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01.09.2005
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WALKABOUTS

Zündstoff

Walkabouts
Seit die Walkabouts ihre letzte richtige Studio-Scheibe, "Ended Up A Stranger", einspielten, ist viel passiert. Unter anderem heiratete Chris, zog nach Slowenien (obwohl die Band nach wie vor von Seattle aus operiert) und stieß sich in Sachen Elegien auf alle möglichen Weisen die Hörner ab (u.a. mit dem Krautrock-Projekt "I", der Ambient-Scheibe "Höst" mit Al DeLeoner sowie diversen Soundtrack-Projekten u.a. für's Fernsehen). Carla rang sich nach ihren Arbeiten als Gast-Künstlerin bei dem griechischen Projekt Sigmatronic dazu durch, ein richtiges Solo-Album namens "Saint Stranger" einzuspielen. Und letztlich kehrte Michael Wells, der Ur-Bassist der Walkabouts, wieder zur Band zurück. Michael ist und war übrigens stets mit der stärkste Befürworter eines soliden Rocksounds innerhalb der Band. Nachdem bereits auf "Ended Up A Stranger" wieder lautere Töne zu hören gewesen waren, war es dann für Chris ein Leichtes, die Band mit "Acetylene" wieder dahin zu führen, wo sie Mitte der 90er mit "New West Motel" und "Setting The Woods On Fire" Maßstäbe setzten: In die Gefilde einer Rockband. Die Frage ist nur: Was hat Glenn Slater, der auf dieser Scheibe fast arbeitslose Keyboarder der Walkabouts zu diesen Plänen gesagt?

"Ich weiß nicht, ich denke, er wollte sogar schon seit längerer Zeit mal wieder ein Rockalbum machen", lacht Chris, "Glenn ist ein großer Rockfan und kommt noch mehr aus dieser Welt als ich." Was führte denn letztlich zu dem Rock Album-Ansatz? "Nun, als wir 2003 unsere Tour mit dem Line-Up von 1996 machten - also mit Michael Wells - gab das den letzten Anstoß, denn Michael bat darum, mehr Rocksongs ins Programm aufzunehmen. Das war das eine. Das andere war, dass ich, als es um das Songwriting ging, mich einfach danach fühlte, rockigere Songs zu schreiben. Sowohl was die Texte betrifft, die ziemlich düster sind, wie auch, was den Sound angeht, der zornig und aufgewühlt klingen sollte. Es war einfach nicht die Zeit für ein ruhiges Album. Und dann wollte ich auch keine halben Sachen machen und ein 100% rockiges Album machen." Nun klingt "Acetylene" aber doch anders als etwa "Setting The Woods On Fire", die letzte richtige Rockscheibe der Walks. Was hat sich denn geändert? "Durch unsere Erfahrungen und die Art, in der wir Scheiben aufgenommen haben, war es für uns immer leicht, Dinge hinzuzufügen"; meint Chris, "es ist für uns sehr viel schwieriger, Dinge wegzulassen. Bei diesem Album ging es nicht um die Addition, sondern um die Subtraktion. Das war auch kein Punk Rock-Statement oder so etwas sondern lediglich die beste Methode, diese Songs umzusetzen." Und da machten die anderen einfach so mit? "Ja, das waren zwar meine Ideen, aber die anderen waren schon an Bord bevor es losging", erzählt Chris, "die wussten schon, was ich meinte, bevor ich es erklärt hatte. Da gab's keine Diskussionen. Was wir wollten, war eine Band in einem Raum zu dokumentieren. Und das haben wir getan. In den letzten zehn Jahren ging es immer um das Aufschichten von Ebenen. Wir wollten jetzt mal etwas anderes machen. Nicht, weil wir das bisherige im Nachhinein ablehnen wollten, sondern wir nicht dachten, dass diese Arbeitsweise das Richtige für die neuen Songs gewesen wäre." Das ist also der Grund, warum "Acetylane" auch keine Fortsetzung von "Setting The Woods On Fire" ist? "Nein, gewiss nicht", stimmt Chris zu, "ich möchte es auch nicht damit vergleichen. Das neue Album klingt sehr trocken und es ist ziemlich schlank. Es gibt z.B. außer zwei kleinen Einspielungen von Al DeLeoner keine Gitarren-Overdubs. Wir haben die Sachen live im Studio eingespielt - und zwar alle zusammen in einem Raum. Es gibt zwei Gitarren - eine auf der rechten, eine auf der linken Seite - das ist alles, was du zu hören bekommst. Wir hatten vorher diskutiert, wie wir die Sache angehen sollten. Und mein Gedanke war der, dass sich alle 'Pink Flag', die erste Scheibe von Wire, anhören sollten. Nicht, dass wir uns so anhören sollten, aber das war die Art von direkter, sparsamer Rockmusik ohne Ausschmückungen, die mir vorschwebte. Denn wir sind ansonsten immer so anfällig für barocke Verzierungen."

