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17.06.2016
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LERA LYNN

Träume, Liebe und Tod

Lera Lynn
Obwohl die gebürtige Texanerin Lera Lynn bereits 2011 ihre erste LP, "Have You Met Lera Lynn?", veröffentlichte, wurde sie einer größeren Öffentlichkeit eigentlich erst über eine Nebenrolle in der zweiten Staffel der US-Fernsehserie "True Detective" bekannt. Hier sitzt sie in einer Bar, in der sich die von Colin Farrell, Vince Vaughn, Taylor Kitsch und Rachel McAdams gespielten Hauptpersonen der Show gelegentlich treffen und singt hier düstere Film-Noir-Mörderballaden, die letztlich auch auf dem "True Detective"-Soundtrack zu finden sind, der somit ebenfalls zu einem Sprungbrett für Lera Lynn wurde.

Die Sache kommt dabei nicht von ungefähr, denn auch wenn sich Lera auf dem Debüt-Album eher noch klassischen Country- und Blues-Themen widmete, ging es doch bereits auf der EP "Lying In The Sun" in eine deutlich düstere, vielschichtigere Richtung, in der Lera bereits ihr Interesse an ungewöhnlichen Sound-Kombinationen, eigenwilligen Song-Strukturen, eklektischen Arrangements und mystisch angehauchten Lyrics jenseits des klassischen Storytelling demonstrierte und das setzte sich dann auch auf dem zweiten Album "The Avenues" fort, auf dem sie bereits mit ihrem derzeitigen musikalischen Partner Josh Grange kollaborierte. Wie aber kam Lera Lynn an ihren Job bei "True Detective"? "Meine Managein, Sheri Sands, hat seit längerer Zeit eine gute Beziehung zu T-Bone Burnett, der die Serie musikalisch betreut", erzählt Lera, "sie hatte mit ihm bei dem Projekt 'Raising Sand' zusammen gearbeitet - einer Scheibe, die Alison Krauss und Robert Plant zusammen gemacht haben. Sie hat T-Bone dann meine CDs zugeschickt, in der Hoffnung, dass er sich diese anhört und wir gut zusammen arbeiten könnten. Schließlich hat er sich die Sachen auch angehört und wollte eigentlich den Titeltrack der EP 'Lying In The Sun' verwenden. Wir haben uns dann zum Mittagessen getroffen und da hat er mich gefragt, was ich davon hielte, mit ihm zusammen an der Musik zu der Show zu arbeiten und gemeinsam Songs zu schreiben. Der Rest ist dann Geschichte." Wie muss man sich das dann vorstellen? Haben die Songs, die es letztlich in den Soundtrack schafften, einen inhaltlichen Bezug zu der Handlung? "Ich bekam die Drehbücher erst an dem Tag zu sehen, an dem die Szenen gedreht wurden - und auch dann nur jene, in denen ich vorkam", führt Lera aus, "ich war also ziemlich ahnungslos - während T-Bone das ganze Drehbuch gelesen hatte und somit einen Überblick hatte. So wie ich die Sache sehe, mussten wir uns an den Hinweisen orientieren, die der Autor, Nic Pizzolatto, gegeben hat." Das bedeutet dann wohl, dass der Stil Leras eher zufällig perfekt zu dem Noir-Setting der Serie gepasst hatte. Logisch erscheint das auch deshalb, weil das neue Album "Resistor" dieses Setting weiter fort führt. Hier gibt es sogar einen Song mit dem Titel "Fade Into The Black" - nur um mal beim Thema zu bleiben.

