Fenster schließen
 
13.11.2015
http://www.gaesteliste.de/texte/show.html?_nr=1589
 
ANNA VON HAUSSWOLFF

Quellensuche

Anna von Hausswolff
Selbst für eine Skandinavierin hat die Schwedin Anna von Hausswolff wohl das, was man guten Gewissens als dunkle Seele bezeichnen darf. Dabei steigerte sich die Sache langsam: Auf ihrem Debütalbum "Singing From The Grave" erschien Anna - trotz des vielsagenden Titels - noch als typische, skandinavische Songwriterin, die ihre melancholischen Piano-Pop-Songs zwar schon recht schwermütig, aber noch eher konventionell präsentierte. Dann jedoch entdeckte sie die Faszination einer Kirchenorgel als Mittel ihrer Wahl - und nichts sollte mehr so sein, wie es war.

Das zweite Album, "Ceremony" geriet so etwa zur Blaupause einer Art musikalischen Nachruf für alle Fälle. Das war dann Trauermusik im besten Sinne - düster, dräuend, aber auch irgendwie tröstlich und psychedelisch. Anna gelang es so, Stimmungen einzufangen und auszudrücken, wie sie ansonsten in der kontemporären Musikkultur eher unterrepräsentiert sind. Wie fast schon nicht anders zu erwarten, geht "The Miraculous", ihr neuestes Werk (das wiederum um Annas Exploitationen einer Kirchenorgel, der Acusticum Pipe Organ im schwedischen Piteå herum konstruiert wurde) noch einen Schritt weiter. Genau genommen sogar mehrere, ja viele Schritte, denn thematisch geht es auf dem neuen Werk um die Suche, das Erkunden und Erforschen per se. Aber lassen wir das Anna doch selbst mal in Worte fassen: "Inhaltlich wurde die Sache stark von einem Buch des schwedischen Schriftstellers Walter Ljungquist namens 'Källan' (spricht sich "Tschällan" und meint "Quelle") inspiriert", erläutert Anna, "es handelt von Kindern, die auf einer spirituellen Suche nach der Quelle des Lebens beziehungsweise der Quelle von etwas Göttlichem sind. Das brachte mich dazu, so etwas auch musikalisch ausdrücken zu wollen." Dabei heißt die Scheibe allerdings "The Miraculous". Damit ist ein spezifischer Ort gemeint, der für Anna seit ihrer Kindheit eine bestimmte Bedeutung gehabt hat. "Ganz genau", bestätigt Anna, "das ist ein realer Ort, den ich in meiner Kindheit oft besuchte und den ich heute noch gelegentlich aufsuche und als ich dieses Buch von Walter las, fragte ich mich selbst, wo ich wohl suchen würde, wenn ich selbst nach einem Wunder suchen wollte - und da kam für mich nur dieser eine Ort in Frage, den ich 'The Miraculous', 'der Wunderliche' im wörtlichen Sinne nenne."

Um das mal etwas zu vereinfachen: Ist es also richtig, dass es auf der neuen Scheibe um die Suche und das Erforschen von Orten und Zuständen geht - ohne dass dabei notwendigerweise das Finden von irgendetwas ausschlaggebend ist? "Ja - denn mir geht es nicht darum, herauszufinden, was wahr ist, sondern wie bestimmte Geschichten deine eigene Wahrnehmung beeinflussen können," erläutert Anna, "oder wie Geschichten über sich selbst hinauswachsen können, Orte beeinflussen können, zur Realität werden können, wie die Natur und die Umgebung die Geschichten und das Geschichten-Erzählen beeinflussen können." In der Info heißt es, Anna sei inspiriert worden von dem Film "Komm und sieh" des russischen Regisseurs Elem Klimov, in dem es - unter anderem - darum geht, zu zeigen was passiert, wenn der Mensch in die Natur eindringt. Das ist auch ein Thema für Anna, oder? "Ja, denn Orte und die Natur gehören schließlich zusammen", bestätigt sie, "das ist auch in dem Buch 'Källan' so, denn die Natur ist ein wichtiger Bestandteil einer Suche. Man sieht und fühlt Farben und Texturen, man erinnert sich daran, man erschafft Geschichten über seine Sinne. Die Natur sowohl in 'Komm und sieh' als auch in 'Källan' erinnern mich an die Natur, wie sie im 'Miraculous' existiert."

