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09.06.2017
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CHRYSTA BELL

Die nächste Ebene

Chrysta Bell
Genau genommen hat sich Chrysta Bell gar nicht aufgelöst, sondern ist mit ihrem neuen Album vielmehr auch auf einer neuen (spirituellen?) Ebene angekommen! Nachdem die langjährige musikalische Muse von David Lynch im letzten Jahr noch die EP "Somewhere In The Nowhere" mit ihrem Mentor aufgenommen hatte und obendrein in der gerade anlaufenden neuen "Twin Peaks"-Staffel als Schauspielerin agiert, überrascht sie nun sozusagen mit einem Schwenk in eine eher unerwartete Richtung. Denn das neue Album entstand unter der Regie von Produzent John Parish und wurde obendrein in Bristol eingespielt - weswegen zum Beispiel Adrian Utley von Portishead als Gast mit an Bord ist. Ohne Crysta jetzt etwas zu wollen - aber John Parish verfolgt doch stilistisch nun einen ganz anderen Ansatz als David Lynch; was dazu führte, dass die neuen Songs mit einem eigenwilligen, souligen Pop-Faktor daher kommen. Das hat nun weder mit den ätherischen Klangwelten eines David Lynchs, noch mit dem Sound, den Chrysta mit ihrer Band für Live-Auftritte entwickelte und schon gar nichts mit dem Gypsy-Swing, den sie zuvor vier Jahre lang als Mitglied der Band 8 1/2 Souvenirs pflegte zu tun.

Was hat denn zu dieser - für Chrysta neuen - Richtung hingeführt? "Also ich habe John Parish immer für seine Arbeiten bewundert", erklärt Chrysta, "und ich war froh über mein Management einen Kontakt zu ihm herstellen zu können. Ich hatte dabei die Idee im Kopf, etwas Neues zu machen. Dann hatte ich somit plötzlich auch die Möglichkeit dazu, diese Idee umzusetzen - was ein wichtiger Teil meiner Rechnung war. Ich hatte dann das Glück, dass John interessiert war und so entstand dann die ganze Sache. Im Nachhinein bin ich mir sicher, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe, denn als das Album fertiggestellt war, realisierte ich, dass ich das, was ich erreichen wollte - nämlich etwas Neues zu machen, ohne meine Welt komplett verlassen zu müssen - tatsächlich auch erreicht hatte." John Parrish erklärte ein Mal, dass er Wert darauf lege, den Raum als solchen als Teil des Klangkörpers zu betrachten - das müsste mit der atmosphärischen Herangehensweise David Lynchs ja eigentlich kompatibel sein. Ist das etwas, was Chrysta Bell anspricht? "Absolut", meint sie, "und ich bin froh, dass du selbst mit John gesprochen hast, denn ich war vor allen Dingen an seiner Perspektive interessiert und so, wie du es beschrieben hast war es dann auch und ich hätte es selber nicht besser ausdrücken können. Denn was ich an John besonders schätze, ist die Aufmerksamkeit, die er Details zuwendet - oder auch keinen Details." Wie ist das denn zu verstehen? "Nun, wenn ich meinte: 'Sollen wir mal das oder das versuchen?' hat er überlegt und gemeint: 'Vielleicht' - hat dann aber nur ein kleines Geräusch hinzugefügt, das vielleicht niemandem aufgefallen wäre, aber genau das richtige gewesen ist, den Song in seiner Wirkung zu verändern, ohne den Raum des Songs einzuengen. Es geht bei John nie darum, den zur Verfügung stehenden Raum komplett und mit unnötigen Zutaten auszufüllen, sondern mit kleinen Dingen zu akzentuieren."

