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20.06.1999
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MOBY

My Heart Beats Faster Than Techno

Moby
Es gibt nicht viele Dinge, auf die man Moby festnageln kann. Das einzige, was er in seiner inzwischen mehr als zehnjährigen Karriere wirklich bereut, sind die superpoppigen Songs wie "Everytime You Touch Me", witzigerweise auch gleichzeitig seine größten kommerziellen Erfolge. Natürlich hat der beim Interview genauso schüchterne wie auf der Bühne extrovertierte "Little Idiot", wie ihn seine Freunde scherzhaft nennen, nichts gegen's Plattenverkaufen oder Geldverdienen, aber die damit verbundenen Begleitumstände sind ihm zuwider. Auf die Frage, ob das Livespielen und Herumreisen reine Arbeit wäre oder doch ein Hauch von Urlaub, antwortet Moby bei unserem Interview im Kölner Hotel Cristall schelmisch: "Es ist weder Arbeit, noch Ferien. Es ist ganz einfach auf Tour sein! Alles was du siehst, sind Clubs, Hotels, Retaurants und Raststätten. Du steigst nach der Show in den Bus, schläfst während der Reise, und wenn du aufwachst, bist du wieder auf einem anderen Parkplatz."

Trotzdem würde ihm nicht im Traum einfallen, etwas an dieser Routine zu ändern und zwischen den Shows mehr Zeit verstreichen zu lassen. "Ich hasse Freizeit während einer Tour, weil ich ganz alleine bin. Hätte ich eine Familie und Kinder, mit denen ich zusammen unterwegs wäre, würde ich mit ihnen in den Zoo gehen oder andere lustige Sachen machen. Da ich aber alleine bin, ist es mir am liebsten, sechs Nächte hintereinander aufzutreten und dann einen Tag auszuruhen. In den meisten Städten, in denen ich spiele - Köln, Dortmund, Stuttgart, Hamburg, Leipzig - bin ich schon so oft gewesen, daß ich mich auch nicht mehr als Tourist sehe. Das hab ich beim ersten Mal abgehakt. Jetzt versuche ich nur noch, die Zeit mit Interviews, Soundchecks und Ausgehen auszufüllen. Ich mag Europa, aber hier sieht es genauso aus wie in Connecticut, wo ich aufgewachsen bin. Der einzige Unterschied ist, daß sie hier eine andere Sprache sprechen. Wenn ich demnächst wieder in Australien und Neuseeland toure, werde ich ein bißchen Freizeit mit einplanen, aber nicht hier. Die Orte, an denen ich live spiele, sind meistens nicht meine Wunsch-Urlaubsziele, und an den Orten, die ich gerne als Tourist sehen würde, verkauft man keine Platten. Ich wohne in New York City und wenn ich da aus dem Fenster schaue, sehe ich genau das gleiche wie hier: Hinterhöfe und Hochhäuser."

Witzigerweise ist die Gegend in NYC, in der der Enkel von Moby-Dick-Autor Herman Melville zu Hause ist, nicht unbedingt für seine Musik, sondern eher für ihre Mode-Szene bekannt. Fast jeder noch so unbekannte Designer hat in letzter Zeit bei Moby um die Ecke einen Laden aufgemacht. Der "Little Idiot" selbst ist davon wenig beeindruckt. "Die Fashion-Welt ist abstoßend. Jeder, der in der Modebranche arbeitet, sagt genau das gleiche. Die Designer sind faszinierend, die Klamotten sind toll, einige Fotografen sind okay, aber auf Fashion-Parties zu gehen ist ein Alptraum. Egal, wen du triffst, niemand interessiert sich für dich als Mensch, die Frage ist nur, wie kannst du ihrer Karriere nützen. Wenn du berühmt bist, wirst du für sie interessant. Könnte ja sein, daß du was für sie tun kannst. Klar, viele junge Designer machen tolle Klamotten. Ich gehe zwar nicht los und kaufe mir teure Sachen, aber ich weiß sie zu schätzen. Mode für Männer ist allerdings schrecklich. Es ist immer das gleiche. Die Frage ist nur: Werden die Anzüge dieses Jahr zwei oder drei Knöpfe haben? Nadelstreifen oder lieber gleich ganz in schwarz? Einige Designer wie Alexander McQueen machen auch für Männer interessante Klamotten, aber verglichen mit Women's Fashion ist das immer noch ziemlich schwach. Das kommt daher, daß Männer in diesem Bereich viel konservativer sind und der Mode wenig Beachtung schenken. Wenn für Frauen interessante Kleider entworfen werden, kaufen sie sie. Ein Mann würde das nie tun." Der kauft sich vielleicht lieber Platten. Zum Beispiel das neue Album von Moby, das dieser Tage erscheint. "Play" heißt es und es überrascht - mal wieder - mit einem Stilwechsel. Kaum hat man sich an Mobys Abkehr vom Techno zum Punk gewöhnt, kommt er nun äußerst hiphop-lastig daher.

