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10.08.2007
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CARIBOU

Das Rentier im Schlafzimmer

Caribou
Ein Caribou ist so eine Art kanadisches Rentier, das sich der in London lebende Exil-Kanadier Dan Snaith, seines Zeichens Mastermind des Caribou-Projektes, als Namenspatron und Erinnerung an seine Heimat Manitoba ausgesucht hat. So wollte er sich zunächst nennen, bis ihm Dick Manitoba, der Chef der Punk-Truppe The Dictators, einen gebrauchsmusterschutzmäßigen Strich durch die Rechnung machte. Nicht, dass das irgendwie wichtig wäre oder in Bezug zu Dans Musik stünde, aber es zeigt, dass Snaith durchaus seine nationale Identität wahren will. Was er auch nicht zuletzt durch seinen breiten kanadischen Akzent deutlich macht, in dem er von seiner neuen Scheibe, "Andorra", erzählt. International (was - wie so oft - "außerhalb Deutschlands" - meint), sorgt er mit seinem DIY-Projekt und besonders mit seinen dem Gerücht nach abenteuerlichen Live-Shows mit zwei Drummern (einer davon er selber) für Furore. Nun will er es auch hierzulande wissen. Sein neues Album, "Andorra", ist dabei gewiss keine schlechte Visitenkarte.

Den erstaunten Hörer erwartet eine reichhaltiger, orchestraler, psychedelischer Wall Of Sound, mit Flöten, Glöckchen, Gitarren, Keyboards, (von Snaith selbst gespielten) Drums, dem Bass, seinem Lieblingsinstrument und im übertragenen Sinne Pauken und Trompeten. Kaum zu glauben, aber das hat Snaith - mit ein ganz wenig Unterstützung von Jeremy Greenspan (von den Junior Boys) - ganz alleine zu Hause eingespielt. Mit viel Feuer unter dem Hintern, zum Schaden der Nachbarn. Die Antriebsfeder zu seiner Musik findet der Songwriter, Interpret und Multiinstrumentalist dabei zunächst bei sich selbst. "Damit meine ich, dass ich nahezu ausschließlich von der Musik selbst inspiriert werde", erklärt Dan, "und zwar von der Musik anderer Leute oder meiner eigenen, wenn ich sie spiele. Die ganze Sache benutze ich als eine Art emotionales Ventil und eine Möglichkeit, mich des nachts mit meinen Kopfhörern in meine Traumwelt zurückzuziehen. Ich führe durchaus ein normales, glückliches Leben. Die Songs - zumindest die Musik - ermöglichen es mir, dieses Gefühl zu verstärken." Wie entstehen diese Songs denn? Es ist ja eine Sache, mit der Wanderklampfe Folksongs zu komponieren oder ganze Engelschöre in Bewegung zu setzen. "Im Gegensatz zu vielen anderen Leuten arbeite ich geradezu rückwärts", verrät er, "für mich sind die Melodien das Wichtigste. Die Struktur, die Harmonien und die Akkorde sind nur notwendig, die Songs zusammenzuhalten. Die Charaktere und die Texte sind dann nur noch dazu da, die Emotionen der Musik zu verstärken. Die sind für mich zweitrangig und nur eine weitere Ebene, während die musikalischen Elemente wirklich ausschlaggebend sind." Gilt das auch für den Gesang? "Die menschliche Stimme ist schon ein sehr spezielles Instrument", druckst Dan herum, "ich sehe sie aber tatsächlich auch zunächst als Instrument. Damit erzeugst du Emotionen. Es ist doch so, dass die Leute wahrscheinlicher in Tränen ausbrechen, wenn ihnen jemand etwas Trauriges vorsingt, als wenn ihnen jemand etwas trauriges vorspielte, oder? Aber dessen ungeachtet betrachte ich die Texte als eher zweitrangig. Wenn ein Song im Radio läuft, wissen immer alle um mich herum den Text. Mich interessiert das aber nicht. Ich kann dir nicht mal sagen, wie die erste Zeile lautet. Ich kann dir aber sagen, wie die Melodien miteinander in Verbindung stehen und aufgebaut sind, weil das einfach das ist, was mich berührt. Die Texte helfen mir schon mein Ziel zu erreichen - immerhin schreibe ich fast nur Liebeslieder oder solche, die sich mit Beziehungen, die in die Brücke gehen beschäftigen - aber die Musik ist doch immer wichtiger. Mir geht es nicht darum, in den Texten eine Geschichte zu erzählen - diese Funktion kann die Musik sehr viel besser übernehmen."

