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10.03.2017
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VALERIE JUNE

Ordnung ist das halbe Leben

Valerie June
"Ich habe einen ganz schönen Akzent, nicht wahr?", meint Valerie June gleich zur Begrüßung entschuldigend, als sie die ausgedruckten Lyrics ihrer neuen Scheibe "The Order Of Time" auf dem Tisch erblickt. Und in der Tat ist der "Southern Drawl", mit dem die Dame aus Memphis, Tennessee, gesegnet ist, nicht von schlechten Eltern. Irgendwie muss das aber auch so sein, denn wie sonst wollte sie auch den einzigartigen Mix aus Gospel, Blues, Soul, Rock, Folk, Country, Bluegrass und Southern Swing, den sie selbst - gar nicht mal so unzutreffend - "Organic Moonshine Roots Music" nennt, glaubwürdig verkaufen?

Valerie June Hoggat, wie sie mit vollem Namen heißt, hat im Laufe ihrer Karriere schon so einiges erreicht. Ihre musikalische Laufbahn begann 2000 - zusammen mit ihrem damaligen Ehemann Michael Joyner - mit dem Duo-Projekt Bella Sun. Nachdem die Ehe in die Brüche ging, etablierte sie sich als Solo-Künstlerin, suchte aber such immer die Nähe anderer Musiker - etwa des Broken String Collective aus Memphis oder The Old Crow Medicine Show, mit der zusammen 2010 die EP "Valerie June And The Tennessee Express" entstand. Nach einem Umzug von Memphis nach Brooklyn vermittelte ihr der Produzent Kevin Augunas den Kontakt zu Dan Auerbach von den Black Keys, der - zusammen mit Augunas - Valeries Durchbruchalbum "Pushing Against The Stone" von 2013 produzierte. Dass es mit dem Nachfolgealbum "The Order Of Time" nun etwas länger dauerte, lag zum einen daran, dass Valerie im Folgenden auch in Europa Fuß fassen konnte - etwa bei Jools Holland auftrat oder mit Jake Bugg tourte oder mit den Stones im Hyde Park auftrat - und dass auch erst mal ein Fundus an neuem Material geschrieben werden musste, aus dem heraus sich dann "The Order Of Time" herauskristallisieren ließe. Das Warten hat sich dann insofern gelohnt, als dass das neue Album Valerie June in einem ganz neuen Licht erscheinen lässt. "Wirklich?" fragt sie erstaunt, "na ich weiß nicht..." Da Valerie den Lauf der Zeit als Thema der Scheibe auserkoren hat, ist für sie selbst die Weiterentwicklung wohl weniger offensichtlich als für Außenstehende. Wie kam es denn zu dem Leitthema "Zeit"? "Das Thema zu finden, war so schwierig", gesteht Valerie, "es war vielleicht sogar das Schwierigste überhaupt bei diesem Projekt. Als wir - Produzent Matt Marinelli und ich - nämlich die Songs erst mal ausgewählt und aufgenommen hatten, schaute ich mir diese an und meinte zunächst, dass es da wirklich keine Ähnlichkeiten zwischen den Songs gäbe. Ich hatte sie nicht mit einem Thema im Kopf geschrieben, sie stammen aus verschiedenen Stadien meines Lebens, sie betreffen verschiedene Geisteszustände und sie sind in einem sehr langen Zeitraum entstanden. Also versuchte ich erst mal einen Titel für die Scheibe zu finden. Und ich kann dir sagen: Da hatte ich eine lange Liste, weil das so schwierig war. Am Ende kam mir dann die Idee, das Ganze 'The Order Of Time' zu nennen, weil die Songs eine gewisser Chronologie darstellten. Meine Art, Musik zu machen und Songs zu schreiben, betrachte ich sowieso eher als eine Art Reise denn als eine einmalige Sache. Es gab also eine schöne Ordnung für alles in diesem Zusammenhang. Was ich übrigens auch an der Zeit mag, ist, dass sie Dinge verändert." Wie ist das zu verstehen? "Denk doch einfach mal an den Spruch 'Zeit heilt alle Wunden'", führt Valerie aus, "Zeit kann also wie eine Medizin sein. Zeit kann aber so vieles sein. Nimm mal uns Musiker: Wir verständigen uns über die Zeit - mit unseren Rhythmen nämlich. Zeit ist für mich auch ein wenig wie ein Chamäleon."

