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02.07.2003
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LILIUM

Die unausweichliche Welle

Lilium
"Lilium" - die "Lilie" nannte Pascal Humbert, der wackere Bassist der ernsthaftesten aller mythischen Folkrockbands, 16 Horsepower, sein "Side-Project". Und wie bei einer Blume so kann man auf dieser CD von Song zu Song, Lage auf Lage, Blatt für Blatt immer wieder neue Nuancen und Farben entdecken. Was zunächst als rein instrumentale Fingerübung begann, hat sich im zweiten Durchgang, mit zahlreichen mehr oder minder populären Gastsängern, zu einem soliden zweiten Standbein für Humbert und seinen Kollegen, 16 HP Drummer Jean Yves Tola entwickelt. "Short Stories", das aktuelle Album, ist eine Sammlung von Songs, zu denen Humbert und Tola die Musik schrieben, und dann eine Reihe von gleichgesinnten Kollaborateuren baten, zu eigenen Texten Gesangsbeiträge beizusteuern. Dazu gehörten z.B. die Sängerin Kal Cahoone von der befreundeten Band Tarantella, Tom Barman von dEUS oder 16 HP-Sänger David Eugene Edwards.

Wie kam es nun zu der Idee, ein Album in dieser Form zu gestalten? "Auf den Titel des Albums kamen wir erst später", erklärt Jean Yves, "als wir die Scheibe abmischten, erkannten wir, dass diese CD wie ein Buch mit Kurzgeschichten war. Der gemeinsame Nenner hierbei sind die verschiedenen Autoren der Songs, die ihre Geschichten erzählten. Jeder Schreiber erzählt eine andere Geschichte, aber ich denke, dass es hierbei um die Liebe geht - im weitesten Sinne." Inwieweit unterscheidet sich denn dieser Ansatz davon, eine CD etwa als Roman aufzufassen, bei dem man dann alles selber schreibt? "Also diese Frage verstehe ich nicht", überlegt Jean Yves, "ich bin jetzt 20 Jahre mit Pascal befreundet. Das mussten wir irgendwie dokumentieren. Wir haben ja schon in vielen Bands zusammengespielt, aber das ist das erste Mal, dass wir dazu kamen, ein ganzes Album zu machen, bei dem die ganze Musik von uns ist. Insofern haben wir durchaus alles selbst gemacht." Na gut, vielleicht ist diese Scheibe ja zugleich eine Sammlung von Kurzgeschichten, wie ein abgeschlossener Roman? Es fällt jedenfalls schon auf, dass die Songs, obwohl jedes Stück - durch die verschiedenen Sänger - einen anderen Charakter hat, der Gesamteindruck des Albums als solches durchaus kohärent ist. Wie sind denn die Songs entstanden? "Zunächst mal über einen Zeitraum von über zwei Jahren", berichtet Jean Yves, "einen Song [das letzte Instrumental] haben wir z.B. vor einer langen Zeit für den Soundtrack eines Films geschrieben, den es dann nie gab. Wir haben das Kernstück jedes Stücks mit dem Bewusstsein geschaffen, dass es sich später beim Aufnehmen und Mixen ändern würde. Das mussten wir tun, da wir eine Menge verschiedener Leute angesprochen haben. Wir haben dann um ein Feedback und deren Vorstellungen gebeten und sind anschließend [außer mit Tom Barman] direkt mit jedem ins Studio gegangen und haben mit ihnen weiter am Song gearbeitet. Die Sänger hatten immer ihre eigenen Texte und wir haben uns dann alle zusammen bemüht, das Beste daraus zu machen."

