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27.03.2003
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MICHAEL WESTON KING

Bleib dran, Michael!

Michael Weston King
Der englische Songwriter Michael Weston King, auch bekannt als Gründervater der Good Sons, entfernt sich auf seinem neuen Solo-Album erstmals vom vorgegebenen Schema des "strikten Americana-Songs". Wer Michael kennt, der weiß, dass er ziemlich mit dem Stigmata des "struggling Artist" und "underrated Songwriters" zu kämpfen hat. Das neue Album heißt nun "A Decent Man". Ist er dieser "anständige, aufrechte Mann", der etwa eine See der Unbilden ankämpft? "Der 'anständige Mann' aus diesem Song ist jedermann, der ehrlich ist. Entweder das, oder ich bin ein fehlgeleiteter Perverser. Nicht wenige Kollegen, die den Text gehört haben, haben gesagt, dass sie nicht ehrlich genug gewesen wären, diesen Song zu schreiben, dass sie sich aber damit identifizieren könnten. Wir sind alle menschlich, und wir sind alles Voyeure. Wir möchten alle ein bisschen von dem, was wir eigentlich nicht haben sollten. Die 'Anständigkeit' kommt dann ins Spiel, wenn wir wissen, wo die Linie zu ziehen ist, und wann man aufhören muss. Der Grund, warum ich das Album so nannte ist der, dass es in meinem Umfeld einige Leute gibt, die durchaus der Meinung sind, dass einige meiner Handlungen in den letzten Jahren alles andere als 'anständig' gewesen sind. Es ist also auch ein ironisches Statement."

Das neue Album wurde von Michaels langjährigem Freund, Jackie Leven, produziert. Auch Jackies Band spielt auf dem neuen Album mit. Gerade dies scheint es zu sein, was die Songs von Michael aus dem gewohnten Umfeld herausreißt und auf eine neue Ebene hievt - ohne dass es gleich wie eine Jackie Leven Scheibe klingt. Insofern hat Jackie mit seinem Debüt als Produzent sicherlich gute Arbeit geleistet. Er selbst meinte sogar, dass er sich als eine Art "Mentor" für Michael sähe. Was sagt dieser denn dazu? "Nun, ich sehe ihn zunächst mal als Freund. Natürlich bewundere ich ihn musikalisch - aber auch als Person. Er hat dickköpfig an seinem Handwerk gearbeitet und macht großartige Scheiben - nicht immer unter einfachen Bedingungen. Ich habe mich immer zu Leuten hingezogen gefühlt, die 'auf des Messers Schneide' wandeln und mich von ihnen inspirieren lassen. Jackie gehört sicherlich in diese Kategorie. Townes (van Zandt) ist ein anderer. Wenn du Mentor als 'erfahrenen Berater, dem du vertrauen kannst' übersetzt, dann ist er das und ich habe diesbezüglich viel von ihm bekommen." Jackie sagte auch, dass Michael ein sehr guter Songwriter sei, er sich aber nicht sicher sei, ob sich Michael dessen bewusst sei. Wie sieht Michael das denn? "Ohne da jetzt überheblich klingen zu wollen: Ja, das weiß ich. Vielleicht sage ich das nicht oft, aber wenn ich auf mein Repertoire zurückblicke, dann bin ich verdammt noch mal stolz darauf. Es gibt gewisse Künstler, deren Fähigkeiten als Songwriter ich niemals erreichen werde (Elvis Costello, Ron Sexsmith, Townes etc.), aber andererseits gibt es momentan eine Reihe von Songwritern, die als Genies verehrt werden und wenn ich deren Werk mit meinem vergleich, komme ich zu der Einsicht, dass ich doch ein ganz guter Songwriter bin. Wenn du z.B. meine besten Songs gegen die von Ryan Adams, David Gray oder der Turin Brakes stellst, dann kann ich da prima mithalten - kein Problem." Nun, wie da Ryan Adams in diese Aufstellung reingeraten konnte, sollte man vielleicht noch mal diskutieren, aber im Prinzip hat Michael natürlich recht. Die Qualität des Songwritings hat nichts mit der Reputation zu tun. Wie lässt Michael sich denn inspirieren? Nehmen wir z.B. mal die Arrangements. "Es geht darum, das, was ich in meinem Kopf habe, wenn ich den Song schreibe, umzusetzen. Wenn mich z.B. der Song an einen bestimmten Stil oder Künstler erinnert, verwende ich das als Referenz und versuche, es umzusetzen. Nimm z.B. 'When You Leave The Spotlight' - da geht's um einen älteren, ausgebluteten Sänger, der nicht aufgibt; Angst davor hat, dass es still wird. Es kommen z.B. eine Menge älterer Soul Sänger nach England und spielen dort in Cabaret-Clubs. Das ist tragisch. Ich wollte also, dass sich der Song wie eine Soul-Ballade anfühlt - wegen des Themas und weil ich mir den 'ausgebluteten Sänger' vorstellte, wie er den Song vorträgt."

