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22.08.2008
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JACKIE LEVEN

Nicht ganz richtig

Jackie Leven
Dass Jackie Leven gerne Scheiben aufnimmt, dürfte bekannt sein: Kaum jemand bringt so viele Live-Aufnahmen, Bootlegs, Outtakes und sonstige Sammelsurien unter das Volk, wie der schottische Songwriter und um auch offiziell mehr veröffentlichen zu können, hat er sich gar das Pseudonym Sir Vincent Lone zugelegt (das Nächstbeste, das ihm eingefallen war, nachdem er verbittert zur Kenntnis genommen hatte, dass Will Oldham und nicht er auf die Idee gekommen war, sich "Bonnie Prince" zu nennen). Nun aber schießt der Meister den Vogel ab: Das neue Werk, "Lovers At The Gun Club", nahm er auf, ohne seiner Plattenfirma Bescheid zu geben - worüber sich Cooking Vinyl-Chef Michael Goldschmidt dann doch pikiert zeigte. "Nun, ganz so schlimm war es es nicht", wiegelt Jackie ab, "ich hatte durchaus erwähnt, dass ich eine neue Scheibe machen wollte, realisierte dann aber, dass ich Cooking Vinyl tatsächlich nicht Bescheid gegeben hatte, als es wirklich ins Studio ging." Zum Glück ist Jackie eine hübsche Songsammlung gelungen, so dass Cooking Vinyl die Scheibe auch tatsächlich finanzierte und herausbringt.

Gibt es eigentlich zwischen dem besagten Sir Vince und Jackie einen Unterschied? "Das kann man wohl sagen", schmunzelt Jackie, "Sir Vince und Jackie sehen die Dinge verschieden. Jackie ist nämlich verbissener als Sir Vince, weil er mit seiner Musik seinen Lebensunterhalt bestreiten muss. Für ihn geht es da um die Karriere. Sir Vince hat mehr Spaß bei der Arbeit, weil er weniger Druck hat." Nun klingt aber das neue Album durchaus auch so, als haben alle im Studio auch Spaß gehabt. "Nun, vielleicht liegt das daran, dass Jackie jetzt ebenfalls Spaß hat, weil er gesehen hat, wie Sir Vince das macht." Einer der Gründe, warum das neue Werk gewissermaßen gelöst wirkt, ist sicher auch der, dass Jackies Kumpel, Johnny Dowd, mitmacht, der sogar den Titeltrack und Opener singt. "Nun, das dürfte einige Leute ziemlich verwirren", gesteht Jackie, "aber ich brauchte jemanden für dieses Stück mit der richtigen Persona - und die hat Johnny zweifelsohne. Und die, die mich und meine Musik kennen, akzeptieren das sicher auch, denn ich lasse ja immer mal wieder Gäste ran." Wie Robert Fisher, mit dem zusammen Jackie letztlich auf dessen neuer Willard Grant Conspiracy-Scheibe zusammen arbeitete, neulich ganz richtig bemerkte, wird die Songwriter-Szene (zumindest hier in Europa) langsam aber sicher zu einer einzigen großen Familie. Wie ist Jackie denn an Johny Dowd geraten? "Ich war ein Johnny Dowd-Fan seit dessen erster Scheibe", erzählt Jackie, "aber ich kannte ihn nicht persönlich. Als ich dann ein Mal in Kufstein spielte, trat er auch dort auf - was bei so einem kleinen Ort schon ein glücklicher Zufall ist. Wir sind dann auch ins Gespräch gekommen, hatten ein paar Drinks und beschlossen, dass wir zusammen etwas machen müssten."

