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21.10.2002
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BOTANICA

Zeit, Geld und Freunde

Botanica
Paul Wallfisch, seines Zeichens Frontmann und Hauptsongschreiber der Formation Botanica, hat alle Hände voll zu tun - wenn er nicht gerade anderer Leute Platten produziert oder bei anderen Bands mitspielt, kümmert er sich um seine eigene Band, mit der er Musik in Richtung Nick Cave, 16 Horsepower, Tom Waits oder auch Jon Spencer Blues Explosion kreiert. Musik mit Tiefgang und schönen Melodien, vielschichtig und keine Durchschnitts-Pop-Nummern. Zur Band gehören Christian Bongers (Bass), Matt Flynn (Drums), Oren Kaplan (Gitarre), sowie einige Gäste - doch dazu später mehr.

Man sagt Paul nach, dass er nicht so gerne mit neumodischen Studio-Equipment umgeht, sondern lieber mit den alten Geräten hantiert. Warum eigentlich? Paul: "Früher habe ich die ganzen Songtexte lieber auf einer alten Schreibmaschine getippt, das hatte das gewisse Extra, aber inzwischen habe ich mich damit abgefunden, dass es per Computer doch schneller und einfacher geht. Wenn es um Studio-Equipment geht, dann bin ich immer noch der Meinung, dass die besten Sounds und die bestproduzierten Platten mit alten analogen Geräten gemacht worden sind und immer noch gemacht werden. Klar werden die neuen Geräte das alles mal übernehmen können, und ich bin kein ausgesprochener Gegner davon. Ich muss sogar zugeben, dass ich mich an die Arbeit mit Computern im Studio gewöhnt habe, vor allem durch meine Arbeit an einem Film-Soundtrack, bei dem alles digital aufgenommen und verarbeitet wurde." In einem Soundtrack findet man ja eher selten einen normalen Pop-Song wieder - wie schwierig ist es denn für Paul, Film-Musik zu schreiben? "Ich interessiere mich nicht so für Pop-Musik, vor allem nicht für diese kurzen, schnellen Nummern, obwohl ich mit Pop-Musik groß geworden bin und die Kinks immer noch liebe - manchmal überlege ich, ob wir bei Botanica nicht ab und zu mal etwas mehr Pop mit einbringen sollten. Ich empfinde es als sehr befreiend, so einen Sountrack zu machen, obwohl man natürlich auf präzise Zeitabschnitte im Film limitiert ist, aber es bedeutet auch, dass man viel freier beim Schreiben sein kann und man braucht sich vor allem nicht um die Vocals zu kümmern. Ich liebe diese Herausforderung, etwas völlig anderes zu machen. Vielleicht ist es sowas wie ein Parallel-Leben, denn ich will definitiv noch Musik machen, wenn ich 50/60 Jahre alt bin, aber ich will dann nicht mehr in Rock-Clubs herumspringen - was ich dennoch sehr liebe. Ich denke, in 20/30 Jahren wäre das dann nicht mehr besonders ehrlich, dort herumzuspringen. Es wäre klasse, wenn man von mir als jemanden spricht, der einfach Musik schreibt." Da hilft es natürlich, wenn man wie Paul einen klassischen, musikalischen Hintergrund hat... "Ja, das zieht sich durch meine ganze Familie - irgendwie spielt jeder ein klassisches Instrument. Ich bekam Klavier-Stunden bevor ich lesen konnte, habe das einige Jahre durchgezogen und als ich dann von Rock N Roll erfahren hatte - ich wusste damals gar nicht, dass es sowas überhaupt gab -, habe ich eine Sex Pistols-Platte geklaut und ein paar andere Scheiben ausgeliehen und natürlich laut aufgedreht - solange, bis mein Vater die ganzen Platten kleingehackt hat...das war dann erstmal meine kurze Rock-Karriere...", erzählt Paul.

