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28.07.2006
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SCHTIMM

Auf der Suche nach dem roten Faden

Schtimm
Schtimm waren - selbst im Vergleich zu anderen eigenbrötlerischen norwegischen Bands - immer schon ein wenig anders. Neben äußerst abenteuerlichen musikalischen Eskapaden, legte das Quartett immer schon großen Wert auf Konzepte. Die Namen der vier Protagonisten verbergen sich z.B. hinter Buchstaben. Das Live-Ambiente wurde von Schtimm stets als Spielwiese des Möglichen betrachtet. Sei es, dass sie die Bühne als Wohnzimmer betrachteten oder auch schonmal Kopfhörer an alle Zuschauer verteilten. Und schließlich unterliegen auch die Tonträger stets irgendwelchen Prinzipien. Mit dem letzten Album, "Featuring...", präsentierten Schtimm sich selbst, während das legendäre "Plays Mraksolav Vragosh" sich mit Cover-Versionen eines fiktiven russischen Komponisten beschäftigte (der übrigens auch heute noch auf Schtimm-Scheiben herumgeistert). Schließlich gehört auch das Artwork, das stets eine Art verfremdeten Sowjet-Stern beinhaltet, auch zum konzeptionellen Grundgut der Schtimms. Da erstaunt es schon ein wenig, dass der Titel des neuen Werkes, "Time, Space And Other Stories", vergleichsweise "normal" geraten ist.

Wieso denn das? "Das ist eine gute Frage", lacht E (Erling), seines Zeichens Gitarrist und Songwriter bei Schtimm, "Zeit und Raum sind ganz schön große Abstraktionen für uns. Das heißt aber nicht, dass wir größenwahnsinnig geworden sind. Aber es ist halt so, dass wir uns auf thematischer Ebene ganz schön herumbewegen." - "Das Konzept dieses Mal ist eine Art Kurzgeschichten-Album", erläutert B (Björg), die Schtimm-Sängerin, "wir haben es ja immer mit den Genres." War das von vorneherein ein Masterplan für die neue Scheibe? "Masterplan?", zögert Erling, "es ist immer schwer zu sagen, woher die Dinge kommen, die wir tun. Deswegen machen wir wahrscheinlich so ungewöhnliche Sachen. Wir haben zwar immer eine klare Vorstellung davon, wie etwas sein soll, es ist aber unmöglich für uns zu sagen, woher es kommt." - "Es hat sich eben so entwickelt, als wir an dem Material arbeiteten", versucht Björg es zu erklären.

Welche Folgen das mit den Konzepten haben kann, zeigt z.B. dass Schtimm gerade von einem Auftritt aus Moskau zurückkehrten, den sie dem Titel von legendäre "Plays Mrakoslav Vragosh" zu verdanken haben. "Ja, das stimmt", freut sich Björg, "wir waren gerade auf der Autobahn unterwegs, als wir einen Anruf unserer Bookerin erhielten, dass ein mysteriöser Herr aus Russland mit uns Kontakt aufnehmen möchte. Er kam schließlich zu einer Show in Oslo und meinte, dass er unsere Musik mochte und ihm unsere Show gefallen habe und dass er in Russland ein wichtiger Mann sei, wo er eine Radio-Show, eine Agentur und ein Label habe und dass er vorhabe, unsere Alben in Russland herauszubringen, und dass er uns zu einer Show in Moskau einladen wolle. Wir wussten zunächst nicht, was wir davon halten sollten, aber er hat uns nicht belogen. Und das kam dadurch, dass er unser Album durch googeln im Internet gefunden hatte." Der Begriff "Kurzgeschichten-Album" ist gewiss kein schlechter, da jeder einzelne Song seine eigene Charakteristik hat. Wie sind Schtimm das musikalisch angegangen? "Wie du schon sagst, hat jeder Song seine eigene Persönlichkeit", stimmt Erling zu, "seine eigene Logik. Für uns war das ein recht natürlicher Prozess, die Songs aufzunehmen. Das erste Album war ziemlich reduziert, und das hat den Aufnahmen gut getan. Das zweite Album klang mehr so, wie wir live klingen und das passte dann dazu. Wir denken nicht in Produktions-Terminologien. Wir nehmen uns nicht vor, ein Pop-Album oder ein Klassik-Album oder so etwas zu machen. Wir hoffen immer, dass wir jedem Song die richtigen Kleider anziehen können." Das führt dazu, dass die Scheibe so klingt, als sei jeder Song von einer anderen Band aufgenommen worden. Wo aber ist der rote Faden? "Ich denke, dass es die Aufgabe des Hörers ist, den roten Faden zu finden", weicht Björg aus, "es ist nicht an uns zu sagen, was der rote Faden ist, da wir ja nur die Songs angezogen haben, wie Erling sagte." - "Das ist immer so schwierig an Interviews", meint Erling, "weil wir einfach nicht im Rückblick darüber nachdenken, was wir eigentlich gemacht gaben. Der ganze Prozess ist ein wenig seltsam, weil man nicht so genau weiß, was man eigentlich tut. Das mag sich jetzt ein wenig komisch anhören, aber wir arbeiten so. Dabei spielt die Chemie innerhalb der Band eine große Rolle. Es ist nicht so, dass wir vollkommen ahnungslos agieren, sondern vielmehr so, dass wir uns aufeinander verlassen können. Jeder kann seine eigene Vision einbringen und wir kämpfen nicht besonders um künstlerische Dinge." - "Und dieses Mal haben wir auch mit zwei verschiedenen Technikern / Produzenten zusammengearbeitet", fügt Björg hinzu, "und die haben auch ihre Vorstellung. Jeder hat seinen Senf dazugegeben. Somit ist es wirklich nicht die Vision eines einzelnen und wir können wirklich nicht sagen, was der rote Faden ist." Okay, nun können aber doch Songs mit Streichern und Bläsern, wie Schtimm sie ja gerne verwenden, nicht so ganz impulsiv entstanden sein? "Der Typ, der die Streicherparts geschrieben hat, ein norwegischer Freund, von dem man noch viel hören wird, kennt uns auch bereits", erklärt Erling, "wir haben ihn also gebeten, auch seinen Senf dazuzugeben und er ist somit auch ein fünftes Bandmitglied. Ich gebe ja zu, dass wir viele fünfte Bandmitglieder haben, aber so funktioniert es nun mal." - "Es war aber unsere Idee, Streicher zu verwenden", gibt Björg zu bedenken, "weil wir uns bei den Proben bereits überlegen, wie wir die Sachen nachher spielen können - auch im Hinblick auf Live-Performances. Irgendwo bei diesen Überlegungen sind dann auch Streicher ins Gespräch gekommen." - "Das stimmt", bestätigt Erling, "wir spielen dieses Stück z.B. auch als Duo - und da hört es sich auch ganz anders an. Wichtig ist es, der Essenz des Stückes treu zu bleiben."

