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19.08.2016
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LISA HANNIGAN

Gefühlsverpackung

Lisa Hannigan
Irgendwie ist es kein Wunder, dass der dritte Longplayer der irischen Songwriterin Lisa Hannigan "At Swim", also "beim Schwimmen" heißt. Mal abgesehen davon, dass dieses eine Metapher für einen Zustand ist, bei dem man eben im Wasser treibt - ein schwebendes Verfahren also mit ungewissem Ausgang -, gibt es auf diesem Album tatsächlich eine Menge Referenzen, die sich irgendwie auf das Wasser beziehen. Es ist hier ständig vom Ertrinken, vom Treiben und von Strömungen die Rede, die die Protagonisten irgendwie zum Spielball machen. So ganz neu ist das nicht, denn die sanftmütige Dame mit der samtweichen Stimme lebt in einem kleinen Ort direkt am Meer und hat auch in der Vergangenheit keinen Hehl daraus gemacht, dass sie ein Faible für das nasse Element hat - nur wurde es eben noch nie so deutlich, wie auf dem neuen Werk. "Alle meine Scheiben sind eigentlich voller Wasser", lacht Lisa, "das ist ganz schön verrückt und auch ein wenig seltsam. Ich verbringe allerdings auch so viel Zeit wie möglich direkt am Meer - und ich denke, dass das Wasser eine Metapher in meinem Leben ist, auf die ich mich gerne beziehe, einfach weil das irgendwie in mir verwurzelt ist."

Das neue Album wurde produziert von Aaron Dessner von The National, der schon seit einiger Zeit nebenberuflich als Produzent tätig ist und in dieser Funktion Kontakt zu Lisa Hannigan aufnahm. Was ist denn Lisas Verbindung mit Aaron Dessner? "Eigentlich gar keine", meint sie, "ich kannte ihn vorher gar nicht. Aber gerade deswegen war ich ja so erfreut über seine Mail, in der er vorschlug, zusammen zu arbeiten, weil diese so offen und hilfreich war. Letztlich führte diese ja sogar dazu, dass er die LP produzierte und sein Input war am Ende auch entscheidend für den Sound der Scheibe." In der Tat ist "At Swim" ein prächtiges Beispiel dafür, was man mit konventionellen Mitteln klangtechnisch erreichen kann, wenn man sich nur ein wenig Mühe gibt. Das Album kommt sozusagen in der Gestalt eine einzigen, butterweiche Klangwolke daher. "Das liegt aber sicher auch daran, dass ich André de Ridder vom Stargaze-Orchester bewegen konnte, die Streicherarrangements zu schreiben", führt Lisa aus. André de Ridder ist der Dirigent und Leiter des Stargaze-Orchesters - einem Verbund junger, klassisch ausgebildeter Musiker, der von Berlin aus operiert. Eine Verbindung zu den Musikern von The National gibt es da über das Haldern Pop-Festival, auf dem Aarons Bruder Bryce Dessner und Stargaze schon öfter gemeinsame Kompositionen und Treatments präsentierten. "Ja, ich habe ihn auch über ein Festivals kennengelernt", erinnert sich Lisa, "er ist auf mich zugekommen und hat angeboten, mit mir zusammen zu spielen. Und das war dann wie eine Jam-Session. Ich war wirklich begeistert, als er sich bereit erklärte, die Arrangements auf der neuen Scheibe zu schreiben."