Neben Botanica produziert Paul eine Menge anderer Bands (u.a. Sally Norvell), hängt mit Firewater ab, schreibt Soundtracks und scheint ständig unterwegs zu sein - wie schafft er es denn überhaupt, sich um seine eigene Band zu kümmern? Paul: "Das ist in der Tat sehr schwierig. Es hängt auch sehr viel von Zeit und Geld ab. Es ist traurig, aber wenn wir mehr Geld hätten, wäre auch mehr Zeit für die Band übrig. Die ganze Band versucht, von der Musik zu leben - das ist sehr hart, aber es geht irgendwie. Matt, unser Drummer, ist momentan viel mit den B-52s unterwegs, für ihn ist es also eher ein Zeit-Problem. 'With All Seven Fingers' hätte schon ein Jahr früher erscheinen können, denn die Songs waren im Prinzip fertig, nur fehlte es eben etwas an Zeit und Geld, um es letztendlich schneller einzuspielen. Je mehr wir arbeiten, desto glücklicher sind wir, und wenn wir jetzt noch mehr Zeit in die Band investieren könnten, wäre das wunderbar." Die Songs zum neuen Album wurden bereits im letzten Jahr geschrieben, Mitte dieses Jahres endgültig aufgenommen und abgemischt, und im Vergleich zum Vorgänger "Malediction" kann man der Platte auch anhören, dass hier eine eingespielte Band am Start war, "Seven Fingers" ist ein - für Botanica-Verhältnisse - Band-Album geworden. "Ja, das ist es auf jeden Fall, und was ich an den Aufnahmen wirklich geliebt habe, waren die Pausen zwischendurch. Wir haben irgendwann eine Auszeit genommen und haben eine Mini-Tour mit 12 Konzerten am Stück gespielt, und da haben wir bereits neue Stücke geschrieben. Als wir wieder im Studio waren, wollten wir eigentlich alles neu aufnehmen, weil durch die Konzerte wieder viele neue Ideen hinzugekommen waren, aber das haben wir letztendlich wegen der bekannten Zeit- und Geld-Knappheit sein gelassen. Beim nächsten Album wird es sicherlich einfacher werden, und wir hoffen, es bereits im Winter aufzunehmen", fügt er hinzu. Wenn man es dann auch noch schafft, die obligatorischen Gastmusiker mit hinzuzuholen, dürfte das tatsächlich schneller klappen - auf dem ersten Album war u.a. Daniel Ash (Bauhaus, Love & Rockets) dabei. "Das mit den Gästen passiert eigentlich von selbst - es sind im Grunde alles Freunde/Bekannte von mir. Kid Congo Powers spielte ja u.a. bei Nick Cave And The Bad Seeds, The Cramps, ich habe mal in seiner Band Congo Norvell mitgemacht und wir sind alte Bekannte, also hat er ein wenig Gitarre gespielt und backing vocals gesungen. Es ist fast schon ein Bandmitglied, aber im Grunde sind wir zu viert. Auf 'Seven Fingers' ist übrigens Al Sharpton im Gespräch mit meinem fünfjährigen Sohn zu hören - Al ist ein verrückter Prediger, er ist der Don King des christlichen New York! Auf der nächsten Platte wird es wahrscheinlich auch wieder den ein oder anderen Gast geben, ich würde z.B. sehr gerne mit einigen außergewöhnlichen Musikern aus New York ein paar Ideen einspielen, und ein Wunsch-Kandidat ist auf jeden Fall Warren Ellis von den Dirty 3! Es wird aber sehr schwer werden, ihn in's Studio zu bekommen, da er anscheinend immer unterwegs ist." Wenn man wie Paul sehr beschäftigt ist und dazu noch Songtexte zu schreiben hat, baut man sich mit Sicherheit ein ganzes Arsenal an Kurz-Notizen auf, um nicht alle Ideen sofort wieder zu vergessen. "Ja, das stimmt. Wenn ich nicht zu besoffen bin und ein Stück Papier herumliegt, wird die Idee sofort aufgeschrieben. Die erste Zeile eines Textes ist immer die einfachste, und wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht, wird man von so vielen Dingen inspiriert - dann aber die weiteren Zeilen zu schreiben, das ist oft sehr hart. Das kann Tage oder Monate dauern! Wenn ich dann manchmal nach Wochen ältere Zeilen wiederfinde, denke ich schonmal 'Wow! Das habe ich geschrieben?' - das ist übrigens ein sehr interessantes Gefühl, wenn sich der eigene Song beinahe so anfühlt, als wäre es ein Cover-Song! Manchmal frage ich mich allerdings wirklich, ob ich jemals wieder einen neuen Song schreiben kann...mag sein, dass es das ist, was einen immer wieder antreibt, weiter zu machen..."

Botanica
Ab dem 05.11. wird Botanica hierzulande von Gaesteliste.de präsentiert auf Tour sein - was kann man denn von einer Botanica-Live-Show erwarten? Paul: "Natürlich ein bewusstseinsveränderndes Erlebnis! Die Leute können uns dabei zusehen, wie wir das machen, was wir absolut lieben und 100%ig ernst meinen. Ich hoffe, die Leute werden von uns inspiriert sein und wollen nach dem Gig selbst Musik machen. Und wir werden natürlich die Dächer der Clubs wegblasen! Ich sage dies übrigens alles mit einer kleinen Prise Ironie..." Deswegen nennt sich die Tour auch "Terrorism Tour 2002"!

Weitere Infos:
www.botanicaisaband.com
Interview: -David Bluhm-
Fotos: -Pressefreigaben-
Botanica
Aktueller Tonträger:
With All Seven Fingers
(Subway/Alive)
 

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