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09.01.2002
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LE TIGRE

Digitalrock meets politische Weitsicht

Le Tigre
In einer gerechten Welt würden alle Kathleen Hanna zu Füßen liegen. Denn die umtriebige junge Dame aus New York City hat nicht nur vor mittlerweile mehr als zehn Jahren das kleine, aber feine Label Kill Rock Stars aus Olympia, Washington, - das uns Künstler wie Sleater-Kinney, Elliott Smith oder Mary Lou Lord bescherte - zu einer Institution gemacht, sie hat auch mit ihrer ersten Band, den Riot Grrrls von Bikini Kill, viel, sehr viel für die Frauenbewegung in Amiland getan. Bis nach Europa ist die Welle, trotz prominenter Unterstützung von beispielsweise Sonic Youths Kim Gordon, leider - unverständlicherweise - nie geschwappt. Dabei waren weder der Punkrock des Quartetts noch die Inhalte von Kathleens Texten besonders Amerika-fixiert.

Mehr Glück hat sie - nachdem ihre Solo-Platte als Julie Ruin auch wiederum nur in den USA Beachtung fand - mit ihrer aktuellen Band. Mit dem selbstbetitelten Debütalbum von Le Tigre rannten die New Yorkerin und ihre Mitstreiterinnen Johanna Fateman und die inzwischen fest zur Band gehörende JD Samson vor zweieinhalb Jahren auch in Europa offene Türen ein. Dabei hatten sie lediglich den Punkrock zugunsten eines stärker künstlerisch betonten Elektro-Pop-Konzeptes aufgegeben, bei dem Samples, Farfisa-Orgeln, Scratchings und lustig-weirde Beats vom neuen Zeitalter des "feminist electronic punk" kündeten, und nur die gnadenlose Gitarre und Kathleens Kreissägenstimme stellten die Verbindung zur Vergangenheit her. "Uns ist es wichtig, daß die Leute uns nicht als Rockband sehen", erklärt Kathleen Gaesteliste.de gleich zu Beginn unseres Gesprächs. "Wir bewegen uns eher auf dem Feld der Conceptual Art. Wir arbeiten sehr hart, und unser einziges Interesse gilt dem Vorwärtskommen. Wenn wir auf Tournee sind, ist das für uns wie ein Abenteuer, aber eines, bei dem wir ständig sagen: Dies können wir beim nächsten Mal besser machen, und das läßt sich auch geschickter anstellen."

Dieser Drang, sich ständig verbessern zu wollen, ist vor allem Kathleen in der Vergangenheit schon des Öfteren - nicht ganz zu Unrecht- als Humorlosigkeit und Verbissenheit ausgelegt worden. Deshalb fügt Johanna vorsichtshalber an: "Wir sehen uns zwar der Conceptual Art zugehörig, aber unser Kommunikationsmittel ist die Popmusik. Es ist ja nicht so, als würden wir abstreiten, Popmusik zu machen, wir wollen unsere Ideen in den schon bestehenden Rahmen einbauen, den Underground- und Popmusik bietet." Das tun Le Tigre auch auf ihrem aktuellen zweiten Album "Feminist Sweepstakes", das inhaltlich nahtlos an das Debüt anknüpft, die Ideen aber mit minimal veränderten Mitteln versucht umzusetzen. Und das funktioniert nicht immer reibungslos. Manchmal scheint es sogar, als hätten die überschwenglichen Reaktionen auf den Erstling das Trio etwas zu euphorisch werden lassen. Noch mehr Ideen, noch mehr Message pro Song soll es dieses Mal sein, und deshalb klingen die Stücke streckenweise schon fast überladen. Da kommt "Cry For Everything Bad That's Ever Happened", ein Instrumental kurz vor Ende des Albums, als Gegenpol gerade recht. Manchmal, so scheint es, haben sich die drei Damen von den technologischen Möglichkeiten etwas überrumpeln lassen. "Das Seltsame an elektronischer Musik ist, daß du lange Zeit damit verbringst, ganz viele neue Sachen zu lernen, und irgendwann erreichst du dann ein Plateau, auf dem dir unglaublich viele Möglichkeiten offen stehen. Wir haben anderthalb Jahre gebraucht, um dieses Plateau zu erreichen, von dem wir dann in alle möglichen Richtungen weitergehen konnten", beschreibt Kathleen den Weg vom ersten zum zweiten Album. Aber wie sieht es denn eigentlich aus, das Verhältnis von Mensch und Maschine bei Le Tigre? "Ich würde gerne sagen, daß die Elektronik nur ein Mittel zum Zweck ist, aber das klänge ja wohl zu klischeehaft", lacht Johanna. "Mit der Zeit entwickelt sich ein Verhältnis zwischen dir und der Maschine, es entsteht ein Dialog zwischen den Menschen und der Technologie. Aber natürlich kommt der kreative Input von uns." Das sieht auch Kathleen ähnlich: "Ich liebe die Möglichkeiten, die die Technologie für uns bereithält. Ich kann mich da richtig reinsteigern! Was nicht heißt, daß wir die Geräte verherrlichen. Wenn etwas nicht funktioniert, fliegt das Ding sofort wieder raus! Wir waren am Anfang von unserem Samplermodell sehr angetan, aber realistisch betrachtet war es einfach nur Schrott. Wir hätten es also zu einem Fetischobjekt machen können, uns acht Stück davon besorgen können, um sicher zu sein, daß wir auf jeden Fall auch noch ein Backup vom Backup haben, oder wir hätten es in seine Kiste packen und es unter einem Tisch verschwinden lassen können, um ihn vielleicht irgendwann einmal zu verschenken. Und das haben wir dann gemacht. Wir wollten uns einfach mehr auf das Auftreten konzentrieren, und dafür mußte unser Setup so minimal wie möglich sein."

