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01.12.1997
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RAINBIRDS

Für immer

Rainbirds
Den Rainbirds kann man ja nun eines wirklich nicht nachsagen: Daß sie nämlich vorhersehbar seien. Wenn einem also das eine oder andere Album der Band nicht gefällt, heißt das noch lange nicht, daß man dem nächsten nicht wieder eine Chance geben sollte. Exakt so geschehen mit den letzten beiden CDs. "Making Memory" war eine halbgare Angelegenheit - was die Qualität der Stücke betraf. Das Ziel der Sache war - so erfahre ich beim Interview zur neuen Platte, "Forever", den Live-Sound der Band einzufangen. Darauf wäre ich nun nicht gerade gekommen - was aber lediglich belegt, wie fehlbar Interpretationen zuweilen sein können. Gerade deshalb ist es interessant, die Musikanten selbst mal zu Wort kommen zu lassen. Das neue Werk der Band birgt nun Erstaunliches. Nicht nur, daß hier auch wieder memorable Hits drauf sind, wie man sie von früher her kennt. Vielmehr geht die Band gleichzeitig unbeirrbar ihren eigenen Weg. Die bereits gewohnten Charakteristika - die später näher betrachtet werden - sind fester Bestandteil des Konzeptes. Gleichzeitig bietet das Album nebenher Weiterentwicklung und Reduktion. Erstere liegt im Bereich der Rhythmik, wo sich dank diverser Tricksereien eine gelungene Symbiose aus Dance-Ästhetik und sprödem Rainbirds Charme eingeschlichen hat und letztere im intimen Umgang mit dem Gesang, der fast ohne Effekte aufgenommen wurde. Einen gewissen Anteil an dieser gelungenen Melange hatte wohl die Umgebung: Das Album wurde im Studio von Jon Caffrey in Belgien aufgenommen, von dem mir bereits René von den Bones vorgeschwärmt hatte.

Katharina: Das werden wir jetzt auch tun.

Ulrike: Also wir haben ja schon mit Jon auf "Different Light" zusammengearbeitet. Auch bei der Theatermusikgruppe Stein. Wir kennen ihn jetzt schon seit 8 Jahren. Nach "Making Memory" haben wir geplant, eine Platte mehr als Studioproduktion zu machen und das Hauptgewicht nicht so sehr auf das Live-Trio zu legen. Wir sind im Dezember letzten Jahres hingefahren und haben eine Demo-Session gemacht. Das Studio ist überwältigend. Du hast Tageslicht, Natur um dich rum und so.

Tim: Es ist alles sehr familiär da. Die Beteiligten fühlen sich auch alle wohl. Man hat Möglichkeiten, sich auf allen möglichen Ebenen kennenzulernen. Was auch klasse ist, da man wieder frei wird für die Arbeit.

Katharina: Die diversen Aufenthaltsräume werden nicht geteilt mit anderen Produktionen. Man wird auch nicht zwangsberieselt.

U: Es ist eines der wenigen Studios, das nicht auf MTV oder VIVA eingestellt ist.

Wie schlägt sich die örtliche Umgebung auf die Qualität der Musik nieder?

U: Für mich ist es sehr wichtig, weg von dem Ort zu sein, wo ich wohne. Und zwar, weil ich es genieße, mir neue Sachen anzueignen. Wir haben unsere Platten eigentlich immer woanders gemacht. Das sind vollkommen andere Mentalitäten, die man da kennenlernt. Das beeinflußt mich insofern, als daß es mich freier macht.

Die Stücke entstehen aber nicht notwendigerweise vor Ort?

T: Diesmal war es so, daß wir die Songs nach der "Making Memory"-Phase entstanden sind.

Verglichen mit der letzten Platte: Ist diese ein eher großer Sprung oder betrachtet ihr das als natürliche Entwicklung?

U: Für mich ist das ein Quantensprung.

K: Ein Sprung in der Schüssel.

Rainbirds
Da sind wir uns ja einig. Mir kam die Sache besonders wegen der Rhythmen "neu" vor. (Das läßt sich nicht so recht beschreiben: Hört Euch das selbst mal an. Sowas hat's bisher noch nicht so recht gegeben). Ist das im Studio entstanden?

T: Auf jeden Fall. Bei "Making Memory" haben wir das Trio ins Studio geholt. Wir waren vorher auf Tour und haben dann die Songs live eingespielt. Jetzt war es so, daß wir die Songs im Studio erarbeitet haben. Das sind Welten. Und das ist auch dieser Quantensprung.

