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21.03.2003
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(HED) PLANET EARTH

Die Mutter Theresa des Hardcore

(hed) Planet Earth
Es ist viel passiert innerhalb der Dekade, die (hed) Planet Earth bereits existiert, viele Höhen und Tiefen, viele verkaufte Tonträger, noch mehr Drogen und Filmrisse. Sie waren auf Tour mit u.a. Metallica, Linkin Park, Slayer, Korn, Slipknot, Papa Roach und und und haben kräftig dabei gefeiert. (hed) Planet Earth galten als eine der hoffnungsvollsten Rap-Metal-Acts, das Album "Broke" hat sich bestens verkauft, aber irgendwann musste einfach ein Schnitt her - sonst wäre alles explodiert und es wäre nichts übrig geblieben. So kam es auch nicht von ungefähr, dass der langjährige Gitarrist Chad Benekos die Band verließ, als die Aufnahmen zum neuen Album "Blackout" gerade vorüber waren. Aber auch der Lebensstil der Band hat sich inzwischen gewaltig verändert. Sie sind clean und leben gesünder. Gaesteliste.de sprach mit Sänger Jahred und (Neu-)Gitarrist Sonny.

Jahred: "Ich kann mich ehrlich gesagt nicht an viel erinnern, denn auf den vergangenen Tourneen war ich die ganze Zeit mit Drogen und Alkohol zu, was mich persönlich in eine negative Person verwandelt hat, und ich habe die Leute um mich herum überhaupt nicht richtig wahrgenommen - diese Menschen schienen auch negativ gewesen zu sein. Aber jetzt ist es das komplette Gegenteil - ich bin jetzt happy, und die Leute um mich herum scheinen jetzt auch happy und cool zu sein..." "Ja, es gibt viel weniger Arschlöcher in der Welt, wenn man selbst kein Arschloch mehr ist!" pflichtet Sonny bei. Im Gegensatz zum Vorgänger "Broke" scheint man beim neuen Album "Blackout" mehr Wert auf den Gesang als auf die Rap-Einlagen gelegt zu haben, da tauchen Zeilen wie "They all love to see you fall, flat on your face", "I'm drinking and I'm losing all hope in you, I'm sinking and I'm out of control" oder "You are witnessing the falling of my pride, you are listening as I crumble from inside" auf... Jahred singt sich seine Erlebnisse der letzten Jahre von der Seele, wie es scheint. Jahred: "Ja, das neue Album ist textlich sehr persönlich ausgefallen, es handelt viel von der Selbstanalyse, die ich in den letzten Jahren vollzogen hatte. Von der Musik her haben wir diesmal versucht, einfach gute Songs zu schreiben - als ein Zuhörer der neuen Platte würde ich vermuten, dass die Band mir, dem Sänger, mehr Raum zum Singen gegeben hat. Der HipHop ist weniger offensichtlich, es ist mehr das HipHop-Gefühl an sich, das jetzt in den Songs steckt. Es war aber nicht so, dass wir von Anfang an den Plan hatten, weniger Rap einzusetzen und dafür mehr 'richtigen' Gesang, es hat sich von Song zu Song selbst entwickelt. Viele Dinge, über die ich in den Songs spreche, sind auch einfach besser zur Geltung gekommen, wenn ich sie gesungen und nicht gerappt hatte." Wenn es darum geht, Songtexte zu schreiben, hat Jahred meistens drei bis vier verschiedene Versionen für einen Song parat, bei der Aufnahme schmeißt er das alles aber sehr oft wieder über den Haufen und schreibt alles neu. Solch eine Vorgehensweise würde natürlich einen Aufnahmeprozess endlos lang und vor allem teuer werden lassen, also haben (hed) Planet Earth vorab fast alle Songs fertig geschrieben, und haben für "Blackout" einen Song pro Tag aufgenommen - u.a. auch aus Kostengründen. Was ist denn trotz all dieser Umstände immer noch die treibende Kraft, immer wieder Songs zu schreiben, immer wieder auf Tour zu gehen? Jahred: "Da ist irgendetwas in mir. Ich habe schon immer Musik gemacht, ich bin jetzt fast eine Dekade bei (hed), Musik läuft durch mein Blut, es ist ein Geschenk von Gott. Es wäre eine Sünde, dies zu ignorieren und vielleicht sogar ein Verfallsdatum darauf zu packen. In dieser 'Pop-Kultur' wollen die Leute ein Verfallsdatum auf Künstler stempeln - 'Wie alt bist du? Weg mir dir!'. Diese Tussi Mandy Moore - die vielleicht nett ist, und ich würde auch nichts dagegen haben, mit ihr ins Bett zu gehen - hat eine unglaublich lächerliche Aussage gemacht: 'Kids wollen Musik von Kids für Kids' Achja? Googoo, gaagaa - in anderen Worten: Kids wollen kein bisschen von ihrer Musik lernen. Sie wollen also nur bibibi, bäbäbäbä...und das ist genau die Musik, die Mandy macht...ich glaube aber schon, dass sie nicht absichtlich so eine lächerliche Aussage gemacht hat. Bob Marley wäre jetzt wohl so an die 60 Jahre alt, meinst du, dass irgendwer Bob Marley abschreiben würde, weil er inzwischen ein wenig zu alt geworden wäre??! C'mon!" Dann halten die Herren wohl auch überhaupt zu Recht nichts von Shows a la "Deutschland sucht den Superstar"? Sonny: "Wir kennen das ja aus Amerika. Das ist alles so maßlos, es hat nichts damit zu tun, dass jemand irgendetwas erschafft oder kreiert. Diese Leute wollen nur dort oben stehen, und sie haben so wenig Selbstwertgefühl - sie denken, dass sie alles dafür geben, nur um einen Song zu singen und ein Urteil von dieser sogenannten Jury zu bekommen. Bei uns kommt alles von innen, es ist etwas, das wir auf sehr lange Zeit machen wollen, und nicht, um mal in's Fernsehen zu kommen - denn das scheint ja das Ziel dieser Leute zu sein. Oder sie wollen nach Hollywood. Ich habe in Hollywood gelebt, und ich war froh, als ich nach Santa Monica gezogen bin..." Ist es denn nicht traurig, wie naiv diese Kids teilweise sind? Jahred: "Okay, die sind nicht alle komplett naiv. Es ist schon traurig, denn Kids haben einfach keine nötigen Selbstschutz-Mechanismen, um zwischen real und bullshit unterscheiden zu können - es strömt alles auf sie ein. Wenn du ein Baby bist und du eine Rassel hälst, dann ist sie ein Teil deiner Realität. Wenn man sie dir wegnimmt, existiert sie einfach nicht mehr. Wenn man dann älter wird, wird man sich über Dinge bewusst, das ist dies, das ist jenes, man ärgert sich, wenn man Dinge nicht bekommt. Mit dem Alter wird sich das alles natürlich relativieren. Klar gibt es auch ältere Menschen, die Pop-Musik kaufen - es gibt Musik für jede Stimmung. Wenn ich laufe, höre ich System Of A Down; wenn ich Gewichte hebe, höre ich Eminem. Und manchmal will man eben einfach nicht viel über die Musik nachdenken, man will sich einfach beruhigen. Man isst Dinge, die vielleicht nicht besonders gesund oder nahrhaft sind, aber man isst sie trotzdem, weil sie gut schmecken. Und so ähnlich ist es auch mit der Musik. Manchmal verfalle ich auch der Pop-Musik, obwohl sie vielleicht nichts in meiner Seele auslöst. Aber vielleicht muss nicht wirklich alles irgendetwas für deine Seele tun."

