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21.05.2003
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SARAH JANE MORRIS

Janis Joplins Schwester

Sarah Jane Morris
Sarah Jane Morris ist zäh, das muss man eingestehen. Ihre Laufbahn weist einige - sagen wir mal - Unebenheiten auf, an denen ungeduldigere Geister schon lange zerbrochen waren. Nicht nur, dass sie 1986 als Duettpartnerin von Jimmy Sommerville mit einer Cover-Version von "Don't Leave Me This Way" jenen Über-Hit zu verkraften hatte, der alleine schon gereicht hätte, ihrer Karriere aufgrund der Einzigartigkeit des Phänomens den Todesstoß zu versetzen (wie der von eben Jimmy Sommerville) - nein, es folgten seltsame Eskapaden wie Popstar-Status in Italien, Nummer-Eins-Hits in Griechenland, Gastauftritte bei sowohl Matt Bianco wie auch Peter Hammill und Jazz Projekte mit z.B. Marc Ribot. Von den ersten Anfängen 1982 als Sängerin in der in der Afro-Latin-Caribic-Band The Republic bis zum aktuellen, selbst geschriebenen und produzierten Album "Love And Pain" ist es nicht nur ein langer, sondern auch ein verzweigter, verwirrender Weg.

Aber vielleicht ist gerade diese stilistische Unstetigkeit - zwischen Jazz, Blues, Soul und immer wieder Pop in den verschiedensten Ausprägungen - ja gerade Sarahs Markenzeichen? Das erste, was beim neuen Album auffällt, sind die Querverbindungen zum '96er Album "Heaven". Nicht nur, dass dieses - wie das neue Werk - einige ihrer Trademark-Songs wie "I Am A Woman" enthält, nein, dort trägt sie auf dem Cover ein ähnliches Gras-Kleid, wie im Booklet der neuen Scheibe. "Oh, das Kleid ist von Heather Ackroyd und Daniel Harvey", erzählt Sarah, "das sind gute Freunde von mir und die führenden 'Gras-Skulptoren' der Gegenwart. Alles, was du auf dem Cover siehst, ist aus Gras gemacht. Sie arbeiten mit einer Technik, bei der sie Fotos auf wachsende Grasflächen projizieren, so dass eine Art lebendes Bild entsteht." Hat denn das Medium Gras irgendetwas mit dem Werk der Songwriterin Sarah Jane Morris zu tun? "Bei 'Love And Pain' geht es für mich um eine Reise", erklärt Sarah, "des weiteren hat fast jeder Song den ich singe irgendwie mit dem Himmel oder mit Engeln zu tun. Aber, ich stehe mit beiden Beinen fest auf dem Boden, obwohl ich zum Himmel aufschaue und nach Frieden suche. Das wollten wir mit der Gras-Thematik einfangen. Indem wir also 'Liebe und Schmerz' ins Gras wachsen ließen, arbeiteten wir auch mit den Gegensätzen. Das grüne, gesunde Gras steht für die Liebe und das braune, verdorrte für den Schmerz."

Das sind ja schon eine ganze Menge Themen - wie fügen diese sich denn in das Gesamtkonzept ein? "Ich wollte nicht, dass die Leute zu viel Negatives in den Begriff 'Schmerz' hineinlesen. Denn Schmerz kann vieles sein. Auf dieser Scheibe geht es um die Widersprüche, die es mit sich bringt, eine Frau zu sein. Ich bin jetzt in einem Alter, in dem ich es mir erlauben kann zu sagen, dass ich durch Beobachtung von anderen und mir selbst herausgefunden habe, dass wir tatsächlich sehr widersprüchlich sind. Aber anstatt das jetzt irgendwie schlecht zu machen, wollte ich es auf dieser Scheibe irgendwie preisen - denn so sind wir nun mal." Und das tut Sarah dann auch - ohne erhobenen Zeigefinger und auch ohne irgendwelche Lösungen parat zu haben. Was man auch als typisch weiblichen Charakterzug bezeichnen könnte. (Zumindest auf das Songwriting bezogen). "Ja, bei jeder einzelnen Zeile, die ich für die Texte schrieb, gibt es keinerlei Antworten. Ich wünsche mir, dass ich noch auf meinem Todesbett Fragen stellen werde. Ich zeige nur Widersprüche auf", führt Sarah aus, "nimm z.B. den Song 'It's Jesus I Love'. Als Frau sollte ich eigentlich eine Stütze der Gesellschaft sein. Um anerkannt zu sein, müsste ich eigentlich eine Kirchgängerin sein. Wenn ich also singe, dass ich Jesus liebe, aber heute Nacht den Teufel brauche, dann geht es da um Sex und Lust. Der Teufel steht für alles, was eine Frau eigentlich nicht sein sollte. Und das ist ja wohl in jeder Frau. Wir brauchen das Tier in uns, um andererseits respektabel zu sein. Wenn ich diesen Song also vortrage, bekomme ich auch immer viel Zuspruch. Es geht keinesfalls darum, mich über Gott lustig zu machen - Gott hat eh einen Sinn für Humor, da bin ich mir sicher. Es geht darum klarzustellen, dass Frauen sich in einer Art Niemandsland befinden. Wir wollen so viele Sachen auf einmal sein. Und ich denke, dass dieser Song das einfängt."

