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27.09.2016
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JUDITH OWEN

Der Vibe muss stimmen

Judith Owen
"Mir geht es wirklich blendend. Ich fühle mich momentan wohler als je zuvor!", sagt Singer/Songwriterin Judith Owen, als wir sie in Köln für das Gaesteliste.de-Interview zu ihrem neuen Album, "Somebody's Child", treffen, das sie ab Ende September mit ihrer Allstar-Band auch live in Deutschland vorstellen wird. Allerdings hat die in Wales geborene Sängerin und Pianistin einen langen Anlauf nehmen müssen, bis sie an diesem Punkt angekommen ist. Denn trotz Kollaborationen mit Richard Thompson oder Julia Fordham agiertesie lange unterhalb des Radars von Medien und breiter Öffentlichkeit, abei erschien ihr erstes Soloalbum bereits vor 20 Jahren. "Mein Erfolgsgeheimnis ist vermutlich, dass mir der Durchbruch verwehrt geblieben ist, als ich jünger war", sinniert sie. "Das bedeutet, dass ich mein ganzes Leben lang immer noch Ziele vor Augen hatte. Erfolg verändert dich und ich hätte mit all den Begleiterscheinungen nicht umgehen können. Ich wäre daran kaputtgegangen." Mit ihrem letzten Album, "Ebb And Flow" von 2014, konnte sie allerdings den Hebel umlegen. Die Kollegen vom Rolling Stone nannten die LP "die beste Platte, die Joni Mitchell nie gemacht hat". Seitdem läuft es für Owen gerade in Deutschland ganz ausgezeichnet.

"Kurz bevor ich 'Ebb And Flow' aufgenommen habe, ist mein Vater gestorben, und das hat mich dazu gebracht, eine Menge Veränderungen in meinem Leben vorzunehmen und all das anzugehen, was nicht mehr funktionierte", erklärt sie. "Ich habe mir neue Leute gesucht, mit denen ich nun zusammenarbeite, und habe ganz generell klar Schiff gemacht in meinem Leben. Wenn du jemanden verlierst, der dir viel bedeutet hat, dann triffst du wichtige Entscheidungen, weil dir klar wird, wie kurz und kostbar deine Zeit ist. Heute weiß ich: Es steckt etwas sehr Befreiendes in der Entscheidung, dein Leben umzukrempeln. Das hatte ich so nicht erwartet. Natürlich hat mir bei diesem Prozess geholfen, dass meine letzten beiden Platten sehr gut angekommen sind. Da treffe ich all diese Entscheidungen, die mein Leben verändern - und es funktioniert!"

Mit Steve Lee fand Owen einen A&R-Menschen und Manager, der ihr den richtigen Weg wies, und als sie durch ihren Ehemann Harry Shearer (Spinal Tap, "The Simpsons") Bassistenlegende Leland Sklar kennenlernte, reifte in ihr schnell der Plan, für das Album "Ebb And Flow" genau auf die Musiker zurückzugreifen, die schon auf den Singer/Songwriter-Alben der 70er-Jahre geglänzt hatten, die sie als Heranwachsende so inspiriert hatten. Letzten Endes gelang es ihr, mit Sklar, Drummer Russ Kunkel und Gitarrist Waddy Wachtel drei der bedeutendsten US-Sessionmusiker des goldenen Songwriteralters für ihr Album zu gewinnen. "Dass ich die drei nach rund 15 Jahren wieder im Studio vereint habe, war eine große Sache für mich", sagt sie stolz. "Ich hatte das Gefühl, nach Hause zu kommen. Wenn du wie ich mit der Musik dieser Leute aufgewachsen bist und hörst sie plötzlich auf deiner eigenen Platte spielen, dann ist das einfach unglaublich. Die Alben haben etwas sehr Lebensbejahendes, das war zuvor nicht immer der Fall." Auch auf dem Nachfolger wirken die drei nun mit, gemeinsam mit einigen britischen Könnern wie dem Percussionisten Pedro Segundo und Cellinstin Gabrielle Swallow. Außer Wachtel werden sie auch im September und Oktober bei Owens Konzerten mit auf der Bühne stehen. "Dass dieses Mal auch meine britischen Mitstreiter dabei sind, hat eine Menge verändert", ist Owen überzeugt. "Die Platte hat nun einen Hauch von Klassik, denn die Orchestrierung hat mich zu meinen klassischen Wurzeln zurückgeführt. Außerdem hat das Album auch mehr vom britischen Pomp, wenngleich eher augenzwinkernd. Es hat eine Art von Humor, der sehr britisch ist. Die Talente der Amerikaner und Briten zu verbinden, war für mich ein ganz natürlicher Schritt nach vorn und hat am Ende zu mehr Variation geführt. Genau das sorgt dafür, dass du dich an der Platte nicht so schnell satthörst: Wir wagen uns musikalisch immer wieder an neue Orte vor."

