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29.04.2002
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MARY LORSON & SAINT LOW

Herrlich altmodisch

Mary Lorson & Saint Low
Wenn überhaupt, dann ist Mary Lorson hierzulande als Sängerin der New Yorker Indie-Pop-Sensation Madder Rose bekannt, die vor knapp zehn Jahren für die berühmten 15 Minuten die beste Band der Welt waren. Doch der ruhelosen Sängerin und Songschreiberin mit dem besonderen Blick für die melancholischeren Momente des Lebens ist das nicht genug: Die frühere Filmstudentin schreibt Drehbücher, führt bei Kurzfilmen Regie und schreibt Soundtracks für Underground-Produktionen. "Ganz nebenbei" hat sie nun die zweite Platte ihres Post-Madder-Rose-Projekts Saint Low fertiggestellt. "Tricks For Dawn" ist eine ausladend orchestrierte Kammerpopmusik-Platte klassischer Schule, auf der Marys engelsgleiche Stimme durch herrlich altmodische Singer/Songwriter-Stücke schwebt, die an Carole Kings "Tapestry" (übrigens eine von Marys ersten Lieblingsplatten) erinnern und dabei die wohlige Wärme von Platten wie John Cales Meisterwerk "Paris 1919" ausstrahlen.

Aufgenommen hat sie das kleine Meisterwerk mit viel Understatement aus Kostengründen zu großen Teilen in den eigenen vier Wänden in Ithaca, New York, unterstützt von ihrem alten Madder-Rose-Partner Billy Coté. "Wir haben die Platte zusammen produziert und uns die Arbeit geteilt", erzählte Mary beim Gespräch mit Gaesteliste.de, das passenderweise nicht in einem teuren Hotel, sondern auf den Treppenstufen (!) des Londoner ULU stattfand. "Ich habe gesagt: 'Ich habe die Arrangements, sie sind ziemlich detailliert, meine Aufgabe wird sein, die Musiker zu besorgen und ihnen ihre Parts beizubringen.' Billys Aufgabe war es, einen Weg zu finden, alles mit den uns zur Verfügung stehenden technischen und finanziellen Möglichkeiten aufzunehmen. Er mußte austüfteln, wie man eine Harfe oder Streicher richtig aufnimmt. Wir haben beide sehr hart an der Platte gearbeitet. Wir hatten vier Mikrofone in unserem Haus und eine ganze Reihe sehr talentierter Musiker aus unserer Gegend, die glücklicherweise bereit waren, kostenlos zu arbeiten, und dann sind wir's einfach angegangen. Ich habe zu Billy Sachen gesagt wie: 'Samstag ist Streicher-Tag, wir müssen drei von ihnen unterbringen' oder so."

Neu ist diese Arbeitsweise für die schüchtern-symptahische Amerikanerin nicht, schließlich hatte sie auch schon für ihr selbstbetiteltes Debüt auf Homerecording zurückgegriffen. Allerdings erscheint die neue Platte statt unter dem Namen "Saint Low" nun als "Mary Lorson & Saint Low". Trotzdem heißt das nicht, daß sich Mary inzwischen zur Diktatorin entwickelt hat. "In erster Linie war das eine praktische Entscheidung. Als ich letztes Jahr auf Tour war, um das erste Saint-Low-Album bekannt zu machen, dachten einige wirklich, ich selbst würde mich jetzt Saint Low nennen. Das stimmt natürlich nicht. Ich bin ja nicht Prince oder so! Deshalb wollte ich diese Art der Verwirrung dieses Mal vermeiden, und außerdem reflektiert es auch ein wenig die Arbeitsweise. Die Band kommt erst dann dazu, wenn ich die Songs fertig habe." Apropos Songs: Auf "Tricks For Dawn" scheint Mary - die übrigens auf den letzten Werken von Seafood und den Walkabouts beachtenswerte Gastauftritte hatte - zwei verschiedene musikalische Pfade zu verfolgen. Während es Mary auf ihrem Solo-Debüt wichtig zu sein schien, so weit wie möglich vom Madder Rose Rock-Sound wegzukommen, scheinen sich unter die Singer/Songwriter-Ambitionen auf der neuen Platte auch wieder einige Elemente zu mischen, die wir schon von ihrer alten Band kennen. "Ich selbst habe das noch nie so betrachtet, aber jetzt, wo du es sagst, klingt es so, als würde es stimmen. Meine erste Platte war wohl wirklich - bewußt oder unbewußt - eine Reaktion auf die Band, denn meine instinktive Auffassung von Musik unterscheidet sich grundlegend. Allerdings kannst du natürlich nicht so lange in einer Band sein, ohne daß das abfärbt. Für die neue Platte gilt: Wenn die Songs poppig sind, dann so richtig. Und bei Madder Rose ging es ja um nichts anderes. Dort habe ich das Handwerkszeug des Modern Pop gelernt. Die klassischen Einflüsse wie Carole King kamen dann auf ganz natürliche Weise hinzu. Du weißt ja selbst nie genau, wie sich die Einflüsse auf deine Musik niederschlagen und was sie letztendlich an die Oberfläche bringt. Wenn ich Songs schreibe, nehmen die Stücke oft eine Wendung, an die ich anfangs überhaupt nicht gedacht hätte, doch dann merke ich, daß mir die neue Richtung auch gefällt. Das Ganze ist schon ein seltsamer Prozeß." Die Idee, eine klassische Singer/Songwriter-Platte aufzunehmen, die tiefgründiger, vielschichtiger und abwechslungsreicher als das 2000er Debüt sein sollte, war allerdings von Anfang an vorhanden. "Ich wollte, daß die Platte wie eine Mischung aus Carole King und Rufus Wainwright klingt. Oder wie Elliott Smith. Ich wollte, daß das Album einen wirklich klassischen Klang hat. Als ich dann merkte, daß wir das mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln nicht schaffen würden, war ich ganz schön enttäuscht. Aber zumindest bin ich beim Songwriting so an die Platte herangegangen, als würde sie so klingen können."

