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07.03.2008
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ROCKY VOTOLATO

Das Ende des Soul Searching

Rocky Votolato
Mit seinem just in Deutschland veröffentlichten Album "The Brag And Cuss" geht Rocky Votolato musikalisch neue Wege. Er macht zwar keinen U-Turn - gerade der Vorgänger "Makers" deutete das gesteigerte Interesse an traditionelleren Songs und Strukturen des vom Emo-Rocker zum Singer / Songwriter mutierten Amerikaners bereits an -, dennoch dürfte es viele Fans überrascht haben, wie deutlich die Hinwendung zu Country- und Folkklängen auf der neuen Platte ausgefallen ist. Gaesteliste.de traf den ebenso entspannten wie liebenswerten Musiker vor seinem großartigen Auftritt im restlos ausverkauften Gleis 22 in Münster Mitte Februar.

"Seit vielen Jahren habe ich nach einer Ausdrucksform gesucht, die mir helfen würde, meine Vergangenheit zu erklären, wo ich herkomme, wer ich bin etc., also das, was dazu beiträgt, dass ein Musiker klingt, wie er klingt", versucht sich Rocky an einer Erklärung für den veränderten Sound. "Einer der Hauptaspekte dabei war, herauszuarbeiten, was meine frühesten Einflüsse gewesen sind, was ich in der Vergangenheit gemacht habe und warum. Vielleicht kann man es als 'soul searching' bezeichnen. Inzwischen habe ich das Gefühl, dass dieser Prozess weitestgehend abgeschlossen ist und ich mich in eine andere Richtung bewege. Die Platte war ein wichtiger Meilenstein auf meiner musikalischen Reise, aber jetzt ist es Zeit für etwas anderes. Ich habe das Gefühl, dass mein nächster Schritt wieder eher in Richtung 'Suicide Medicine' gehen wird."

Spricht's und stellt gleich danach klar, dass ihm dabei kein simpler Aufguss seines inzwischen knapp fünf Jahre alten Meisterwerks vorschwebt. "Ich mache mir jetzt weniger Sorgen darum, welchen Weg ich in Zukunft wohl einschlagen werde", erklärt er den Unterschied zwischen der Vorbereitungsphase für "The Brag and Cuss" und dem Album, das derzeit in seinem Kopf beginnt, Formen anzunehmen. "Beim letzten Mal war ich unglaublich fokussiert und darauf konzentriert, bestimmte Dinge zu ergründen. Allerdings bin ich inzwischen den Punkt angekommen, wo ich glaube, sie in der Tat ergründet zu haben, und deshalb mache ich jetzt einen Schritt zurück. Mich mit aller Macht verändern zu wollen, spielt momentan eine weniger große Rolle. Jetzt geht es mir wieder mehr darum, einfach gute Musik zu machen".

Doch ist die Erkenntnis, am Ziel einer bestimmten Reise angekommen zu sein, nicht gleichzeitig Segen und Fluch? Immerhin ist für viele Musiker das Auf-der-Suche-Sein der wichtigste Motor für ihre Kreativität. "Natürlich habe ich das Gefühl, dass alles, was ich tue, mit einem gewissen Risiko behaftet ist", gesteht Rocky. "Man ist gezwungen, sich ständig neu zu erfinden, und es zeigt sich ja auch, dass die Künstler, denen das gelingt, zumeist die längeren Karrieren haben. Mein Hauptanliegen ist im Moment, einfach wieder geduldiger zu werden. Bei 'Makers' habe ich den Songs sehr viel Zeit gegeben, einfach 'zu passieren'. Das war davor eigentlich immer meine Philosophie, was das Musikmachen angeht: Lass den Dingen einfach ihren freien Lauf. Die Musik ist schließlich etwas, das mir Spaß machen sollte!"

Viel Spaß hatte Rocky auch auf seiner unlängst zu Ende gegangenen Tournee durch Deutschland, bei der er es sichtlich genoss, alleine auf der Bühne zu stehen, nachdem er im Sommer und Herbst letzten Jahres in den USA fast ausschließlich mit seiner Backingband unterwegs gewesen war. Ist es für Rocky schwierig, zwischen Bandauftritten und Solokonzerten zu wechseln? "Nein! Ich habe das Gefühl, dass meine Show stärker ist, wenn ich alleine bin. Es gibt allerdings bestimmte Songs, zum Beispiel 'The Light And The Sound' oder 'Every Red Cent', bei denen ich mir schon wünschte, die Band wäre mit auf der Bühne, aber selbst die kriege ich ohne sie noch hin. Und die Nummern, die ich mir nicht zutraue, spiele ich einfach nicht!"

Sei es als Reaktion auf die ausgiebige Bandtournee, bei der vor allem Songs von "The Brag And Cuss" auf der Setlist gestanden hatten, sei es ob der gedanklichen Abwendung von seiner "Country-Phase" - bei seinen Konzerten in Deutschland machten die Songs aus "Suicide Medicine" den Großteil des Programms aus, während es aus dem neuen Album nur wenige Auszüge zu hören gab. "Das Programm für diese Europatournee ist eher wie eine Retrospektive meiner gesamten Karriere angelegt. Ich spiele Songs von all meinen Platten - und sogar zwei Waxwing-Songs! Ich habe die alten Sachen bisher solo nie wirklich gespielt, vielleicht mit Ausnahme eines Akustiksongs, der eigentlich schon damals eher im Rocky-Stapel hätte landen müssen. Es gibt bestimmte Songs, die sehr gut ausdrücken, wie ich mich im Moment fühle, und hey, schließlich hab ich sie geschrieben, warum sollte ich sie also nicht auch spielen?"

