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05.08.2002
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SLUT

Aus Liebe zum Lärm

Slut
Als vor gut anderthalb Jahren ihr drittes Album, das grandiose "Lookbook", erschien, betraten die fünf Ingolstädter in vieler Hinsicht Neuland: Es war ihr erstes Album bei einer großen Plattenfirma, das erste, das nicht in den Semesterferien erstanden war, das erste mit einem klar strukturierten Konzept. Eine melancholische 60-minütige Tour de Force, eine filigrane, üppig produzierte Platte im Breitwand-Format, die hierzulande ihresgleichen suchte. Der nun erscheinende Nachfolger, "Nothing Will Go Wrong", ist ähnlich großartig - nur mit völlig anderen Vorzeichen. Christian Neuburger, Gerd Rosenacker, Matthias Neuburger, Rainer Schaller und René Arbeithuber - letztere zwei erfreuen sich auch mit Pelzig wachsender Beliebtheit - gehen nämlich anno 2002 wieder verstärkt als Rock-Band zu Werke und trennen sich auf der neuen Platte von ihrer experimentellen Seite, ohne dabei ihr Gespür für großartige Pop-Melodien gleich mit über Bord gehen zu lassen.

Deshalb sind "Nothing Will Go Wrong" und die neue Single "Time Is Not A Remedy" auch ohne große Gesten von ergreifender Schönheit, obwohl die Platte erfreulich laut ist, aber das hatte sich ja mit der im März erschienenen EP "Teardrops" bereits angedeutet. "Nothing Will Go Wrong" ist gerade einmal 39 Minuten lang und erinnert in seiner puristischen Härte an genau den Sound, den wir von dem Quintett seit ihrem 1996er Debüt "For Exercise And Amusement" immer seltener gehört hatten. Ein Kurswechsel, der für viele überraschend kommt. "Das ist schon oft die erste Frage: 'Ihr seid ja doch recht laut geworden - warum denn?' Allerdings ist es so, dass viele, die das fragen, einfach nur das letzte Album kennen. Früher haben wir ja schon andere Musik gemacht, das steckt also einfach in uns. Mit jedem Album etwas anders zu machen ist auch eine bewusste Entscheidung von uns", erklärt Sänger und Gitarrist Christian im Gespräch mit Gaesteliste.de in Köln. Einfach den erfolgreichen Weg der Vorgänger-Platte weiterzugehen, wäre für Slut dennoch nicht in Frage gekommen. "Ich finde, es ist ebenso ein Risiko, an etwas anknüpfen zu wollen und noch eins draufsetzen zu wollen, nur weil es gut angekommen ist. Ich halte das für genauso gefährlich, und so [mit Veränderung] ist es noch dazu spannender. Das sind allerdings eh Gedanken, die für uns im Hintergrund stehen. In erster Linie geht es ums Musizieren, ohne Rücksicht auf, ähm, Verluste! Trotzdem ist die neue Platte keine Rückbesinnung, denn wir haben sie ganz anders aufgenommen als früher, und auch die Lieder sind ganz anders entstanden. So schnell und so instinktiv haben wir das noch nie gemacht."

So kompromisslos die fünf allerdings an ihre Musik herangehen, so wichtig ist ihnen auch, dass die Balance stimmt. "Wir achten sehr darauf, dass es ein anderes Leben [neben der Musik] gibt", erklärt Christians Schlagzeug spielender Bruder Matthias. "Da gibt es bei jedem andere Interessen oder auch Jobs, die man nebenher macht, und das ist ein ganz bewusst gewählter Ausgleich, weil wir alle das Gefühl haben, dass wir das brauchen." Sich monatelang Sex, Drugs & Rock N Roll hinzugeben, ist ihre Sache nicht, ebenso wenig vor 70 000 Leuten den Clown zu machen wie etwa Robbie Williams. Als sich allerdings die Chance bot, als Supportact bei Robbie einzuspringen, waren Slut trotzdem zur Stelle. "Das ist eigentlich nicht unsere Kragenweite, aber wenn sich die Möglichkeit bietet, machst du das natürlich", meint Christian. "Das war ein einmaliges Erlebnis, davon werden wir wohl noch unseren Enkeln erzählen. Wenn man das zweimal machen würde, wäre es wahrscheinlich schon langweilig."