Lera Lynn
Das Album beginnt mit dem Song "Shapeshifter", in dem es auch um das Thema "Resistor" geht, das sich wie ein roter Faden durch Leras Oeuvre zieht. "Der Text zu 'Shapeshifter' kam erst nachher, nachdem wir uns bereits für den Namen entschieden hatten. Unser Studio und unser Label heißen auch 'Resistor'. Wir haben einfach alles 'Resistor' genannt", verrät Lera. Um welche "Shapeshifter" geht es hier eigentlich? Die aus der Fernsehserie "True Blood" etwa? "Das könnte gut sein",rätselt Lera, "ich denke, es geht im Allgemeinen um die Situation, dass, wenn man jemanden trifft, mit jemandem in einer Beziehung ist, verliebt ist und sich dann eine Person von einer ganz anderen Seite zeigt, als jener, die man eigentlich erwartet hätte und ihren multidimensionalen Charakter offenbart, man dann lernen muss mit den verschiedenen Facetten dieser Person umzugehen. Das sind für mich dann 'Shapeshifter'." Wie geht Lera überhaupt mit Texten um? Es scheint jedenfalls nicht so zu sein, dass sie klassisches Storytelling bevorzugt. "Also, aufgewachsen bin ich mit Joni Mitchell und den Beatles", erinnert sich Lera, "aber eben auch Country Musik. Ich denke auch, dass in meinen früheren Arbeiten der Country-Ansatz offensichtlicher ist - weil der doch eher Story-orientiert ist. Nachdem ich aber älter geworden bin und mehr Songs geschrieben habe, habe ich für mich festgestellt, dass ich prägnante Texte - mangels eines geeigneteren Ausdruckes - 'besser' finde - jedenfalls habe ich mir es selbst als Herausforderung selbst gesetzt, in meinen Songs ein Bild mit so wenig Wörtern wie möglich zu malen. Ich denke aber, dass beide Arten Songs zu schreiben - ob mit einer Geschichte oder in wenigen Worten - ihre Herausforderungen haben." Ist das dann als Poesie zu begreifen? "Das kann ich wohl nur hoffen", lacht Lera, "denn Texte sind mir schon sehr wichtig, denn abgesehen davon, dass ich mich als Sängerin sehe, liegt meine Stärke im Song-Scheiben, denn eine virtuose Instrumentalistin bin ich nicht. Das geht bei mir sogar so weit, dass ich Gedichte ohne Musik schreibe - einfach so, was mir in den Sinn kommt. Das schaue ich mir später dann an und siebe die guten Elemente heraus in der Hoffnung, hier die Samenkörner für einen Song finden zu können." Und wo findet Lera Lynn ihre Themen? "Überall", meint sie, "im Leben eben - und manchmal in Träumen."

Lera Lynn
Wie fand Lera Lynn dabei zu ihrem spezifischen Americana-Noir-Stil? "Ich bin auf die Universität von Georgia gegangen, als ich in Atlanta lebte", berichtet sie, "und dort habe mich schon ein wenig für meine Landei-Wurzeln geschämt. Zumal ich in Atlanta auf eine innerstädtische Schule gegangen war, auf der es nicht okay ist, mit einem Südstaaten-Akzent zu sprechen und man Gefahr laufen musste, deswegen verprügelt zu werden. Man kann also sagen, dass ich versucht habe mich zunächst mal musikalisch von meinen Country-Wurzeln wegzubewegen, als ich begann, eigene Songs zu schreiben. Schließlich habe ich realisiert, dass ich dazu tendiere, Musik zu schreiben, die viel zu komplex für Country Musik ist und inhaltlich und harmonisch alles mögliche beinhaltet und nichts, woran man mich festmachen könnte. Als ich dann meine erste Scheibe machte, habe ich versucht, meinen eigenen Weg zu finden - auch wenn die Country Musik wohl so etwas wie ein Teil von mir ist." Das ist dann aber eine Art von Widerspruch, oder? "Nun, es ist so, dass man als Songwriterin und Performerin, wenn man gerade anfängt, ja doch so etwas wie eine Komfort-Zone haben muss, wo man sich seinem Publikum auch stellen können muss", erläutert Lera, "und da ist die Country-Musik eben ein guter Ausgangspunkt. Seither habe ich aber versucht, verschiedene Stile und Wege, Musik zu machen auszuprobieren. Das Ziel ist dabei am Ende, etwas Eigenes zu finden."

