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12.10.2004
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JORANE

Die Soundmalerin

Jorane
Jorane ist irgendwie anders. Sicher, die 27-jährige Frankokanadierin, die in der Nähe von Montreal "mitten im Wald" lebt, wie sie selber sagt, schreibt gefällige, ein wenig spinnerte Pop-Songs, wie das z.B. Künstlerinnen wie Tori Amos, Kate Bush oder Sarah MacLachlan (mit der sie auch zusammenarbeitete) auch tun. Aber: Sie schreibt ihre Songs auf einem Cello, das zugleich auch ihr Hauptinstrument ist. Die klassisch ausgebildete Künstlerin hat darüber hinaus früh ein Bein in's Movie-Business bekommen und steuerte Beiträge zu Filmen von Adrian Lyne ("Unfaithful"), Ole Bornedal ("I am Dina"), und mit "Humanity" und "Je n'aime que toi" zwei komplette Soundtracks eingespielt. Daneben veröffentlichte sie in Kanada bereits drei CDs - "Vent Fou", "16 mm", "Evapore" sowie eine Live-Scheibe, eine Compilation und bringt mit "The You And The Now" nun weltweit ihre neue Scheibe heraus.

"The You And The Now" ist dabei ein wenig anders als ihre bisherigen Alben, die großteils instrumentell angelegt waren. Auf der neuen Scheibe gibt es nun - bis auf einen Song in französisch - nur englische Texte und unter anderem Beiträge von Daniel Lanois, Simon Wilcox und Lisa Germano. "Auf meiner letzten CD, 'Evapore', habe ich auch viel mit der Stimme gearbeitet", gibt uns Jorane bekannt, "aber ohne Worte. Ich habe viel lautmalerisch zu meiner Musik gesungen. Davor hatte ich ein Album namens 'Vent Fou', das ich heute als ein wenig richtungslos betrachte. Es ist jedenfalls schwierig, es sich von vorne bis hinten anzuhören. Auf dem neuen Album versuchte ich nun zwar, mich weiter zu entwickeln, aber vor allem doch durchgängig dieselbe Stimmung beizubehalten." Was ja zweifelsohne auch gelungen ist. Ohne dabei übrigens allzu penetrant auf dem Cello als Kernstück herumzureiten. Wie schreibt man denn auf einen Cello Songs? "Vermutlich so wie auf jedem anderen Instrument auch", meint Jorane, "immer wenn ich übe, schreibe ich auch gleichzeitig Songs. Das Cello inspiriert mich dabei. Ich sitze halt und probiere aus. Mal sind es rhythmische Dinge, mal die Kombination von Stimme und Cello, die mich anregen. Ich mag es auch mit Gitarre und Piano zu schreiben. Aber was mich beim Cello beflügelt, ist die Textur des Klangs und die Art, wie man es spielen muss - weißt du, dieser große Umfang an Nuancen, die sich herausholen lassen. Für mich ist es leichter mit dem Cello zu arbeiten als mit allen anderen Instrumenten. Es ermöglicht mir eine große Bandbreite an Emotionen darzustellen." Besonders ungewöhnlich sind die Arrangements auf "The You And The Now" ausgefallen. Diese reichen vom akustischen, kammermusikalischen Track über Stücke mit Trip-Hop-Ästhetik oder Folk-Einflüssen bis zur reichhaltig orchestrierten World-Music-Disco-Nummer. Wobei das Cello zwar immer integraler Bestandteil, aber niemals Selbstzweck ist. "Nun, es macht mir Spaß, an den Arrangements zu arbeiten", beschreibt Jorane den Prozess, "ich suche mir zunächst eine Melodie und erarbeite dann die Richtung, in die der Song gehen soll, suche nach der richtigen Farbe. Vielleicht hat man zunächst mal einen blauen Song. Dann muss man sich entscheiden, ob man diesen lieber nur schattieren möchte, oder ob er vielleicht noch eine andere Farbe benötigt. Diese Arbeit gefällt mir. Was dann kommt, sind die Streicher-Arrangements. Gewöhnlich spiele ich zunächst mal alle Parts selber, um ein Feeling dafür zu bekommen. Dann arbeite ich das z.B. für ein komplettes Streicher-Quartett oder Oktett aus. Das ist einfacher für mich, als zu versuchen, es auf dem Keyboard oder sonstwie niederzulegen. Danach kommen dann die Bläser dran. Die arbeite ich in der Tat auf dem Keyboard aus. Aber ich lasse auch immer Raum für die Musiker, sich selber einzubringen. Ich bin immer offen für neue Ideen." Hm - das hört sich ja geradezu an, als würden Joranes Stücke gemalt? "Auf jeden Fall", stimmt sie zu, "ich mag es auch tatsächlich zu malen. Natürlich immer weniger über die Jahre, weil ich einfach keine Zeit mehr habe, aber ich mag es mit Farben zu arbeiten und mit meinen Händen."