Ist das auch der Grund, warum die Stimmen sozusagen in das Sounddesign eingebettet sind? "Ich denke schon, dass das so ist, weil das auch ein ästhetisches Prinzip ist", führt Dan aus, "wenn du einen Pop-Song im Radio hörst, sind die Stimmen für gewöhnlich so laut, dass sie alles andere überdecken. Meine sind im Vergleich eher leise. Bei mir geht es aber um den Ensemble-Sound, mit dem ich mein Ziel erreichen will. Mir geht es wirklich nicht darum, dass die Leute meine Stimme hören." Wie entstehen die Elaborate denn technisch? "Also ich arbeite immer auf die gleiche Weise", erklärt Dan, "auch wenn dieses Album gewiss das poppigste ist, das ich je schrieb. Es ging mir hier sehr stark um die Produktion und das Sound-Design. Das war eine neue Erfahrung für mich. Ich wollte hier Drei-Minuten-Pop-Songs schreiben, die zwar eine interessante Produktion haben, die aber im Kern immer noch einfache, dreiminütige Pop-Songs waren. Ich habe alles Mögliche ausprobiert, aber am Ende festgestellt, dass es für mich am besten ist, wenn ich Bass spiele und die Melodie darüber singe. Wenn ich so herumspielte, gab es immer genug Raum für andere Ideen." Ist das auch der Grund, warum der Bass auf dieser Scheibe fast wie ein Lead-Instrument gehandhabt wird. "Das mag tatsächlich so sein, weil der Bass-Teil in den meisten Fällen mit der Gesangsmelodie entstand", bestätigt Dan. Wie behandelt er denn den rhythmischen Aspekt? Denn seine Songs folgen nicht einem simplen Beat, sondern versteigen sich immer wieder in komplexen - aber dennoch treibenden - Strukturen mit dem angesprochenen melodischen Bass, explodierenden Drumparts und allen möglichen Zutaten, die dieses unterstützen. "Das ist es, was mich interessiert", begeistert sich Dan, "der Ausdruck 'explodierende Drumparts' ist da auch perfekt. Auch wenn ich manchmal mit einem Click-Track beginne, entwickelt sich das in diese Richtung. Einfach deswegen, weil das Drum-Spielen eine so physikalische Sache ist und man so sehr viel mehr Dynamik entwickeln kann. Ich suche mir dann die besten Teile aus und kombiniere sie. Das bringt mir zwar öfter Beschwerden wegen Ruhestörungen ein, aber ich versuche es, so dynamisch wie möglich zu gestalten. Ich habe sehr viele Ideen kombiniert und zeitweise an bis zu 600 Tracks gearbeitet." Ist es da nicht ein wenig schwierig, die richtigen Parts zusammenzusuchen? "Nicht wirklich", meint Dan erstaunlicherweise, "denn am Ende ist es so, dass ich immer gleich spüre, was mir einen emotionellen Kick versetzt. Und wenn das nicht passiert, dann weiß ich, dass das nichts taugt. Was immer wieder passierte, war, dass ich etwas aufnahm und das richtig gut fand - und es am nächsten Tag nicht mehr leiden konnte. Manchmal braucht es einfach ein wenig Abstand."