Walkabouts
Wurde das neue Material dann vorher mit der Band einstudiert? "Wir hatten zwar keine große Möglichkeiten, die Sachen vorher live zu testen, aber wir haben zumindest vorher zwei Shows in Seattle gespielt - eine Donnerstags und eine Freitags und dann sind wir gleich Samstags ins Studio gegangen." Paul Austin - ehemals bei der Willard Grant Conspiracy und nunmehr der Ehemann von Walkabouts Drummerin Terry Austin, mit der zusammen er übrigens als Transmissionary Six den Support auf der anstehenden Walkabouts-Tour bestreiten wird - war bei diesen Shows anwesend, konnte seine Begeisterung kaum zügeln und bestätigt im Prinzip Chris' Aussagen: "Am Tag vor den Aufnahmen gaben sie hier in Seattle eine Live-Show, bei der sie das ganze Album in Reihenfolge spielten. Und da war - und das meine ich ehrlich - die ganze Zeit über eine geradezu elektrische Anspannung im Publikum. Die Songs erschienen geradezu dringlich, leidenschaftlich und unmittelbar. Mir fiel auf, dass nichts dabei war, was nicht dahingehörte - es gab keine Verzierungen, um es mal so auszudrücken. Es gab aber tolle Texte und großartige Hooks und Melodien - auch wenn alles rauh und aggressiv klang. Das Energielevel war offensichtlich so groß, dass die Walkabouts abends immer ganz ausgelaugt waren, als sie die Songs dann schließlich aufnahmen." Chris erwähnte bereits die Texte des neuen Albums - sind diese auch ein Grund für den rockigen Sound? "Nun, um ehrlich zu sein, habe ich die neuen Sachen auch gleich als Rocksongs geschrieben. Ich habe nicht ein Mal auch nur eine akustische Gitarre angefasst. Das ist das erste Mal, dass ich so was gemacht habe. Die Musik und die Texte gehören zusammen." Was bedeutet denn zum Beispiel der Song "Kalashnikov"? Der "Automat Kalashnikov" gilt ja gemeinhin als die am weitesten verbreitete Handfeuerwaffe der Welt. "Nun, der Song hieß ursprünglich 'In The Zone'. Terry Moeller hat ihn dann aber umbenannt, weil 'Kalashnikov' das erste Wort des Textes ist. Es geht um die Waffe als solche. Das ist auch der Song, der am meisten an einer Geschichte orientiert ist. Es ist eine post-apokalyptische Vision. Eine Vorstellung, wie die USA in 20 Jahren aussehen könnten. Leute, die in kleinen Kommunen mit Zäunen darumherum leben. Da sind diese beiden Liebenden, die sich darüber unterhalten, was draußen, in der Zone um diese Kommunen herum, sein könnte. Das ist der Grundgedanke des Songs." Dieses Mad Max-Szenario passt ja ganz gut zum Covermotiv der Scheibe, die eine brennende Tür im Boden einer Wüstenlandschaft zeigt, nicht wahr? "Ja, das ganze ist Teil eines größeren Foto-Essays", verrät Chris, "es sind Miniaturen. Wir haben da also diese alternative Parallelwelt erschaffen und diese dann abgefackelt. Ich habe da mit einem sehr talentierten slowenischen Fotografen zusammengearbeitet und mag das Ergebnis sehr."