Neben dem recht spezifischen Sound-Design der Scheibe gefallen auch wieder Lisas leicht mystische Texte - die sie indes teilweise zusammen mit Aaron Dessner und Joe Henry schrieb und im Falle des a cappella vorgetragenen Gedichtes "Anahorish" von dem irischen Autoren, Poeten und Nobelpreisträger Seamus Heaney übernahm. Obwohl Lisas Texte durchaus lyrische Qualitäten besitzen, möchte sie diese keineswegs als Poesie verstanden wissen: "Einige meiner Texte sind geradliniger als andere, aber ich versuche eigentlich immer, beim Schreiben meinem Instinkt zu folgen", führt Lisa aus, "ich versuche, dabei nicht allzu clever zu sein oder anspruchsvolle Formulierungen zu verwenden. Das klappt mal gut und mal weniger gut - was wichtig ist, ist dass es darum geht, die Gefühle so unmittelbar wie möglich zu übertragen. Mein Gefühl ist dabei dann, dass ich glaube, dass Gedichte für Songtexte meistens erst übersetzt werden müssten, weil man einfach eine gewisse Geradlinigkeit braucht." Welche Funktion haben insofern Songtexte für Lisa Hannigan? "Ich denke, dass Songtexte schon ziemlich speziell sind", überlegt sie, "denn für mich sind die Texte immer mit einer Melodie verbunden. Und diese Melodie kann schon alleine so viel aussagen - manchmal mehr als sie Worte selbst. Die Worte können hingegen etwas zu Blumiges oder etwas zu Aufgeblasenes wieder auf die Ebene einer Konversation zu bringen. Ich denke, es geht immer darum, eine Balance zwischen den Worten und der Melodie zu finden, um das Gefühl dessen ausdrücken zu können, was du eigentlich sagen möchtest."

Moment mal: Lisa sagt also allen Ernstes, dass sie ihre Texte mit den Melodien in Einklang bringt? Das ist insofern erstaunlich, als dass 90% ihrer Kolleg(inn)en darauf bestehen würden, dass die Texte mit den Rhythmen zusammengehen müssen. "Ja - das mache ich immer so", ergänzt Lisa, "ich setze mich nie hin und schreibe Texte, zu denen ich dann Melodien suche - es muss immer beides gleichzeitig geschehen. Deswegen fand ich es übrigens so befreiend, dass Joe Henry mir seinen Text überließ und ich das Gedicht von Seamus Heaney hatte - denn somit brauchte ich über diesen Aspekt gar nicht mehr nachzudenken. Vielleicht sollte ich da also mal umdenken..." Nun - es erklärt aber das Ergebnis, denn "At Swim" hätte fast so effektiv geklungen, wenn Lisa gar keine Worte verwendet hätte, sondern nur mit der Stimme und der Melodie gearbeitet hätte. "Oooh - das ist aber interessant", meint Lisa verwundert, "ich denke aber, das liegt auch daran, dass Aaron es darauf anlegte, das Album klanglich sehr dicht zu gestalten. Er wollte das Klangbild so formen, dass es der Emotionen der Songs entsprach - was ich für einen sehr interessanten Ansatz hielt, da man sich so sehr frei bewegen konnte." Bedingte das auch die Arrangements - die neben der bereits erwähnten Piano-Passagen und Streicherbeiträge André Ridders unter anderem auch Synthesizer beinhalten, mit denen Lisa Hannigan bislang noch nicht arbeitete? "Ja, wir hatten vielleicht eine Woche Zeit, die Aufnahmen einzuspielen", berichtet Lisa, "ich bin dazu zusammen mit den Musikern und Aaron nach Hudson in New York gefahren, wo wir dann die Basic-Tracks eingespielt haben. Diese nahm Aaron dann her und bearbeitete diese in seinem Studio in seinem Haus. Dort entstanden auch die Overdubs mit den Streichern, eine Posaune und den Synthesizern. Das war dann auch für mich sehr spannend, das Ergebnis via eMail zugesandt zu bekommen und dann zu sehen, wie wunderschön er die Songs ausstaffiert hatte. Ich hatte bislang noch nie mit Synthesizern gearbeitet, aber ich stand dieser Entwicklung sehr offen gegenüber und ich wollte mich ja auch in jeder Richtung auch klanglich weiter entwickeln. Mir war es wichtig, dass sich das alles anders anhörte als bisher - weil ich ja auch anders bin. Es machte also alles Sinn." Und was ist das besondere an Synthie-Sounds? "Ich mag das Klangspektrum, das man damit erzielen kann und die Art, in der quasi ein klanglicher Raum um dich herum aufgebaut werden kann - im Unterschied dazu, wenn man sich mit den Musikern in einem Raum befindet."