(hed) Planet Earth
Da stellt sich natürlich die Frage, was denn der ausschlaggebene Moment war, ein Musiker zu werden? Jahred: "Als Kid war ich auf jeden Fall von den Bands und Musikern fasziniert, die man im TV gesehen hat, und ich wollte das auch machen. Dann hatte ich diesen Plan aber lange beiseite gelegt, ich habe mich dann bis Anfang 20 mehr für Sport interessiert. Dann habe ich mich wieder daran erinnert, und es war, als ob mich ein alter Bekannter wieder gefunden hatte, und ich hatte den Sinn meines Lebens gefunden." Sonny: "Die Bratsche war mein erstes Instrument, dieser Sound hatte mich hypnotisiert, und ich dachte, dass es cool aussieht! Hey, ich war erst neun Jahre alt! Harharhar...dann habe ich mit dem Saxophon angefangen, weil es auch einfach cool ausgesehen hat. Dann habe ich James Hetfield von Metallica gesehen, wie er 'Master Of Puppets' gespielt hat. Und ich war hin und weg. 'Das will ich machen!!!' habe ich gebrüllt." Jahred: "Das ist alles sehr interessant, wenn man darüber nachdenkt...ich bin mir sicher, dass das damals, als du James gesehen hast, tausende Kids diesen Moment geliebt haben, aber es braucht diesen gewissen Funken, der dich dazu bringt zu denken 'Das will ich auch machen!', und nicht nur gut zu finden. Das rüttelt dich innerlich auf, und es bringt etwas an's Tageslicht, was schon lange darauf gewartet hat, herauszukommen. Okay, ich muss zugeben, dass ich anfangs nur darauf aus war, Mädels zu kriegen, akzeptiert zu werden, einfach populär zu sein - all diese Jugend-Dinge. Jetzt ist es definitiv nicht mehr so - jetzt ist es ein Weg, meine Rechnungen zu bezahlen, und in der Musik liegt die komplette Erfüllung meines Lebens. Ich kann große Dinge aus mir heraus kommen sehen, wenn ich mit Musik zu tun habe, besonders jetzt, wo ich nüchtern bin und mich für Buddhismus interesse. Ich fühle, dass die Musik ein Vehikel dafür ist, dass ich die Mutter Theresa des Hardcore sein kann!"

Weitere Infos:
www.hedpe.com
Interview: -David Bluhm-
Fotos: -Pressefreigaben-
(hed) Planet Earth
Aktueller Tonträger:
Blackout
(Jive/Zomba)
 

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