Wie geht Lera denn vor, wenn es darum geht, Musik zu erschaffen, die es vorher noch nicht gegeben hat? "Eine Herausforderung, der ich mich immer wieder stelle, ist die, in meinem Songs eine Situation von allen Seiten zu beleuchten und etwa einen einzigen Moment auf diese Weise zu sezieren, alles zu beschreiben, was in einem Augenblick passiert. Daher kommt übrigens meiner Meinung nach auch die traumähnliche Note, die viele in meiner Musik erkennen können." Macht das dann schon einen guten Song aus? "Nun ja - dazu braucht es auch noch eine gute Melodie und eine konkrete Aussage", ergänzt Lera, "es ist natürlich okay, Themen abzuarbeiten, die zuvor schon millionenfach abgearbeitet worden sind - wie zum Beispiel die Liebe und den Tod. Aber es ist wichtig einen eigenen Weg zu finden, Dinge auszudrücken, die man selbst erlebt hat." Wie funktioniert denn hier die Zusammenarbeit mit Joshua Grange? "Wir probieren einfach etwas aus", erklärt Josh, "Lera ist zum Beispiel eine ausgezeichnete Drummerin, so dass wir oft mit einem Drum-Pattern anfangen, das wir dann aufnehmen. Dazu singt sie dann und spielt elektrische oder akustische Gitarre und ich füge noch ein wenig Bass hinzu. Damit können wir dann einen ganzen Song aufbauen. Ach ja: Dann haben wir ja noch diese alte Drum-Machine namens Ace Rhythmn Tone, die J.J. Cale zuerst eingesetzt hat. Manchmal jagen wir das Ganze auch durch einen Gitarrenverstärker. Wir experimentieren ständig - auch mit der Stimme." - "Deswegen arbeite ich auch so gerne mit Josh zusammen", ergänzt Lera, "denn da gibt es immer diese spontane Energie und keine festen Regeln." - "Ich glaube, ein guter Song entsteht dadurch, dass der Künstler denkt, dass es ein guter Song ist", fügt Josh hinzu, "das sind dann die Songs, die man selbst aufregend findet und selbst immer wieder hören möchte." Ist die Atmosphäre dabei ausschlaggebend? "Ja, denn 'Atmosphäre' kann ja so viele Dinge bedeuten", meint Josh, "zum Beispiel zu versuchen, einen Song aus einem bestimmten Gefühl heraus zu extrahieren." Okay - ist denn Stil etwas, was beim kreativen Prozess in Betracht gezogen wird - oder schaut man besser einfach, was passiert? "Ein bisschen von beidem", überlegt Lera, "zumindest inhaltlich vermeide ich zum Beispiel bestimmte Worte. Auf jeden Fall ist es einfacher zu bestimmen, was man nicht tun sollte, als zu wissen, was gemacht werden muss." - "Das ist überhaupt eine interessante Frage", ergänzt Josh, "soll man versuchen, einen Song zu schreiben, von dem man annimmt, dass die Leute ihn mögen? Oder soll man Musik nur für sich selbst machen? Ich denke, das Ausschlaggebende für Lera ist immer gewesen, Musik mit einem starken Fokus zu machen und nicht welche, um bestimmte Erwartungen zu erfüllen. Und ich denke, dass Musikliebhaber durchaus hören können, wenn jemand etwas von Herzen macht." Und wie geht es nun weiter mit Lera Lynn? Gibt es zum Beispiel weitere Ambitionen in Richtung Film und Fernsehen? "Nun, ich hoffe, dass meine Musik eine Art cinematischer Qualität hat", führt Lera aus, "und ich mag alle kreativen Dinge. Ich bin zum Beispiel keine gute Tänzerin - aber ich mag es zu tanzen. Und wir würden gerne auch mal einen Soundtrack machen." - "Im Studio experimentieren wir ja auch viel mit Sounds", ergänzt Josh, "und wir haben bestimmt schon 40 hypothetische Film-Soundtracks geschrieben - alleine durch unsere Sound-Experimente." - "Ich möchte einfach als Künstlerin weiter wachsen", schließt Lera schließlich ab, "ich möchte Dinge ausprobieren und ich will weiter auf dem Pfad bleiben, der zu etwas Einzigartigen führt."

Weitere Infos:
www.leralynn.com
www.facebook.com/leralynn
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-
Lera Lynn
Aktueller Tonträger:
Resistor
(Caroline/Universal)
 

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