All das erklärt natürlich irgendwie das Format der neuen Scheibe von Anna, denn solcherlei Themen lassen sich nicht in konventionellen Pop-Songs abbilden. Schließlich ist die Sache mit der Suche ja von vorneherein ein Prozess, der dauert. Ergo macht es Sinn, dass die neuen Songs dementsprechend episch geraten sind. Oder gibt es hierfür andere Gründe? "Also der eigentliche Grund, warum die Stücke so lang sind, ist der, dass ich mich in eine Art Meditation versetze, wenn ich komponiere", gesteht Anna, "wenn ich musiziere und diesen Zustand erreiche, dann vergesse ich die Zeit bzw. verliere den Bezug zur Zeit. Manchmal überrascht es mich selbst, wenn ich mir einen Track nachher anhöre und der ist 12 Minuten lang, obwohl er mir selbst nur wie zwei Minuten vorgekommen ist." Wie entstehen denn Songs wie diese? Man kann sich ja nicht vorstellen, dass diese auf konventionelle Weise geboren werden? "Der kreative Prozess ist für mich eigentlich wie für andere auch", beschreibt dies Anna, "ich muss irgendwie inspiriert sein und genug Energie verspüren und versuche dann, diesen Moment zu nutzen und gehe zu meinen Instrumenten und versuche, das Ganze einzufangen. Was ich nicht kann, ist unterwegs zu komponieren, wenn mir etwas einfällt - weil ich einfach meine Instrumente brauche und das nicht irgendwie niederschreiben kann. Auf diese Weise verliere ich auch eine Menge an kreativen Momenten."

Anna von Hausswolff
Auf dem Cover von Annas neuer Scheibe ist zwar sie selbst, nicht aber ihr Gesicht zu sehen - das wie bei einem Geist in einem japanischen Horrorfilm einfach nur eine schwarze Fläche ist. Auch bei ihren Konzerten achtet sie teilweise darauf, nicht direkt zu sehen zu sein. Ist es für Anna wichtig, in diesem Sinne "unsichtbar" zu sein und haben ihre Songs auch irgendwie etwas geisterhaftes? "Das kommt auf die Konzerte an, denn es ist von Show zu Show unterschiedlich", führt Anna aus, "Manchmal möchte ich einfach keine Show veranstalten und bevorzuge diese ruhige Situation, wo ich mich auf mich selbst konzentrieren kann - oder mich mit meiner Band verständigen kann, indem ich den Augenkontakt zu meinen Musikern suche. Es geht dabei nicht darum, mich vor dem Publikum zu verstecken, sondern eine bestimmte Art von introvertierter Energie zu finden. Manchmal mag ich es aber auch, mich dem Publikum zu zeigen - denn auf diese Weise kann man eine andere Art von Energie nutzen. Das ist aber dann eine extrovertierte Situation. Und was die Geisterhaftigkeit meiner Songs betrifft: Das kommt darauf an, wie du 'geisterhaft' definierst?" Nun ja: Körperlos, ätherisch, wenig greifbar, atmosphärisch, surreal. "Also in diesem Sinne würde ich zustimmen, denn es geht ja um eine phantastische Atmosphäre, in der musikalisch alles möglich ist und in der es kein 'falsch' oder 'richtig' gibt, wo es fließende Landschaften gibt." Vielleicht ist "geisterhaft" dann nicht der richtige Begriff. Sollte man stattdessen besser "märchenhaft" sagen? "Das würde ich bevorzugen", stimmt Anna zu. Das passte auch zu dem Titel "Pomperipossa", der auch der Name von Annas eigenem Label ist: "'Pomperipossa' ist eine Kindergeschichte eines schwedischen Autors über eine hässliche Hexe, die im Wald wohnt und dunkle Magie anwendet. Der Grund, warum sie hier bei mir eine Rolle spielt, ist, weil sie mit dem Ort 'Miraculous' zusammenhängt. Ich habe als Kind immer gedacht, dass sie dort wohnt und ich habe sie besucht und mir dann eigene Geschichten zu ihr ausgedacht. Das hat den Ort noch mysteriöser und phantastischer und faszinierend und gleichzeitig erschreckend gemacht."