Jorane
Gutes Stichwort: Auf Joranes aktuellen Pressefotos hat sie Geigen-Bögen an ihren Fingern befestigt. "Ja, das ist eine gute Art, den Streicherpart in meiner Musik visuell auszudrücken", erklärt Jorane, "ich mag es, mir Bilder dieser Art auszusuchen. Und dieses Bild habe ich schon einmal verwendet - auf dem Cover meiner Live-CD. Dort habe ich mich in einem niedergebrannten Waldstück plaziert und habe mit meinen Streicher-Händen dabei ausgesehen wie ein überlebender Baum. Das ist ein kraftvolles Bild." Das ist ja auch ein organisches Bild - was wieder zu Joranes Musik passt, die trotz gewisser elektronischer Elemente zunächst und vor allem organisch, handgemacht erscheint. "Das ist mir auch sehr wichtig", bekräftigt Jorane, "das ist das, wo ich herkomme. Ich habe jetzt zwar eine neue Filmmusik - 'Humanity' - gemacht, in der ich mehr Elektronik verwendet habe, weil das auch sehr kraftvoll sein kann. Aber was ich mag, ist die Kombination aus beidem." Was ist "Humanity"? "Das ist ein Film, der auf einer der Shows des Cirque Du Soleil basiert", verrät Jorane, "es hört sich wie eine Dokumentation an - weil es keine Schauspieler gibt - aber es ist so, dass die Kamera den Charakteren der Show folgt. Es ist ein wenig wie eine Reality Soap, die aber der Handlung der Show folgt." Die Texte der Songs auf dem neuen Album sind allesamt als Kollaborationen entstanden, während Jorane die Musik schrieb. Wie funktionierte das? "Nun, ich habe viel in Los Angeles geschrieben", erklärt Jorane, "und Michael Brook, der Produzent, schlug diverse Leute vor - wie z.B. Lisa Germano, mit der zusammen ich 'Good Luck' geschrieben habe, weil wir uns so gut verstanden haben. 'Blue Planet', ein Song, den ich mit Simon Wilcox, einer bekannten kanadischen Sängerin geschrieben habe, ist eine Allegorie. Im Text geht es um Sklaven, aber auch um die übertragene Idee des Widerstandes. Die Erkenntnis ist, dass, wenn du nicht deine Hand erhebst, du auch nicht deine Meinung kundtun und deinen Willen äußern. Wenn du deine Fähigkeit dich zu äußern nicht nutzt, wird sie dir aus der Hand genommen und andere entscheiden für dich. Aber ich schweife ab. Über dieses Stück könnten wir uns stundenlang unterhalten, unsere Gefühle ausloten und so und jeder könnte seine eigene Meinung bilden. Es ist ein sehr wichtiges Stück auf dem Album." Deswegen ist es auch sieben Minuten lang, nicht? "Ja", räumt Jorane ein, "aber ich mag es grundsätzlich, die Freiheit auszunutzen, die Songs so lang zu machen wie ich möchte." Okay - woher kommen denn die Inspirationen für die Stücke? "Dieses Album ist meiner Meinung nach sehr viel persönlicher, als alles, was ich bislang gemacht habe", überlegt Jorane, "alle Texte kommen irgendwo aus einem Teil meines Lebens. Es ist nur notwendig, gewisse Limits einzuhalten und etwas für mich zu behalten, und auf diese Weise meine Intimität zu schützen." Und deswegen sind die Texte in Bilder und Metaphern gekleidet? "Ja", bestätigt Jorane, "Bilder und Metaphern sind darüber hinaus wirklich gut geeignet, Botschaften zu verbreiten. Es ist kraftvoller, als alles Punkt für Punkt auszuformulieren. Das macht es zugänglicher, greifbar und vielleicht sogar interessanter. Weil so alle möglichen Geschichten miteinander verwoben werden können, in denen man die zu vermittelnde Botschaft wiederfinden kann."

