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09.02.2007
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DEINE LAKAIEN

Zeit für Geschenke

Deine Lakaien
Deine Lakaien, das Projekt von Alexander Veljanov und Ernst Horn, hat mittlerweile 20 Jahre Bestand - und selbst nach dieser langen Zeit spricht Veljanov nach wie vor von einem Projekt. Ein sehr spannendes und abwechslungsreiches dazu. Es gibt Songs von Deine Lakaien in elektronischer, in rockiger, in akustischer und selbst in nahezu poppiger Form, Klassiker wie "Love Me To The End" haben die Jahre scheinbar mühelos überstanden. Unter dem Motto "20 Jahre Electronic Avantgarde" gehen nun Deine Lakaien auf eine besondere Tournee: Sieben Konzerte mit Orchester, mit der Neuen Philharmonie Frankfurt, stehen auf dem Programm. Ein Geschenk an beide Seiten: Band und Musikliebhaber. Gaesteliste.de blickt mit Alexander Veljanov zurück und schaut voraus.

"Ja, man ist natürlich dankbar, dass man über so viele Jahre hinweg eine stabile Karriere aufbauen konnte, und jetzt auch solche Früchte erntet, denn ich hätte selbst vor einigen Jahren nicht daran geglaubt, irgendwann mal in meinem Leben das Gewandhaus in Leipzig auszuverkaufen, oder die Alte Oper in Frankfurt - ist zwar noch nicht ausverkauft, sieht aber ganz danach aus, und auch die anderen Konzerte werden sehr gut besucht sein, und was letztendlich dann am Ende übrig bleibt, ist sicher ein wichtiges und großartiges Erlebnis im Künstlerleben."

Euer Künstlerleben beläuft sich jetzt schon auf 20 Jahre - eine sehr große Zahl. Ist das überhaupt greifbar?

"Es ist etwas, was nicht viele schaffen. Irgendwie muss es greifbar sein, aber es im Grunde nicht greifbar. Man ertappt sich doch immer wieder dabei, sich an die Anfänge zu erinnern und das Gefühl zu haben, eigentlich noch gar nicht weitergekommen zu sein. Man springt doch immer wieder hin und her zwischen den einzelnen Perioden, man erinnert sich an das Gute aber auch an das Schlechte. Aber so ist das Leben, um es mal ganz platt zu formulieren... [lacht] Ein Blick in den Spiegel erzeugt oft Verwunderung."

Verwundert oder besser gesagt erfreut ist man, wenn man verfolgt, wie viele doch recht außergewönhliche Konzerte oder Ereignisse in der Karriere von Deine Lakaien stattgefunden haben und wohl auch weiterhin stattfinden werden. So hat es Nachtführungen im Beisein von Deine Lakaien durch die Ausstellung "Melancholie. Genie und Wahnsinn in der Kunst" in Berlin gegeben, oder besondere Konzerte im Elektronik-Duo-Line-Up. Es besteht also doch eine recht enge Beziehung zwischen Band und den Anhängern.