Wie kommt es aber dann dazu, dass trotz allem der allgemeine Tenor der Scheibe eher düster und sogar dramatisch ist? "Nun ja - das ist halt die Art, in der die Songs am Ende herausgekommen sind", erklärt Lisa, "erst meine Mutter hat mich darauf aufmerksam gemacht, als ich ihr das Tracklisting gezeigt habe, dass das so ist. Es gibt ja in der Tat ziemlich viele Verweise auf den Tod oder die Dunkelheit. Das mag aber auch daran liegen, dass ich mich ein wenig verloren fand, als ich die Songs schrieb. Dieses Gefühl, nicht ausgeglichen und nicht zu Hause zu sein, hat sich in die Songs eingeschlichen, denke ich." Ist das Lieder-Schreiben also auch eine Art von Therapie? "Ja, es hilft mir sehr", räumt Lisa ein, "das ist wie eine Maschine, in die du deine Gefühle reinsteckst und sie kommen dann verpackt und sortiert wieder raus, so dass man sie gut wegpacken kann. Der schwierigste Moment bei dieser Scheibe war dann auch, als ich meinte, nichts schreiben zu können oder wenn ich es tat, dieses nicht genießen konnte. Und da gab es einige solcher Momente. Obwohl ich als Songwriterin natürlich weiß, dass man eine Menge schlechter Songs schreiben muss, um zu den guten zu gelangen. Ich musste mich da also durchkämpfen. Es war aber schon hart, wenn es mir nicht gelang, mich durch das Schreiben eines Songs nachher besser zu fühlen... Am Ende war es dann aber ein sehr befreiendes Gefühl, diese Scheibe zusammen mit Aaron und den Musikern zu machen." Und das zeigt sich dann auch im Titel - "At swim" - oder? "Ja, genau - ich bezog mich hier auf dieses Gefühl, wo deine Füße nicht wirklich den Boden erreichen können, man sich nicht wirklich mit der Solidität des Lebens verbunden fühlt und eher hilflos treibt. So fühlte ich mich meistens, als ich die Scheibe schrieb: Wie ein kleines Boot auf dem Meer."

Lisa Hannigan
Was inspirierte denn die Songs musikalisch? "Keine Musik, jedenfalls", überlegt Lisa, "ich versuchte, mich hier stattdessen auf meinen Instinkt zu verlassen, die Melodie zu entwickeln und dann mal zu sehen, was passiert. Ich habe dann einfach versucht, das zu machen, was sich richtig anfühlte." Und was macht den Song dabei aus? "Das wichtigste an einem Song - speziell dann, wenn man vorhat ihn längere Zeit live zu spielen - ist der Umstand, dass er seine eigene Atmosphäre und sein eigenes Feeling hat und so eine eigene kleine Welt in der Blase heraufbeschwört. Songs, bei denen das der Fall ist, sind dann auch die, die am einfachsten gespielt werden können - weil sie sich immer wieder neu und eigenständig anfühlen. Dabei kann man gar nicht immer genau festmachen, was genau diesen Song auszeichnet - ich weiß halt nur, wenn es für mich funktioniert. Ich versuche dann auch immer, die Songs so vorzutragen, als seien sie für mich neu." Das gelingt Lisa Hannigan scheinbar ohne Mühe. Denn so elaboriert und konzeptionell ausgefuchst ihre Scheiben auch sein mögen: So richtig aufblühen tut sie erst auf der Bühne, wo sie es schafft, den Zuhörer - ohne viel Brimborium - in das Erleben ihrer Songs mit einzubeziehen. Und hier - auf der Bühne - scheint sie dann auch jenen Kontakt zum Boden wiederzufinden, der ihr beim Schwimmen abhanden gekommen war. Schon alleine in diesem Sinne ist das neue Album ein wichtiger Baustein im Lisa Hannigan-Universum.

Weitere Infos:
lisahannigan.ie
www.facebook.com/lisahannigan
twitter.com/LisaHannigan
www.instagram.com/lisahannigan
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Rich Gilligan-
Lisa Hannigan
Aktueller Tonträger:
At Swim
(Pias/Rough Trade)
 

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