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25.01.2002
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NEIL HALSTEAD

Die Freiheit genießen

Neil Halstead
Es ist sein insgesamt siebtes Album, und zum dritten Mal in seiner Karriere geht Neil Halstead neue Wege. Nach dem Shoegazer-Pop von Slowdive und dem countryfizierten 60s-Rock mit Mojave 3 präsentiert sich und der Brite auf seinem ersten Soloalbum "Sleeping On Roads" als moderner Folkie. Arrangement-mäßig zurückgenommen, legt Halstead dieses Mal mehr Wert auf den Klang eines jeden einzelnen Instruments und nicht auf den Gesamtsound, den eine große Band kreieren kann. Folglich sind die Songs häufig vor allem auf Neil und sein exzellentes Folk-Gitarrenspiel reduziert, das er bei seiner anderen Band ob deren opulenten Klangs noch nie so richtig zeigen konnte. Nicht verwunderlich also, daß "Sleeping In Roads" einen ganz schönen Kontrast darstellt zu Mojave 3, die mittlerweile sieben Mitglieder zählen.

Allerdings ist auch klar, daß man nicht zu viel in diesen Soloausflug hineinlesen sollte. Immerhin ist die nächste Mojave-3-Platte - derzeit geplanter Veröffentlichungstermin: Herbst 2002 - schon in Arbeit und außerdem beschreibt Neil sein Soloalbum als "nur eine Platte, die ich mit ein paar Bekannten zusammen gemacht habe". Eine Aussage, die typisch für den Engländer ist. Dessen außergewöhnliche Songs verraten nämlich kaum, daß Neil als Gesprächspartner im "wirklichen Leben" ein ziemlich durchschnittlicher Typ ist. Bevor Neil im Februar in Amerika auf Solotournee geht, die ihn hoffentlich im März auch für Konzerte nach Deutschland bringt, erklärte er Gaesteliste.de beim Telefoninterview aus seiner Heimatstadt Cornwall, wo für ihn die Hauptunterschiede zwischen einem Mojave-3-Album und seiner Solo-Platte liegen. "Von Anfang an war klar, daß ich bei dieser Platte besonders auf die Rhythmik achten wollte, die Gitarren sehr folk-orientiert sein sollten und auch eine Menge schräger Keyboards mit dabei sein sollten. Mir gefallen die Sachen von Bert Jansch oder Arlo Guthrie und auch Pentagle oder Richard Thompson haben tolle Platten gemacht. Ich wollte deren Idee eines Folk-Songs als Basis nehmen und mit ganz anderen Sounds kombinieren, so daß das Endergebnis nicht unbedingt sehr folkig klingt. Wenn du dagegen den Kern der Songs betrachtest, haben sie alle eine typisch traditionelle Folk-Struktur. Das könnte man vielleicht als Konzept der Platte bezeichnen, wenn es eins gegeben hätte", lacht Neil.

Trotzdem: Genauso wie die Solo-Songs schreibt Neil natürlich auch die Stücke für Mojave 3 alleine nur mit seiner Gitarre als Begleiter. Daß die Songs letztendlich so anders klingen, liegt einfach daran, wer sich ihrer annimmt. "Wenn Mojave 3 einen Song aufnehmen, komme ich mit einer Idee in den Proberaum und die anderen sechs Leute in der Band spielen das Stück gemeinsam, und am Ende haben wir eine typische Mojave-Platte. Bei diesem Album waren es meistens nur Nick [Holston, Keyboarder und Co-Produzent der neuen Platte] und ich. Ich war also viel mehr gefordert, was sehr viel Spaß gemacht hat, aber gleichzeitig auch etwas seltsam war. Dieses Mal hatte ich ja niemanden, den ich wie sonst um Rat fragen konnte, ob ein Stück wirklich gelungen war oder ob ich mich in etwas verrenne." Das bedeutet allerdings nur bedingt, daß der Aufnahmeprozeß von "Sleeping On Roads" weniger demokratisch verlaufen wäre als mit einer "richtigen" Band. "Ich würde mal so sagen: Dieses Mal saß ich in der ersten Reihe, anstatt wie sonst nur die Grundidee zu präsentieren und den Song nachher zu singen. Ich war in die Produktion und den ganzen Ablauf der Aufnahmen viel stärker eingebunden." Das konnte uns kürzlich auch Mark Van Hoen bestätigen, der als Produzent maßgeblich an den letzten Mojave-3-Platten mitwirkte und dieses Mal nur noch eine untergeordnete Rolle spielte, weil sich - wie er Gaesteliste.de sagte - Neil inzwischen alle seine Tricks abgeschaut hätte und auch ohne ihn gut zurecht käme. Daß er damit nicht ganz falsch liegt, beweist Neils schallendes Gelächter, als wir ihn danach fragen. "Es gibt zwei Songs auf der Platte, an denen ich mit Mark gearbeitet habe. 'See You On Rooftops' im Besonderen hat viele verschiedene Stadien durchlaufen, und es gibt auch noch eine Version, die wesentlich mehr auf Marks Programmierkünste zurückgreift, denn als Programmierer und Tontechniker ist er sehr, sehr gut. Es ist schon richtig, ich habe jede Menge von ihm gelernt, vor allem, was das ganze Computer-Zeug angeht."

