachteile. Die Erfahrung von zwei Jahrzehnten im Musikbusiness ist durch nichts aufzuwiegen, aber manchmal denkt man doch sicherlich: "Die Verstärker waren irgendwie leichter, als ich sie mit 22 die Treppe runtergeschleppt habe", oder? "Nun ja, in meinem Alter kommen mir die Verstärker in der Tat sehr schwer vor, aber zum Glück sind Chris und Pete ein bisschen jünger und frei von Rückenproblemen. Das Schlimmste ist allerdings die Art und Weise, wie sich unser Lifestyle verändert hat. Heute ist jeder ständig beschäftigt, hat zu viel Verantwortung zu tragen, spielt in zu vielen Bands, macht bei der Arbeit zu viele Überstunden etc. Heute in einer Band zu sein, fühlt sich ganz anders an als früher. Es verpasst deiner Musik einen großen Dämpfer, wenn du das Gefühl hast, dass deine Mitstreiter bei der Probe in ihren Gedanken ganz woanders sind, ständig auf ihre Mobiltelefone starren oder gleich zu spät auflaufen. Das ist allerdings nicht ihr Fehler, das ist nun mal die Welt, in der wir heute leben. Ich erinnere mich daran, dass Karate zwei- oder dreimal die Woche geprobt haben. Jede Probe dauerte den ganzen Nachmittag, und danach sind wir noch losgezogen, haben Bier getrunken und über die Songs gequatscht. Das war, bevor es eMails und Mobiltelefone gab, und ein bisschen vermisse ich diese Zeit. Mit Exit Verse versuchen wir, diesen Vibe zumindest ein Stück weit einzufangen. Uns allen gefällt die Idee, regelmäßig einmal die Woche zu proben, selbst wenn keine Konzerte anstehen, einfach, weil wir gerne zusammenspielen und die Kameradschaft der Band schätzen. Es fühlt sich wirklich an, als wenn alle wirklich dort sein wollen, und wir können uns jede Woche für ein paar Stunden vollkommen in den Songs verlieren. Das ist ein tolles Gefühl."

Weitere Infos:
www.facebook.com/exitverse
www.damnably.com/exit-verse/
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Pressefreigabe-
Exit Verse
Aktueller Tonträger:
Exit Verse
(Damnably/Indigo)
 

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