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19.11.2001
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ELEMENT OF CRIME

Keine Mischgetränke für Herrn Lehmann.

Element Of Crime
"Mit dem Raum stimmt irgendwas nicht, meinst Du nicht auch?" fragt Sven Regener, seines Zeichens Sänger, Trompeter und zuletzt gar Literat der erstaunlich langlebigen Combo Element Of Crime und streicht im Raum umher. "Erdstrahlen?" wird als Vermutung in den Raum gestellt. "Nein, nein", streitet er energisch ab, "ich bin Esoteriker - das ist es nicht. Aber komisch ist der Raum schon. Man kann ja nicht mal die Fenster aufmachen. Wer soll denn hier wohnen?" Niemand eigentlich, denn wir befinden uns in einer Hotelsuite mit Domblick in der katholischsten aller Interviewstädte, Köln. Und da kann man nicht wohnen. Höchstens verweilen.

Aber vielleicht könnte Sven ja einen Song über diese beeindruckenden Eindrücke schreiben? "Nein, so was mache ich nie", meint er kategorisch. Was uns zur Frage bringt, worüber, wenn nicht über das eigene Erleben, er denn seine Songs schreibt. "Die Frage finde ich irgendwie unfair", schmollt er hierzu, "aber einen Maler fragt man ja auch nicht, wo er denn das, was er gemalt hat, gesehen hat. Dem traut man ja auch zu, daß er sich Sachen ausdenkt. Wir sind doch alle Menschen, oder? Also können wir uns doch Sachen ausdenken, oder?" Auch wenn diese Metapher Lücken im logischen Abschluß aufweist: Sven Regener ist ein Mann mit einer gesegneten Beobachtungsgabe und der Fähigkeit zu atemberaubenden Assoziationsketten. Dies ermöglicht ihn nicht nur, allerlei interessante Dinge zu sagen, sondern obendrein Romane zu schreiben - wie z.B. das vielbejubelte Debüt "Herr Lehmann" (und natürlich weiterhin auch Songs für EOC). Obwohl das eine mit dem anderen nix zu tun hat. Auf die Frage nämlich, was denn der Unterschied zwischen Buchschreiben und Songschreiben sei, antwortet er nach kurzem Überdenken, daß man die Frage eigentlich umgekehrt stellen müsse - also nach den Gemeinsamkeiten fragen. Also gut: Was sind denn die Gemeinsamkeiten? "Es gibt keine", meint Herr Regener halbschräg schmunzelnd. Nein, nein, nein - so geht das ja nun auch nicht. Es müssen sich doch wohl Gemeinsamkeiten finden lassen - Charakterisierung, Stories und so...? "Nein", bleibt Sven dabei, "das Einzige was in beiden Fällen hilft, ist ein Gefühl für's Timing. Ansonsten gibt's keine Gemeinsamkeiten." Also gut, dann sei doch die Frage erlaubt, wie denn letztlich die Mutter zum Kinde, die Texte zur Musik oder der Titel zur Platte finden. "Plattentitel sind ja gar nicht so wichtig", meint Sven abwertend auf den Titel der neuen CD, "Romantik" angesprochen, "es geht ja nur darum, eine Platte von der anderen unterscheiden zu können. Wir wollten immer schon mal eine Scheibe 'Romantik' nennen. Das ist fast schon ein bandinterner Witz - wenn's auf Tour darum geht, Doppelzimmer aufzuteilen und dann zu fragen, wer mit wem Romantik machen möchte..."