Neil Halstead
Letzteres spielt auf Neils Solo-Platte eine besonders große Rolle. Nicht, daß er sich vom organischen Sound der Mojave-3-Platten hätte verabschieden wollen, aber die Tatsache, daß "Sleeping On Roads" - den Titel hat sich Neil übrigens bei Townes Van Zandt geborgt - zu großen Teilen zu Hause bei Neil und Nick entstanden ist, machte den Einsatz von mehr modernen Aufnahmehilfsmitteln unverzichtbar. "Ich sehe es als großen Vorteil an, daß man inzwischen auch gut zu Hause aufnehmen kann. Es ist unglaublich, wie sich die Technik binnen kurzer Zeit weiterentwickelt hat. Das Beste daran ist, daß es jetzt nicht mehr unerschwinglich ist, eine gut klingende Platte aufzunehmen. Früher ging es nicht ohne ein teures Aufnahmestudio, das man sich nur mit einem fetten Plattenvertrag leisten konnte, heute kann man sich für 500 Pfund oder so schon ein vernünftiges Computersystem zulegen, und das verändert den gesamten kreativen Bereich im Musikbusiness." Doch auch, wenn Neil fast alles auf seinem Solodebüt selbst in die Hand genommen hat, nur achteinhalb der neun Songs der Platte stammen von ihm. Für "Dreamed I Saw Soldiers" lieh sich Halstead die Musik von Damien Jurados grandiosem Song "Ohio" aus dem "Rehearsals For Departure"-Album. "Als ich das Album zum ersten Mal gehört habe, hat mich dieses Stück völlig überwältigt", erinnert sich Neil. "Danach habe ich es in der Originalfassung sehr oft live gespielt. Irgendwann habe ich dann meinen eigenen Text dazu geschrieben. Da mußte ich natürlich Damien anrufen und ihm beichten, daß ich seinen Song gestohlen hatte, aber er stand der Sache sehr positiv gegenüber und ist ja auch auf dem Cover genannt." 1968 wollte Jimi Hendrix eigentlich den Bob-Dylan-Song "I Dreamed I Saw St. Augustine" covern, aber weil ihm der Text zu persönlich gefärbt erschien, entschied sich Hendrix stattdessen für "All Along The Watchtower" und landete damit einen seiner größten Hits. Könnte es bei Neil ähnlich gewesen sein? Immerhin ist Damiens Original ebenfalls eine auf seltsame Weise sehr persönliche Geschichte. "Nein, eigentlich hatte ich gar nicht vor, den Text zu ändern. Meistens schreibe ich meine Songs auf der Gitarre, habe also zu den Texten auch immer gleich die Musik, aber aus irgendeinem Grund hatte ich diesen langen Text ohne Musik geschrieben, und irgendwann stellte ich fest, daß Damiens Musik gut dazu paßte", erklärt Neil und fügt abschließend lachend an: "Eigentlich benutze ich auch eine eigene Melodie, aber die Akkordstruktur ist die gleiche. Vielleicht hätte es sogar niemand bemerkt, aber ich wußte eben, daß ich die Akkorde übernommen hatte, da dachte ich: Erwähn' es mal besser!"

Weitere Infos:
www.mojave3.co.uk
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Pressefreigaben-
Neil Halstead
Aktueller Tonträger:
Sleeping On Roads
(4AD/Connected)
 

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