Nun gut - Chrysta hat sich die Sache also gut überlegt. Warum musste dieser Schritt aber gerade nun erfolgen? "Ich denke, dass David und ich nun schon seit 17 Jahren zusammen arbeiten. Auch fühlten wir, dass wir mit der letzten Scheibe das erreicht hatten, was wir auch erreichen wollten und dass wir beide auch neue Anziehungspunkte in unseren Leben hatten. Die Zeit schien also genau richtig für diesen Schritt zu sein." Was hat es denn mit der angekündigten Rolle in der "Twin Peaks"-Neuauflage auf sich? "Ich wünschte, ich könnte da mehr verraten, aber die ganzen Details sind allen, die beteiligt sind, noch so nahe, dass ich darauf verzichten muss, weil ich ansonsten zuviel verraten müsste. Ich kann aber sagen, dass überhaupt dabei gewesen zu sein, schon irgendwie überwältigend gewesen ist. Jeder, der beteiligt ist, war genauso aufgeregt wie ich. Wir halten alle noch unseren Atem an. Es ist irgendwie surreal und ich kann sagen, dass ich noch nie so etwas erlebt habe." Kommen wir aber noch mal zur Musik zurück. Inhaltlich könnte "We Dissolve" fast als Blues-Album durchgehen. Von den Arrangements her könnte es eine Old-School-Soul-Scheibe sein. Die Songs selbst gingen aber durchaus auch als Pop durch. Was wollte Chrysta Bell denn selbst? "Nun alle diese Sachen", meint Chrysta lachend, "ich wollte einfach eine tolle Scheibe haben und all die Dinge, die ich mag zusammen mit meinem Co-Autoren Christopher Smart implementieren. Wir wollte aber auch das, was John wichtig ist und für ihn Sinn macht berücksichtigen. Er hat die zehn Songs ausgesucht, die nun auf der Scheibe sind. Er hat sich also die Rosinen ausgesucht, die zu ihm sprachen. Von da aus hatten wir eine Leitlinie und haben dann damit begonnen, die Facetten der Songs auszuarbeiten. Wir haben aber von Anfang an auf John gezählt, die Punkte zu verbinden und all die möglichen musikalischen Welten miteinander zu verbinden. Wir haben die Demos mit unseren Ideen ausgeführt und damit gearbeitet. Manchmal haben wir sogar Material von den Demos verarbeitet. Diese Dinge kommen aber ganz natürlich zustande und die Songs sagen dir schon, was sie benötigen. Und John ist besonders gut darin, zuzuhören und alles durch seine Filter zu führen." Dazu muss man wissen, dass Chrysta Bell im Gespräch generell dazu zu tendieren scheint, ihren jeweiligen Produzenten einen breiten Raum in ihrem Leben einzuräumen.