Ist es denn nicht genauso schwierig, die richtigen Songs zu finden, wie einen geeigneten Titel? "Ja und zwar unter dem Gesichtspunkt, dass Songs für mich lebende Dinge sind", überlegt Valerie, "für mich sind Songs niemals wirklich fertig und sie hören sich auch niemals völlig gleich an. Ich kann einen Song nicht zwei mal auf dieselbe Art spielen oder gar aufnehmen. Jedes Mal, wenn ich auf der Bühne einen Song spiele, überrascht es mich, wenn zum Beispiel der ein Gitarrist etwas anderes spielt, als der andere - auch wenn ich mir vielleicht gewünscht hätte, dass es gleich gespielt wird: Irgendetwas verändert sich gewiss. Und weil die Songs für mich eben lebende Wesen sind, kann ich mich auch nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass sie jemals beendet werden können, sondern dass sie immer weiter und weiter gehen. Das ist manchmal frustrierend, aber es ist auch irgendwie cool." Wenn also die Musik in diesem Sinne ein gewisses Eigenleben entwickelt: Was genau kontrolliert dann Valerie June bei diesem Prozess? "Ich kontrolliere, welchen Song ich mit dir teilen möchte", erläutert sie, "aus den hunderten verfügbarer Songs haben Matt und ich die vorliegenden ausgesucht, weil wir beide fühlten, dass es die richtigen sind, dass wir begeistert waren und dass es sich gut anfühlte - wir hätten aber auch zehn ganz andere aussuchen können." Das heißt dann aber auch, dass so manches unter den Tisch fällt, oder? "Ich kann dazu sagen, dass ich eine Menge Songs habe, die ich noch nicht mit der Welt geteilt habe - weil sie noch nicht dazu bereit sind. Und ich weiß auch nicht, ob sie es je sein werden - aber ich musste sie dennoch schreiben, um die Verbindung zu den dort verarbeiteten Momenten nicht zu verlieren. Nur so viel: Die Songs werden mich schon wissen lassen, wenn sie bereit sind."

Der Gang der Zeit spiegelt sich auch in den mystischen Texten von Valerie June wider.
Der Gedanke vom Übergang des Körperlichen ins Geistige unter der Obhut der Zeit ist dabei ein großes Thema - wie z.B. in dem Song "The Front Door". "Das ist insofern ein sehr interessanter Song, als dass eines der ältesten Songs auf der Scheibe ist - und zwar einer, der mir in einer traumähnlichen Stimmung gekommen ist", erklärt Valerie, "ich habe zwar nicht geschlafen, als ich ihn empfing, aber ich fühlte mich in dieser körperlosen, traumähnlichen Stimmung - elfenhaft, mit Sternenstaub und türkisen, formlosen Farbschatten. Ich hatte den Eindruck, als beobachte ich einen Geist auf der Reise ins Licht - wobei ihm mir nicht sicher bin, ob das tatsächlich der Fall war." Um das mal ein wenig klarzustellen: In dem Song beobachtet eine Person eine andere, die zurückgelassen wird. Das könnte dann aber vielleicht sogar ein und dieselbe Person sein, richtig? "Ja, ganz genau", bestätigt Valerie, "aber ich kann es nicht genau sagen, weil mich dieser Song immer an diesen magischen, unwirklichen Ort zurück führt." Hat Valerie denn auch schon ein Mal einen Song erträumt? "Ja, zwei Mal ist mir das passiert", gesteht sie, "ein Song, den ich noch niemanden habe hören lassen und 'Twined & Twisted" von der letzten Scheibe. Ich befand mich in diesem Zustand, wo es einfach nur dunkel ist. Kurz bevor ich aufwachte, erschien dann aber dieses klare, weiße Licht und dann sang mir eine Engelsstimme - so klar wie jene von Allison Krauss - den ganzen Song vor und ich konnte mich an jedes einzelne Wort und die komplette Melodie erinnern. Ich wachte auf und schrieb es gleich nieder. Ich habe es mir dann den ganzen Tag lang auf der Arbeit vorgesungen, um die Melodie nicht zu verlieren und eilte dann nach Hause, um es schnell aufzunehmen." Dabei arbeitet Valerie nicht im luftleeren Raum, sondern gerne auch mit Kollegen zusammen. Ein Song auf "Time" ist z.B. zusammen mit Richard Swift entstanden, mit dem Valerie auf dem Vorgängeralbum "Pushing Against The Stone" zusammenarbeitete. "Ja, ich habe auch mit Ry Cooder und John Parish zusammen gearbeitet, weil ich verschiedene Songs mit verschiedenen Leuten ausprobieren wollte. Ich habe mich für Matt Marinelli als Produzenten entschieden, weil er als Tour Manager mit mir unterwegs waren und wir uns sehr gut verstanden haben und entdeckten, dass wir musikalisch auf einer ähnlichen Wellenlänge schwimmen. Außerdem hat er ja die Gabe, das, was wir gemeinsam erschaffen, für andere Musiker zu übersetzen."

