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21.04.2015
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THE LATE CALL

Feeling über Perfektion

The Late Call
Ein gewöhnlicher Vertreter des Folk-Pop-Genres war Johannes Mayer alias The Late Call noch nie. Dafür sorgte allein schon, dass er aus Deutschland stammt, in Schweden lebt und englisch singt. Nach den drei eher solistischen Alben "Leaving Notes" (2009), "You Already Have A Home" (2010) und "Pale Morning Light" (2012) gelingt ihm nun der ganz große Wurf. Auf seinem neuen Album "Golden" nimmt er größere Gesten und ein breiteres musikalisches Spektrum jenseits der eingetrampelten Pfade des puristischen Folk-Singer/Songwritertums ins Visier und setzte dafür gemeinsam mit Patric Thorman (Bass, Hammondorgel), Henrik Roger (Klavier, Mellotron) und Lars Plogschties (Schlagzeug) bei den Aufnahmen im Bremer Studio Nord von Gregor Hennig auch erstmals auf echten Bandsound und ungekünstelten Live-im-Studio-Charakter. Im Interview mit Gaesteliste.de verrät er, wie es dazu kam.

GL.de: Johannes, wie geht's?

Johannes Mayer: Mir geht es sehr gut! Es gibt zwar viel zu tun, gerade jetzt um den Release, aber bei den vielen fantastischen Rezensionen zum neuen Album fällt alles etwas leichter. Dann bin ich natürlich sehr gespannt auf die Tour im Mai, da freue ich mich sehr drauf.

GL.de: Wärest du willens und in der Lage, uns die Meilensteine deiner musikalischen Sozialisation zu verraten? Platten, Konzerte, musikalische Ereignisse, die dich geformt haben.

Johannes Mayer: Ob ich die Frage wirklich beantworten kann? Meine musikalische Sozialisation ist ja immer noch in vollem Gange. Ich bin ein Latebloomer in ziemlich allem und habe die meiste Musik, die irgendwie einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen hat, erst mit 24 oder 25 kennengelernt. Natürlich würde ich die Frage am liebsten konkret beantworten, aber ich weiß, dass ich mittlerweile so chaotisch Musik höre, dass alles irgendwie mal auf einer Platte irgendwie Platz finden wird. Nur mal als Beispiel, was mir letztes Jahr so gefallen hat: Solomon Burke, Bert Jansch, John Hopkins, JJ Cale, Max Richter, Kendrick Lamar, J Dilla, Steve Mason, Shugo Tokumaru, Niels Frahm - und das war jetzt nur mal ein kurzer Blick rüber ins Plattenregal.

GL.de: Gab es einen bestimmten Auslöser dafür, dass du selbst auf der Bühne stehen und Musiker werden wolltest?

Johannes Mayer: Dass ich Songs schreiben wollte, merkte ich ziemlich früh in meinem Leben. Damals schrieb ich für meine erste Band, und als ich genug Mut gefasst hatte, mit meiner brüchigen Stimme vor Publikum zu singen, war der Bann gebrochen.

GL.de: All deine inzwischen vier Alben scheinen den gleichen Ursprung zu haben, aber dennoch klingen sie keinesfalls gleich. Ist das einfach der Tatsache geschuldet, dass sie zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Umgebungen aufgenommen wurden, oder setzt du dich vor den Aufnahmen hin und schmiedest Pläne, wie genau die Platten klingen sollen?

Johannes Mayer: Ich mache das, ja, aber dann klingen sie immer wieder etwas anders, als ich ursprünglich dachte. "Golden" ist ja die erste Platte, die ich live mit Band aufgenommen habe. Jeder, der auf der Platte spielt, kommt mit seinem eigenen Stil, aber alle haben ein sehr gutes Verständnis von meinem Sound. Nicht zuletzt sprechen wir ja viel miteinander darüber, wie es klingen soll.

GL.de: "Golden" wartet mit einer Reihe Neuerungen auf, die wichtigste ist sicherlich die gerade bereits angesprochene Band, mit der du zusammengearbeitet hast. Was war der Auslöser dafür? Hattest du das Gefühl, dass du auf solistischen Pfaden alle Möglichkeiten ausgeschöpft hattest oder warst du einfach die Einsame-Wolf-Nummer leid?

Johannes Mayer: Meine ursprüngliche Idee war sogar das genaue Gegenteil: nur Gitarre und Gesang. Aber irgendwie macht das Zusammen-Musizieren einfach mehr Spaß, man teilt das Erlebnis. Und dann dachte ich mir - und das war der entscheidende Schritt -, dass ich mich auf dieser Platte nicht selber einschränken möchte. Also keine festen Vorgaben wie auf "Leaving Notes", wo ich nur mit Widerwillen ein Schlagzeug auf einen Song nahm. Die Solonummern auf "Golden" sind so gesehen also, wie das ganze Album hätte sein können, aber sie kommen in dem vielseitigen Klangbild des Albums besser zur Geltung, so sparsam, wie sie aufgenommen wurden.

