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05.03.2004
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KATIE MELUA

Learning The Blues

Katie Melua
Leute, vergesst einmal für einen Moment Norah Jones! Auch wenn diese mit "Feels Like Home" soeben ein recht schönes und erfolgreiches Album veröffentlicht hat: Die definitive Scheibe in Sachen balladeskem Pop Jazz lieferte aber nicht sie, sondern Katie Melua mit "Call Off The Search" ab. Katie who? Nun, das muss ein wenig erläutert werden. Wer erinnert sich noch an die Wombles? Die Wombles? Nein, es sind hier keine Drogen im Spiel: Die Wombles sind eine Schar animierter, sprechender, recycelnder Maulwürfe, die in den 70s in England eine eigene Fernseh-Serie hatten. Die Musik zu dieser Fernsehserie (die dann auch in die Charts wanderte) schrieb ein gewisser Mike Batt, der damit den Grundstein zu einer - sagen wir mal - abwechslungsreichen Karriere legte. Später verschlug es ihn dann ins Semi-Klassik Fach, wo er mit einer CD namens "Shizophonia" reüssierte, (auf der z.B. sein langjähriger musikalischer Partner Chris Spedding mittat). Später schrieb Batt Songs für Art Garfunkel ("Bright Eyes"), Vanessa Mae und Bond (nicht James, wohlgemerkt, sondern das Streichquartett) und schließlich verfasste er auch einige Musicals. Der bislang krönende Abschluss in dieser Richtung ist dann schließlich die neue Titelmelodie von "Wetten, Dass..?". Bevor es aber noch unwirklicher wird, schnell zurück zum Thema. Denn Mike Batt ist vor allen Dingen und zum Glück derjenige, der o.a. Katie Melua entdeckte.

"Ich ging für zwei Jahre eine Musik-Hochschule und Mike besuchte uns eines Tages, um nach jemandem zu suchen, der Songs auf eine jazzige, bluesige Art singen konnte", erzählt Katie, "ich hatte damals gerade begonnen Songs zu schreiben und ich trug ihm einen vor, den er mochte. Es stellte sich dann heraus, dass er - genau wie ich - ein großer Fan von Eva Cassidy ist. Weißt du wer das ist? Sie ist in England so eine Art Kult-Star. Leider ist sie vor ein paar Jahren verstorben. Mike hatte diese Idee, eine Scheibe mit jazzigen Songs zu machen - wir sind dann also zusammen gekommen und das Ergebnis ist das Album. Es hat uns ungefähr neun Monate gebraucht. In England fand sich dann aber kein Label und so entschloss sich Mike, es auf seinem eigenen Dramatico-Label zu veröffentlichen." Was sicherlich gut so war, denn die Scheibe schoss in England an die Spitze der Charts. Katie Melua stammt ursprünglich aus Georgien - aber das ist lange her: Auf der CD befindet sich ein Video, auf der sie auf russisch einen Gruß an ihre georgischen Freunde richtet - bis ihr dann auffällt, dass sie ja gar keine georgischen Freunde hat, weil sie seit ihrer Kindheit in Großbritannien lebt. Zunächst lebte sie in Belfast und zog dann nach London, wo o.a. Treffen statt fand. Da war sie gerade mal 18 Jahre alt. Seither ging es Schlag auf Schlag. Seit der Veröffentlichung der CD sind Katie und Mike ständig auf Achse, um das Werk zu promoten und live zu präsentieren. Irgendwann zwischendurch traf sie auch mal die Queen. Für Privatleben oder so was bleibt da kaum noch Zeit: Am Tage unseres Gespräches hatte Katie gerade ihre Führerschein-Prüfung und das Interview fand auf der Fahrt von einer Session zu einem Auftritt statt, weil es anders einfach nicht möglich gewesen wäre.