Chris erwähnte ja mehrmals deutlich, dass er eigentlich keine Lust mehr habe, Rocksongs zu schreiben und dass die Gitarre nicht mehr das Instrument seiner Wahl sei. Was veranlasste ihn denn, umzudenken? "Als ich Mitte der 90er die Gitarre zur Seite legte, war ich mit diesem Instrument irgendwie in einer Sackgasse angekommen", erklärt er, "ich wollte ja sowieso niemals ein Lead-Gitarrist werden. Als Kind hatte ich nie den Wunsch, die Gitarre zu spielen, sondern immer schon, ein Songwriter zu werden. Ich musste zum Gitarristen werden, um dieses Ziel zu erreichen. Ich habe das dann auch für eine Weile genossen, aber irgendwann kam ich einfach nicht mehr weiter. Es hatte mir nicht mehr viel gegeben. Auf gewisse Weise habe ich heutzutage auch mehr Freiheiten. Ich finde auch, dass die Lücke zwischen unseren Rock-Alben dann groß genug war, um den Versuch zu rechtfertigen, uns wieder als Rock-Band zu etablieren. Ich meine: Wir haben das Rad nicht neu erfunden, aber es ist schon anders als damals. Und wir wissen ja auch nicht, ob wir dabei bleiben. Vielleicht machen wir dann ja als nächstes eine Scheibe mit albanischer Folk-Musik? Wer weiß..." Na, das ist ja eher unwahrscheinlich. Aber Soundtracks zu komponieren wäre doch eine Option? "Lass es mich mal so sagen: Du hast deine Frau und deine Mätresse. Meine Mätresse sind momentan Soundtracks. Das ist für mich am Aufregendsten - einfach deshalb, weil es neu für mich ist. Wenn aber die Frage ist, was mich motiviert, dann ist es, Songs zu schreiben. Ich glaube auch nicht, dass sich das ändern wird." Um welche Art von Soundtracks geht es denn dabei? "Nun, ich habe gerade dieses Ding für's slovenische Fernsehen gemacht. Die Regisseurin hatte auch einen Kurzfilm im Wettbewerb von Berlin, da habe ich auch einen Soundtrack für gemacht. Und dann wird es nächstes Jahr einen langen Film geben, für den ich arbeiten werde und einen für eine tschechische Produktion. Der Stil ist dabei recht abwechslungsreich. Das reicht von abstrakten Klangskizzen bis hin zu voll orchestrierten Arrangements. Das ist ja gerade das Spannende."