Das Kernstück der Scheibe heißt "Come Wander With Me / Deliverance" und läuft länger als zehn Minuten. Wie kam denn das zustande? "Der Song 'Come Wander With Me' entstand über eine Coverversion von Jeff Alexander und Anthony Wilson, die ich sehr mochte und dann der Band vorstellte. Wir arbeiteten zusammen daran und der Song verband sich quasi automatisch mit dem Stück 'Deliverance', das ich geschrieben hatte - auch die Texte passten. Wir probierten damit herum und spielten es auch schon auf der letzten Tour. Es wurde dabei immer länger, komplexer, dynamischer und wurde so schließlich zu dem Kerntrack der Scheibe." Sind denn die Musiker an der Ausformulierung des Materials beteiligt? "Ja, für diese Scheibe schon", meint Anna, "es gibt drei Songs, die wir schon live gespielt hatten, bevor wir mit den Aufnahmen begannen und wir haben alle Songs geprobt, bevor wir sie aufnahmen. Das ist total neu für mich, denn ich hatte noch nie einen Song geprobt, den ich vorher aufgenommen hatte. Wir haben von Anfang an alles zusammen gemacht und auch zusammen aufgenommen - natürlich bis auf die Orgel, denn das wäre technisch zu kompliziert geworden." Dem langen Kernstück folgt auf der Scheibe ein kurzes Intstrumental namens "En ensam vandrare" - ist das derselbe Wanderer wie in 'Come Wander With Me'? "Das könnte er wohl sein", räumt Anna ein, "das kommt darauf an wie man es interpretieren will. Das Stück handelt von Einsamkeit - was ich gar nicht als negatives Ding betrachte." Speziell wenn man sich als Entdecker betätigt. Was macht einen guten Song für Anna von Hausswolff aus? "Ich suche nach Ehrlichkeit und gleichzeitig eine gewisse Rauheit. Wenn ich etwas entwickele, dann hoffe ich, dass es von Bestand ist - idealerweise ewig währt. Ich möchte jedenfalls nicht müde werden, mich damit zu beschäftigen." Meint das "ehrlich" im Sinne von "natürlich" im Gegensatz zu "abstrakt"? "Nicht 'abstrakt' vielleicht, sondern 'konstruiert'", schränkt Anna ein. Wie sieht sich Anna als Sängerin? Sucht Anna hier auch eine raue Qualität? "Ich suche auch mit den Stimmen nach neuen Möglichkeiten. Das ist auch ein Teil des Prozesses des Erkundens. Meine Stimme wird dabei ständig geformt ich versuche, mich als Sängerin weiterzuentwickeln. So nahm ich in den letzten drei Jahren Gesangsstimmen und habe auch für ein Ballett am Schwedischen Königlichen Opernhaus gearbeitet. Das hat mir auch gefallen, denn so konnte ich meine Stimme mit dem Material anderer Komponisten adaptieren und weiterentwickeln." Man sieht schon: Mit einer konventionellen Betrachtungsweise - etwa indem man versucht, Anna von Hausswolff mit anderen Künstlern zu vergleichen, kann man der Sache nicht gerecht werden. Anna von Hausswolff agiert in einer Spähre, in der die normalen Mechanismen nicht greifen. Auch in diesem Sinne ist Annas Musik einzigartig und wunderlich.

Weitere Infos:
www.facebook.com/annavonhausswolff
annavonhausswolff.org
www.cityslang.com/anna-von-hausswolff/
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Anna von Hausswolff
Aktueller Tonträger:
The Miracolous
(City Slang/Universal)
 

Copyright © 2015 Gaesteliste.de
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Gaesteliste.de