Sarah Jane Morris
Okay - das ist der eine Aspekt. Was hat es aber mit der Bemerkung der "Reise" auf sich, die Sarah in den Songs der neuen Scheibe wiedergeben zu sehen scheint? "Es war in meinem Kopf eine Reise - vielleicht nicht so sehr für den Hörer", räumt Sarah ein, "es ist ähnlich wie auf meinem Album 'Fallen Angel', während dessen Aufnahme mein Vater gestorben ist. Das war ein sehr zorniges Album für mich und es ging darum, mich mit meinen Dämonen auseinanderzusetzen. Letztendlich erkenne ich, dass ich am Ende einer Reise angekommen war. Auf der neuen Scheibe ist es deswegen eine Reise, weil ich meinen eigenen Kopf erforsche und die Position, die ich im Leben einnehme. Es reicht vom Opener, dem Titeltrack, in dem es um eine beinahe masochistische Beziehung geht, bis hin zum letzten, 'Fields Of Wheat', den ich für eine Freundin geschrieben habe, die Selbstmord begangen hat - was ja ein Tabuthema ist. Es handelte sich bei dieser Freundin um eine phantastische Schauspielerin auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, die einfach nicht damit zurecht kam, was in ihrem Privatleben passierte. Es geht in diesem Song um Unschuld, Natur, Schönheit, Freiheit - deswegen das Bild des Weizenfeldes -, Erlösung und andererseits um die Emotionen, die zurückbleiben, wenn jemand Selbstmord begeht. Die Stimmen am Ende sind praktisch wieder Engel, die diese Freundin im Himmel willkommen heißen."

Das sind auch wieder die Engel. Woher kommt denn eigentlich diese Vorliebe? "Ich habe ja sogar mein Label 'Fallen Angel' genannt", führt Sarah aus, "Ich sehe Engel als Leute aus deinem Leben, als Freunde. Engel sind viele Dinge. Engel sind dein Gewissen, das dir hilft. Es können Leute sein, die in deinem Leben eine Rolle spielen. Ich habe lange Zeit mit diesem Gott-Ding herumgekämpft. Am Ende habe ich akzeptiert, dass ich glaube. Nicht notwendigerweise an Gott, aber an das Gute im Menschen und daran, dass am Ende das Gute siegen wird. Dieses Bild ist für mich eine Art Schutz. Es heißt auch, dass ich eine schwierige Reise hinter mir habe, weil ich immer so gutgläubig bin, weil ich die Gefahr nie erkenne. Aber ich denke auch, dass dies für mich viele Türen geöffnet hat und es mir auch ermöglichte, so viele magische Dinge zu erleben. Als Beispiel möchte ich hierfür den Song 'Innocence' anführen. Diesen habe ich als Wiegenlied für meinen Sohn geschrieben. Der Gedanke war dabei: Was kann ich ihm mitgeben, das sich für ihn als Stärke herausstellt? Und was mir dazu einfiel war die Botschaft, dass - wenn du es zulässt, dass deine Unschuld dich einhüllt, sie dich auch beschützen kann. Das ist mir jedenfalls so gegangen. Ich erinnere mich noch daran, wie mein Vater sich darüber verwundert zeigte, dass ich einerseits bei den Aufständen in Brixton mitkämpfte und auf der anderen Seite an Feen glaubte. Er hat diesen Widerspruch erkannt, und das war die Unschuld. Und diese habe ich heute immer noch. Mag sein, dass manche Leute das ausnutzen, aber andere - wichtigere - tun es nicht. Und das hat für mich zu einigen wundervollen Reisen geführt."