U: Wir haben uns diesmal gedacht: 'Nicht drüber nachdenken, wie wir das live umsetzen, sondern erstmal machen`. Ich hatte auch wirklich das Interesse, mein ganzes Computergerät mitzubringen und auch die anderen beiden noch mehr davon zu infizieren. Und Jon ist ein ganz phantastischer Katalysator dafür gewesen. Für die Band und für jeden einzelnen.

Aus welchen Quellen kommen denn die Sounds?

U: Natürlich sind sie eigentlich alle, in dem Sinne, daß sie alle gespielt worden sind. Z.T. haben wir das so gemacht, daß wir Bassloops gesummt haben oder das Schlagzeug in einer anderen Geschwindigkeit abgespielt haben. Es waren ganz neue Wege für uns, etwas umzusetzen.

Nun klingt das ja alles recht trocken und theoretisch. Da stellt sich natürlich die Frage, warum das ganze dann nicht so steril klingt, wie man es von Dance-Music o.ä. gemeinhin so gewohnt ist?

T: Der Vorteil, den wir haben ist, daß wir eben doch Musiker sind, von denen irgenwie jeder ein Instrument für sich beherrscht und oftmals ist es halt so, daß Sachen aus anderen Quellen genommen werden oder die nur programmiert werden. Und wir haben Elemente genommen, die vorher gespielt wurden und die dann im Computer bearbeitet wurden.

K: Auch durch das viele Live-Spielen haben wir einfach einen Sound. Wir wissen, wie wir oder wie unsere Instrumente klingen. Das ist auch das erste gewesen, was Jon gesagt, daß wir nämlich auch ohne Gekurbele oder Eingestelle gut klängen. Das ist dann auch der Vorteil, wenn man mit Computern arbeitet. Daß man nämlich weiß, warum und wann und wie man sie einsetzen wird.

U: Wir werden oft darauf angesprochen, daß z.B. "Be Cool" Drum'n'Bass-Einflüsse hat. Wir haben das nun so gemacht, daß Tim die Drums auf halber Geschwindigkeit eingespielt hat und wir das dann schneller abgespielt haben. So sollte Drum'n'Bass ja auch gemacht werden. Wenn Du dir den Track nun langsamer anhörst, spürst Du, daß da ein unheimlicher Groove bereits vorhanden war. Du hast dann den Effekt, den Du auch mit einem programmierten Groove haben könntest, aber damit würdest Du nie diese persönliche Note haben.

T: Wenn man Sachen benutzt, die schon da sind, kann man das niemals songdienlich verwenden. Wenn Du's aber selbst spielst, weißt Du ja, wo die Dynamik im Song ist, wo die Stimme ist und Du kannst darauf reagieren. Das ist genau dieses "Human Feeling", was wirklich da ist.

Deswegen gibt es wohl auch so wenig Stücke, die auf Samples basieren, wo wirklich etwas neues passiert - weil es halt schwierig ist, eine neue Melodie draufzulegen.

K: Vermutlich, ja.

Rainbirds
Ist es nicht schwierig, die Menge an Möglichkeiten, die sich bei der Arbeit mit Computern bieten, zu nutzen, sich an den Song heranzutasten. Oder ist es ganz einfach?

K: Ich glaube weil wir vorher schon eine Variante aller Songs hatten, war diese Gefahr nicht mehr gegeben. Es hat auch ganz bestimmt mit Reife oder Erfahrung zu tun. Daß man doch recht früh eine Vision bekommt und weiß: Dort will man hin. Wir haben dann verschiedene Instrumente ausprobiert. Alles war permanent bedienbar. So konnte wir sehr flexibel reagieren.

U: Oder beim Computer auch an der Nicht-Erfahrung. Ich hatte mich gerade von Atari auf Mac umgestellt. Du kannst ja auch bestimmte Möglichkeiten von vorneherein ausschließen. Das Wichtige ist aber, daß Du vorher eine Idee hast. Die ganz neue Technologie gibt dir einfach die Möglichkeit, individueller mit allem umzugehen.

Nun klingt die Platte aber trotz allem recht simpel - nicht einfach, aber überschaubar, unkompliziert. Wie fügt sich denn das Gitarrenspiel da ein?

K: Also ich bin ja eigentlich eine reine Rhythmus-Gitarristin. Ich begleite mich auf der Gitarre. Durch Jon habe ich noch einige Sachen hinzugefügt - Slide-Gitarre, Melodie etc. Ich spiele also mehr Gitarre als auf den letzten Platten. Ich bin sowieso nicht jemand, der überall da sein muß. Dieses Trio besteht eigentlich auch aus Weglassen.