Caribou
Okay - das mal alles eingedenk: Warum heißt das neue Werk denn ausgerechnet "Andorra"? Geht es da auch um Eskapismus? "Ja, irgendwie schon", erklärt Dan, "ich mache da diese großartigen, romantischen Pop-Songs und ich machte damals Ferien in Andorra und dachte mir: So, wie ich mir dieses Land vorstelle, passt das ganz hervorragend zu meiner Musik - so sollte das auch aussehen, wie ein Ort, den die Zeit vergessen hat. Als ich indes dort ankam, stellte ich fest, dass das ganz und gar nicht der Fall war. Es gibt dort diese großen Duty-Free-Läden und diese Steuerparadiese. Das bestärkte mich allerdings in meinem Gedanken, dass nämlich alles größer als das Leben sein sollte. Dieser Ort Andorra in meinem Kopf, wo auch meine Songs leben, ist ganz anders als das richtige Andorra." Was soll denn der Zuhörer mit einem solchem Titel anfangen? "Vielleicht ist das so, dass die Musik, die der Zuhörer zu hören bekommt, so eine Art Hilfsmittel ist, zu dem Andorra in meinem Kopf zu gelangen - also zu dem idealisierten Andorra." Gehört zu diesem Konzept auch das Covermotiv, das gelbe Blumen und Gemüse auf einer Holzbank zeigt? "Das Foto ist von einem guten Freund von mir, Jason Edwards, der ein berühmter Fotograf ist. Er hat auch meine letzten Cover gestaltet. Die Idee ist dabei immer, ihm um seine Interpretation meiner Musik zu bitten. Seine Idee war, dass diese Scheibe eine Pop-Scheibe sei und Pop Musik als begehrenswert sei - und das wollte er mit dem Motiv darstellen. Andere Leute sehen da diese Verbindung zu den 60ern und eine Hommage an die Psychedelia dieser Zeit - aber das war nicht die Idee." Aus welcher musikalischen Ecke kommt Dan Snaith eigentlich? Hatte er nicht ursprünglich mit Elektronik zu tun? "Ja, meine Alben entstehen immer auf dieselbe Art, sind aber sehr verschieden. Mein erstes Album war z.B. praktische elektronische Musik mit Drum-Machines und verschiedenen Elementen aus Jazz und Free Jazz. Ich höre mir eine Unmenge verschiedener Musik an und die Musik, die ich selber mache ist immer davon beeinflusst von dem, was mich gerade beeindruckt. Die Sache ist die, dass das für mich auch immer eine ästhetische Sache ist und nicht nur eine musikalische." Was war dann die größte Herausforderung für den Songwriter Dan Snaith? "Es gibt gewisse Pop Songs, wie z.B. 'God Only Knows' von den Beach Boys, die sich die Leute anhören und die sie zum Weinen bringen oder glücklich machen. Nicht nur wegen der Worte, sondern wegen der Musik, die diese Emotionen auslöst. Und ich realisierte, dass dies für mich die Herausforderung bei meiner eigenen Musik sein sollte. Ich weiß nicht, inwiefern ich dieses Ziel erreicht habe, aber ich habe mir alle Mühe gegeben. Das ist für mich die größte Herausforderung, aber auch das, was mir am meisten Spaß macht. Wenn ich einen Track erschaffe, der mich selber traurig oder glücklich macht, dann ist das das Größte. Zwar bin ich oft auch ziemlich frustriert, wenn das nämlich nicht klappt - was bei 600 Stücken ja öfters der Fall ist, aber das gehört dazu und es ist auch sehr befriedigend. Es wäre nicht so befriedigend, wenn es nicht so wäre." Das Beste an "Andorra" ist aber, dass Dan Snaith trotz aller großen Ideen niemals die Bodenhaftung verloren hat, sondern sich selbst hinter seiner Musik eher noch zurücknahm. Irgendwelchen Größenwahnsinn wird man bei Caribou vergeblich suchen - dafür gibt es dann eben Songs, die etwas größer sind, als das Leben...

Weitere Infos:
www.caribou.fm
www.myspace.com/cariboumanitoba
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Caribou
Aktueller Tonträger:
Andorra
(CitySlang/Universal)
 

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