Das gilt auch für die Arbeit im Studio. "Bei 'Lookbook' war es uns wichtig, dass wir viel Zeit hatten. Weil wir dieses Mal viel live gemacht haben, das heißt, viel mit den üblichen Instrumenten gearbeitet haben, war klar, dass wir uns auch bewusst einen sehr engen zeitlichen Rahmen stecken mußten, damit wir gar nicht erst in die Verlegenheit kämen, uns dort zu verkünsteln. Wir haben deshalb auch zwei, drei Lieder, die bereits fertig aufgenommen waren, aber noch sehr nach 'Lookbook' klangen, letztendlich wieder über den Haufen geschmissen und durch neuere ersetzt. Allerdings war es kein Vorsatz, irgendetwas nicht mehr zu machen. Wir haben uns einfach beim Liedermachen auf die drei klassischen Grundelemente beschränkt und dabei gemerkt, dass man das ganze andere gar nicht braucht, weil für diese neuen Lieder völlig ausreicht, sie mit Gitarre, Bass und Schlagzeug aufzunehmen", weiß Christian, und Matthias fügt an: "Außerdem haben wir festgestellt, dass es wahnsinnig Spaß macht, Lieder so zu schreiben, dass man sie sich auch auf einer Bühne genauso vorstellen kann, ohne dass man sie noch groß umsetzen muss. Die Spielfreude, die sich dabei entwickelt hat, hat bei der ganzen Platte Pate gestanden." Dass ihre neuen Songs besser seien, glauben Slut allerdings nicht. Und davon, dass man mit mehr Keyboards, technischen Spielereien oder Streichern Schwächen beim Songwriting kaschieren kann, sind sie eh nicht überzeugt. "Ich finde: Wenn das Lied das zulässt, ist das durchaus legitim. Aber es kann im Gegenzug auch sehr viel kaputt machen. Ein Bespiel von der neuen Platte: Wenn wir das einzige ruhige Lied, 'Something To Die For', mit Streichern und Bläsersätzen ausstaffiert hätten, wäre es dabei draufgegangen. Wir haben dieses Mal sehr darauf geachtet, was die einzelnen Themen von der Akkordfolge her und gesangstechnisch hergeben." Wer nun erwartet, dass Slut analog zu beispielsweise The Notwist oder Tocotronic die vorderen Ränge der Verkaufscharts belegen, weil es ja inzwischen offensichtlich wieder einen Markt für deutsche Gitarrenmusik gibt, wird von Christian und Matthias gebremst. "Ich glaube, wir sind noch nicht so weit, und es wird uns auch keiner böse sein, wenn wir das nicht schaffen. Gerade mit dieser Platte dürfte es eh schwieriger werden, so etwas zu erreichen. Wir machen uns da auch keine Illusionen. Gott sei Dank haben wir aber auch seitens der Plattenfirma noch keinen Druck erfahren, es gab noch nicht einmal einen Wink mit dem Zaunpfahl."

Slut
Der Albumtitel "Nothing Will Go Wrong" ist übrigens die englische Variante des am häufigsten gebrauchten Satzes während der Aufnahmen: "Des passt scho so", und auf ihrer Homepage erwähnten Slut, dass sie fast schon froh gewesen seien, unlängst einmal ein Interview in bayrischer Mundart geben zu dürfen. Deshalb darf man vermuten, dass sie manchmal etwas neidisch auf ihre bajuwarischen Kollegen Sportfreunde Stiller schielen, die bekanntlich ihre Herkunft sehr geschickt und auf liebenswerte Art einsetzen? "Wir sind da immer hin und her gerissen", sagt Christian. "Wir machen oft die Erfahrung, dass Leute, die uns treffen, nicht damit rechnen, dass wir so 'normal' sind. Wegen unserer Musik rechnen viele wohl mit total verkorksten, tiefbetrübten, verqueren Typen. So wollen wir natürlich nicht gesehen werden und möglichst schnell mit solchen Vorurteilen aufräumen. Deshalb geben wir uns so, wie wir sind, und das ist halt doch eben eher lustig bzw. normal. Bei den Sportfreunden passt das halt perfekt zur Musik und es ist auch wichtig dafür. Bei denen ist die Musik - das ist nicht wertend gemeint - nicht so wichtig wie bei uns. Die verkörpern nicht nur eine Band, sie vermitteln auch ein Lebensgefühl, und das tun wir nicht. Bei uns steht die Musik im Vordergrund und wir selbst kommen erst an zweiter Stelle, und das ist auch super so. Der Unterschied ist nur: Die können halt immer auf die Kacke hauen, aber wenn wir zu lustig sind, werden die Leute skeptisch."

Apropos Sportfreunde Stiller: In den letzten Monaten war es fast unmöglich, die Sportfreunde im Fernsehen oder auf der Bühne ohne ein T-Shirt von entweder Slut oder Pelzig zu sehen. Gibt es da irgendwelche Absprachen, die diese Art der Kleiderordnung vorschreiben? "Wir machen das ja auch! Wenn wir mal im Fernsehen sind, zieht zumindest einer von uns ein Sportfreunde-T-Shirt an", erklärt Christian und fügt abschließend lachend an: "Der Unterscheid ist nur, dass wir nicht so oft im Fernsehen zu sehen sind!"

Weitere Infos:
www.slut-music.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Pressefreigaben-
Slut
Aktueller Tonträger:
Nothing Will Go Wrong
(Virgin)
 

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