"Ein direkter Kontakt als Person nicht unbedingt, aber es gibt keinerlei Berührungsängste mit der Musik als Hauptthema, das ist durchaus auch diskussionsfähig. Und ich höre mir sehr gerne an, was Anhänger unserer Musik empfinden, was ihnen gefällt, was sie stört. Und das Medium Internet ist natürlich großartig in der Hinsicht, wenn man dann auf einmal hört, was Menschen in Bolivien, Hong Kong und Australien mit unserer Musik anfangen können, das ist schon sehr, sehr interessant. Ich nehme mir da auch die Zeit und lese die wichtigen Mails - wenn tatsächlich interessante Beiträge kommen, die sich mit der Musik auseinander setzen, dann ist das durchaus lesenswert und bereichernd, interessant und informativ. Und schmeichelhaft natürlich auch - in St. Petersburg von der Intendantin der Philharmonie eingeladen zu werden, war ein höchst schmeichelhafter Moment in meiner Karriere. Und auch ein aufregender und absolut glücklich machender Moment. Was ich vorher gar nicht wusste, war, dass wir das erste nicht-klassische Konzert in der Geschichte der Philharmonie St. Petersburg waren, und die Intendantin kam nach dem Konzert zu uns und hat sich persönlich bedankt. Das sind Momente, die vergisst man so schnell nicht, weil man sie auch nicht erahnen kann. Aber sie beweisen einem, dass nicht jede bösartige Kritik Recht hat - denn es gibt auch tatsächlich Menschen jenseits von Schubladendenken und Szenezugehörigkeit, die anscheinend die emotionale und intellektuelle Qualität in unserer Musik erkennen und genießen können. Auch die 'Melancholie'-Austellung in der Berliner Nationalgalerie war ein unglaubliches Erlebnis - wenn man jahrelang als Kunstfreund in diesem unglaublich beeindruckenden Gebäude Ausstellungen besucht, und dann irgendwann auf einer eigens dafür installierten Bühne ein Konzert vor ausverkauftem Haus gibt, dann sind das Dinge, die man sich gar nicht erträumt, weil man erst gar nicht auf die Idee kommt, weil ja dort vor dieser Ausstellung auch noch nie Konzerte stattgefunden haben. Das sind einfach Zufälle im Leben, die man weder anstreben noch planen kann, das sind Dinge, die einem einfach in den Schoß fallen und das sind Momente, die man natürlich nie vergessen wird."

Gibt es denn rückblickend einen Song in eurem Repertoire, bei dem doch schon Gedanken der Art "Warum haben wir das denn eigentlich gemacht?" aufkommen?

"Ohja, sicherlich auch! [lautes Gelächter] Ja, das sicherlich - wäre auch schlimm, wenn es nicht so wäre, dann wäre man wahrscheinlich zu selbstverliebt."

Und ginge es dann auch so weit, diesen Song am liebsten streichen zu wollen?

"Gibts auch, ja. Aber ich werde keinen Song verraten! Es gibt wahrscheinlich für jedes Lied jemanden, der dieses mag, und ich will da niemanden beleidigen, verletzen, enttäuschen. Aber das hat, glaube ich, jeder - jeder hat seine Hasslieder, und gerade die Lieder, die man zu oft gespielt hat, sind gefährdet. Aber, da sage ich wieder: Wir waren clever genug, auch die alten Gassenhauer, die wir eigentlich von Anfang bis heute immer wieder spielen, auf jeder Tour neu zu definieren. Man darf sich nicht langweilen. Langeweile ist immer der erste Schritt in den Tod eines Projektes oder einer Band. Wenn man unsere Live-Tourneen und die verschiedenen Live-Tonträger von uns kennt, dann hört man einen Song in verschiedenen Varianten. Und es ist nicht so, dass man jetzt einmal nur eine Geige weglässt, sondern es sind tatsächlich Neu-Interpretationen, die immer wieder den Charakter eines Liedes neu interpretieren - die Definition ist dabei ja klar. 'Love Me To The End' wird immer 'Love Me To The End' bleiben, aber man kann es durchaus verschiedenartig interpretieren."

Wenn man die verschiedenen musikalischen Setups der Deine Lakaien-Toureen über die Jahre hinweg beobachtet hat - vom elektronischen Setup, über das rockige bis hin zur Akustik-Tour -, dann erscheint doch ein solches Orchester-Unterfangen als logischer nächster Schritt, oder?

"Naja, theoretisch ist alles logisch in diesem Fall, aber es ist natürlich utopisch gewesen, sowas auf die Beine zu stellen. Aber es funktioniert Gott sei Dank. Das ist von unserer Seite mit viel Dankbarkeit verbunden, gegenüber der Konzert-Agentur, die den Mut hatte, dieses doch sehr teure Projekt anzupacken, und sie werden durch die Vorverkäufe belohnt und ich bin sehr, sehr froh, dass ich hier niemanden in finanzielle Schwierigkeiten mit diesem Projekt bringe - was durchaus möglich gewesen wäre."