GL.de: Auf der "Sit Down And Sing"-Tour vor zwei Jahren haben wir dich als jemanden kennengelernt, der sehr akribisch und gewissenhaft ist, was die eigene Performance angeht. Mit anderen Musikern zusammenzuarbeiten, gerade wenn es in einer Live-im-Studio-Situation ist, heißt ja auch immer, Verantwortung ein Stück weit abzugeben. Ist dir das schwergefallen?

Johannes Mayer: Interessant, dass du das so beobachtet hast! Ich hatte nur ein Stimmgerät und einen Halleffekt und meine Gitarre, um die ich mich auf dieser Tour kümmern musste, denkbar einfach also. Aber für mich muss es wirklich genau stimmen, damit es sich richtig anfühlt. Ich kann nicht auf einer leicht verstimmten Gitarre spielen, ich kann auch nicht mit einem Hall singen, der mir nicht wirklich gefällt. Für mich handelt Musik viel von den kleinen Details im Sound, alles andere ist vertane Zeit. Auf der Suche nach dem passenden Studio war deswegen Gregor Hennigs Studio Nord wie ein Sechser im Lotto. Er hatte nicht nur die richtige Einstellung, Musik aufzunehmen, wie ich mir das vorstelle, sondern auch eine fantastische Ausrüstung, die den Sound erzeugen konnte, den ich im Kopf hatte. Und ja, selbstverständlich habe ich sehr viel an meine grandiosen Mitmusiker Henrik, Patric und Lars abgegeben. Ich kenne jetzt alle schon ziemlich lange und weiß, dass ich ihnen musikalisch 100% vertrauen kann. Musik mit anderen zu machen, heißt für mich, die richtigen Leute zu finden, die die gleiche oder eine ähnliche musikalische Ästhetik haben wie man selbst.

GL.de: Wie hast du deine Mitstreiter ausgewählt? Unbekannte waren sie ja alle nicht für dich.

Johannes Mayer: Nein, mit Henrik bin ich schon seit vielen Jahren sehr gut befreundet und wie teilten damals nicht nur den Proberaum, sondern auch den Traum, Musiker mit Plattenvertrag zu werden. Seine Band Ghost Of Tom Joad startete damals richtig durch, und das hat auch mich motiviert, mich richtig ums Musikmachen zu kümmern. Ohne ihn hätte es "Leaving Notes" nicht gegeben, sondern nur eine weitere selbst gebrannte EP mit drei Songs. Patric ist einer meiner ältesten Freunde in Stockholm, ich habe ihn in meiner ersten Woche dort kennengelernt, genauso auch Ylva, und wir haben schnell gemerkt, dass wir gerne Musik zusammen machen. Patric ist ein unglaublich guter Musiker und Bassist, dessen kreative Bassläufe alle Songs interessanter machen. Lars habe ich über Tapete kennengelernt und er ist einfach ein super Typ, entspannt, genau so, wie er Schlagzeug spielt. Eine sehr gute Band. Dann darf man natürlich nicht vergessen, dass The Late Call eine Art Kollektiv ist, ich habe in Schweden wiederum einen anderen Drummer und Ylva spielt Keyboard, das macht jedes Konzert zu etwas Besonderem.

GL.de: Immer mehr Künstler setzen heute bei ihren Platten auf einen echten, unverfälschten Live-Sound, weil sie merken, dass das Publikum manchmal auf die kleinen Fehler stärker anspricht als auf klinische Perfektion. Was waren für dich bei der Produktion von "Golden" die wichtigsten Aspekte, die wichtigsten Stichworte in puncto Sound und Atmosphäre?

Johannes Mayer: Wir haben sehr schnell gearbeitet, die Songs angespielt, bis sie sich richtig angefühlt haben, und dann direkt das Band rollen lassen, danach noch ein paar Overdubs - fertig. Der schwierigste Teil ist der Gesang, denn da geht es um Intonation, Ausdruck und diese ganzen Sachen, die machen können, dass du die erste Strophe mit einem Gänsehaut-Feeling anfangen lässt oder eben nicht. Ansonsten war das Stichwort: Feeling über Perfektion. Letzteres macht einen ja wahnsinnig!

GL.de: Denkst du rückblickend manchmal, dass du den Weg von "Golden" schon früher hättest einschlagen können und sollen - oder brauchte es die ersten drei Platten, um dich an diesen Punkt zu bringen?

