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24.06.2002
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GEMMA HAYES

Zwei Seelen - ach! - in ihrer Brust

Gemma Hayes
Daß Gemma Hayes die irische Antwort auf Kylie Minogue sein soll, stimmt nur insofern, als daß vis-à-vis gewisse optische und typustechnische Parallelen zur australischen Knuddelmaus nicht zu verleugnen sind. (Insbesondere mit ihren Augenbrauen vollbringt Gemma mimische Wunderdinge.) Ansonsten aber wird die Chanteuse aus Tipperary - wohin es ja bekanntlicherweise ein weiter Weg ist - gerne mit wirklich jeder Frau verglichen, die schon mal eine Gitarre gehalten hat - von Beth Orton etwa, bis hin zu Joni Mitchell. Was sie tierisch nervt. "Damit wir uns nicht falsch verstehen", bringt sie dieses Thema mit einem leichten, und deswegen charmanten irischen Akzent auf den Punkt, "ich mag Joni Mitchell sehr, aber ich habe nie versucht, sie in irgendeiner Weise nachzuahmen. Wenn ich denn schon mit jemandem verglichen werden muß, dann würde ich mir wünschen, es wäre P.J. Harvey - und das auch weniger der Musik wegen, sondern weil ich die Art bewundere, in der sie ihren Weg geht."

Ihren Weg gehen wird mit Sicherheit auch Gemma Hayes. Denn es ist gar nicht so einfach, sie in eine Schublade zu stecken. Die erste EP, "4:35 am", war eine hingehauchte Folk-Angelegenheit, während die zweite, "Work To A Calm" eine ziemlich ruppige Schrammel-Rock-Affäre war. Die Debüt-CD, "Night On My Side", enthält nun beide Elemente - und mehr. "Am liebsten wäre es mir gewesen, ich hätte gleich eine Doppel-CD machen können", überlegt Gemma, "eine akustische und eine rockige. Denn das sind zwei Seiten von mir, die beide gleichwertig sind. Das ging aber aus Kostengründen nicht. Das nächste Mal wird es hoffentlich möglich sein." Gleichwertig hin oder her: Der musikalische Raum, in dem sich die in England zur Zeit als Flavour Of The Month gehandelte Songwriterin bewegt, ist nach allen möglichen Seiten offen. Da gibt es Anleihen beim Folk ebenso wie beim Alternative Rock oder sogar Ambient-Music. Vielleicht fangen wir aber mal mit dem Anfang an: Wo ist denn auf der CD das Klavier zu hören, mit dem sie laut Bio ihre musikalische Jugend verbrachte? "Ist das nicht seltsam?", fragt sie zurück, "aber ich habe alle meine Stücke auf der Gitarre geschrieben. Vielleicht kann ich ja mal wieder was für's Piano machen, wenn ich Geld genug habe, eines herumzutransportieren. Aber mal Spaß beiseite: Als ich anfing zu musizieren, war die Gitarre die einzige Alternative. Denn ich habe mit Straßenmusik begonnen." Das verwundert, denn die Klassiker des Songwriting kann man nicht direkt aus Gemmas Musik heraushören. Was nicht unbedingt ein Vorwurf ist, denn ihre Art, Songs zu konstruieren, ist sehr eigen. Obwohl ihre Stücke nicht direkt unmelodisch sind, haben sie andererseits aber auch keine poppigen Refrains zum Mitsingen. "Wenn ich einen Song schreibe, dann geht es mir mehr darum, eine Atmosphäre zu erzeugen", erklärt Gemma diesen Umstand, "nimm z.B. 'The Only One'. Da habe ich sehr lange dran herumlaboriert, bis mir dann der Gedanke kam, das Ganze als Sinnbild für den Flug eines Vogels zu sehen - und dann paßte alles [das Stück sollte ursprünglich wohl "Flight Of The Peregrin Falcon" heißen]. Die Melodie ist bei diesem Prozeß eher zweitrangig."