Doch es ist nicht allein der Sound, der "Somebody's Child" zu etwas Besonderem macht. Auf der einen Seite gibt es auf der LP einschmeichelnden Songwriter-Sound, der auch ohne die Texte wirklich ausgezeichnet funktioniert, auf der anderen Seiten gibt es aber eben auch die Texte, in denen Owen mit ihren Dämonen ringt: Mit 15 nahm sich ihre Mutter das Leben, ihre Familie driftete auseinander und später kämpfte Owen lange mit Depressionen. "Ich habe als Kind eine Menge durchgemacht und deshalb habe ich immer schon sehr ernste Texte geschrieben, selbst, als ich noch jünger war", erklärt sie. "Über Nichtigkeiten habe ich nie geschrieben, schlicht und ergreifend deswegen, weil das nicht meine Erfahrungen im Leben widerspiegelt." Sie weiß, dass selbst die vertracktesten Songwriter-Nummern am Ende des Tages immer noch Entertainment sind, dennoch ist es ihr wichtig, ihre Liebe zu Hooks und Melodien, die das Publikum im Handumdrehen einfangen, mit emotional intelligenten Texten zu verbinden, die die Hörer berühren oder zum Nachdenken anregen. "Wenn du einen Song schreibst, mit dem du dem Publikum dein Herz ausschüttest und sich die Leute dann darin wiederfinden können und ihn mögen, dann ist das eine unglaubliche Erfahrung! Deshalb schreibe ich über sehr menschliche Situationen, über Dinge, mit denen wir alle zu kämpfen haben. Viele Leute sagen, dass ich Angst davor habe, glücklich zu sein, weil mir dann der Stoff für meine Lieder ausgehen würde, aber das halte ich für falsch. Wenn du, so wie ich, in deinem Leben etwas Schlimmes durchlebt hast, dann kannst du diese Gefühle immer wieder abrufen. Das ist kein Problem. Der schwierige Teil ist das Glücklichsein. Anders als viele andere glaube ich allerdings nicht, dass man verkorkst sein muss, um ein großer Künstler zu sein." Trotzdem gibt sie unumwunden zu, dass sie sich bisweilen selbst im Weg steht. "Ich schreibe, wie ich schreibe, weil in mir eine Menge Selbsthass steckt", gesteht sie. "Ich zerbreche mir über alles den Kopf und mache mir über alles ewig Gedanken. Dabei bin ich auch noch überemotional, und diese gefühlsgeleiteten Reaktionen vernebeln mir oft komplett den Verstand. Manchmal höre ich eine Aufnahme aus dem Studio Monate später und denke: 'Das war ja richtig gut! Warum habe ich bloß so viel Zeit darauf verwendet zu glauben, dass das der letzte Scheiß war?'"

Jetzt freut sich Owen ganz besonders auf die anstehenden Konzerte ("Nur meinen Hund werde ich vermissen", sagt sie), denn ihr geht es ganz besonders um die Performance. Deshalb spielt sie selbst im Studio ihre Lieder zumeist in nur ein, zwei Takes ein, wissend, dass sonst für sie die Luft raus ist und die Spannung, die Aufregung des Neuen verloren geht. Das belegen auch einige Anekdoten von den Aufnahmen zu "Somebody's Child". "Ich nehme für gewöhnlich keine Demos auf, denn die erste Version ist zumeist eh die beste, aber als 2014 die Amerikatour mit Leland und Pedro zu Ende ging, auf der wir einige der Songs von 'Somebody's Child' zum ersten Mal gespielt haben, sind wir schnell in ein Studio, mit dem Gedanken, sie kurz festzuhalten", verrät sie. "Natürlich kam es, wie es kommen musste: Einige der Aufnahmen waren so gut, dass wir gar nicht erst versucht haben, die Stücke - 'We Give In' und 'The Rain Is Gonna Fall' - noch einmal aufzunehmen. Die Versionen waren alles andere als musikalisch perfekt, aber sie hatten das gewisse Etwas. Bei 'Aquarius' ist etwas ganz Ähnliches passiert: Ich war auf der Suche nach einem geeigneten Studio für die Platte und schaute mir unter anderem auch das von Bryan Ferry an. Wir waren zusammen auf Tour gewesen und er hatte mir das angeboten. Also besuchte ich das Studio, setzte mich ans Klavier und begann, 'Aquarius' zu spielen, um ein Gefühl für den Sound vor Ort zu bekommen, und plötzlich stieg Russel mit ein. Ein Schlagzeug war aber gar nicht verkabelt und was er spielte, wurde nur von meinem Gesangsmikro aufgefangen. Die Aufnahme war so gut, dass ich sie für das Album benutzt habe." Sie hält kurz inne und lacht. "Russ hat mir bis heute nicht verziehen, dass es keine ordentlichen Mikros am Schlagzeug gab, aber ich liebe es, wie schrottig die Drums klingen!", sagt sie abschließend. "Was zählt, ist doch, dass der Vibe stimmt."

Weitere Infos:
www.judithowen.net
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Greg Shapell-
Judith Owen
Aktueller Tonträger:
Somebody's Child
(Twanky/Rough Trade)
 

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