Michael veröffentlicht zeitgleich mit der neuen CD sein erstes Songbook. Das ist ein Buch mit den Texten und Tablaturen ausgewählter Songs sowie einigen Fotos und einem einleitenden Aufsatz. In diesem heißt es, Michaels Musik sei "ein schöner Soundtrack für eine moderne Generation" und gleichzeitig "Country Musik". Ist das nicht ein Widerspruch? Wenn überhaupt ist Country Musik doch eher zeitlos als modern (und wenn sie modern ist, dann ist es Garth Brooks-Mist). "Nun du weißt ja, wie die Journalisten sind - dichterische Freiheit und so. Ich sehe meine Musik nun wirklich nicht als 'Country', sondern als Songs die gleichermaßen von Pop, Rock und Soul beeinflusst sind. Ist das, was die Jayhawks auf ihren ersten Scheiben machen etwa Country? [Viele Kollegen würden das wohl mit einem klaren 'Ja' beantworten] Ist das, was Ryan Adams macht, Country? Wenn dem so ist, dann sind das moderne Künstler. Ich denke nicht, dass du sagen kannst, moderne Country Musik sei Mist, denn dann müsstest du auch sagen, dass moderne Pop-Musik Mist ist. Es gibt gute und schlechte Musik - ungeachtet des Genres. Du musst dir immer vor Augen halten, dass, als die großartigen Country Acts, die wir alle so verehren, ihre Sachen machten, gleichzeitig auch eine Menge Mist gemacht wurde. Auch in den 60s machten nicht alle so gute Scheiben wie die Beatles, Stones oder The Who. Was die moderne Country Musik betrifft, so wird der kritische Hörer sich Lucinda Williams, Gillian Welch o.ä. zuwenden, während der Mainstream-Hörer Faith Hill oder Shania hört. Es wird immer das selbe sein. Für denjenigen, der sich Lucinda oder Ryan Adams kauft, ist das der Soundtrack ihres Lebens. Darum gings in dem Text. Nenn meine Songs Country, Pop, Rock - was immer. Für einige ist das der besagte Soundtrack." Hier sollte vielleicht noch angemerkt sein, dass eigentlich keine Wertung mit dieser Frage verbunden war; dass in der Tat moderne Pop Musik der gleich Mist ist wie moderne Country-Musik; dass es zwar in den 60s auch Mist gegeben haben mag, aber längst nicht so viel wie heute und dass Shania und Faith von geschickten Marketing-Managern stromlinienförmig von Country-Girls in kommerziell relevante aber musikalisch beliebige Pop-Produkte umgebaut wurden.