Der Rückgriff auf die alten Songs bedeutete auch, dass Rocky sich vor dem Abstecher nach Europa hinsetzen musste, um die Stücke zu proben. "Seit meinen letzten Konzerten sind drei Monate vergangen. In der Zwischenzeit habe ich ausschließlich an neuen Songs gearbeitet. Das hatte zur Folge, dass ich begann, die alten zu vergessen. Wenn ich mich dann hinsetze, kommen sie natürlich sehr schnell zurück, aber ich bin ein ziemlicher Perfektionist, was meine Konzerte angeht, und ich will den Menschen, die bezahlt haben, mich zu sehen, das Beste bieten. Ich hasse es, wenn ich eine Band sehe, die kaum ihre eigenen Songs beherrscht und sich ständig verspielt. Dann denke ich: Hey, ich habe bezahlt, war es zu viel verlangt, dass ihr euch hinsetzt und eure Songs lernt? Deshalb verwende ich nicht wenig Zeit darauf, zu proben. Das heißt natürlich nicht, dass ich überhaupt keine Fehler mache!" Zum Glück bedeutet der Hang zur Perfektion bei Rockys Liveshows nicht, dass er vergisst, Spaß auf der Bühne zu haben. Im Gegenteil. Der lockere Schlagabtausch mit dem Publikum beim Auftritt im Gleis 22 wenige Stunden nach unserem Gespräch, gepaart mit Gänsehaut-Feeling nicht nur beim Schlusssong "Suicide Medicine" - nicht nur der beste Rocky Votolato-Song, sondern einer der besten Songs, die irgendjemand jemals geschrieben hat! -, sorgten für ein Konzerterlebnis mit ganz besonderer Note.

Warum er allerdings im Rest von Europa kaum mehr als ein Geheimtipp ist, in Deutschland dagegen viele Konzerte ausverkauft waren oder wegen der hohen Nachfrage in größere Läden verlegt werden mussten, ist Rocky ein Rätsel. "Ganz ehrlich? Ich verstehe das alles nicht!", sagt er lachend. "Ich weiß, dass meine alte Band Waxwing hier ziemlich erfolgreich war. Wir waren zwar hier nie auf Tour, aber ich habe immer eine Menge eMails aus Deutschland bekommen. In Amerika war es dagegen ein ständiges Auf und Ab. Rocky Votolato hat mehr Platten verkauft, als Waxwing das je getan haben. Trotzdem ist es großartig, dass es für mich abseits von Amerika nun auch in Europa ein Land gibt, in dem ich so erfolgreich touren kann." Als er ein bisschen länger darüber nachdenkt, fallen ihm allerdings doch noch ein paar Gründe ein, die ihn und seine Musik ganz besonders mit Deutschland verbinden. "Mein absoluter Lieblingsautor ist Hermann Hesse", verrät er. "Ich habe praktisch jedes seiner Bücher gelesen, und seine Sichtweise hat stark auf meine frühen Texte abgefärbt. Zuletzt habe ich 'Narziss und Goldmund' gelesen - das hat auch einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Der Titel des ersten Waxwing-Albums ['For Madmen Only'] stammt übrigens auch aus einem Hesse-Werk, dem 'Steppenwolf'. Außerdem stammt das Waxwing-Logo von einem deutschen Buchcover aus dem 18. Jahrhundert. Ich glaube, das ist ein altes königliches Wappen oder etwas ähnliches?"

Vielleicht ist es also doch gar nicht so verwunderlich, dass früher Waxwing und nun Rocky solo hierzulande populärer sind als im Rest von Europa. Einen Umzug nach Deutschland fasst der Amerikaner deshalb dennoch nicht ins Auge, wenngleich es zuletzt für Musiker und andere Kreative in Mode zu sein schien, Seattle den Rücken zu kehren. "Für den Moment bleibe ich dort, denn ich habe dort wirklich Wurzeln geschlagen", erklärt Rocky. "Manchmal frage ich mich allerdings auch, ob es richtig ist, dort zu bleiben, denn das Wetter macht dich einfach depressiv. Manchmal regnet es 100 Tage am Stück und die Sonne kommt einfach nicht durch. Kein Wunder, dass Seattle die höchste Selbstmordrate in ganz Amerika hat! Es gibt allerdings ein paar Tage im Frühling und im Spätsommer, zwei Wochen vielleicht, in denen Seattle der schönste Ort auf dem ganzen Planeten ist - wenn die Wolken sich verziehen und du die Berge und das Meer sehen kannst. Den Rest des Jahres macht dich das Wetter aber echt fertig. Da möchte man schon die Sachen packen und nach Kalifornien ziehen!"

Weitere Infos:
www.rockyvotolato.com
www.myspace.com/rockyvotolato
Interview: -Simon Mahler-
Foto: -Robin Laananen-
Rocky Votolato
Aktueller Tonträger:
The Brag And Cuss
(Barsuk Records/Rough Trade)
 

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