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15.01.2016
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BIANCA CASADY & THE C.I.A.

Die Maskenbildnerin

Bianca Casady & The C.i.A.
Eigentlich hätte das Gespräch mit Bianca Casady anlässlich eines Konzertes in Köln stattfinden sollen - doch dann passierte Paris. Verständlicherweise sagte die Wahl-Pariserin daraufhin das Konzert ab, war dann aber - noch offensichtlich mitgenommen - bereit, zumindest telefonisch Auskunft über ihr neues Projekt zu geben. Das heißt: So ganz neu ist die Sache auch nicht. Nachdem die "dunklere Hälfte von Coco Rosie" in den vergangenen Jahren bereits durch diverse Aktivitäten im Bereich Theater, Performance und Ausstellungen von sich reden hatte machen, gibt es nun, mit dem Album "Oscar Hocks", auch ein musikalisches Lebenszeichen, mit dem sie ihr künstlerisches Universum weiter ausdehnen möchte.

Es wird eine Mischung aus Musikdarbietung, Performance, Ballett und Theater geboten, die Bianca zusammen mit dem Konglomerat C.I.A. (Cult International Alliance) gestaltet. Nach Biancas Aussage begann sie bereits 1994 im Kindesalter mit dem sogenannten "Porno Thietor" zu experimentieren. Der C.I.A., um den es hier geht, ist nicht einfach eine Band, sondern eine Gruppe gleichgesinnter Künstler: Neben Bianca sind das Keyboarder J.M. Ruellen alias Jack Shit alias Johnny Be Good, Tänzer/Choreograf/Schauspieler Bino Sauitzvy, Multiinstrumentalist Takuya Nakamura, Bassklarinettist Douglas Wieselman, Gitarrist Doug alias Agent Hank und Drummer Michael Skod, mit denen Bianca ein neues Format entwickelte, das sie erstmals im Sommer dieses Jahres der Öffentlichkeit präsentierte. Bianca betätigt sich hierbei eher als Moderatorin denn als im Zentrum stehende Performerin und überlässt die eigentliche Präsentation dem Tänzer Bino Sauitzvy. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit? "Mit Bino arbeite ich schon seit einigen Jahren an diversen Theaterstücken zusammen", berichtet Bianca, "mein erstes Stück hieß 'Nightshift', das ich 2012 in Hamburg mit ihm realisierte und dann gab es noch noch ein Stück, 'Motherhunting', das ich in Norwegen aufgeführt habe. Meine Theaterarbeit hat viel mit Tanz zu tun - wobei ich gar nicht so sehr am Tanz als solchen interessiert bin, sondern daran, wie man mit dem Mittel des Tanzes die Reise eines Charakters darstellen kann. Zusammen mit Bino habe ich auch die Charaktere entwickelt, um die es in meinen Songs geht." Das heißt also, dass es bei Bianca Casady in den Songs weniger um Geschichten, als um Charaktere geht? "Charakterentwicklung ist für mich parallel zum Songwriting zu sehen. Die Charaktere, die Bino verkörpert, sind auch die Charaktere der Songs. Bino ist also der Übersetzer für das Publikum." Ist es dabei für Bianca wichtig, selbst nicht im Zentrum des Prozesses zu stehen? "Ich hatte mir das vorher nicht überlegt, bevor wir auf der Bühne gearbeitet haben - aber ich habe meine Station, die diverse Kassetten-Recorder, Verstärker und Instrumente beinhaltet, wie von selbst auf der Seite der Bühne platziert. Ich bin da auch ganz gut beschäftigt und möchte auch gar nicht die Mechanik des Vortrages verstecken - aber mir ist es wichtig, auf übliche Gesten, die eine Performance ausmachen, zu verzichten. Die Performance entsteht dann durch Bilder, Bewegungen, Tableaus und Tanz. Der Tanz ist dabei aber eher statischer Natur und ziemlich minimal. Auf der Tour hat sich auch schon ein neues Thema entwickelt. Es geht mehr in Richtung einer Art Freak Show. Es gibt auch neue Charaktere wie z.B. die Tarantel-Frau. Ich bin daran interessiert, Bilder zu entwickeln, die verwirrend sein können und arbeite dabei mit alten Zauberer-Tricks."

Reflektieren die Performances dann wenigstens die Geschichten, die Biancas Charaktere in den Songs erleben? "Ja, das schon - obwohl es verschiedene Ebenen dabei gibt", schränkt sie ein, "manchmal wird das aber schon deutlich. Ich habe zum Beispiel einen Song namens 'Poor Deal', der von einem alten Märchen namens 'The Handless Maiden' inspiriert ist und in dem es um eine junge Frau geht, deren Vater sie beim Teufel gegen sein eigenes Glück eintauscht und ihr dann die Hände abgeschnitten werden - was wir auf der Bühne nachspielen. Es gibt auch andere Szenen, die wir ausleben, während es manchmal auch ein wenig abstrakter zugeht." Wie funktioniert das Album musikalisch? Im Grunde genommen wäre das Material ja auch für Coco Rosie-Projekte verwendbar gewesen. "Ich habe da in einem Recherche-Modus gearbeitet", erläutert Bianca, "ich habe da zum Beispiel auch Material geschrieben, das ich dann für Coco Rosie verwendet habe. Wenn ein Song entsteht, dann präsentiert er sich mir so, dass ich dann weiß, wo er hin muss. Ich habe für mich erforscht, wie man Atmosphäre und Spannung durch irreguläre Harmonien und polytonale Ansätze erforscht und dabei vor allen Dingen darauf geachtet, traditionelle Schemata zu durchbrechen." Ist das auch der Grund, warum es zuweilen atonal bwz. mit ungestimmten Instrumenten zur Sache geht? "Ja - allerdings haben auch einige der Instrumente, die ich verwende, ihre eigene Persönlichkeit, was die Stimmung betrifft. Ich habe in der Vergangenheit viel mit Computern gearbeitet und erfreue mich heutzutage an Instrumenten mit einer unzähmbaren Persönlichkeit." Gibt es in Biancas Musik zufällige Elemente oder ist das alles geplant? "Sagen wir mal so: Bei dem kreativen Prozess gibt es schon eine Menge Zufälle, aber dann folgt auch ein langer Prozess des Editierens, bei dem die Dinge dann auch festgeschrieben werden. Live gibt es - bis auf festgelegte Passagen - keine Improvisationen mehr. Es gibt eine klare musikalische Landkarte." Aber Geräusche und Krach sind Bianca schon wichtig, oder? "Ja - insbesondere live mache ich das gerne. Das gehört zum Geschichtenerzählen dazu und erzeugt bestimme Albtraum-Zustände und Bereiche in denen sich etwas abspielen kann."