Schtimm
Gibt es denn inhaltlich einen roten Faden? Z.B. singen Schtimm auf der neuen CD ziemlich viel vom Schlafen und Träumen. "Jeder Song hat schon seine eigene Geschichte", erklärt Erling, "aber es gibt thematische Berührungspunkte. Das Schlafen ist einer davon - oder vielmehr verschiedene Aspekte der Zeit und des Raumes - deswegen ja der Titel. Es ist also nicht zufällig. Das ist dann die roter Faden. Bitte fordere mich jetzt aber nicht auf, zu erklären, worum es in den Songs geht, denn dafür bräuchten wir wohl die ganze Nacht." - "Das ist ja auch nichts, was wir wollen", meint Björg, "wir wollen dem Hörer ja nicht unsere Interpretation aufdrängen, weil ja gerade das Schöne an der Musik ist, dass jeder selbst herausfinden kann, was ihm wichtig ist. Wir haben unseren Job ja erledigt, indem wir das Album gemacht haben." Beim Live-Spielen wechseln die Mitglieder von Schtimm gerne und oft die Instrumente. Ist das auch bei den Aufnahmen so? Das würde z.T. die recht unterschiedlichen Sounds erklären. "Ja, das stimmt", bestätigt Erling, "wir spielen alle verschiedene Instrument. Wir sind zwar nicht ausgebildet, aber das ist gut. Jeder von uns kann verschiedene Sachen spielen und wir setzen das in der Art ein, wie wir unsere Stimmen verwenden." Was ist das Wichtigste auf der neuen Scheibe? "Für uns war das Wichtigste, verschiedene Kurzgeschichten zum Leben zu erwecken und ein wenig das 'rote Faden Denken' herauszufordern", überlegt Björg, "wir versuchen ja immer, neue Ansatzpunkte zu finden und uns nicht zu wiederholen." Ist das auch die größte Herausforderung? "Das ist zumindest mal eine große Frage", lacht Björg, "es gibt natürlich immer Herausforderungen. Z.B. die richtige Atmosphäre zu finden. Wir müssen ja immer herausfinden, wie etwas am besten funktioniert. Das ist eine große Herausforderung. Und natürlich Live-Versionen auszuarbeiten, die dem Geiste des Originals treu bleiben, das ist auch eine schwierige Sache." Die Live-Präsentation ist ja eh sehr wichtig für Schtimm. "Ja, es ist unser Ziel, dem Publikum zu geben, was wir haben", erläutert Erling, "es mag sich wie ein Klischee anhören, aber wir geben dann tatsächlich auch alles. Du wirst keinen Schtimm-Gig erleben, wo es uns egal ist. Schon alleine deshalb, weil wir dann nachher nie wieder an diesem Ort spielen könnten. Es geht um das Geben. Und so lange ein einziger Zuhörer richtig zuhört, werden wir alles geben. Das ist ein Versprechen." Eine Band wie Schtimm wird dann ja wohl kein Problem haben, ein Konzept auch für die Zukunft zu entwickeln, oder? "Nun, mit Orchestern haben wir ja schon gespielt", überlegt Björg, "und mit einem Chor auch. Und dann haben wir ja die Sache mit den Kopfhörern gemacht. Wir haben immer unsere kleinen Projekte. Es geht nur darum sie umzusetzen." - "Wenn du ein Ziel hast", philosophiert Erling, "und dieses Ziel erreichen willst, dann wirst du es auch erreichen. Auch wenn das Ziel ein wenig verrückt ist. Man muss Visionen haben. Wenn uns also etwas Schönes einfällt, dann werden wir hart daran arbeiten, es auch zu erreichen." - "Da gäbe es vielleicht etwas", merkt Björg an, "es gibt eine Konzerthalle im Kreml, wie wir bei unserem Besuch in Moskau herausgefunden hat. Sie bietet Platz für 6000 Zuhörer - und das wäre doch mal eine Idee..."

Weitere Infos:
www.exposia.no/cgi-bin/schtimm/site
www.myspace.com/schtimm
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Schtimm
Aktueller Tonträger:
Time, Space And Other Stories
(Make My Day/Alive)
 

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