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27.09.2000
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CHESTER

Vor nichts Halt machen

Chester
Chester kommen aus Köln. Also aus Deutschland. In Deutschland macht man keine Popmusik. Und wenn doch, wird man nicht ernst genommen. Was tut man in einem solchen Fall? Da gibt es genau drei Möglichkeiten: Herumkrebsen bis man die Lust an der Musik verliert oder Profi-Musiker für Galas und Familienfeste wird (was auf's gleiche rauskommt), zufällig Erfolg haben und sich an die Industrie verkaufen, bis man ausgelutscht wieder ausgespuckt wird oder abhauen. Für letzteres entschlossen sich Chester und gingen nach London. Mag sich widersinnig anhören, da England ja die Mutter aller Gitarrenpop-Bands ist und man davon ausgehen dürfte, daß eine deutsche Band deswegen dort nun wirklich keine Chance hat - doch weit gefehlt.

"Es ist in London viel leichter Gigs zu bekommen als hier", meint Sänger Olaf Didolff. Auch das hört sich seltsam an, denn auch da hat man schon anderes gehört. "Man muß allerdings ein Produkt haben", räumt Olaf ein. Und das ist vorliegende, selbstproduzierte CD "Stop For Nothing". Und noch einen Stich haben Olaf und seine Jungs im Ärmel: "Wenn wir sagen, daß wir mehrmals auf persönliche Einladung mit Ocean Colour Scene (und anderen Acts wie 3 Colours Red oder Marla Glen) getourt haben, dann sieht man uns gleich mit ganz anderen Augen." Auch die britische Presse hat Chester bereits entdeckt. So gab es z.B. einen wohlwollenden Artikel im Szene Magazin "Disorder" mit ganzseitigem Foto und der Aussage des Schreiberlings, daß Chester "unbelievably" eine gute Band aus Deutschland sei. Sowas ist schon viel wert, da man in England - im Gegensatz zu hier - die Popmusik als vollwertigen Teil der lebenden Kultur akzeptiert und nicht als Accessoire betrachtet. Dennoch hat das Leben in London so seine Tücken. "London ist natürlich teuer", meint Olaf, "und irgendwie müssen wir ja unsere Miete bezahlen. Deshalb haben wir alle Nebenjobs - Marktforschung, Verstärker verkaufen o.ä. Außerdem ist die Clubszene zwar vielfältiger als hier, trotzdem ist es eine harte Sache. Z.B. wird die Promotion sehr viel ernsthafter betrieben als hier. Es gibt z.B. Gutscheine, auf die man Rabatt beim Eintritt erhält. Und wenn man einen Gig hat, heißt das ja nicht gleich, daß die Leute von selbst kommen. Wir müssen uns durch Mund zu Mund Propaganda einen Fankreis aufbauen und langsam bekannt werden."

Chester
Und spielen, spielen, spielen. Auch das läuft anders als bei uns: "Das ist eine Art Showcase-Situation", beschreibt Olaf das, "da kann es sein, daß an einem Abend 4-5 Bands auftreten - dann aber auch nur 1/4 Stunde spielen." Wodurch dann eine Art natürliche Auslese stattfindet. Was sagt denn das Publikum dazu, daß da eine deutsche Band spielt. "Die sind immer ungläubig überrascht, wenn ich nach den Shows sage, daß wir eine Band aus der "funky City of Cologne" seien. Ansonsten sehen die Engländer das lockerer." Wie soll's denn weitergehen? "Wir wollen uns durch Live-Auftritte eine Reputation schaffen und dann mal sehen, ob wir unsere CD auch in England rausbringen können." Ein paar Worte noch zu besagter CD: Hatten Chester bisher ja mit den Visionen ihrer Produzenten immer so ihre liebe Not, klingt "Stop For Nothing" erstaunlich rund und geschlossen. "Dabei haben wir das Ding praktisch im Wohnzimmer aufgenommen", meint Olaf, "lediglich den Mix haben wir im Studio gemacht und da auch viel Arbeit reingesteckt." Was sich klangtechnisch auszahlt. Darüberhinaus war diese Vorgehensweise sicherlich richtig, denn auf diese Weise ließ sich erstens viel Geld sparen, und andererseits blieben alle kreativen Möglichkeiten offen (so lange sie nichts kosteten). Und so klingen Chester auf dieser CD auch erstmalig wie Chester sich selbst sehen: Wie eine selbstbewußt agierende Pop-Band ohne Respekt vor Dramatik, "Großartigkeit", Genres oder gar Schubladen, die aber trotzdem oder gerade deswegen ernst genommen werden möchten.

Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-
Chester
Aktueller Tonträger:
Stop For Nothing
(DayGlo/Connected)
 

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