Bianca Casady & The C.i.A.
Was zeichnet dabei einen guten Song aus? "Ich persönlich mag Songs mit einer unklaren emotionalen Gemengelage, die es mir ermöglicht, eigene Emotionen einzubringen. Ich höre mir nämlich selber gar nicht soviel Musik an, weil ich es nicht mag, wenn mir eine bestimmte Emotion aufgezwungen wird - was ja in vielen Songs so ist. Ich mag Musik, die offen ist für Interpretationen und Emotionen." Angesichts all dessen sind Biancas Songs dann wieder überraschend konkret. Das geht so weit, dass ihre Charaktere gerne mit Namen daherkommen - wie zum Beispiel Oscar Hocks, der Titelheld des Albums. "Oscar hat - soweit ich mich erinnere - seinen Ursprung in einem Foto, das ich von einem Mann machte, der einen schmutzigen Spüllappen auf dem Gesicht hatte. Ich mag Masken und gesichtslose Charaktere sehr gerne. Einfach deswegen, weil sie somit in theatralischer Hinsicht ein neues Gesicht bekommen können. Mit Oscar war das das so, dass ein bestimmtes Bild, wie zum Beispiel das von dem Mann mit dem Tuch, eine bestimmte Stimmung erzeugt, aus der heraus sich dann eine Geschichte entwickelt. Oscar hat sich im Laufe der Zeit - tatsächlich über mehrere Jahre - langsam entwickelt. Ich habe so immer neue Details über ihn erfahren. Es ist ein sehr einsamer Charakter, ein Außenseiter, der nicht in der Gesellschaft funktioniert. Er mag Katzen und ist nicht fähig, mit Menschen eine Beziehung einzugehen." Das heißt also, dass Bianca selbst ihre Charaktere gar nicht so gut kennt? "Genau", lacht sie, "ich lerne sie erst langsam kennen." Das hört sich aber an, als habe Bianca als Songwriterin letztlich nicht die volle Kontrolle über ihr Material. "Ja, in der Tat - manchmal schreibe ich einfach ein paar Details auf - zum Beispiel über Oscar - und dann führt mich das ganz woanders hin. Das ist auch für mich ein Abenteuer. Die albtraumhafte Stimmung ist dann eine Art theatralischer Technik, mit der man die Grenzen zwischen Phantasie und Schrecken darstellen kann." Worauf basieren denn die Charaktere, die Bianca letztlich präsentiert? "Die meisten davon sind schon ziemlich persönlich", deutet sie an, "ich arbeite viel mit Fotografien, Videos und Masken, die es mir erlauben, eigene Gesichter zu entwickeln."

Was ist - insbesondere eingedenk des beschriebenen Prozesses - dabei dann die größte Herausforderung für die Songwriterin Bianca Casady? "Die Inspirationen aufzuschnappen", meint sie nach langem Zögern, "ich habe dabei für gewöhnlich keine Schwierigkeiten, mit etwas anzufangen, aber das Ende zu finden, zu wissen, wann ein Song fertig ist, finde ich schwer. Ich habe mehrere Songs, die es nicht auf die Scheibe geschafft haben. Ich begreife sie zwar als Songs, aber nicht als Material, das sich aufnehmen ließe. Ich bin noch dabei, diese zu erforschen. Die Songs existieren also bereits, sind aufgeschrieben und können aufgeführt werden - haben aber ihr endgültiges Format noch nicht gefunden. Das ist auch ziemlich schwierig, denn manchmal haben Songs eine Seele außerhalb des fertigen aufgenommenen Formats und manchmal bleibt nur dieses Format." Mit anderen Worten: Musik hat zuweilen eine Art Eigenleben? "Ja." Das hätte man als Schlusswort nicht schöner formulieren können. Wie bei Coco Rosie auch bekommt man bei Bianca Casady und dem C.I.A. weit mehr geboten, als einfach eine Sammlung von Songs. Ein wenig Mut vorausgesetzt, kann es sich also schon lohnen, in die etwas seltsame Welt der Bianca Casady einzutauchen.

Weitere Infos:
www.facebook.com/Bianca-Casady-the-CiA-1867926130098250/
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Bianca Casady & The C.i.A.
Aktueller Tonträger:
Oscar Hocks
(Fantasy/Indigo)
 

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