Ein Song sticht zweifelsohne hervor. Es ist dies eine abenteuerliche, fast oriental anmutende Weltmusik-Disco-Pop-Version des alten Giorgio Moroder / Donna Summer-Tracks "I Feel Love". Zweifelsohne ist dies auch mit die beste Version dieses Stückes überhaupt, da erstmals versucht wurde, dem Track eine neue Ausrichtung, eine neue Vision mitzugeben. "Also ich schätze es ja wirklich, dass du diese Version magst", freut sich Jorane, "aber es ist so: Ich habe von Anfang an nach einer Cover-Version gesucht - weil ich dem Publikum zumindest einen Song bieten wollte, den sie bereits kennen. So kann man als Zuhörer besser einschätzen, wer der Künstler ist und Zugang zu dessen Universum finden - das ist jedenfalls meine Idee. Michael Brook und ich haben lange nach einem Song gesucht, aber keinen passenden gefunden. Als wir einmal überhaupt nicht daran dachten und stattdessen über Michaels Plattenspieler sprachen und er mir erzählte, dass der Typ, von dem er diesen gekauft hatte, eine Scheibe drauf liegengelassen hatte und dass dies 'I Feel Love' gewesen sei, da machte es auf einmal 'Click!' und ich begann darüber nachzudenken, wie man das machen könnte. Es begann damit, dass ich versuchte, diesen elektronischen Synthesizer-Part auf dem Cello zu spielen und ich dazu die Lyrics interpretierte. Da wusste ich, dass es klappen könnte. Der Song lässt übrigens viel Raum zur Interpretation. Man kann sogar andere Melodien hinzufügen. Und irgendwie - ich kann es auch nicht erklären - hatte er auf einmal diese arabische Melodie - lalalala. [singt] Das hatte dann so viel Energie, dass es mich regelrecht mitriss. Tja, so passiert das eben manchmal."

Jorane
Auf der Scheibe befindet sich ein Bonustrack namens "Dina". Was hat es damit auf sich? "Nun, dieser Song befand sich eigentlich bereits auf meiner ersten Scheibe", verrät Jorane, "ich habe ihn aber neu aufgenommen für den Soundtrack des Films 'I Am Dina' mit Gérard Dépardieu, der demnächst auch bei euch anlaufen müsste. Es ist witzig, dass die Story des Songs, den ich schrieb, bevor ich von dem Film wusste, jenem des Mädchens Dina aus dem Film ähnelte. Als ich mal in Paris spielte, war der Produzent des Filmes da und ihm fiel das auf und er sprach mich an. So fing das alles an. Ich ging dann nach Los Angeles und arbeitete mit Marco Beltrami, dem Komponisten des Films. Danach hörte mich jemand anderes und plötzlich arbeitete ich mit Adrian Lyne und Jane Kaczmarek, der Komponistin von 'Unfaithful'. Und danach sprach mich jemand in Quebec an und bat mich, einen ganzen Soundtrack zu schreiben. Das habe ich jetzt zwei Mal gemacht und ich finde das sehr inspirierend. Weil man nämlich auf diese Weise Musik machen kann, wie man sie für das eigene Album wahrscheinlich nicht machen würde. Und außerdem muss man sich in andere Welten hineinversetzen - was ungemein spannend ist." Was dürfen wir denn von Joranes anstehender Tour erwarten? "Nun, den ersten Teil werden wir als Trio gestalten und dann kommen die anderen Musiker dazu - ein weiterer Cello-Spieler und ein Viloinist." Wo sind denn eigentlich Joranes musikalische Wurzeln? "Ich hatte eine klassische Ausbildung", erzählt sie, "höre aber darüber hinaus alle mögliche Musik. Ich denke, dass Emotionen der Schlüssel zu meiner Musik sind. Das hängt wohl mit dem Cello zusammen, das ich ja bereits als Kind spielte. Ich glaube, dass mein Ziel ist, einfach alles herauszulassen, Gefühle zu teilen, Farben zu teilen, Erlebnisse, Freude und Intensität. Es geht darum, mehr ins Leben zu bringen, eine breitere Palette von Farben." Und nun die gefürchtete Standardfrage: Gibt es in Joranes Musik etwas typisch kanadisches? "Weißt du was?", fragt sie, "im Laufe der Zeit haben mir die Leute immer gesagt, dass sie die kanadische Weite in meiner Musik hören können. Das habe ich zunächst lustig gefunden. Mit der Zeit, nachdem ich ein wenig drüber nachgedacht habe, muss ich aber zugeben, dass das irgendwo stimmt. Das ist ein Teil von mir, den ich unbedingt brauche: Die Natur, Weite, Wind und so. Ich glaube tatsächlich, dass man das auch hören kann..."

Weitere Infos:
www.jorane.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Jorane
Aktueller Tonträger:
The You And The Now
(Emarcy/Universal)
 

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