Nicht nur in diesem Sinne scheint Sarah Jane Morris immer wieder zu ihren Themen zurückzufinden. Auch musikalisch scheint sie mit dem neuen Album einen Bogen geschlagen zu haben, der all ihre Vorlieben einzuschließen scheint. Neben ihrem Ehemann, Ex-Pogue David Coulter, spielen alte Weggefährten wie die Posaunistin Annie Whitehead , Pianist James Halliwell sowie ihre musikalischen Partner Martyn Barker (Shriekback) und Calum MacColl (der Bruder von Kristy MacColl) mit. Wie ist denn dieses Album entstanden? "Das Album entstand hauptsächlich mit Martyn Barker", erinnert sich Sarah, "wir hatten abgemacht, uns einmal im Monat zu treffen, um in seinem Studio zu arbeiten. Ich muss gestehen, dass ich keine Zeit gefunden hatte, meine Texte zu schreiben. Die einzige Möglichkeit für mich war also auf der Zugfahrt zu ihm zu schreiben. Ich wusste, dass Martyn schon einige Loops gemacht hatte. Als wir uns dann trafen, haben wir uns zusammengesetzt, er hat mir seine Loops vorgespielt und ich habe dazu gesungen. Wir sind dann zu Calum MacColl gegangen und haben die Songs ausgebaut, weil er so viele Instrumente spielt. Jeder Song benötigte also einen Tag zum Entstehen - aber das Album ein ganzes Jahr." Es gibt nun auf dem neuen Album alle möglichen Stile - vom simplen Folk-Song über jazzige Sachen bis hin zum mondänen Funk-Pop. Wie paßt das denn alles zusammen? "Ich bin musikalisch in den 70s aufgewachsen", erinnert sich Sarah, "in den 70s hattest du alles von Captain Beefheart bis Janis Joplin, Marvin Gaye, Stevie Wonder, Johnny Guitar Watson, The Meters, Earth Wind & Fire. Ich habe immer die rhythmischen Sachen mehr gemocht. Nichts davon war wirklich melodisch. Aber der Rhythmus kommt daher. Meine Melodien kommen vom Soul, vom Jazz und ein wenig vom Folk. Ich liebe alle Arten von Musik, aber ich hatte keine Formale Ausbildung. Alles was ich tue, kommt aus meinem Bauch und vom Gehör - nicht vom Wissen. Das ist auch der Grund, warum ich nicht einfach eine simple Jazz-Sängerin geworden bin. Ich habe deswegen aber auch keinerlei Grenzen. Mich bewegt alles: Blues, Rock, R'n'B - einfach alles."

Sarah Jane Morris
Auf dem Album gibt es einen Track namens "A Horse Named Janis Joplin". Was hat es denn damit auf sich? "Ich bin ja auch eine ausgebildete Schauspielerin", berichtet Sarah, "und ich hatte verschiedene Male die Gelegenheit, Janis Joplin zu spielen. Zuerst in einem Projekt meiner Freundin, der Regisseurin Antonia Bird, was aber nicht klappte, da die Rechte an ein Musical vergeben wurden. Zuletzt dann in einem Filmprojekt, wo eigentlich Melissa Etheridge vorgesehen war. Aber wie das manchmal so ist: Melissa Etheridge brannte mit der Frau des Produzenten durch. Da dachte ich, dass das war, was Janis Joplin gemacht hätte. Ich bin ja schon öfter mit Janis verglichen worden: Rote Haare, unkontrollierbare Energie auf der Bühne und so - so dass ich mich um die Stelle bewarb. Es sah lange so aus, als bekäme ich auch die Rolle. Aber dann wurde die Rolle Britney Spears angeboten. Sie hat das zum Glück nicht angenommen, das Projekt wurde auf Eis gelegt, aber ich bin aus allen Wolken gefallen. Im Rückblick bin ich froh, dass es nicht geklappt hat. Ich meine: Die haben die Rolle Britney Spears angeboten - was hätten die aus dem Material gemacht? Ich habe mir dann überlegt, wie ich denn dieses Thema in einem Song verarbeiten könnte. Ich habe mir dann überlegt, dass mir kein Song einer Songwriterin zum Thema Spielen eingefallen wäre. Deswegen kam ich auf die Idee mit dem Bild von Janis als einem Pferd, auf das ich setzen würde. Denn wie ich ist auch Janis oft ein Wagnis eingegangen. Am Ende ist es dann auch ein Tribut geworden, denn irgendwo läuft Janis Music durch meine Venen. Es ist das, was mich zum Durchhalten angeregt hat. Sie war für mich eine Inspiration, denn es gelang ihr, ihren Schmerz in Noten umzusetzen. Ich sage also: Ja, Schwester, ich habe dich zwar nicht spielen dürfen, dir dafür aber diesen Song geschrieben. Vielen Dank."

Weitere Infos:
www.sarahjanemorris.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Sarah Jane Morris
Aktueller Tonträger:
Love And Pain
(Fallen Angel/Indigo)
 

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