Katie Melua
"Ich habe es immer gemocht, im Bereich Jazz und Blues zu arbeiten", erzählt Katie weiter, "was die Sache ausgelöst hat, war übrigens der Umstand, dass ich nicht besonders gut Gitarre spielen konnte. Als ich begann, Gitarre zu lernen, bekam ich so richtig Spaß an diesem Genre, weil es gut dazu passt, auf einfache Art Gitarre zu spielen." Schön und gut, aber normal ist das doch irgendwie nicht, im Alter von 18 Jahren ausgerechnet auf Blues und Jazz zu stehen, oder? Zumal Katie in ihrer Bio Acts wie Joni Mitchell, Bob Dylan und Queen als Einfluss bezeichnet. "Nun, du musst viele Einflüsse haben, denke ich. Und auch wenn Queen in meiner Musik nicht rauszuhören sein mag, denke ich doch, dass es irgendwie offensichtlich wird. Denn du nimmst alles, was du hörst, wahr und integrierst es in deine eigene Musik. Auch wenn etwas Verschiedenes rauskommt. Ich denke aber, dass Eva Cassidy mein größter Einfluss ist, und auch sie hat einen jazzigen Stil. In der Musik geht es für mich um die Songs und die Texte - darauf baut alles auf." Die Songs auf Katies Album stellen eine eklektische Mischung aus Cover-Versionen, eigenen Songs und jenen dar, die Mike Batt für Katie geschrieben hat. Wobei durchaus angemerkt werden darf, dass alles wunderbar zueinander passt, was besonders für die beiden selbstgeschriebenen Stücke ein Lob darstellt, denn diese können mühelos gegen Randy Newman oder Nina Simon Material bestehen. Gibt es für Katie denn irgendwelche "Lieblingsstücke" auf der Scheibe? "Wenn du an einem Album arbeitest, ist es schwierig, eine eigene Meinung darüber zu haben", überlegt Katie, "du müsstest aus dir selbst heraustreten, um dir eine Meinung bilden zu können - was ja ziemlich schwierig ist. Meine Meinung basierte dann also irgendwie auf der Meinung anderer Leute. Ich mag z.B. unsere erste Single, 'Closest Thing To Crazy' oder 'Learning The Blues'." Die Frage zielte dahin, wie man sich denn als Songwriter fühlt, wenn man überwiegend die Songs anderer Leute singt? "Dieses Album betrachte ich als mein 'Gesangsalbum'", erklärt Katie dies, "das ist für mich eine eigene Kunstform. Anders, als Songs zu schreiben. Für mich war das eine große Herausforderung. Eigene Songs zu singen, finde ich sehr einfach und ich werde das in der Zukunft auch verstärkt tun, aber jemandes anderen Songs zu singen, ist schwieriger und anspruchsvoller. Ich mag diese Herausforderung." - "Es gibt aber doch nur zwei oder drei Cover-Songs auf der Scheibe", wirft Mike Batt ein, "und wenn du anderer Leute Songs singst, dann erweitert das deinen Horizont - da muss ich Katie beipflichten." - "Wenn du anderer Leute Songs singst, musst du dich quasi beweisen", ergänzt Katie. Und wie sucht man die richtigen Cover-Versionen aus? "Nun, das kommt drauf an", überlegt Katie, "es sind ziemlich interessante Stücke, nicht? Eines davon, 'Learning The Blues', haben wir fast zufällig ausgewählt. Wir hatten eine Session und Mike blätterte in seinem Songbook und wir haben es einfach mal ausprobiert."