Gemma Hayes
Wichtiger sind da schon die extrem vielschichtigen Gesangsarrangements - während die Texte wiederum eher non-linear, skizzenhaft und sehr unspezifisch erscheinen - teilweise gar Mantra-artig wiederholt werden. "Das stimmt schon", bestätigt sie, "es ist dann auch so, daß ich nicht unbedingt eine Botschaft habe. Es geht mir eher um die kleinen Momente im Leben, die ich in meinen Texten vertone. Manchmal gibt es auch eine kleine Geschichte. Das kommt aber auf den Song an - der entscheidet letztlich, ob es eher um den Text gehen soll, oder ob er mehr Raum braucht." Es gibt noch einen anderen Grund für Gemmas Art, Songs zu schreiben. "Ich entdeckte die Songwriter erst nach den Bands. Als ich 15, 16 war, war ich eine von denen, die sich Bands anhörten und deren T-Shirts trugen. Auf der Straße sang ich dann auch Stücke von Radiohead, Counting Crows oder den Waterboys. Erst in Dublin gab mir dann jemand ein Tape von John Martyn und ich begann, mich für Songwriter zu interessieren - Nick Drake, Joni Mitchell etc. Aber wie gesagt: Zuerst kamen die Bands. Ich wollte also nie von einer der beiden Musikrichtungen ablassen - sie aber auch nicht in einem Song zusammenpacken. Weil es sich da um unterschiedliche Biester handelt. Akustische Musik ist ruhig und braucht deine Aufmerksamkeit. Rockmusik ist farbenfroher und GROSS. So kam das auch mit den unterschiedlichen EPs zustande." Und wie geht das nun mit dem Songwriting Gemma Hayes Style? "Wenn ich mal die akustischen Songs außer acht lasse - die ich natürlich auf der akustischen Gitarre schreibe - erstelle ich die Songs für die Band als Demo mit einer Drum-Machine, Baß und ein paar Akkorden auf meinem 8-Track - und übergebe es dann den anderen." D.h. also: Das Arrangement wird gleich mitkomponiert? "In gewisser Weise ja", stimmt Gemma zu, "der Sound ist ein wichtiger Teil des Prozesses. Obwohl es manchmal nicht ganz einfach ist, das was ich im Kopf höre, einzufangen." Und welchen Anteil haben da die anderen Musiker? "Weißt du, das ist recht komisch", gibt sie zu, "wir spielen da zwar als Band - das ist notwendig, weil wir viele Sachen live eingespielt haben - übrigens auch ein Grund, warum so viele Stücke einfach ausgeblendet werden, was mir bei der Produktion gar nicht bewußt war. Aber wir kennen uns gar nicht richtig. Und es ist jedem klar, daß es um meine Musik geht und wir nichts machen, was ich nicht möchte. Die künstlerische Kontrolle ist mir schon sehr wichtig."

Gemma Hayes
Ist das auch der Grund, warum Gemma auf dem Source-Label gelandet ist (in bester Gesellschaft etwa von Air)? "Unbedingt", stimmt Gemma zu, "es ist wichtig, nicht zu groß anzufangen - zu viele Karrieren haben schon entsprechend geendet. Mir ist es wichtig, bei einem Label zu sein, wo man sich für Musik interessiert. Da geht's nicht um Äußerlichkeiten. Stell' dir mal vor, der Typ von Source, der mich ansprach, sah recht seltsam aus, hatte einen Vollbart mit Essensresten drin." Auch wenn das nicht unbedingt als Erfolgsrezept per se hergenommen werden darf, bewies Gemma mit der Entscheidung für diesen Schritt sicherlich ein geschicktes Händchen. Denn Source hat genau die richtige Größe für diese Art von Acts. Stilistisch hat Gemma sicherlich noch nicht das Endstadium erreicht. So ist es ihr z.B. wichtig, immer wieder darauf hinzuweisen, daß sie sowohl elektrisch wie auch akustisch kann und möchte. Aber ihr Ansatz und die unkonventionelle Art, an die Stücke heranzugehen, birgt sicherlich einiges an Potential. Es ist ja auch irgendwie schön, daß mal jemand eben nicht mit einem großen Knall die Szene betritt, sondern gewissermaßen in Phasen. Und wenn man dann noch bedenkt, daß Kylie u.a. mit einer Coverversion von "Do The Locomotion" angefangen hat, ist Gemma musikalisch sicherlich schon ein ganzes Stück weiter.

Weitere Infos:
www.gemmahayes.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Gemma Hayes
Aktueller Tonträger:
Night On My Side
(Source/Labels/Virgin)
 

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