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06.03.2000
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NEAL CASAL

Irgendwann morgen

Neal Casal
Neal Casal ist als Mensch so, wie er sich als Rockstar präsentiert: Freundlich, sympathisch, ehrgeizig und mit einer sehr genauen Vorstellung davon versehen, was möglich und machbar ist. Gerade deswegen ist es ein wenig unverständlich, wie es im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des neuen Werkes, "Anytime Tomorrow", zu einigen Unstimmigkeiten kommen konnte. Gewisse Kreise kritisierten an dem Werk nämlich, daß es zu wenig "rockig" sei.

Wer nun Casal's Karriere aufmerksam verfolgte - von den unglücklichen Major-Anfängen, über die ersten Gehversuche und dann die grandiose Tour des letzten Jahres mit Glitterhouse - der muß doch einfach attestieren, daß sich der Mann weiterentwickelt und nun, mit "Anytime Tomorrow", zu momentan höchstmöglicher Form aufgelaufen ist. "Ich sehe das zumindest so", attestiert Neal, "obwohl ich gerne noch mehr Zeit hätte, mit meinen Songs zu leben, habe ich diesmal doch erheblich intensiver an den Stücken gearbeitet, als noch auf der letzten Scheibe." Das offenbart sich in Details, die im Gesamtbild Neal Casal gar nicht so sehr ins Auge stechen: Der Einsatz von Bläsern, die Verfremdung von Keyboards (meist einer Orgel), die zahllosen Effekte auf den Gitarren - alles Elemente, die sich im großen und ganzen zu einem sehr organischen, typischen Neal-Sound zusammensetzen. Und der besteht eben aus weit mehr als Rock à la "Isis" (von Bob Dylan), wie er ihn auf der letzten Tour bot. "Um ehrlich zu sein", resümiert er, "ist "Isis" auch das Maximum dessen, was ich bereit bin, rockmäßig hinzulegen. Im Grunde erscheint mir das im Rückblick sogar zuviel zu sein. Momentan versuche ich, meine Grenzen im Ganzen auszuloten und zu erweitern." Da gibt es z.B. das Stück "Ocean View" - ein Track, der sich beim oberflächlichen Hören nahtlos in das Oeuvre einzureihen scheint, im Detail aber erstaunliches Offenbart: "Ich habe alle Stimmen darauf selbst gesungen", erklärt Neal mit einem gewissen Stolz, "und für mich ist dies das zentrale Stück auf der Scheibe, da dies die größte Abweichung von meinem bisherigen Tun darstellt."

Neal Casal
"Ocean View" ist eine poppige Affäre mit gewissen Beach Boys-Anklängen. Andere Tracks, wie z.B. "Willow Jane" oder "Eddie & Diamonds" sind dagen Casal-typischer (und auch rockiger). Zudem offenbaren sie eine Überraschung, auf die man angesichts der sehr stringenten Linie, die Casal musikalisch verfolgt, gar nicht gekommen wäre. Sie legen nämlich eine lyrische Ambivalenz an den Tag, mit der man angesichts von Casals seelenvollen Interpretationen nicht rechnen konnte. "Um ehrlich zu sein, kann ich gar nicht sagen, worum es in den Songs geht. Es gibt keine "Willow Jane", keinen "Eddie". Ich kann auch nicht sagen, was genau da passiert. Denke aber, daß das auch wieder interessant ist, weil so jeder seine eigenen Interpretationen hineinpacken kann." Das ist im Falle Neal Casal nicht bloß so daherparliert, sondern stimmt auf den Punkt: Denn ob "Eddie & Diamonds" nun eine Band, Bankräuber oder sonstwas sind, tut nichts zur Sache: Der Song hat das richtige Feeling und funktioniert somit. Außerdem gibt es andere Tracks, wie "Fell On Hard Times", die persönlicher, autobiographischer und somit konkreter geraten sind. ABER: Neal Casal ist eh kein politischer Musiker mit großer Botschaft, sondern versucht statt dessen, seinem Genre neue Aspekte abzugewinnen. "Das ist ja ein bißchen das Problem, wenn Du Musik wie ich machst", räumt er ein, "deswegen versuche ich ständig, mich selbst neu herauszufordern, mich weiterzuentwickeln. Ich lasse z.B. meinen Musikern größtmögliche Freiheiten, indem ich etwa vorgebe, was nicht gemacht werden soll, damit z.B. neue Songs und Strukturen entstehen. Sollte das dann nicht funktionieren, dann bleibt mir ja immer noch die Gewißheit, daß ich ganz "normale" Songs schreiben kann."

Das ist sicherlich eine gesunde Basis, die vor allen Dingen auch langfristig Sinn macht. Freuen wir uns also auf die anstehende Mammut Tournee, die Neal für mehrere Monate nach Europa verschlagen wird.

Weitere Infos:
www.kikomusic.com/nealcasal
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-

Aktueller Tonträger:
Anytime Tomorrow
(Glitterhouse)
 

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