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18.05.2018
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COURTNEY BARNETT

Wider die Selbstzweifel

Courtney Barnett
Mit Charme und Grips begeisterte Courtney Barnett vor drei Jahren auf ihrem mitreißenden Debüt "Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit" zwischen grungy Lo-Fi-Ästhetik, Slacker-Nonchalance und herrlich detaillierten Alltagsgeschichten. Auf ihrem nun erscheinenden Nachfolger "Tell Me How You Really Feel" verfolgt der inzwischen 30-jährige Darling der weltweiten Indie-Szene musikalisch ähnliche Pfade, setzt dabei allerdings auf eine dunklere Grundstimmung und ist mit spürbar assoziativeren Texten über Versagensängste (beim niederschmetternden Opener "Hopefulessness"), Selbstbehauptung ("I'm Not Your Mother, I'm Not Your Bitch") und sonnige Hoffnungsschimmer (beim verträumten Schlussstück "Sunday Roast") näher dran an ihrem Gefühlsleben. Viele der neuen Lieder kommen ohne Gimmicks und ohne Pointen, aber auch ohne Platz zum Verstecken aus und zeigen Courtney so ungeschminkt wie nie zuvor. Gaesteliste.de traf den sympathisch-schüchternen Superstar wider Willen Ende Februar in einem hippen Berliner Hotel zwischen Friedrichshain und Kreuzberg zum Kurzinterview, bevor Courtney Mitte Juni für zunächst zwei Konzerte in Köln und Berlin nach Deutschland zurückkehrt.

Auf "Tell Me How You Really Feel" tauscht Courtney die intelligenten Wortwasserfälle ihres ersten Meisterwerks aus dem Jahre 2015 gegen knappere, präzisere Texte mit mehr Tiefgang und Biss ein, die sie als Künstlerin zeigen, die sich mutig gegen die Last stemmt, die man unweigerlich verspürt, wenn man eigentlich gar nicht gerne im Mittelpunkt steht, von sich selbst sagt "Reden ist einfach nicht meine Stärke" und trotzdem plötzlich als Kritikerliebling und Shooting-Star ins Rampenlicht geschubst wird. Darf man die neue LP deshalb als ehrliche, ungeschminkte Bestandsaufnahme ihres turbulenten Lebens auf der Überholspur während der letzten drei Jahre beschreiben? "Ja, ich denke schon, auch wenn ich eine Weile gebraucht habe, um an den Punkt zu kommen, an dem ich diese Frage mit 'Ja!' beantworten kann", erwidert sie.

In der Vergangenheit hörten sich selbst die wortreichsten ihrer Lieder bisweilen so an, als seien sie nur Teil einer noch viel längeren Geschichte, als habe sie nur einen Teil des großen Ganzen herangezoomt. Dieses Mal scheint es dagegen fast so, als seien die Texte um ein Skelett aus einzelnen Zeilen oder Phrasen herum aufgebaut worden. "Der Songwriting-Prozess war eigentlich gar nicht so anders als beim letzten Mal", schränkt Courtney ein. "Als ich die Songs schrieb, hatte ich einen Riesenstapel mit vollgeschriebenen DIN-A4-Blättern. Ich hatte eine Menge Material, aber dann habe ich es nach und nach auf das Allernötigste gekürzt, um nicht ein einziges Wort zu verschwenden und sicherzustellen, dass jedes Wort das Gewicht hat, das notwendig ist."

Doch auch wenn die Herangehensweise ähnlich war, fiel es Courtney dieses Mal doch schwerer als zuvor, zu definitiven Ergebnissen zu kommen. Hat sie je versucht herauszufinden, was der Auslöser dafür war? "Ich denke, das liegt einfach daran, dass ich eine Perfektionistin bin und für mich selbst sehr hohe Maßstäbe anlege", überlegt sie. "Die Zeit, die ich wirklich damit verbracht habe, mich hinzusetzen und die Lieder zu schreiben, war vermutlich die gleiche wie bei der letzten Platte. Der Unterschied war lediglich, dass ich mich dieses Mal selbst verrückt gemacht habe." Courtneys Zweifel sind allerdings durchaus verständlich, denn während sie zuvor oft von den Erlebnissen anderer sang, docken die Texte dieses Mal viel stärker an ihrem eigenen Gefühlsleben an und stellen so ihre Verletzlichkeit viel mehr in den Mittelpunkt. "Der Albumtitel deutet ja schon an, dass es mir dieses Mal mehr um Ehrlichkeit und Kommunikation ging - und genau damit tue ich mich, nicht nur als Songwriterin, sondern ganz generell in meinem Leben, sehr schwer", gesteht sie. "Es war nicht einfach, aber wenn du da sitzt und Songs schreibst, musst du dir einfach vorstellen, dass niemand je all die schlechten Zeilen lesen wird, die du am Ende wegwirfst - oder in meinem Falle nicht wegwirfst, weil ich alles horte!"

Anders als bei ihrem Debüt war sich Courtney dieses Mal der Tatsache bewusst, dass ihre Songs von einer breiteren Öffentlichkeit gehört werden würden, ohne dass das für sie eine große Bedeutung gehabt hätte - sagt sie zumindest: "Ich denke nicht, dass das einen großen Unterschied gemacht hat. Ich war mir dessen natürlich bewusst, es wäre ja auch dämlich, das zu ignorieren. Gleichzeitig wollte ich mich dadurch nicht einschränken lassen oder eine zu große Sache daraus machen." Trotzdem ist auffällig, dass es auf der neuen Platte neben betont persönlich gefärbten Stücken auch eine Reihe Songs mit Bezügen zu aktuellen Themen von #metoo bis hin zu Internet-Trollen gibt. In "Nameless Faceless" scheint es sogar fast so, als würde Courtney in den Strophen Verständnis für die Online-Provokateure aufbringen. "Das spiegelt einfach wider, was für eine Art Mensch ich bin. Ich bin gewissermaßen eine Pazifistin, die im Zweifel immer an das Gute in den Menschen glaubt. Das heißt nicht, dass ich mich nicht auch über vieles aufregen kann, aber ich habe da diese nervige Seite, die immer Mitgefühl aufbringt. Meine Partnerin Jen ist da praktisch das genaue Gegenteil und deshalb debattieren wir viel. Ich denke, dass es dabei oft keine richtige oder falsche Antwort gibt. Das heißt nicht, dass ich mit fürchterlichen Menschen sympathisieren möchte, aber vom soziologischen Standpunkt her finde ich es faszinierend, dass es gute und schlechte Menschen gibt - und viele dazwischen!