Walkabouts
Nochmal zurück zur neuen Scheibe: Da gibt es ja eine Bläsergruppe am Ende des Songs "Northsea Train". Was ist denn der Grund dafür. "Also da gibt es diese Band aus den 70ern, The Only Ones, die ich immer mochte. Sie kamen aus der britischen Punk-Szene, obwohl sie nie sehr populär waren. Sie hatten diesen Song namens 'The Beast'. Es hörte mit einer Bläsergruppe auf. Seither hatte ich immer diesen Wunsch, mal einen Song zu schreiben, bei dem am Ende eine Bläsergruppe auftaucht. Ich habe mich bislang da immer zurückgehalten, aber als jetzt unser Co-Produzent, Tucker Martine, vorschlug am Ende von 'Rain' eine Bläsergruppe einzusetzen, da war ich natürlich sofort damit einverstanden. Außerdem ist es so, dass der letzte Teil des Stückes sich eh wie ein neuer Song anhört - es passt also alles ganz gut." Wie wurde denn bei den ganzen lauten Elementen der Gesang gehandhabt? Carla ist ja zum Beispiel keine Rock-Röhre im klassischen Sinne? "Das bin ich ja auch nicht", gibt Chris zu bedenken, "wir machen beide unser Ding, aber wir haben ja beide nicht die kräftigsten, durchdringendsten Stimmen. Wir singen aber auf dieser Scheibe eine Menge zusammen, wenn ich es mir recht überlege. Und das war haben wir ganz am Anfang unserer Karriere gemacht - aber seit den 80ern eigentlich nicht mehr. Ich denke, dass das Aufschichten unserer beiden Stimmen - wir sprechen ja hier nicht von Harmonien, sondern von gleichberechtigtem Nebenher - dann genau das Richtige für diese Scheibe war. Wir haben die Stimmen auch zusammen und nicht etwa separat aufgenommen. Auch das half uns, vom barocken Stil wegzukommen und der Sache auf den Grund zu gehen. Es gab auch hier keinen Notwendigkeit, die Sache unnötig zu verkomplizieren." Braucht das nicht viel Zeit? Wo wurde die Scheibe denn aufgenommen? "Ach das ging schon. Wir haben das Album im Studio von Stone Gossard von Pearl Jam aufgenommen", erzählt Chris, "dort haben wir auch 'Train Leaves At Eight' und 'Ended Up A Stranger' eingespielt. Es ist ein cooler, großer Raum, in dem wir nach Crazy Horse-Manier die ganze Band in einem Halbkreis aufgestellt hatten - ohne Unterteilung - und haben dann drauflos gespielt. Es war ja nicht so, dass wir auf einen perfekten Moment warten mussten oder so. Hier ging es eher um sehr fokussierte Energie. Wir wussten ja, was wir zu tun hatten. Einige Songs hatten wir in einem Take, anderer mit dem 15. Take. Auf jeden Fall haben wir immer den GANZEN Take verwendet, und nicht etwa Elemente aus verschiedenen Versionen zusammengestückelt." Was können wir denn da noch auf der nächsten Tour erwarten? "Nun, Paul hat dir ja sicher schon erzählt, dass Transmissionary Six den Support machen werden", erklärt Chris, "darauf freuen wir uns schon. Wir haben dieses Mal auch einen DJ dabei, der vor und nach der Show und während des Umbaus auflegen wird. Was das Programm betrifft, so haben wir uns das noch nicht bis ins Detail überlegt. Offensichtlich werden wir das neue Album komplett spielen - einfach weil es dafür gemacht wurde. Aber was die anderen Stücke betrifft, müssen wir mal sehen. Wir wissen noch nicht, ob wir ältere Rockstücke nehmen werden, oder etwa anderes Material." Was ist denn als Nächstes zu erwarten - einmal abgesehen von albanischer Folkmusik. "Also ich glaube, ich werde mal aufhören, Ansagen in dieser Art zu machen", lacht Chris, "man erzählt da irgendwann doch Sachen, an die man selber nicht mehr glaubt. Grundsätzlich ist aber alles möglich - auch die Chris & Carla - Bluegrass-Scheibe, von der ich dir bereits seit 'Devil's Road' erzähle. Als Nächstes werde ich aber vermutlich ein akustisches Album mit Steve Wynn zusammen machen. Das hatten wir ja schon lange vor, aber neulich hat er mich angerufen und da haben wir dann beschlossen, es ungefähr im Januar nächsten Jahres anzugehen. Wir müssen ja beide vorher erst mal touren..."

Weitere Infos:
www.thewalkabouts.com
www.indigo.de/unser_programm/1219/
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Walkabouts
Aktueller Tonträger:
Acetylene
(Glitterhouse/Indigo)
 

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