Gibt es ein bestimmtes Rezept, die Cover-Versionen zu 'eigenen Songs' zu machen? "Oh - nun ja, es ist direkt kein Rezept", überlegt Katie, "es geht eher darum, sich von dem Song inspirieren zu lassen. Ich glaube, manchmal kann man es in dem Bemühen, den Song anders klingen zu lassen auch übertreiben. Man muss einen Song in seinem reinsten Zustand nehmen, sich auf den Text und die Melodie konzentrieren und von da aus arbeiten." Lässt man sich da vielleicht auch von anderen Cover-Versionen inspirieren? Das sagen ja z.B. viele Leute, die sich überwiegend als Interpreten sehen. Und manche Stücke gewinnen ja erst durch die Interpretation anderer ihr "eigentliches Gesicht" - man denke z.B. an Stücke wie "All Along The Watchtower" oder - um beim Thema zu bleiben - an "Lilac Wine", das z.B. durch Jeff Buckleys Version neu definiert wurde. Wer z.B. mal Jeff Buckley live gesehen hat, der wird dieses Stück automatisch mit ihm identifizieren. "Ehrlich gesagt kannte ich 'Lilac Wine' gar nicht bevor ich es aufnahm", erzählt Katie, "und die einzige Version, die ich vorher gehört hatte, war die von Elkie Brooks. Erst nachdem wir das Stück aufgenommen hatten, hörte ich die Jeff Buckley Version und ich finde diese absolut großartig. Ich denke nicht allzuviel darüber nach, wer die Stücke vorher gesungen haben könnte. Ich liebe die Jeff Buckley Version und ich wünschte, ich hätte ihn auch mal live sehen können. Aber für Jeff war es ja auch eine Cover Version und er hat sich an Nina Simone orientiert. Es ist wie ein Reigen, den alle Beteiligten durchlaufen. Es kommt dann auf den persönlichen Geschmack an, was man daraus macht." Viele der Stücke, u.a. besagtes "Learning The Blues", hören sich so an, als habe man die "einfach mal ausprobiert". Auf Katies Album fehlt zum Glück dieses kalkulierte Flirten mit der Perfektion, das man auf vielen Scheiben - gerade aus diesem Bereich so findet. Es scheint, als habe man die Sachen einfach so en passant aufgenommen - ganz ohne Druck und Spannungen. "Ehrlich gesagt, haben wir das auch versucht - die Songs in einem Take aufzunehmen. Wenn es beim ersten Mal passte, haben wir auch nichts mehr geändert", beschreibt Katie das Prozedere. "Genau so war es", pflichtet Mike bei, "bei 'Learning The Blues' z.B. wollten wir einfach nur eine Pilot-Gesangsspur aufnehmen, um mit der Rhythmus-Gruppe zu proben. Das hat dann aber so gut geklungen, dass wir es einfach dabei beließen. Der Song entstand tatsächlich in einem einzigen Take. Es war, soweit ich mich entsinne, der dritte Durchlauf überhaupt und alle haben zusammen gespielt. Das ist die beste Art, aufzunehmen. Und das ist für mich der beste Gesangspart auf der ganzen Scheibe." Da kann man beipflichten, denn Katie trägt diesen Song nicht nur mit der oben erwähnten Nonchalance vor, sondern auch mit einer Überzeugungskraft, die eigentlich ihrem Alter widersprechen müsste (was sie aber nicht tut). Und wie gesagt: Ohne Schnickschnack, Akrobatik und Firlefanz. "Also wenn wir in diese Richtung gearbeitet haben, dann unbewusst", zögert Katie, das zu kommentieren, "wenn ich nämlich z.B. Songs schreibe, versuche ich auch immer, alles einfach zu halten. Ich glaube nämlich fest daran, dass die besten Songs auch einfache Songs sind. Ein Song ist immer dann gut, wenn er nur mit Gitarre und Stimme - also ohne die ganze Produktion drumherum - gut klingt."