Michael Weston King
Noch mal zu dem Thema: Ist eigentlich der Grund dafür, daß die neue Scheibe doch relativ anders klingt als das, was Michael bislang so gemacht hat, darin zu suchen, dass er auch von dem "Americana Image" weg möchte? "Ja, definitiv. Ich begann diesen Prozess mit 'Happiness' [der letzten Good Sons-Scheibe]. Obwohl, wenn ich zurückblicke, erkenne ich indes nur einige meiner Alben, die direkt Americana waren. Außerdem: So sehr ich auch die Byrds oder Graham Parsons liebe: Du kannst ihnen nur so und so viel Tribut zollen. Ich denke, dass ich das zur Genüge getan habe. Ich habe immer Musiker gemocht, die ihren Sound variieren, ihrem Stil aber treu bleiben. Mir ist es wichtig, dass sich die Arrangements und vielleicht auch die Instrumente, die ich einsetze verändern. Ich liebe Country und dieser Einfluss wird sich auch immer wieder einschleichen. Ich liebe aber auch andere Arten von Musik. Ich liebe gute, intelligente Pop Songs. Damit bin ich aufgewachsen - und das neue Album ist damit teilweise quasi eine Art Rückfall. Ich mag aber auch die Direktheit und die Intimität, in der ein Songwriter sein Herz ausschüttet und das wird auch immer in meiner Musik eine Rolle spielen." Man wagt es diesbezüglich kaum zu fragen, aber ist der Song "Always The Bridesmaid" (was soviel bedeutet wie "Immer die zweite Geige spielen") so etwas wie das Eingeständnis dessen, dass es schwierig ist, das angestrebte Ziel zu erreichen? "Das beantworte ich gerne. Es ist eine Metapher für viele Künstler. Diejenigen, die großartige Künstler und Songwriter sind, die aber unbekannt oder Kultfiguren sind, deren Musik aber ihr gewählter Weg ist, der zuweilen schwierig zu beschreiten ist. Es ist ein Weg, der keinen finanziellen Lohn birgt, der dein Privatleben gefährdet. Man muss genug Glauben an sein Talent haben und den Zuspruch einer kleinen Fan-Gefolgschaft, um das durchstehen zu können. Ich habe mich oft so gefühlt und tue das manchmal immer noch. Aber wie Townes mir riet: 'Bleib dran, Michael, bleib dran'. Ich bleibe dran - das ist alles langfristig angelegt. Jetzt ist es eh zu spät um aufzuhören. Ich werde schon ans Ziel kommen. Jedenfalls an eines, mit dem ich glücklich bin." Ein Teil des Problems ist ja sicherlich, dass immer die gleichen Leute (die kleine Gefolgschaft von Fans) zu den Konzerten kommen - kaum neue und schon gar keine Frauen. "Wir sind halt nun mal häßliche, mittelalte Herren. Frauen sind zu klug, Geld für einen Abend in unserer Gesellschaft auszugeben - sie wollen lieber Spaß haben. Es hängt aber auch vom Land ab. In den USA gibt's mehr Frauen bei Singer-Songwriter-Konzerten. In Deutschland ist das wie in England. Unser Publikum sind Männer, die es mögen, anderen Männern mit Schmerzen und einer akustischen Gitarre zuzuhören. Ich mag das jedenfalls. Wir arbeiten in einem Genre, das seine Wurzeln bei Hank Williams, Bob Dylan und Gram Parsons hat und was wir tun, wird den Leuten gefallen, die denen diese Künstler auch gefallen. Und das sind eben keine Frauen - schon gar keine jungen Frauen. Wie man das ändern könnte, weiß ich auch nicht. Bei mir sind vielleicht ein paar mehr Frauen im Publikum, weil ich mit dem guten Aussehen eines Tom Cruise gesegnet bin?" Nun gut, wie geht's denn weiter - musikalisch gesehen? "Ich wollte immer schon mal ein Album machen wie Scott Walker in den 60s - groß, orchestral, Streicher, Pauken, sehr dramatisch. Ein richtiges Sänger-Album. Wir müssen mal sehen, ob das Budget beim nächsten Mal dafür ausreicht. Ich habe es sehr genossen, mit Jackie zu arbeiten und kann mir schon denken diesen Prozess in Zukunft noch mal zu wiederholen. Ein weiterer Gedanke wäre z.B. ein Album mit Stücken, die ich mit anderen Musikern zusammen geschrieben habe. Ich würde alles singen - vielleicht mit ein paar Duetten. Da ich immer alleine schreibe, denke ich, dass das sehr interessant sein könnte und einige tolle Songs dabei herausspringen könnten. Ich plane auch - sofern ich Zeit dafür finde - ein Projekt mit meiner Lebensgefährtin Lou Dalgleish. Es soll 'My Darling Clementine' heißen und sie soll 5-6 Songs für mich schreiben und ich 5-6 für sie. Es könnte sehr interessant werden - oder aber ein Desaster. Wir werden sehen."

Weitere Infos:
www.michaelwestonking.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Michael Weston King
Aktueller Tonträger:
A Decent Man
(Twah!/Cargo)
 

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