Wie ist Chrysta bei dieser Produktion denn die Texte angegangen? Bei den David Lynch-Produktionen waren die Texte ja mindestens genauso vernebelt wie die Musik, während sie dieses Mal dann doch etwas konkreter ausgefallen zu sein scheinen. "Weißt du, bei David war das so, dass seine Vision auf mich übergegangen war", räumt Chrysta ein, "und das galt auch für die Texte. Das war aber ein so starker kreativer Prozess, dass ich mich dem so verbunden fühlte, dass sich das anfühlte, als habe ich die Texte selbst geschrieben. Das hat sich schon von dem unterschieden, was ich jetzt mache, weil ich Davids Texte wie eine Schauspielerin interpretieren musste. Bei der neuen Musik gibt es natürlich diese ganz andere Dimension - weil dieses Mal die Texte meinem inneren Sein entsprangen. Ich würde aber sagen, dass sich das ähnlich anfühlt, wenn man die Texte singt, weil man in dem Augenblick ja kein Songwriter ist, sondern die Songs auf der Bühne emotional verkörpert." Wie sieht es überhaupt mit der Bühnenpersona von Chrysta Bell aus? Ist das eine andere, als jene der "echten" Chrysta? "Ich würde sogar sagen, dass ich auf der Bühne keine besonders gute Schauspielerin bin. Es muss also eigentlich alles ich sein auf der Bühne. Es gibt da eigentlich keine bewusste Entscheidung, irgend etwas in Richtung einer Kunstfigur zu verschieben. Ich verkörpere eigentlich nur, was notwendig ist, die Musik zum Leben zu erwecken. Wenn ich da jetzt auch noch einen anderen Charakter verkörpern wollte, dann wäre das irgendwie überwältigend. Und zwar weil ich mich selten mehr wie ich selbst fühle, als wenn ich auf der Bühne performe." Wonach sucht Chrysta denn, bevor sie einen Song vorträgt? Was ist für sie der Kern des Songs? "Ich will ihn einfach singen", meint sie, "wenn ich einen Song höre, der mir gefällt, dann will ich ihn auch singen. Wenn mich ein Song begeistert, dann will ich ein Teil des Ganzen sein. Wenn ich also einen Song schreibe, der mich selbst begeistert und den ich dann auch singen möchte, dann ist er für mich auch gut. Das liegt daran, dass das Performen auf der Bühne für mich das erfüllendste überhaupt ist. Alles, was ich tue, hat am Ende zum Ziel, damit auf die Bühne zu gelangen. Wenn ich zum Beispiel mit einer Textzeile kämpfe, dann dauert es manchmal Monate, bis ich zu einem Ansatz finde, diese aufführen zu können. All dieser Agonie setze ich mich aber gerne aus, wenn ich damit am Ende auf die Bühne komme." Heißt das also, dass es eigentlich gar nicht darauf ankommt, wer einen Song geschrieben hat? "Nein, so lange es mir möglich ist, auf der Bühne dahin zu kommen, wo ich hinkommen will, ist mir das egal."

Chrysta Bell
Wenn etwas die Scheiben von Chrysta Bell verbindet, ist das auch ihr Gesang. Ist das das eigentliche Ziel von Chrysta Bell also, Sängerin zu sein? "Gewiss", erklärt Chrysta, "ich mag es auch, Songs zu schreiben - auf gewisse Art ist das aber eine ganz andere Erfahrung. Denn die Gefühle, die ich beschwören muss, um einen Song zum Leben zu erwecken, hängen nicht davon ab, ob ich oder jemand anderes den Songs geschrieben haben. Ich würde auch nicht unbedingt sagen, dass mein Ziel ist, eine Sängerin zu sein, sondern eine Performerin." Wie sieht Chrysta Bell dieses Album eigentlich in Bezug auf ihre musikalische Entwicklung? "Ich fühle mich, als ob meine Entwicklung gerade erst begänne", überlegt Chrysta, "na ja - vielleicht habe ich sie auch halb abgeschlossen. Ich hoffe doch sehr, dass da noch etwas auf mich wartet. Weißt du: Bei jedem Projekt möchte man auch irgendwann mal fertig werden und keine offenen Enden übrig lassen. Ich betrachte Projekte aber als Kapitel in einem Buch. Alles gehört irgendwie zusammen und irgendetwas ist immer auch noch zu entdecken. Ich mag auch dieses Gefühl endloser Möglichkeiten, die noch auf einen warten könnten. Ich muss das mal thematisieren, weil ich gestern bei einer Autofahrt 'Black Star' von David Bowie im Radio gehört habe und mir erst da bewusst wurde, welch eine großartige, wundervolle Entwicklung dort zum Ende kam. So stelle ich mir einen vollendeten Kreislauf vor - und davon bin ich noch weit entfernt. Das wäre für mich aber das ultimative Ziel - und für dieses hat David Bowie die Messlatte doch ziemlich hoch gelegt. Ich freue mich jetzt erst mal auf die anstehende Veröffentlichung und die Möglichkeit, die Songs dann auch endlich auf die Bühne bringen zu können."

Weitere Infos:
chrystabell.com
twitter.com/Chrysta_Bell
www.facebook.com/chrysta.bell.official
www.instagram.com/chrysta_bell/
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Chrysta Bell
Aktueller Tonträger:
We Dissvolve
(Meta Hari)
 

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