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11.05.2005
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ALASDAIR ROBERTS

Nicht von dieser Welt

Alasdair Roberts
Alasdair Roberts ist wohl einer jener Musiker, die lieber im Hintergrund wirken und denen Trubel um die eigene Person eher suspekt ist. Zwar ist er durch seinen Bandprojekten, den Folk-orientierten Appendix Out und der alternativen Songwritertruppe Songs: Ohia und auch deshalb, weil Labelkollege Will Oldham Roberts Qualitäten durch seine regelmäßige Mitarbeit quasi "aufwertet", Insidern durchaus ein Begriff. Trotzdem erweckt der stille Schotte den Eindruck, dass ihm ein Interview fast schon unangenehm ist - nicht nur, aber auch, weil sich auf seiner neuen Scheibe "nur" Interpretationen von klassischen Folklore-Stücken befinden. "Ich schreibe schon an eigenen Stücken", meint er dann einleitend fast entschuldigend, "das ist aber ein sehr langwieriger Prozess für mich und da muss ich mal sehen, was als nächstes fertig wird. Eine Scheibe mit eigenen Sachen oder noch eine mit Folk-Songs."

Nun, diese gibt es ja zum Glück reichlich. Das neue Werk heißt "No Earthly Man". Wer indes vermutet haben könnte, dass dies eine Aussage ist, die ein wenig Licht auf den geheimnisvollen Musik-Eremiten wirft, sieht sich getäuscht. "Der Titel bezieht sich nicht auf mich", erläutert Alasdair demzufolge, "es ist vielmehr eine Zeile aus einem Song, der es nicht auf die Scheibe geschafft hat. Dieser heißt 'Sweet Williams Ghost' und handelt von einem Mann, der als Geist zu seiner Freundin zurückkehrt. Es hat übrigens nichts mit dem Song 'Sweet William' auf der neuen Scheibe zu tun. Das ist ein Zufall." Warum Alasdair diesen Titel wählte, lässt er indes offen. Auch das Titelbild des Covers hilft nicht weiter. Es zeigt zwei Personen mit Eulenköpfen auf Stühlen sitzend, wobei eine einen Löwen auf dem Schoß hält. "Ich weiß nicht, was das Covermotiv bedeutet, weil ich es nicht gemalt habe", verrät Alasdair nicht wirklich etwas, "Das Motiv stammt von einer norwegischen Künstlerin namens Hanneline Visnes, die ich in Glasgow getroffen habe, nachdem ich ihre Bilder auf einer Ausstellung gesehen habe. Ich habe sie dann gebeten, ein Bild für meine Scheibe zu malen. Sie hat sich die Musik angehört und das Bild ist quasi ihre Interpretation meiner Musik." Und es interessiert Alasdair nicht, was das Ganze zu bedeuten haben könnte? "Nun, ich werde sie vielleicht mal fragen", zögert er, "ich glaube aber nicht, dass sie es wirklich erklären kann, weil sie sehr intuitiv malt." Interpretieren wir das mal so, dass Alasdairs Musik generell auch offen für Interpretationen ist.

Alasdair Roberts
Da es sich bei den Stücken um traditionelle Folk-Songs handelt, stellt sich die Frage, wie diese Sammlung von Songs aus verschiedenen Epochen zustande kam. Oder auch nicht: "Ich habe diese Songs nicht ausgewählt, sie haben mich gefunden", erklärt Alasdair, "es sind Songs, die ich irgendwann begonnen habe zu singen, wobei ich nicht unbedingt weiß, warum." Nun gut, aber wenn man sich die Mühe macht, eine CD einzuspielen, dann macht man sich doch Gedanken darüber, warum man das tut, oder? Zunächst mal überlegt Alasdair lange. "Da muss es schon einen Grund geben", meint er dann ausweichend, "ich kenne ihn aber nicht unbedingt. Ich muss es einfach tun. Ich wüsste auch nicht, was ich sonst machen sollte. Ich habe zwar ein paar Teilzeitjobs, das ist aber nichts ernsthaftes." Das heißt: Alasdair ist ein Künstler, der von einer inneren Kraft gelenkt wird. Warum entscheidet er sich dann dafür, einen Großteil seiner Zeit damit zu verbringen, Folksongs aufzunehmen? "Für mich gibt es keinen Unterschied darin, eigene Songs oder Folksongs zu singen. Ich fühle mich z.B. emotional nicht anders, wenn ich einen eigenen Song singe oder einen traditionellen interpretiere. Für mich ist jedes dieser Lieder verschieden. Einige sind direkt von der Quelle inspiriert, andere habe ich 'bastardisiert'. Es geht mir darum, die Songs zu meinen eigenen zu machen oder umgekehrt, mich in den Besitz dieser Songs zu bringen. Es gibt keinen Unterschied bei dem Impuls, der zum Musizieren anregt - egal ob es um traditionelles, kontemporäres oder originäres Material angeht." Die Stücke auf Alasdairs Album stammen - wie gesagt - aus verschiedenen Quellen. Folksongs werden - ähnlich wie klassische Werke - katalogisiert und dann namentlich den Katalogen bestimmter Kuratoren zusortiert und dann durchnumeriert. "Lord Ronald" ist z.B. der zweite Song aus der Sammlung Childs, "Molly Bawn" der 36. aus der Sammlung Laws etc. Die Frage ist, wie diese Stücke denn z.B. am Leben erhalten bzw. weitergereicht werden. "Nun, das passiert z.B., indem mir ein Freund das Stück vorträgt oder mich drauf aufmerksam macht", erklärt Alasdair, "wenn mich der dann interessiert, suche ich nach verschiedenen Versionen von diesem Song. Aus diesen wähle ich mir dann die Parts aus, die mir am besten gefallen und füge diese dann zusammen. Manchmal nehme ich auch Parts von anderen Stücken oder füge eigene Ideen hinzu. Der Grund dafür ist, dass ich manchmal bestimmte Zeilen besser singen kann oder mir bestimmte Phrasen eher liegen. Es geht mir nicht darum, etwas zu verbessern oder so. Da gibt es z.B. in dem Stück 'A Lyke Wake Dirge' - ein Stück, das traditionellerweise bei einer Totenwache gesungen wurde - eine falsche Übersetzung, wo aus dem Wort 'salt' - also Salz - das Wort 'sleet' (Schneeregen) wurde. Ich habe das nicht verbessert, weil ich kein Problem damit hatte, das Wort 'sleet' zu singen. Hier kam noch dazu, dass das Stück auch diesen Chor hatte, was mich dann noch dazu brachte, dies im Arrangement zu berücksichtigen und alle Anwesenden bat, mitzusingen."