Katie Melua
Wenn man mit 18 Jahren, auf der ersten Scheibe ein ganzes Orchester zur Verfügung hat und mit absoluten Cracks wie z.B. Chris Spedding oder Henry Spinetti (Eric Clapton) zusammenarbeitet - mit Leuten, die allesamt die eigenen Großväter sein könnten - dann muss das doch irgendwie überwältigend sein, oder? "Das war natürlich eine unglaubliche Erfahrung für mich", räumt Katie ein, "und Mike hat auch einen tollen Job mit den Arrangements gemacht. Es war sehr beeindruckend, mit einem Orchester zu arbeiten - denn natürlich hatte ich das vorher noch nie gemacht. Ich habe es aber auch sehr genossen. Es fühlt sich wirklich erstaunlich an." Was macht denn am meisten Spaß, wenn man dann in einer solchen Lage ist - und was ist weniger lustig? "Also am meisten Spaß macht die ganze Musik als solche", meint Katie, "das Singen und Schreiben von Songs, meine ich damit. Was ich schwierig finde, sind Foto- und Video-Shoots. Das sind Dinge, die ich enervierend finde. Das hat nun gar nix mit Musik zu tun. Aber mir ist natürlich klar, dass das ein Teil des Jobs ist." Nachdem Katie nun eine Scheibe gemacht hat, auf der praktisch bereits alles drauf ist, was man in diesem Genre machen kann: Wie wird es denn da mit der zweiten CD aussehen? Die zweite ist ja eh die schwerste, nicht wahr? "Da hast du wohl recht", stimmt Katie zu, "ich versuche aber, mich da nicht selber unter Druck zu setzen. Ich denke auch, dass mir die Plattenfirma da keinen Druck machen wird. Ich werde mir Zeit nehmen und mich auf die Musik konzentrieren. Ich denke, dass uns auch etwas Unterschiedliches einfallen wird. Ich werde auch mehr eigene Songs schreiben, denn das hat mir immer Spaß gemacht." Und wovon lässt sich die Songwriterin Katie Melua inspirieren? Was möchte sie erreichen? "Was möchte ich erreichen?", wiederholt Katie die Frage, "der Traum jedes Künstlers ist ja wohl, die eigene Musik auch seiner eigenen Generation nahezubringen - das ist das ultimative Ziel. Ich lasse mich von Songwritern wie Bob Dylan, Joni Mitchell und auch von Jack Johnson inspirieren." Das sind ja nun alles Leute, bei denen die Texte ebenso wichtig sind, wie die Musik. Wie sieht es denn da bei Katie aus? "Oh, die Texte sind sehr wichtig", meint Katie wie aus der Pistole geschossen, "ich denke, dass Texte 50% eines Songs ausmachen. Ich meine, dass meine Platte auch einen Beleg für diese These bietet. Die Texte sind nämlich alle irgendwie interessant. Und ich versuche auch, meine eigenen Texte interessant zu gestalten. Ich lasse mich dabei von meiner Umgebung inspirieren und ich möchte nur Songs über Themen schreiben, zu denen ich auch etwas zu sagen habe." Wie z.B. zu Eva Cassidy: Ihr Song "Faraway Voice" ist eine unverblümte Hommage an die leider verblichene Interpretin. Welche Art von Musik hätte Katie denn gemacht, wenn sie nicht diese Scheibe gemacht hätte? "Das ist relativ", überlegt sie, "ich denke Folk-Musik vielleicht." Was dann wieder zu der These von der Simplizität passt. Und was ist mit moderner Pop Musik? Z.B. die, die im Radio läuft, bzw. in Casting Shows propagiert wird? "Ich denke, dass doch einiges davon gut ist und bestimmten Leuten gefällt. Ich glaube auch, dass sich die Musik durchaus weiter entwickelt. Es hat natürlich viel mit unserer Gesellschaft und Kultur zu tun. Man kann aber nicht grundsätzlich die Pop-Musik verachten. Denn Pop Musik ist nun mal die Musik, die jeder liebt. Es gibt genug gute Musik heutzutage."

Wer hört sich denn Katies Musik an und wann gibt's eine Tour bei uns? "Also wir haben ein sehr gemischtes Publikum - alle Altersklassen von 18 bis 80 würde ich sagen", sagt Katie, "und ich möchte möglichst schnell in Europa touren. Ich denke, es wird im Mai sein. Vielleicht werde ich zunächst eine Solo-Tour machen - obwohl ich normalerweise mit einer Band spiele. Mir ist es wichtig, so gut wie möglich zu performen und vor allen Dingen, etwas Anderes zu machen, als auf der Scheibe. Die kannst du dir schließlich zu Hause anhören. Ich möchte, dass das Publikum etwas Spezielles dargeboten bekommt und dieses auch fühlt." Und wie erreicht man dieses Ziel? "Für mich ist es wichtig, sich von der Melodie und dem Song leiten zu lassen", erläutert Katie, "Du brauchst dir nicht irgendetwas Bestimmtes vorzustellen, wenn du einen bestimmten Song singst, aber du solltest dich von diesem einhüllen lassen." Es scheint so, als habe Katie Melua doch recht genaue Vorstellungen davon, wie alles funktionieren sollte. Was ein Glück, dass sie sich dabei den Dienst am Song als oberstes Ziel gesetzt hat. Erwähnten wir schon, dass "Call Off The Search" eine perfekte Scheibe ist? Jetzt kommt es also bloß noch darauf an, auch hierzulande das Publikum zu aktivieren, das eben auch an Norah Jones & Co. Spaß hat. Und dabei will Mike Batt tatkräftig mit helfen. "Ich werde bis auf weiteres keine eigenen Projekte weiter verfolgen", meint er abschließend, "ich sollte das vielleicht nicht sagen während Katie im Auto sitzt - aber sie kann ja mal weghören: Katie ist ein so einzigartiges Talent, dass ich mich ihr wenigstens bis zur nächsten Scheibe meine volle Aufmerksamkeit widmen werde."

Weitere Infos:
www.katiemelua.com
www.mikebatt.com
womble.designwest.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Katie Melua
Aktueller Tonträger:
Call Off The Search
(Dramatico/Rough Trade)
 

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