U: Das wollte ich auch gerade sagen. Mir macht es einfach Spaß, einfach zu sein und Sachen wegzulassen anstatt möglichst viel zu machen und möglichst viele Harmonien zu bringen und so. Was mir bei der Platte besonders Spaß gemacht hat, war die ganzen Bässe zu spielen. Ich liebe diese von unten treibende Töne, die einen ganzen Song stützen können. Ich finde, daß diese Platte eine Sache ist, an der wir zu dritt gearbeitet haben, ohne daß ich mich subjektiv überall wiederfinden muß. Ich sehe jedes einzelne Stück als Gesamtheit. Deswegen ist diese Platte objektiver als die, die wir vorher gemacht haben. Objektiver im Sinne von: Ich löse mich gerne davon.

Ein weiser Rezensent (ich) hat das mal so formuliert: Kollektive Selbstverwirklichung. Aber richtig: Da war doch noch die Sache mit ohne Bassist:

T: Der Hauptgrund, weswegen wir keinen Bassisten dazugenommen haben ist, daß wir das Trio so gefunden haben und die Chemie einfach perfekt ist. Es würde etwas verlieren, wenn man noch jemand dazunimmt.

Mögt ihr es den Klang der Instrumente zu verändern?

U: Was uns gefällt ist, wenn die Dinge gut klingen. Generell mögen wir die puren Klänge, wenn sie gut klingt. Tim's Schlagzeug klingt einfach gut, weil er es so perfekt stimmen kann. Oder wie Katja ihre Gitarre spielt klingt einfach gut, obwohl die überhaupt nicht durch Effekte geschickt wurde.

K: Eigentlich ist die Gitarre höchstens mal gedoppelt. Genauso die Stimme. Meist ist jedoch gar nichts damit gemacht worden. Der Klang der Stimme kommt durch Effektlosigkeit, sie ist sehr nah. Ich war davon gleich total begeistert, weil ich so zum ersten Mal meine Stimme, mich erkannt habe. Ich hatte wirklich das Gefühl, das bin ich. Deswegen gibt es auch keine Chöre. Es hat damit zu tun, die persönliche Ansprache des Hörers nicht zu verlieren. Wenn zuviel gemacht wird, entfernt man sich vom Hörer, spricht ihn nicht mehr an.

Dieser Aufwand macht sich tatsächlich in der gewünschten Form bezahlt. Nie wird man durch Sterilität oder Konstrukt verprellt - auch bei den Dance-Einschüben nicht. War das eigentlich beabsichtigt, in diese Richtung zu gehen? Zeit wäre es ja mal, daß so etwas passiert.

U: Das haben wir uns auch gedacht. Es macht viel Spaß, das zu komponieren. Ich spüre eine solche Energie, erinnere mich daran, wie wir das gemacht haben, Break-Beats zu suchen, Bässe zu suchen.

Dabei gehen aber die typischen Rainbirds Charakteristika keineswegs verloren. Wie gesagt finden sich die melancholischen, zum atonalen tendierenden Weill-Momente nach wie vor statt. Ist es schwierig, sowas mit kontemporären Sounds zu kombinieren?

U: Das kommt einfach so aus uns raus. Das ist ganz komisch, aber das ist bestimmt unser europäischer Background. Das spricht uns total an. Amerikaner würden bestimmt ganz andere Melodien dazu komponieren. Das hat aber mit uns zu tun, ist nicht konstruiert. Das ist irgendwie da im Kopf.

Es gäbe noch viel zu sagen zum Thema Rainbirds. Aber digital ist besser: Mal reinhören, zur Tour gehen (Anfang '97) etc. Und dann gibt's da noch ein Projekt von Katharina solo: "Hunger" heißt eine Platte mit eigenen Gedichten und Texten zu größtenteils gesampelter Musik von Ulrike Haage. Katharina trägt hierauf kurzweilige Geschichten, Hörspiele und Klangcollagen in deutsch vor, die allemal unterhaltsamer sind, als die Hörspiele auf Eins Live. Dazu gibt's in englisch kleine "eßbare Gedichte" - das sind eher Wortspielereien, die auf einem Spiel beruhen. In Kombination mit Ulrike's durchaus nicht unpoppiger musikalischer Untermalung kommt zuweilen gar ein gewisses Trip-Hop-Feeling auf. Aber dennoch: Dies ist eine Sprechplatte - hat also nur wenig mit der Rainbirds-Musik zu tun. Wer sich aber trotzdem auf Katharina's einfühlsamen Umgang mit dem Wort als solches einlassen möchte, kann diese Platte im Buchhandel beziehen über den Verlag Sans Soleil, Bonn, ISBN: 3-88030-031-3.

[Erstveröffentlichung im Baby Talk-Fanzine #12, Dezember 1997]


Weitere Infos:
www.rainbirds.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-



 

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