Element Of Crime
Musikalisch ist das Ganze auch irgendwie passend. Denn da EOC mit deutschen Texten hantieren und z.B. auch dramatische Streichersätze nicht scheuen, drängt sich ein vergleichsheischender Blick in Richtung Schlager ja schon auf. "Schlager sind romantisch", meint Sven irgendwann. Dennoch ist die Musik von EOC ja alles andere als Schlager - und Streicher hin oder her - auch nicht kitschig. Woran liegt's? "Also wenn mir jemand sagt, die neue Scheibe klänge kitschig, dann nehme ich das so hin. Es hängt ja auch von der Wahrnehmung des Einzelnen ab. Als ich z.B. 'Fallende Blätter' mit seiner großangelegten Melodie und dem 60 Mann Streichorchester mit Holzbläsern - die sind wichtig - meiner Frau vorspielte, meinte sie, daß sich das ja wie ein Simmel-Soundtrack anhöre. Die hatten damals richtig gute Soundtracks übrigens." Um es mal klar zu sagen: "Romantik" ist KEINE KITSCHIGE SCHLAGERPLATTE. Sie hört sich lediglich ein wenig einfacher und direkter an, als z.B. die letzte Scheibe, "Psycho", obwohl es im Studio hoch her ging. Man hörte von Problemen technischer und musikalischer Art. "Wir haben uns ganz schön schwer getan", gibt Sven zu, "das ist aber immer so. Wir tun uns bei jeder Platte im Studio schwer. Wir sind keine Band, die ins Studio geht und die Sachen so einfach raushaut. Wir legen allerdings viel Wert darauf, daß man dies nicht hört, daß wir die Produktionsprobleme nicht nach draußen tragen. Da haben wir uns viel Mühe gegeben, daß man das nicht hört." Was man auch nicht tut. Woher rühren denn die Schwierigkeiten bei der Aufnahme? "Nun ja, wir machen ja immer wieder was anderes", überlegt Sven, "wir machen ja nie denselben Song noch mal. Es geht darum, unsere eigenen Songs zu finden, unsere Versionen zu finden." Versionen? Von neuen Songs? "Ja, es gibt ja keine definitiven Interpretationen von Songs. Wir müssen unsere Version finden." Und wie sieht das dann bei der Live-Präsentation an - wo ja z.B. der langjährige Bandkumpel und Produzent Gary Young wieder mitspielen wird? "Es ist tatsächlich so, daß wir dann die Stücke wieder neu lernen müssen", gibt Sven zu, "wir haben immer wieder Schwierigkeiten mit der Live Präsentation. Da müssen wir durch."

Element Of Crime
Bei so vielen Schwierigkeiten wundert man sich fast, daß die Songs dieses Mal alle so heiter und gelassen daherfließen. "Das liegt an den Melodien", weiß Sven, "die sind ja diesmal sehr stark. Da mußten wir nicht mehr soviel dazu tun." Gilt das auch für die Texte, die diesmal viel konkreter und direkter als noch bei "Psycho" geraten sind. "Die Texte kommen bei uns eigentlich immer erst nach der Musik...sie werden sozusagen davon inspiriert. Sicher, auf 'Pschyo' gab's recht absurde Songs - aber auch sehr direkte. Ich denke, seit wir uns mit deutschen Texten beschäftigen, geht die Tendenz dahin, alles möglichst einfach auf den Punkt zu bringen. Ich bin nach wie vor dafür, Sachen offen zu lassen und nur anzudeuten. Aber man muß es ja nicht übertreiben." Gut. Wie war denn eigentlich der zeitliche Ablauf von "Herr Lehmann" und "Romantik"? "Das Buch war vorher fertig", berichtet Sven, "ich habe schon ziemlich lange daran geschrieben - seit Anfang der 90er - und hatte erst 2000 Zeit, es mal fertig zu schreiben." Das war also lange geplant? Sven überlegt sehr lange. "Ich hatte nie vor, Literat zu werden", beschreibt er es dann, "und der Erfolg in dieser Form hat mich doch sehr überrascht. Von so etwas träumt man vielleicht, aber daß es mir passieren würde..." Macht das Lust auf mehr? "Ja schon", gibt er zu, "ich mag meine Hauptperson, Herrn Lehmann, wirklich sehr und hätte Lust, darüber zu schreiben, wie er zu dem werden konnte, der er ist - weil ich mir darüber natürlich schon Gedanken gemacht habe." Worauf basiert Herr Lehmann denn? "Es gibt keinen Herrn Lehmann", sagt Sven, "aber ich weiß genau, wovon ich schreibe. Das tolle ist, daß Herr Lehmann total anders ist als ich. Aber ich finde ihn trotzdem sehr sympathisch. Der Typ lebt sein Leben, und so was finde ich gut." Wird Herr Lehmann denn auch mal zur Musik finden? "Ich bin nicht dafür immer alles miteinander zu vermischen", überlegt Sven, "schließlich mag ich ja auch keine Mischgetränke."

Element of Crime sind in den nächsten Monaten auf Tour. Übrigens: Auf dem Soundtrack vom neuen Ton Steine Scherben-Film, "Der Traum ist aus", sind EOC als alte Berliner auch vertreten mit einer ziemlich ruppigen Version von "Nichts mehr wie es war".

Weitere Infos:
www.elementofcrime.de
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Element Of Crime
Aktueller Tonträger:
Romantik
(Motor Music)
 

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