Wessen Idee war denn die Sache mit den Sängern? "Ich hatte diese Idee schon vor ein paar Jahren", sagt Jean Yves, "Pascal war sofort dafür und wir haben dann begonnen, an den Stücken zu arbeiten und uns dabei die Leute vorgestellt, mit denen wir gerne zusammenarbeiten wollten. Ich mag schon Instrumental-Musik, aber der Gedanke hierbei war der, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die ich wirklich mag und bewundere." Was ist denn in diesem Zusammenhang heutzutage die Funktion der übriggebliebenen Instrumental-Titel? "Wie ich schon sagte, ich mag das immer noch", überlegt Jean Yves, "Ich denke aber, dass einige Songs einfach nach einer Stimme verlangen, während das andere nicht tun. Es gibt dafür anderweitig eigentlich keine weiteren besonderen Gründe. Die Inspiration für alle Stücke - egal ob mit oder ohne Stimmen - ist immer das Gleiche: Das Leben und alles was dazugehört und das Bedürfnis, die Musikwelt zu erforschen." Gab es denn keine Bedenken, dass man sich aufgrund der verschiedenen Sänger nicht als einfach zuzuordendes Projekt präsentieren würde? "Ehrlich gesagt, stelle ich mir niemals Fragen wie diese, bevor ich fertig bin", blockt Jean Yves ab, "wir machen das, von dem wir im Moment denken, dass es richtig ist. Dann entstehen erst Fragen. Wir waren sehr offen und ehrlich bezüglich des ganzen Projektes. Jeder wusste im voraus, auf was er sich einließ. Und ich denke auch, dass jeder mit dem Ergebnis zufrieden ist." Was wohl bedeutet, dass es die üblichen Vorbehalte und Ego-Probleme, die zuweilen in Musiker-Kreisen Kollaborationen eher behindern, in diesem Falle nicht gegeben hat. Wie wurden denn eigentlich die Stimmen und die Songs zusammengeführt? "Nun, ich unterscheide Stimmen nicht nach Geschlechtern", erläutert Jean Yves, "eher nach Tonlage und Stimmumfang. Wir haben dann die Stücke den Leuten gegeben, zu denen sie unserer Meinung am besten passten. Wir kannten sie ja gut und wissen, wie sie arbeiten. Sie hatten natürlich auch die Freiheit 'Nein' zu sagen - was aber nicht vorkam."

Lilium
Reizt es Jean Yves denn nicht auch, selber Texte zu schreiben? "Bislang war mir das nie ein Bedürfnis. Ich schreibe zwar gerade an einem Kinderbuch, aber nicht an Texten. Vielleicht später einmal!" Und wie kamen die verschiedenen Kollaborationen zustande? Z.B. mit Tom Barman? "Ich bin mit Tom schon seit ein paar Jahren befreundet. Ich habe immer bewundert, was er als Künstler und Sänger leistet. Er war der erste, den wir fragten und er hat einen tollen Job gemacht. Es lief alles per Post und dauerte ein Jahr. Tom, wenn du das liest: Danke noch mal." Und wie sieht es mit dem Beitrag von Dana Colley und Billy Conway von Morphine aus? Das sind ja keine Gesangsbeiträge, sondern ein Instrumental-Stück. Hätte man das denn nicht selber spielen können? "Das ist eine komische Geschichte", erinnert sich Jean Yves, "Als ich dieses Stück eines Tages schrieb, musste ich gleich an Morphine denken. Als wir uns entschlossen, es dann umzusetzen, war Mark bereits tot. Wir fragten also Dana und Billy, die auch gute Freunde von uns sind. Es war ziemlich schwierig zusammenzukommen, weil sie wie auch wir ziemlich beschäftigt sind. Als wir in Denver waren, fanden wir heraus, dass sie am gleichen Abend eine Show spielen würden. Wir riefen also an und sie sagten zu, nach der Show vorbeizuschauen. Es war sehr spät, aber wir haben's geschafft. Wir hatten nachher über eine Stunde Material, das wir dann editierten. Ich denke, dass es einfach so passieren sollte. Ich möchte dieses Stück definitiv ihnen und Mark widmen und hoffe, dass er es hören kann - wo immer er ist - und es mag!" Gibt es eigentlich einen besonderen Grund dafür, dass die Musik von Lilium - wie auch die von 16 HP - so schwermütig ist? "Ich arbeite immer auf dieselbe Weise", versucht Jean Yves das zu erklären, "eigentlich gibt es keine Regeln. Die Musik diktiert immer, was als nächstes passiert. Eine Sache führt zur anderen und wir tun, was immer notwendig erscheint. Ich denke also, dass es das ist, was mir machen. Es ist die Art von Musik, die wir momentan gerne schreiben möchten." Die nächste 16 HP-Scheibe - ein Re-Release der Aufnahmen, die ihnen schließlich ihren Plattenvertrag (damals noch bei der Industrie) einbrachten, wird noch ein wenig auf sich warten lassen, da momentan noch am Artwork gearbeitet wird. Welchen Stellenwert hat denn das Artwork bei Lilium? Das Cover zeigt ja das Gemälde eines Schiffes. "Pascals Frau hat das Bild gemalt. Wir beide mögen ihre Arbeiten und haben uns für dieses Bild entschieden, das für mich eine Art unausweichliche Welle symbolisiert, die etwas enthüllen wird, etwas gebären wird. Das Motiv hat etwas unausweichliches und ich denke, dass es das perfekte Cover für diese Scheibe ist, weil ich denke, dass diese hoffentlich auch etwas Überraschendes enthüllen wird."

Weitere Infos:
www.16horsepower.net/sideprojects/shortstories.shtml
www.16horsepower.net
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Lilium
Aktueller Tonträger:
Short Stories
(Glitterhouse)
 

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