Valerie June
Nun deutete Valerie an, dass sie selbst nicht immer ganz genau sagen könne, was ihre Texte im einzelnen aussagen (mal abgesehen von solchen Songs, die ein konkretes Thema zum Inhalt haben). Was genau ist denn - dessen eingedenk - die Funktion ihrer Texte für sie selbst? "Hm", überlegt sie zunächst mal, "ich habe herausgefunden, dass meine Texte mich auf verschiedene Weise berühren, während ich so durch das Leben gehe. Beispielsweise bedeutete mir der Song 'Astral Planes' etwas ganz anderes, als er entstand als heute. Wenn ich einen Text aufgeschrieben habe, dann setze ich mich erst mal hin und überlege, was er bedeuten könnte. Im Fall von 'Astral Plane' dachte ich zunächst mal an eine spirituelle Ebene. Später überlegte ich mir dann, dass es aber vielleicht doch eher eine Traumwelt darstellen könnte. Und noch später dachte ich, dass es doch vielleicht auch ganz konkret um das Leben als solches gehen könnte. Was, wenn es gar nicht um eine Reise ins All, sondern um eine Reise ins ich ginge? Was ich sagen will, ist dass sich die Bedeutung meiner Songs für mich ständig ändert. Ich bin jedenfalls froh, für all die kleinen Botschaften, die meine Texte für mich bereit halten." Ist denn das Schreiben von Musik so etwas wie eine Therapieform? "Ich finde, dass Musik eine mächtige Medizin ist", meint Valerie. Der Zuhörer muss aber Valeries Gedankengängen dabei nicht folgen, oder? "Hell no!!!", lacht sie, "jeder soll sein eigenes Ding denken. Was ein Song für mich bedeutet, braucht er definitiv nicht für dich zu bedeuten. Die Songs sind für mich wie lebende Dinge - das bedeutet natürlich, dass sie auf verschiedene Weise für verschiedene Leute funktionieren können - für jeden individuell. Und wenn ein Song ein Mal draußen ist, dann kann ich ja sowieso nicht mehr kontrollieren, was damit passiert - so gerne ich das auch möchte." Was ist denn für Valerie der lohnendste Aspekt ihres Tuns? "Das Schreiben von Songs", meint sie sehr bestimmt, "und was das Live-Spielen betrifft, möchte ich sagen, dass jedermann eingeladen ist, mit den Songs auf seine eigene, individuelle Art in Verbindung zu treten. Ich kann und möchte das nicht kontrollieren. Alles was ich tun kann, ist auf die Bühne zu gehen, um den Song auf die beste Art, die mir möglich ist, zu übermitteln und ihm das Leben zu ermöglichen, das er selbst haben möchte." Wenn man das alles mal zusammenfasst, dann könnte man behaupten, dass Valerie June in extremer Weise von der kreativen Kraft ihrer eigenen Musik abhängig ist. Welche Pläne hat sie denn für die Zukunft. "Ich habe sehr viele Ziele und Ideen", erläutert sie, "und das hängt auch mit der Ordnung der Zeit zusammen. Denn die Art, in der du dich heutzutage verhälst, und was du heute tust, hat definitiv Auswirkungen auf die Zukunft. Das sind in meinem Fall meist kreative Dinge, wie einen Song zu schreiben, meinen Garten zu pflegen oder zu kochen. So lange ich so etwas mache, denke ich, dass sich irgend etwas Schönes daraus entwickelt, was ich mit der Welt teilen kann." Das bedeutet dann ja wohl, dass wir auch in Zukunft noch einiges von Valerie June zu hören bekommen werden - auch wenn es mal etwas länger dauern kann - denn dafür sorgt alleine die Ordnung der Zeit.

Weitere Infos:
valeriejune.com
www.facebook.com/valeriejunemusic
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Danny Clinch-
Valerie June
Aktueller Tonträger:
The Order Of Time
(Caroline/Universal)
 

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