Die gerade erwähnte Jen ist die 44-jährige australische Musikerin Jen Cloher, seit sieben Jahren die Frau an Courtneys Seite und gleichzeitig auch ihre Geschäftspartnerin beim gemeinsam aus der Taufe gehobenen Label Milk! Records. Letztes Jahr veröffentlichte sie eine viel beachtete selbstbetitelte LP, auf der Courtney nicht nur als Gitarristin mitwirkte, sondern auf der Jen in einer Reihe Texte beschrieb, wie sie sich fühlte, daheim zu sitzen, während ihre Partnerin um die Welt reiste und von Erfolg zu Erfolg eilte. Marlon Williams erzählte vor einigen Monaten im Gaesteliste.de-Interview, dass er und seine (Ex-)Freundin Aldous Harding vereinbart hätten, in ihren Songs ihre Gefühle nicht zurückzuhalten, und fast scheint es so, als hätten Courtney und Jen eine ganz ähnliche Absprache? "Ja!", bestätigt Courtney. "Wir haben uns zwar nie hingesetzt und besondere Regeln ausgeheckt, aber wir haben darüber gesprochen. Wir waren beide schon lange Künstler und Songwriter, bevor wir uns kennengelernt haben, und Ehrlichkeit ist ein hohes Gut. Du hältst dich nicht zurück, nur weil du die Gefühle des anderen nicht verletzen willst - wenngleich es auch gar nicht oft vorkommt, dass die Gefahr dazu besteht. Wir haben übrigens die Platten von Marlon und Aldous in letzter Zeit oft gehört und die beiden auch bei einem Festival auftreten sehen. Marlon spielte und Aldous stand am Bühnenrand und war voller Liebe für ihn. Es war wunderschön zu sehen, wie stolz sie auf ihn war, obwohl die beiden nicht mehr zusammen sind!"

Bevor Courtney auf ihrer kommenden Welttournee wieder allein im Scheinwerferlicht stehen wird, hatte sie im letzten Jahr gleich zweimal die Gelegenheit, einen Schritt zurückzutreten, erst auf der US-Tournee mit Kurt Vile, um das gemeinsame Duettalbum "Lotta Sea Lice" vorzustellen, dann als Gitarristin im Schatten von Jen. "Die Tournee mit Kurt war großartig!", erzählt Courtney, und man kann ihr die Begeisterung förmlich ansehen. "Ich war unglaublich dankbar, dass ich mit all diesen unglaublich starken, optimistischen Menschen zusammenarbeiten durfte. Ich erinnere mich, dass ich von der Tournee nach Hause kam und dieses Gefühl der freudigen Erregung verspürte."

Doch auch die Tournee mit Jen hat sie natürlich genossen, ganz besonders, weil sie dort - von einer Duettnummer abgesehen - ausschließlich die zweite Geige, pardon, Gitarre spielen musste. "Wenn du nicht die Sängerin und Songwriterin bist, kannst du die ganze Sache aus einer völlig anderen Perspektive betrachten und kannst dich ein bisschen rausziehen", sagt sie. "Bei meinen eigenen Auftritten bin ich total gestresst, weil ich Lampenfieber habe, drei Sachen gleichzeitig machen muss und dabei all die Gefühle fühle, deshalb ist es schön, auch mal zurückzutreten und nur zu unterstützen. Ich liebe es, die zweite Gitarre zu spielen, weil es dabei in erster Linie darum geht, sich voll darauf zu konzentrieren, was der Song braucht."

Doch wie steht Courtney das endlose Unterwegssein, ganz egal ob als Frontfrau oder Begleiterin, eigentlich durch? Gefühlt ist sie nun bereits seit Mitte 2014 praktisch ohne Unterlass auf Tournee und wirkte dabei, zumindest bei den Treffen mit Gaesteliste.de, immer bemerkenswert ausgeglichen und aufgeräumt. Welche Tricks helfen ihr dabei? "Es geht darum, die richtige mentale Einstellung zu finden, denn ich bin ganz sicher nicht immer ausgeglichen", sagt sie. "Die extremen Höhen und Tiefen des Auf-Tour-Seins können dir ganz schön zusetzen, ganz besonders, wenn man bedenkt, dass viele Songwriter ein bisschen zerbrechlich oder zumindest sehr gefühlsbetont sind und sich viele Gedanken machen. Deshalb ist es wichtig, in deinem Kopf aufzuräumen - und genau daran habe ich gearbeitet, als ich die neue Platte schrieb!"

Weitere Infos:
courtneybarnett.com.au
facebook.com/courtneybarnettmusic
courtneybarnett.bandcamp.com
www.instagram.com/courtneymelba
twitter.com/courtneymelba
en.wikipedia.org/wiki/Courtney_Barnett
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Pooneh Ghana-
Courtney Barnett
Aktueller Tonträger:
Tell Me How You Really Feel
(Marathon Artists/Kobalt/Rough Trade)
 

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