Mary Lorson & Saint Low
Neben Billy standen Mary dieses Mal nicht nur ihre - minimal umbesetzte - Band Saint Low, sondern sogar Lemonhead Evan Dando (als Duettpartner bei "Long Way Down") zur Seite. "Ich wollte unbedingt einen Typen als Gesangspartner für dieses Stück. Eigentlich hatte ich dafür Ron Sexsmith im Kopf. Ich kenne ihn zwar nicht persönlich, aber wir sind auf dem gleichen Label, also rief ich ihn an und fragte, ob er ohne Gage auf meiner Platte singen würde, und er sagte zu! Allerdings hätte ich dafür nach Toronto fahren müssen, und schon bald wurde klar, daß das nicht funktionieren würde. Zur selben Zeit wurde ich bei uns in Ithaca als Support für Evan gebucht, den ich zwar kenne, allerdings nicht besonders gut. Bei der Gelegenheit habe ich ihn dann gefragt, ob er am nächsten Tag bei uns vorbeischauen und das Stück singen würde, und auch er sagte ja! Dazu muß ich sagen: Ich wohne in der Mitte von Nirgendwo, und es ist nun wirklich nicht so, als wenn ich andauernd mit berühmten Leuten rumhänge, und dann passiert es mir, daß zwei meiner größten Idole innerhalb von einer Woche zusagen, auf meiner Platte zu singen!"

Mary Lorson & Saint Low
Trotz Evan und der einmal mehr betörenden Stimme Marys sind es vor allem die ungemein warmen Töne der balladesken Musik und die einfallsreichen, für eine Heimproduktion geradezu bombastischen Arrangements, die zum Hinhören zwingen. Eine kleine Glanzleistung, die beweist, daß man mit viel Kreativität auch zu Hause wunderbare Platten aufnehmen kann. Aber nicht nur wegen "Tricks For Dawn" dürfte 2002 für Mary ein ereignisreiches Jahr werden. Auf eine Tournee von Mary, die zuletzt im Jahr 2000 als Vorgruppe von und als Musikerin bei der Willard Grant Conspiracy im Jahr ausgiebig in Deutschland tourte, müssen wir leider vorläufig verzichten. Mary wird nämlich im Juli Mutter, und damit sind ihre musikalischen Aktivitäten zumindest bis zum Herbst auf ein Minimum reduziert. Trotzdem denkt sie zum Glück nicht daran, die Musik ganz an den Nagel zu hängen. "Letztens kam Billys Mutter zu mir und meinte, daß es ja eigentlich schade wäre, daß ich keine Musik mehr machen könnte, wenn das Baby da ist - da habe ich sie nur ganz verständnislos angeschaut." Und so ist dann auch geplant, daß im Herbst ein witzigerweise "I Don't Want To Fight Tonight" betiteltes Instrumental-Soundtrackalbum von Mary und Billy - ebenfalls auf Cooking Vinyl - erscheinen soll, und auch an Billys nächstem Soloalbum als The Jazz Cannon, das ebenfalls noch vor Jahresende fertig sein soll, dürfte Mary beteiligt sein. Trotzdem denkt sie mehr als je zuvor an die Zukunft. "Ich will auf jeden Fall ein sicheres Zuhause für mein Kind schaffen, und deshalb mache ich mir jetzt doch Gedanken darum, richtig Geld zu verdienen. Ich will meine Lehrerlaubnis bekommen und dann vielleicht als Lehrerin arbeiten. Inwieweit das meinen kreativen Ambitionen im Weg stehen kann oder wird, ist derzeit noch nicht ganz klar."

Fazit? Schön zu wissen, daß Mary trotz anhaltender kommerzieller Misserfolge ihre Vision vom "Pop noir" nie aufgegeben hat, und genau deshalb ist ihre Musik auch weiterhin ebenso inspiriert wie inspirierend.

Weitere Infos:
www.saintlow.com
www.madderrose.ruhr.yi.org
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Pressefreigaben-
Mary Lorson & Saint Low
Aktueller Tonträger:
Tricks For Dawn
(Cooking Vinyl/Indigo)
 

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