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17.04.2007
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COWBOY JUNKIES

Kinder an die Macht

Mit ihrer letzten Scheibe, "Early 21st Century Blues" betraten die Cowboy Junkies insofern Neuland, als dass Michael Timmins hier einen ganzen Songzyklus mit vorwiegend düsteren, unserer Zeit angemessenen Themen und Stimmungen verarbeitete. Offensichtlich war da aber "noch mehr drin", denn auch das neue Album, "At The End Of Paths Taken", setzt diese Richtung fort - und das, obwohl Michael, als Vater von drei Kindern, eigentlich ein Album zum Thema Familie schreiben wollte. Doch wie das immer so ist: Der kreative Prozess lässt sich halt nicht immer so gut kontrollieren.

Eher ist das schon musikalisch möglich, denn mit "Paths" versuchten die Cowboy Junkies, völlig neue Wege zu gehen, wie uns Michaels Schwester Margo - ihres Zeichens die Stimme der Cowboy Junkies - verrät: "Normalerweise sind wir - Michael und ich - immer die Texte zusammen durchgegangen und die Songs haben sich langsam akustisch entwickelt", erklärt Margo, "dieses Mal haben wir die Texte der Band gegeben und haben uns keinen Ideen verschlossen. Michael hat z.B. diese Songs alle in verschiedenen Gitarrenstimmungen geschrieben - was zunächst frustrierend war, aber am Ende geholfen hat. Ich denke, dass die größte Herausforderung dann die war, dass es auf diesem Album eigentlich keine Melodien gibt. Die einzigen Melodien kommen nur von meiner Stimme." Das ist sicherlich richtig. Nur gibt es andere Cowboy Junkies-Alben, bei denen der Zuhörer sehr viel mehr nach Melodien suchen muss. Wie ist es Margo dann gelungen, ausgerechnet aus dem neuen, spröden Material Melodien herauszuschälen? "Ich weiß das gar nicht so genau", gesteht sie, "es geht immer um einen emotionalen Zugang für mich. Dieses Mal bekam ich die Texte ja bevor Musik entstanden war, so dass ich sie zunächst mal als Gedichte betrachtete. Ich habe mich mit den Texten vertraut gemacht und kannte sie recht gut, bevor wir begannen die Musik zu schreiben. Es geht dann immer darum, einen Ausdruck für die Worte beim Singen zu finden. Das braucht normalerweise ein, zwei Takes - wohingegen wir dieses Mal eine Menge herumprobieren und experimentieren mussten. Teilweise habe ich die Stücke wochenlang liegen lassen, um sie auf mich wirken zu lassen."