Johnny ist auch der Auslöser des Songs "I've Been Everywhere" vom letzten Album. Was an Johnny Dowd ja so faszinierend ist, ist die Tatsache, dass man sich nie sicher sein kann, ob er etwas ernst meint, oder ob er sich einen Spaß erlaubt. "Ganz genau, das schätze ich auch sehr", freut sich Jackie, "Johnny geht manchmal zu weit, übertreibt ein wenig - wie z.B. beim 'Gun Club'-Song. Er verkörpert diese urkomische Americana-Persona. Das mag ich." Das passt ja sicher auch ganz gut zu Jackies Humor. Worum geht es denn bei dem Titelsong? "Nun, ich fuhr mal mit meinem guten Freund, diesem glamourösen, transsexuellen Killer namens Shannon Doyle durch das Shenandoah Valley. Das ist eine ziemlich hinterwäldlerische Gegend. Dort sahen wir Kids auf der Straße, die mit dem Hitlergruß durch die Gegend liefen. Shannon ist eine sehr charmante, scharfzüngige Person, wenn sie nicht gerade Leute umbringt, und sie machte mich darauf aufmerksam, dass diese Kids zwar die richtigen Tattoos, nicht aber die entsprechenden Stiefel hatten. Das summierte die Situation ganz gut. Wir sind dann zusammen zum Schützenverein gefahren, um ein bisschen herumzuballern und Spaß zu haben." Das ist ja wieder mal so eine typische Jackie-Story - was aber will sie uns sagen? "Ach weißt du, für mich ist es immer wichtig, dass eine Story eine gewisse Reibung erzeugt - einfach deshalb, damit ein Song am Ende nicht ganz richtig klingt. Das mag ich auch an Leuten wie David Lynch oder Quentin Tarantino und das ist auch der Grund, warum die so viel Erfolg haben: Da ist immer etwas nicht ganz richtig. Das ist auch eine Herausforderung für mich als Songwriter: Songs entweder ganz einfach zu lassen, oder auf eine vollkommen andere Ebene zu hieven." Etwa so, wie in dem Stück "Innocent Railway", in dem plötzlich eine grandiose, schwelgerische Melodie auftaucht und damit den Song vollkommen ins Gegenteil verkehrt? "Ich bin froh, dass du das sagst, denn ich hatte befürchtet, dass die Leute das nicht wahrnehmen könnten", bestätigt Jackie, "wenn ich das mal so sagen darf, dann glaube ich, dass das einer meiner besten Songs ist, was das Songwriting betrifft. Denn wäre dieser Teil nicht da, dann wäre das eine ziemlich lineare JJ-Cale-Nummer geworden. Manchmal muss man Wagnisse wie diese eingehen. Dadurch erhält der Song fast Doktor Schiwago-mäßige Dimensionen. Weißt du, Songs enthalten immer auch für mich mysteriöse Informationen, meist ist es das Traumähnliche, das die Dinge zusammenhält." Ist das auch der Grund, warum Jackie so gerne Gedichte in seine Songs einbaut? "Ehrlich gesagt nein", wehrt er ab, "die Poesie wähle ich für mich aus, weil ich Poesie liebe. Ich habe nicht den Anspruch, die Leute an die Poesie heranführen zu wollen - das funktioniert auch gar nicht: Niemand, der mich Gedichte vortragen hört, beschäftigt sich nachher mit Poesie, wenn er nicht sowieso eine Neigung verspürt. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass man mit der Poesie, die man mit Musik vorträgt - die durchaus ganz einfach sein darf, so wie im Falle von 'Gun Club' - andere Informationen des Textes vermitteln kann, als wenn man ihn einfach nur so vorträgt. Gedichte vermitteln für mich immer auch ein räumliches Gefühl - so wie eine Landschaft."

Jackie Leven
Jackie wäre nicht Jackie, wenn er nicht noch eine schöne, abschließende Anekdote parat hätte: "Olivier's Blues" ist ein netter, simpler Folksong am Ende der Scheibe. Wer ist aber Olivier, der im Text gar nicht erwähnt ist. "Das ist Sir Laurence Olivier, der große Schauspieler", erklärt Jackie, "ich bin mit Rich Olivier, Sir Oliviers Sohn, sehr gut befreundet - und zwar so gut, dass ich der Pate seines Sohnes bin. Er hat mich Sir Laurence vorgestellt. Das war sehr amüsant, weil dieser mich einen 'fröhlichen grünen Riesen' nannte. Er bat mich dann, ihm etwas vorzusingen. Als ich ihn fragte, was ich singen solle, meinte er, dass er - seit er mit Marilyn Monroe zusammengearbeitet habe - eine gewisse Faszination für den amerikanischen Blues habe. Da habe ich ihm einen kleinen Blues improvisiert - mit der Zeile von dem Song, der in das Meer fiele. Da fragte Olivier, wie das denn wohl weiterginge - was ich nicht wusste, da ich die Zeilen ja gerade erfunden hatte. Er hat dann Vorschläge gemacht und wir haben gemeinsam überlegt, wie der Text weitergehen könne. In diesem Sinne habe ich den Song mit Sir Laurence Olivier geschrieben und ich dachte, dass ich ihm durch den Titel auch die Ehre erweisen sollte, die ihm als Co-Autor gebührt." Auch wenn es musikalisch weniger einheitlich erscheint, als Jackies letzte Alben (was, wie Jackie meint, daran liegen könne, dass die Musik zwar einfacher, die Bilder aber komplexer seien), ist "Lovers At The Gun Club" ein typisches, klassisches Jackie Leven-Album geworden. Im Herbst geht er mit seinem Partner, Michael Cosgrave, wieder auf Tour.

Weitere Infos:
www.myspace.com/thejackieleven
de.wikipedia.org/wiki/Jackie_Leven
www.lastfm.de/music/Jackie+Leven
www.jackieleven.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Jackie Leven
Aktueller Tonträger:
Lovers A The Gun Club
(Cooking Vinyl/Indigo)
 

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