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19.11.2007
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JULI

Die Langeweile ausgenutzt

Juli
Für Eva Briegel (Gesang), Simon Triebel (Gitarre), Marcel Römer (Schlagzeug), Andreas "Dedi" Herde (Bass) und Jonas Pfetzing (Gitarre) läuft es derzeit mehr als rund - nachdem Juli im Jahr 2004 mit Gitarren-Pop-Songs wie "Perfekte Welle", "Geile Zeit" und "Regen und Meer" nach ganz vorne katapultiert worden sind, ging es stets bergauf mit der Band. Das Debüt-Album "Es ist Juli" wurde mittlerweile mit Platin und mehrfachem Gold ausgezeichnet, das zweite Album "Ein neuer Tag" erhielt ebenfalls die Platin-Auszeichnung, sie haben zusammen mit Dashboard Confessional ein wundervolles Duett eingespielt ("Stolen"), der erste Teil der aktuellen Tour wurde bereits mit einer DVD dokumentiert und bevor es mit dem zweiten Teil weitergeht, hat Gaesteliste.de noch kurz mit Eva Briegel gesprochen.

Wird sich der zweite Teil denn sehr vom ersten unterscheiden?

"Nein, denn der zweite Teil zeichnet sich ja ein bisschen dadurch aus, dass es eben der zweite Teil von der Tour ist. Weil der erste Teil der Tour so gut verlaufen ist, wollten wir gerne noch einmal mit den ganzen Bühnenaufbauten und der ganzen Produktion losziehen, denn zum einen wollten wir das alles nicht direkt wieder einmotten oder wegschmeißen - denn dazu waren die Konzerte zu gut und das alles ist uns sehr ans Herz gewachsen -, und zum anderen wollten wir, bevor wir wieder ins Studio gehen und an neuen Songs arbeiten, jetzt gegen Ende des Jahres nochmal gerne rausgehen. Ob es bei der gleichen Setlist bleibt, müssen wir mal sehen - wir haben uns etwas für den zweiten Teil ausgedacht, vielleicht werden wir einige Dinge auch ein bisschen anders machen oder umstellen, aber dazu möchte ich jetzt nicht zu viel sagen, denn ich möchte jetzt hier nicht große Versprechungen machen, die sich nachher nicht umsetzen lassen..."

Auf der DVD ist der Tagesablauf während einer Tour gut zu erkennen, gewisse Dinge wie Soundcheck, Interviews, Essen, Auftritt und die Party danach laufen fast jeden Tag im gleichen Rhythmus ab - was geschieht denn bei Juli, dass man sich nicht nach ein paar Tagen an die Gurgel springt?

"Wir gehen uns gerne auch mal an die Gurgel, auf jeden Fall! Aber, naja, das muss jeder für sich selber so ein bisschen herausfinden. Der Touralltag an sich ist schon sehr anstregend - was man gar nicht so richtig nachvollziehen kann, wenn man das nicht selbst gemacht hat, weil auch manchmal dieser Leerlauf oder diese Abrufbarkeit, dass man da immer so diese Halbe-Stunde-Häppchen hat - ein halbe Stunde Duschen, eine halbe Stunde dies und das -, das kann einem manchmal schon im Kopf anstrengen. Ist ja auch wie einer permanente Klassenfahrt, dass man ständig irgendjemand trifft und mit irgendjemanden etwas schnackt, und es sehr schwierig ist, wenn man sich irgendetwas fest vorgenommen hat, das auch wirklich durchzuziehen - das kann man eigentlich vergessen. Jonas z.B. hatte mal vor, sich ein bisschen um seine Englisch-Kenntnisse zu bemühen, das hat er aber auch nach zweieinhalb Tagen wieder aufgegeben. Generell ist es schon wichtig, dass man sich nicht so sehr treiben lässt, dass man sich selbst seinen Alltag strukturiert, dass man sich einen Wecker stellt und sagt, von dann bis dann wird eben gegessen, von dann bis dann ist Promo angesagt, damit man einfach nicht immer so überrascht wird von den einzelnen Sachen - der Tourmanager ist ja dabei, der hat auch ein wachsames Auge darauf, dass man jetzt nicht abhaut, wenn in zehn Minuten Promo ist, weil man es vergessen hat oder so. Da neigt man eben dazu, sich ein bisschen treiben zu lassen und zu denken, naja, wenn irgendetwas ist, wird sich schon jemand melden! Das kann natürlich blöd ins Auge gehen. Jeder in der Band macht da so sein eigenes Ding - ich nehme mir z.B. stapelweise Bücher mit, Marcel hat sein Klapprad und fährt halt einfach weg, wenn es ihm zu viel wird, Computerspielen ist auch eine sehr gute Möglichkeit, oder wir sind ja Gott sei Dank zu fünft und dazu noch die Crew, und einer einem mal auf den Keks geht, dann geht man halt zu einem anderen."