Alasdair Roberts
Die angesprochenen Anwesenden sind eine recht eklektische Gruppe von Musikanten - keineswegs, wie man annehmen könnte, aus dem Folklore-Umfeld. "Ja, John McCusker, der Typ, der die Geige spielt, ist der einzige, der ein richtiger Folkie ist", räumt Alasdair ein, "die anderen sind alles Leute, mit denen ich eher gesellschaftlich zu tun habe. Isobell Campbell z.B. oder Will und Paul Oldham. Es ist dann so, dass weniger ich denen sage, was sie zu tun haben, sondern hoffe, dass sie mich irgendwie lenken werden. Es entsteht dann alles aus kleinen Jam-Sessions heraus. Das ist aber von Song zu Song verschieden. 'Molly Bawn' hatte ich selbst noch nicht gespielt, 'The Two Brothers' gehört indes zu meinem Live-Repertoire. Es hängt aber auch von den Songs ab, wo sich manchmal - auch aus dem Inhalt - bestimmte Notwendigkeiten - z.B. das Arrangement betreffend - ergeben. Und manchmal tragen auch die Musiker ihr Scherflein bei - so schlug Will z.B. mal vor, den Rhythmus zu ändern oder so etwas. Ich denke, mir kam es letztlich darauf an, dass jeder so natürlich wie möglich spielt. Alex Neilson, der Drummer, kommt z.B. aus der Improvisations-Ecke." Das Ergebnis ist dann so etwas wie Folk-Musik mit einem Alternative-Touch. Was ist aber überhaupt der Grund, sich mit Folk-Musik zu beschäftigen? Geht es darum, die alten Songs am Leben zu erhalten? "Ich mag schon zeitgenössische Musik", gibt Alasdair zu bedenken, "ich würde sogar sagen, dass dieses Album zeitgenössische Musik ist - auch wenn das Quellmaterial älter ist. Die Songs selber werden auf diese Weise zu etwas Neuem. Ich glaube nicht, dass diese Songs am Leben erhalten werden müssen. Sie sind stark genug, selber zu überleben. Sie erfüllen eine Funktion und werden weiterleben, egal wie sehr sie an andere Umstände angepasst werden. Wenn man morgen aufhören würde, diese Songs zu singen, wäre das kein so großer Verlust, weil sie - wie das mit den Liedern einer jeden Kultur der Fall ist - deren Güte symbolisieren." Güte? "Ich meine keine moralische Güte, sondern etwas von Wert, dass es in jeder Kultur gibt." Okay - aber "am Leben erhalten" kann doch auch bedeuten, die Songs einer heutigen Generation nahezubringen, oder? "Also, mir geht es nicht darum, etwas zu erhalten", widerspricht Alasdair, "Lieder sind keine Museumsstücke, die in Vitrinen ausgestellt werden müssen. So etwas interessiert mich nicht. Es ist vielmehr meine Leidenschaft für diese Lieder, die mich dazu bringt, diese vorzutragen. Ich mag es, wenn jemand, der diese nicht kennt, durch meinen Vortrag dazu angeregt wird, sich damit zu beschäftigen. Es ist mir auch lieber, dass ich die Leute für diese Songs interessiere, als dass sich die Leute etwa für mich interessieren würden, weil ich die Lieder spiele. Dann fühlte ich mich nämlich, als würde ich einen Narren aus mir machen." Das sagt er dann quasi mit einem befreiten Lächeln. Wenn es eine Möglichkeit gäbe, öffentlich aufzutreten ohne selber anwesend zu sein: Alasdair Roberts wäre der glühendste Verfechter dieser Methode. Insofern hätte also der Titel der Scheibe dann doch irgendwie einen Bezug zu dem Mann Alasdair Roberts, der auf seine eigene bescheidene Weise tatsächlich nicht von dieser Welt ist.

Weitere Infos:
www.alasdairroberts.com
www.dragcity.com/bands/aroberts.html
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-
Alasdair Roberts
Aktueller Tonträger:
No Earthly Man
(Drag City/Rough Trade)
 

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