Wie wurden denn eigentlich die Songs für die kommenden Auftritte ausgesucht - waren das in erster Linie eure Favoriten und hinzu kommen noch die Gassenhauer und andere Lieblingssongs des Publikums?

"Es ist Gott sei Dank nicht so, dass wir die Songs, die die Fans scheinbar besonders mögen, nicht mögen, und umgekehrt. Es gibt sicherlich Stücke, die reizvoller sind als andere, aber für uns war es erstmal wichtig, eine Zusammenstellung zu finden, die alle Perioden des Projektes Deine Lakaien widerspiegelt - vom ersten bis zum neuesten Album. Es sind dann natürlich weit mehr als 100 Songs, aus denen es dann gilt, ein abendfüllendes Programm auszusuchen, das zeitlich auch begrenzt sein muss, obwohl wir mit voraussichtlich zweieinhalb Stunden ein recht langes Konzert bieten werden, aber mehr als 20, 25 Songs bekommt man da nicht unter. Unsere Songs sind auch nicht die kürzesten, mit Live-Arrangements und Orchester dann durchaus länger als im Studio, und dann hat man sich erstmal überlegt, welche Songs könnten sich denn für ein Orchester-Arrangement eignen, und dabei fielen schon einige weg, die man sehr mag und schon oft gespielt hat, die sich aber nicht so besonders dafür eignen. Zum Beispiel hätte ich gerne 'Through The Hall' gemacht - hätte aber in der Orchester-Version einfach nur bedeutet, ein bisschen aufgeblasener zu werden. Und das Stück ist live mit Band schon so massiv, so orchestral, dass es keine Bereicherung mehr wäre, das mit einem Orchester umzusetzen. Ganz neue Songs wird es nicht geben, aber dafür Lieder, die wir noch nie oder ganz, ganz selten live gespielt haben. Also es ist kein 'Best Of' in diesem Sinne."

Die neuen Arrangements stammen - wie es nicht anders zu erwarten war - aus der Feder von Ernst Horn, einem ausgebildeten Dirigenten.

"Das Orchester probt gerade mit Ernst die Arrangements - wir mussten ja Gott sei Dank keinen Fremd-Arrangeur beauftragen, sondern dadurch, dass Ernst das kann, ist das natürlich eine ganz andere Voraussetzung als bei anderen Bands, die sowas machen, die sich sowas schreiben lassen, was dann natürlich einen gewissen Film-Musik-Stil hat, und diese typischen Rock meets Classic-Dinger, die uns überhaupt nicht gefallen."

Hat sich denn bei den Proben schon herausgestellt, dass sich einige Songs doch nicht mit Orchester umsetzen lassen?

"Es sind einige Songs schon gestorben, mittendrin, an einem unglücklichen Ende - man merkt irgendwann, dass es dann doch nichts wird. Aber bei den meisten hat es dann doch so geklappt, wie man sich das vorgestellt hat, und ich denke, dass, wenn es noch Einwände vom Orchester gibt, diese dann sehr bald kommen werden."

Demnach war es auch eine bewusste Entscheidung, die Neue Philharmonie Frankfurt für dieses Projekt zu engagieren?

"Ja, sie waren in der engeren Auswahl, man hat sich kennengelernt und es hat sich herausgestellt, dass der künstlerische Leiter uns kennt und schätzt, von daher war das natürlich ideal. Das Orchester ist auch sehr hungrig und freut sich sehr auf das Projekt. Das sind beste Voraussetzungen, wenn man ein Orchester findet, das nicht nur einfach seinen Job macht."

Die Anspannung vor den Konzerten ist auch bei Veljanov zu spüren, der sich selbst als nervös bezeichnet - und gibt das dazu passende Schlusswort:

"Wer nicht nervös ist, ist tot."

Weitere Infos:
www.deine-lakaien.com
de.wikipedia.org/wiki/Deine_Lakaien
www.colour-ize.de
Interview: -David Bluhm-
Foto: -Pressefreigabe-
Deine Lakaien
Aktueller Tonträger:
20 Years Of Electronic Avantgarde
(Premium Records/Soulfood)
 

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