Gibt es inzwischen Abnutzungserscheinungen von alten Songs, die man nicht mehr so gerne spielen mag?

"Ja, das gibts auf jeden Fall - wenns blöd läuft, sind das auch Songs, auf die die Leute abfahren und warten und es natürlich schade finden, wenn wir sie nicht spielen."

Muss man da dann trotzdem durch und die Songs spielen?

"Nein, wenn wir wirklich etwas ganz blöde finden, dann spielen wir das auch nicht mehr - wir sind ja keine Dienstleister und wir nehmen uns ja auch das Recht heraus, uns weiterzuentwickeln, uns einfach zu verändern. Unser Geschmack verändert sich ja auch fast stündlich, und da wäre es furchtbar, wenn wir immer das Gleiche machen würden. Aber manche Sachen wachsen ja einem erst später so richtig ans Herz, also z.B. 'Perfekte Welle' - wie oft habe ich das in meinem Leben schon gespielt? Weiß ich nicht, das ist nicht abzuschätzen. Oder auch 'November'. Das kommt auch natürlich dadurch, dass die Leute das immer gerne hören wollen..."

Wäre ein neues Arrangement für einen alten Song eine Option, um der Band-internen Routine da vielleicht entgegenzuwirken?

"Das bringt eigentlich nicht viel - wenn man es nur ein bisschen verändert, ist die gleiche Routine nach zwei Konzerten wieder da, und wenn man es jetzt wirklich komplett umkrempelt, dann haben die Leute auch nichts mehr davon. Also ich ärgere mich z.B. immer, wenn ich andere Bands sehe und die haben dann mein Lieblingslied auf eine ganz seltsame Art und Weise umgestrickt, weil es in vielen Fällen eben deswegen gemacht wird, damit einem als Band nicht langweilig wird. Das heißt aber nicht, dass das Lied in dieser Version dann unbedingt besser ist - da ärgert man sich schon. Aber gerade auch bei so Lieblingssongs gibt einem das Publikum ja auch sehr viel zurück, und ich glaube, ich habe mich bei 'Geile Zeit' noch nie gelangweilt, weil einfach jedes Mal vom Publikum eine tolle Energie rüberkommt. Deswegen spiele ich das auch gerne, auch wenn ich es bestimmt schon zwei Milliarden Mal gespielt habe!"

Juli
Findet man eigentlich Zeit, um auf Highlights oder unschöne Dinge zurückblicken und diese verarbeiten zu können, bei dem Rummel, der während einer Tour, Presse-Terminen oder Studio-Aufenthalten stattfindet? Hat man die Möglichkeit, das alles zeitnah mitzukriegen, oder dann doch erst viel später?

"Nun, in den ersten eineinhalb Jahren war es schon sehr gepackt - da haben wir dann auch erst bei der Vorbereitung auf das zweite Album realisiert, was das erste für uns bedeutet hat, dass es auch viel mehr als ein Hit oder so war, das war ja dann auch im Sprachgebrauch auf einmal drin, jeder hat aus 'Geile Zeit' oder 'Perfekte Welle' Headlines gebastelt, für eine kurze Zeit war das ja mal ein Thema und da waren wir medial ja auch sehr präsent, was wir gar nicht so mitbekommen haben, weil wir sehr viel unterwegs waren - sowas merkt man dann erst im nachhinein. Wir verordnen uns mittlerweile immer mal wieder strikt kleine Pausen, damit wir nicht anfangen, in so einer Mühle zu sein. Ich wüsste dann auch nicht mehr so richtig, worüber ich schreiben soll, wenn wir nur noch auf Tour oder sonstwo unterwegs sind. Das ist schon eine sehr künstliche Welt, so eine Art Blase, in der man sich da befindet - und dem auch wieder zu entkommen, ist auch lohnend. Es ist für eine Zeit lang ganz schön, aber ich möchte doch gerne an meiner Umwelt, am 'normalen' Leben partizipieren, das ist für mich sehr wichtig."

Also wird für das Songschreiben eine Auszeit benötigt?