Michaels Texte sind dabei ja alles andere als Blaupausen zum Geschichtenerzählen, sondern arbeiten mit Bildern, Stimmungen, Metaphern und Szenarien. Diskutiert Margo diese dann mit Michael oder interpretiert sie diese in etwa so, wie der Zuhörer das tun würde? "Also diskutieren tue ich sie nicht", wehrt Margo ab, "wenn mir etwas nicht klar ist oder ich Mühe damit habe, dann sage ich Michael, was ich denke und er gibt mir dann vielleicht Hinweise. Aber er erklärt mir niemals, worum genau es geht. Es ist ja so, dass ich die erste bin, die seine Songs interpretiert, Und ich tue das vielleicht auf eine andere Weise als du das tust oder später der Hörer. Jeder interpretiert die Songs mit seiner Erfahrung. Und keine Interpretation ist ja letztlich falsch, sondern nur eben anders." Und es würde ja auch ein wenig die Spannung aus der Sache nehmen, wenn Michael quasi Gebrauchsanweisungen zu seinen Songs liefern würde - das kann man nachvollziehen. Eine Sache, die auf der neuen Scheibe auch besonders ins Ohr fällt, sind die Streichersätze. Die Songs als solche mögen zwar nicht besonders melodisch sein, dies wird indes in gewisser Weise aufgefangen durch höchst ungewöhnliche Streichersätze, die die Stücke keineswegs einfach begleiten oder später zur Verzierung aufgepfropft wurden, sondern die vielmehr integraler Bestandteil der Songs zu sein scheinen. "Ja, die Streicher sind schön, nicht?", freut sich Margo, "ich weiß gar nicht mehr, wessen Idee es letztlich war, aber irgendwann waren wir uns alle einig, dass wir uns alle Streicher auf diesen Songs vorstellen könnten. Aber nicht nur Streicher. Bei dem Song 'Mountains' stellte ich mir z.B. eine Stimme im Hintergrund vor - und deswegen hört las ich den Song als Gedicht vor und man hört auch die Stimme meines Vaters. Wir haben des Weiteren sehr viele Geräusche - nicht Töne, sondern Geräusche - auf dieser Scheibe verwendet und auch einen Kinderchor. Diese Scheibe ist sehr vielschichtig geworden. Für mich fühlt es sich immer an, als könne man sich hineinfallen lassen. Und die Streicher, die den Songs zuweilen entgegenlaufen, wie du ganz richtig sagst, sind ein Teil davon. Technisch weiß ich gar nicht, wie das funktioniert, aber es ist eine dieser Sachen, die wir öfters machen: Zwei unterschiedliche Dinge gegeneinander stellen und irgendwie klappt das eben manchmal." Michael erzählte uns einmal, dass die Sache, die ihn antriebe, das Gitarrespielen sei. Was ist es denn, das Margo zum Köcheln bringt? "Ich betrachte Musik niemals von einer technischen Seite, sondern immer von einem emotionalen Standpunkt", verrät sie, "Singen ist für ich immer eine Therapie. Ich kann dann immer meine Sorgen vergessen und mich darüber freuen, dass ich auf diese Weise ausdrücken, kann, wie ich mich fühle. Natürlich ist jeder Tag anders - also fühle ich mich auch jeden Tag anders. Und das führt dazu, dass sich unsere Musik jeden Tag anders anhört, Wenn ich singe, dann bin ich absolut zufrieden und das ist genau das richtige Wort dafür. Das ist es, was mich antreibt."

Margo erwähnte bereits den Kinderchor. Was ist dessen Funktion - insbesondere im Zusammenhang mit den düsteren Texten auf dieser Scheibe und im Zusammenhang mit dem betreffenden Songtitel: "My Only Guarantee (Is That We Will Fuck You Up)"? "Das letzte Stück summiert für mich die ganze Scheibe", erläutert Margo, "auf der Scheibe geht es ja um die Familie als solche - die Beziehung zwischen Eltern und Kindern und Geschwistern. Es geht aber auch um die Generationen. Wir haben junge Kinder, die eines Tages unser Erbe antreten werden und wir sind verantwortlich für diese Kinder. Wir müssen sie auf eine Welt, die nicht besonders nett ist und eine Welt, die wir selber nicht richtig verstehen, vorbereiten. In diesem letzten Song geht es darum, dass wir als Eltern unser Bestes versuchen, aber am Ende vermutlich versagen werden. Das ahnt man als Elternteil. Nicht, dass man seine Kinder zu Psycho-Killern machen wird, aber man ahnt, dass es schwierig und irgendwie unsauber werden wird." Das hört sich ja an, als habe Michael da thematisch noch einiges in der Pipeline. "Nun, es ist ja auch ein großer Themenkreis", gibt Margo zu bedenken, "ich denke, dass dieses Thema noch einmal auf unseren Scheiben auftauchen wird." Okay - wie werden die Cowboy Junkies das neue Material denn live präsentieren? "Das weiß ich noch nicht", gesteht Margo, "es wird aber vermutlich nicht wie auf der Scheibe klingen. Einige der Songs funktionieren auch akustisch ganz gut - wir werden also mal sehen. Aber darum geht es uns ja gerade bei der Musik: Man möchte ja nicht genau das machen, was man auf der Scheibe gemacht hat." Wie man die Sache auch sieht: Es scheint, dass die Cowboy Junkies noch lange nicht am Ende ihrer Reise angekommen sind. Auch wenn sie sich jetzt erst einmal umschauen. Und wer hätte das gedacht, als sie vor 20 Jahren mit der "Trinity Session" begannen?

Weitere Infos:
www.cowboyjunkies.com
de.wikipedia.org/wiki/Cowboy_Junkies
en.wikipedia.org/wiki/Cowboy_Junkies
www.myspace.com/cowboyjunkies
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Pressefreigaben-
Cowboy Junkies
Aktueller Tonträger:
At The End Of Paths Taken
(Cooking Vinyl/Indigo)
 

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