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01.08.1998
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EMBRACE

All you need is lalala...

Embrace
Langsam wird es eng auf der Spitze der Stecknadel. Aus England, dem Land mit der größten Dichte von Gruppen, die die "beste Band der Welt" sein wollen, kommen neue Aspiranten auf diesen Titel. Embrace ist eine Band mit der gewöhnlichen britischen Erfolgsstory: Um das Brüderpaar McNamarra formiert sich eine Combo, die in Leeds im stillen Kämmerlein vor sich hinwerkelt, Demos verschickt, gesignt wird und sich dann mittels Single-Hits und eifriger Promotion rasch einen Namen macht. Allerdings erst nach dem Plattenvertrag. Der Ehre halber sei erwähnt, daß es Embrace bereits seit 7 Jahren gibt, und die Jungs diese Zeit nutzten, ihre musikalischen Fähigkeiten zu entwickeln und zu polieren.

Glücklicherweise geriet die Band über den Boß von Hut-Records, der ein guter Freund der Band ist, an Virgin, zu dessen Oberzampano jener Mensch promotet wurde. Denn dort gefielen die Elaborate des Quartetts (Keyboarder) so gut, daß man den Jungs in jeder Beziehung freie Hand ließ. Das Debut "The Good Will Out" (ein Wortspiel, welches nix mit "Good Will Hunting" zu tun hat, sondern, basierend auf dem englischen Sprichwort "The Truth Will Out" soviel heißt wie: Das Gute wird am Ende rauskommen) wartet mit allem auf, was gut und teuer ist. So finden sich neben opulentem, balladenbetonten Breitwand-Rocksound ganze Orchester, Blaskapellen und Chöre - Sachen, von denen selbst etablierte Bands meist nur träumen können.

"Wir haben uns viele Big-Shot-Producers angehört - Butch Vig und so", erläutert Gitarrist Richard McNamarra die Story, "aber die Sache war, daß die uns immer erzählen wollten, wie wir klingen sollten. Wir kamen zu dem Schluß, daß wir am besten wußten, wie wir mit unserer Musik umzugehen hätten. Deswegen haben wir uns selbst produziert."

Ist das denn nicht ein bißchen anmaßend für Neulinge auf diesem Gebiet?

"Nein, unser Engineer kannte ja alle technischen Tricks und da konnten wir uns ganz auf den Sound konzentrieren. Und bei den Strings half uns Craig Armstrong, der auch für Massive Attack arbeitet." (Der Keyboarder ist momentan kein festes Mitglied der Band, lieferte aber die Vorlagen für die Strings)

Das zahlte sich aus, denn die String-Arrangements wurden nicht einfach auf die Stücke geklatscht, sondern kaschieren vielmehr Schwächen im Abschluß beim Umgang mit dem gewiß adäquaten Songmaterial. Live klingen die pompösen Balladen nämlich ein wenig banal, während im Studio mit viel Dynamik und Gegensätzen interessante Spannungsbögen aufgebaut wurden.

"Da möchte ich auch hin", erklärt Sänger Danny McNamarra, "unser nächstes Album wird noch sehr viel extremer und auch gefühlvoller." Nun ja, mit Pathos wird bereits auf "Good Will Out" nicht gerade gegeizt. So steht die große Geste auch Mittelpunkt der Betrachtungen der jungen Poeten: "Bei unserer Musik geht es darum, daß sich die Leute gut fühlen", führt Danny aus, "Wir möchten, daß die Leute über unsere Musik ins Gespräch kommen und zu einem wirklichen Verständnis füreinander finden. Wenn du dich mit vielen Leuten unterhälst, findest Du, daß diese nicht von Herzen sprechen. Man redet über Politik und Wetter. Das ist eine Schande, denn Du bist nur für eine bestimmte Zeit auf diesem Planeten, und Du solltest Deine Zeit damit verbringen, "real" zu sein. Darum geht es bei unserer Musik. Wir möchten positive Botschaften verbreiten." Wow, das beeindruckt.

Immerhin haben die Jungs erkannt, daß der Weg zu diesem Ziel über ganz banale Sachen führen kann. Z.B. kam man zu der Einsicht, daß nicht immer ein Orchester vonnöten ist. Das ging dann sogar soweit, daß man es sich leisten konnte, einen Titel mit vollem Programm zu produzieren, und dieses dann doch wieder zu kippen, weil die ursprüngliche Version besser gefiel.

"Das komische ist", meint Danny, "daß - obwohl wir alle diese Ressourcen hatten - die meisten Tracks doch ganz simpel im Studio eingespielt wurden - vieles davon live. Wir haben auch jede Menge Stücke, die nicht auf der Platte sind. Auf die Platte sollte halt nur, was absolut in Ordnung war. Das hat aber nichts mit Aufnahmetechnik oder so zu tun, es kommt drauf an, ob das Feeling stimmte."

Die übriggebliebenen Stücke sollen übrigens auf Singles veröffentlicht werden.

Embrace
Was die Texte betrifft, so strotzen diese tasächlich vor kämpferischen, positiven Botschaften à la "We Shall Overcome". Allerdings finden sich des öfteren anstelle von Textzeilen in großartige Melodiebögen gehüllte La-la-la-Chöre (etwa im Sinne von "Hey Jude"). Das könnte man als Schwäche auslegen, doch, so Richard, mittels dieser simplen Geste hat man quasi zur universalen Sprache gefunden. Richard erklärt das so: "Eigentlich brauchst Du doch nur La-la-la. Der emotionalste Moment bei den Aufnahmen war, als wir beim Titeltrack mit allen Leuten, die im Studio waren, mit unseren Freunden und Freundinnen, den La-la-la-Chor sangen. Überleg doch mal, La-la-la versteht doch jeder Mensch. Sogar Tiere. Wenn ich das richtig betone, kann ich meinem Hund mit einem simplen "Lalala" alles beibringen. Meinem Hund gefällt die Platte jedenfalls."

Hätten die Jungs denn auch einmal Lust, mit Orchester auf-zutreten, wie die Tindersticks z.B.?

"Nein, das wäre anmaßend", meint Danny, "das ist auch gar nicht nötig. Als wir neulich auftraten, warf man uns vor, wir würden mit Playback spielen, dabei hatten wir lediglich die String-Parts mit Keyboards live gespielt."

Nun stellt sich nur noch die Frage - und hier schließt sich der Kreis - wie man sich denn motiviert, wenn man bereits bei der ersten Platte alle Möglichkeiten hat, von denen ein Musiker nur träumen kann. "Ganz einfach", erklärt Drummer Steve, "wir haben allen Leuten erzählt, daß wir eine der besten Platten machen werden, die es jemals gegeben hat, um uns selbst unter Druck zu setzen. Jetzt können wir nicht mehr zurück." Das allerdings ist richtig. Für Bands wie Embrace gibt es nur ein Alles oder gar Nichts. Die Jungs lassen jedenfalls keinen Zweifel daran, in welche Richtung sie tendieren...

[Erstveröffentlichung in Gästeliste #1, August 1998]


Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-

Aktueller Tonträger:
The Good Will Out
(Hut/Virgin)
 

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