Le Tigre
Apropos Auftreten: Obwohl schon 1999 veröffentlicht, gab es die erste Tour von Le Tigre in Europa erst im Herbst 2000. "Du nennst uns doch wohl nicht etwa faul?" fragt Kathleen spitz und muß grinsen. Denn natürlich weiß sie, daß es niemand wagen würde, ihr genau das zu unterstellen. Schließlich scheint Kathleen einfach nicht abschalten zu können, und wenn es schon nicht Musik ist, die sie rotieren läßt, dann auf jeden Fall eine andere Aktion, die irgendetwas mit ihrem politischen Selbstverständnis zu tun hat. Trotzdem dürfen uns Le Tigre erklären, was die Konzerte so lange hinausgezögert hat. "Wir mußten uns einfach lange darauf vorbereiten, um sicher zu sein, daß wir alles im Griff haben und aus der Sache kein Desaster wird", sagt Johanna. "Wir machen ja alles alleine und mußten uns vieles erst einmal selbst beibringen, denn bevor wir die Band gegründet haben, hatte keine von uns Ahnung von elektronischer Musik." Aha. Das ist natürlich wieder ein mehr oder weniger versteckter Hinweis darauf, daß die Message der Texte wichtiger ist als die (alles andere als schlechte) Musik. Über ihre Botschaft reden Le Tigre bei ihren Interviews erstaunlicherweise trotzdem so gut wie nie. Wahrscheinlich einfach deshalb, weil sie sich ihre Gesprächspartner - anders als die meisten Bands - sorgfältig aussuchen und sich bei ihren seltenen Interview-Audienzen mit jemandem, dem sie ihre inhaltlichen Ideen erst noch erklären müßten, erst gar nicht an einen Tisch setzen würden. Denn ein - stellenweise ziemlich radikales - politisches Bewußtsein zu besitzen ist für Kathleen und Co. nicht nur Grundlage ihres künstlerischen Outputs, sondern Lebenselixier. Deshalb macht es auch Sinn, ihren Protest nicht nur musikalisch, sondern in vielen anderen Feldern der Kunst (Fotos, Performance, Video, Tanz, Fanzines) zu artikulieren. Daß es dabei vor allem, aber nicht nur um feministische Inhalte geht, sondern um Emanzipation im Allgemeinen, unterstreichen dabei auch Stücke wie das dem in New York mit 41 Schüssen von der Polizei niedergestreckten unbewaffneten afrikanischen Einwanderer Amadou Diallo gewidmete "Bang! Bang!" vom letztjährigen Minialbum "From The Desk Of Mr. Lady". Le Tigre werden weitermachen, auf die Fehler im System hinzuweisen, und deshalb sind auch nicht nur Feministinnen eingeladen zuzuhören.

Weitere Infos:
student.bard.edu/~ba935/front.html
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Pressefreigaben-
Le Tigre
Aktueller Tonträger:
Feminist Sweepstakes
(Chicks On Speed/EFA)
 

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