"Also, bei mir ist es so, dass ich Langeweile brauche! Oder etwas vornehmer ausgedrückt: Muße. Ich brauche da extrem viel Zeit für mich, und viel zuhause rumhängen, lang schlafen, wieder an den Rechner setzen und etwas machen, dann wieder aufhören, etwas anderes machen. Es fällt mir sehr schwer, mich hinzusetzen und zu sagen, so, es wird jetzt jeden Tag von 12 bis um 15 Uhr etwas geschrieben - dabei würde nichts gutes herauskommen. Es ist natürlich schon etwas schwierig, sich dafür Platz zu schaffen, denn in einer Band zu sein, ist schon sowas wie ein Fulltime-Job, man hat immer irgendwelche Dinge zu tun, oder man muss sich um eine Tour zu kümmern und so etwas. Und da ist diese Langeweile nicht immer so gesichert - da muss man sich schon ein bisschen Platz erkämpfen."

In der Musik von Juli schwingt immer ein gewisses Maß an wohltuender Melancholie mit - ist es letzten Endes einfacher, eher über unschöne denn über schöne Dinge zu schreiben?

"Der Ton, der das ganze melancholisch macht, wird von uns bewusst gesucht, und oft auch gefunden. Uns reizt oft einfach die Spannung zwischen beidem, dass sowohl in Optimismus als auch guten Gefühlen immer auch die Angst vor Verlust drinsteckt, und umgekehrt. Verzweiflung ohne Perspektive ist zwar auch ein klares Statement, finde ich auch gut, wenn Bands das machen, aber das ist bis jetzt bei uns noch nie so aufgetaucht, vielleicht irgendwann mal. Generell finde ich es immer dann einfacher zu schreiben, wenn man wirklich von einem Thema komplett beherrscht ist oder sich wirklich mit einer Sache geschäftigt. Ist bestimmt nicht bei jedem so, aber für mich ist es das einfachste, und es ist eben häufiger so, wenn man mit negativen Gefühlen zu kämpfen hat. Mehr als mit positiven. Wenn es mir total gut geht, da gibts ja meistens auch einen Grund dafür, und dann widme ich mich natürlich lieber dem. Ich glaube, ich habe mich auch noch nie hingesetzt und ein reines Liebeslied geschrieben, weil ich mich dann doch eigentlich lieber mit demjenigen treffe..."

War denn eigentlich "Ein neuer Tag" das berühmte schwierige, zweite Album?

"Wenn man es jetzt in der Retrospektive betrachtet, dann war es auf jeden Fall ein schwieriges Album. Wir haben es zwar nicht so empfunden, als wir im Studio waren, wir haben uns bemüht, das zu machen, was uns gerade in den Sinn kam und uns nicht beunruhigen zu lassen von dem Gedanken ans schwierige, zweite Album, aber wir haben auch so in der Veröffentlichungs-Phase gemerkt, dass es von außen immer an uns herangetragen wird, Vergleiche - auch kommerzielle - mit dem ersten anzustellen und dass man da eben ein bisschen mit zu kämpfen hat, dass man da eben immer sagen muss, nein, wir sind aber total zufrieden damit, auch wenn wir jetzt keine 700.000 Stück davon verkaufen. Im nachhinein haben wir es erst gemerkt, dass es uns zu der Zeit damals gar nicht so bewusst gewesen ist, und dass wir es uns im Studio das Leben doch recht schwer gemacht haben, weil irgendwie jeder eher für sich gearbeitet hat und wir wenig miteinander entwickelt haben. Mit Sicherheit hätte uns ein halbes Jahr Tour mit den neuen Sachen gut getan, bevor wir sie aufgenommen haben, weil sich im Live-Betrieb ja auch ganz andere Sachen einstellen und ergeben, aber dazu war dann leider keine Zeit. Sowas ist natürlich bei einem ersten Album immer besser, weil man die Sachen ja zum Teil schon ein, zwei Jahre spielt und die Stücke dann eigentlich runder sind."

Zum Abschluss die berühmte letzten Worte über die nahe Zukunft von Juli?

"Hm, das ist eine schwierige Frage, wenn wir hängen ja ab Herbst nach der Tour selbst erstmal ein wenig in der Luft. Die Leute sollen einfach dranbleiben, uns die Treue halten und sollen wieder da sein - wenn sie möchten!"

Weitere Infos:
www.juli.tv
www.myspace.com/esistjuli
www.esistjuli.de
Interview: -David Bluhm-
Fotos: -Pressefreigaben-
Juli
Aktueller Tonträger:
Ein neuer Tag
(Island/Universal)
 

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