Johannes Mayer: Sehr gute Frage - aber ich würde sagen, dass ich mir die Frage während der ersten drei Alben nie gestellt habe. Für mich war der Schritt von "You Already Have A Home" zu "Pale Morning Light" der erste kleinere Experimentierversuch mit rhythmischen Aspekten. Aber der Schritt zu "Golden" ist sicherlich der größte bisher gewesen, und ich empfinde es als eine Art Befreiungsschlag, der mir für die Zukunft erlaubt, zu machen, was ich will. Ich habe noch keine Ahnung, was ich als Nächstes machen werde, aber es wird auf jeden Fall kein Schritt zurück werden.

GL.de: In meinen Ohren klingt "Golden" gleichermaßen zeitlos und modern, sprich: Die Platte scheint stärker als die Vorgänger eine Brücke vom goldenen Zeitalter des Singer/Songwritertums der 70er ins Hier und Jetzt zu schlagen. Hast du dich in den letzten Jahren mehr mit aktuellen Acts und Sounds beschäftigt und das hat auf deine Musik abgefärbt?

Johannes Mayer: Das habe ich, wie die Auswahl der eingangs genannten Künstler zeigt. Ich werde immer ein Fan von akustischen Instrumenten sein, aber es ist 2015 und es gibt viele Sounds und Effekte, die dem Wohlklang akustischer Instrumente einen Twist geben. Ich glaube auch, dass Drones, Delays und so etwas immer mehr Platz in meiner Musik finden. Es erzeugt interessante Kontraste, das Harmonische gegen das Chaotische prallen zu lassen.

GL.de: Songschreiben, Arrangieren, Spielen, Singen, Produzieren - in welchem Feld, denkst du, hast du seit dem letzten Album die größten Fortschritte gemacht - und woran möchtest du gerne in Zukunft noch besonders arbeiten?

Johannes Mayer: Im Songwriting und Singen und Produzieren. All das sind Dinge, die man nicht einfach eben mal so lernen kann. Es braucht nicht nur Erfahrung, sondern auch ausreichend Referenzen, die sich erst nach einer Zeit in meinem musikalischen Ausdruck selbstverständlich äußern. Je mehr ich mich mit z.B. Northern Soul auseinandersetze, desto mehr lerne ich über Möglichkeiten des Ausdrucks im Gesang. Alle Bereiche, die du ansprichst, möchte ich verbessern, das war schon immer so.

GL.de: Hat sich das Verhältnis von Text und Musik ob des stärker Band-orientierten Sounds von "Golden" gewandelt?

Johannes Mayer: Nein, alle Songs sind das Resultat recht intensiver musikalischer und textlicher Arbeit. Die Songs schreibe ich nach wie vor an der Gitarre oder am Klavier, in dieser Rohversion müssen sie mir und den anderen gefallen. Mit viel Instrumenten einen schwachen Text zu verstecken, ist nicht mein Ding. Zudem reime ich auch ungerne, das führt nur zu Klischees.

GL.de: Die goldenen Zeiten des Musikbusiness sind lange vorbei. Bist du trotzdem gerne im Hier und Jetzt Musiker? Anders gefragt: Wenn du eine Zeitmaschine in die Finger kriegen würdest, in welche musikalische Epoche würdest du gerne zurückreisen - und warum?

Johannes Mayer: In die ganz späten 60er- und ganz frühen 70er-Jahre - die Popmusik aus den USA und England wurde reifer, die Arrangements interessanter, experimenteller: Gesangsharmonien, der dumpfe Sound der Snares, Shortscale-Bässe - all das, was mein Herz höherschlagen lässt, schien da irgendwie angesagt zu sein. The Band, George Harrison, Neil Young, Supremes...

GL.de: "Golden" kommt Mitte April raus, im Mai gibt es eine Band-Tournee - und dann?

Johannes Mayer: Wir werden sehen, ich hoffe jedenfalls, dass ich mit dem Album dieses und nächstes Jahr auf Tour gehen kann.

GL.de: Letzte Frage: Praktisch jeder Review zum neuen Album beinhaltet irgendein Wortspiel mit dem Titel - war das beabsichtigt oder ist das eher ein netter Nebeneffekt?

Johannes Mayer: Der Song "Golden" hat ja einen Lügner als Hauptperson, da gibt es gar kein Gold. Der Albumtitel ist losgelöst vom Song. Als wir die Platte gemacht haben und sie uns anhörten, fand ich das Wort zwar irgendwie pompös, aber gleichzeitig wusste ich auch nicht, warum ich so ein gutes Album nicht "Golden" nennen sollte.

Weitere Infos:
www.thelatecall.com
www.facebook.com/thelatecall
www.tapeterecords.de/artists/the-late-call
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Elisabeth Moch-
The Late Call
Aktueller Tonträger:
Golden
(Tapete Records/Indigo)
 

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