Moby
"Die Platten, die ich mache, reflektieren ganz einfach die Art von Musik, die ich gerade toll finde. Als ich 'Animal Rights' gemacht habe, habe ich viel alte Punkrock-Platten gehört und viel Heavy Metal. In den letzten beiden Jahren habe ich dagegen viel HipHop und Dancemusic gehört. Auch alten Blues. Die LP reflektiert genau das. Man kann die Platte in drei Teile einteilen. Songs mit Blues-Sängern, Songs, die ich singe und Instrumentals. Sie sind aber alle gleichzeitig entstanden. Zur selben Zeit habe ich auch viele Rocksongs, viele Dancesongs und viele ruhige Sachen geschrieben, die, wenn überhaupt, unter einem anderen Namen veröffentlicht werden. Obwohl diese Platte für fast jeden eine sehr abwechslungsreiche Platte ist, sehe ich dennoch einen roten Faden, die Sachen haben dennoch eine ähnliche Atmosphäre."

Der interessanteste Teil des Albums ist sicherlich der erste mit den Blues-Samples. Schon letztes Jahr räumte Moby ja mit der Single "Honey" kräftig ab, und das ist noch nicht einmal der beste Song der Platte. Die Original-Vocals stammen aus der Sammlung von Blues-Archivar Alan Lomax und sind in letzter Zeit nicht nur bei Moby auf großes Interesse gestoßen. "Ich wußte schon immer, daß sie existieren, aber ich hatte die Platten nicht. Das Tolle an diesen Aufnahmen ist, daß sie alle a-capella sind, und das macht es natürlich viel einfacher, Songs drumherum zu schreiben. Die Beats sind Halbe/Halbe gesamplet und selbst programmiert. In der Regel kann man das hören: Die komplexeren sind Samples, die einfacher gestrickten sind programmiert."

Während Moby in der Vergangenheit ja auch immer wieder mit seinen exzellenten, vor Energie sprühenden Liveshows begeistern konnte, scheint die Umsetzung der Downbeats des Albums nun doch etwas komplizierter zu werden. Hat Moby für die im Herbst anstehende Deutschland-Tour schon genaue Pläne? Grinsend antwortet er: "Nein, keine Ahnung. Die Show, die wir bisher gespielt haben, war sehr aggressiv und upbeat. Jetzt werden wir wohl einige neue, umarrangierte Songs ins Set einarbeiten, damit es wirklich abwechslungsreich wird und sowohl schnelle als auch langsame Songs hat. Wir werden's halt ausprobieren und sehen, was funktioniert." Dabei hat die Tatsache, daß in den letzten Jahren immer mehr Elektronikbands angefangen haben, live zu spielen, keinen Einfluß auf die Gestaltung seiner Shows, meint Moby. "Ich sag das zwar nicht gerne, aber ich denke, niemand von denen ist in irgendeiner Weise gut. The Prodigy sind sehr unterhaltsam, aber alle anderen sind super langweilig, selbst wenn ihre Platten okay sind. Es ist immer die gleiche Herangehensweise: Zwei Typen auf der Bühne mit viel Equipment, hinter dem sie sich verstecken können. Du stehst da also und wartest bis 2.00 Uhr morgens auf den Auftritt, und sie klingen genauso wie auf der Platte. Da fragst du dich doch: Warum bin ich nicht zu Hause geblieben und hab mir die Platte angehört. Ich persönlich würde mir wünschen, daß sich die meisten Bands live mehr Mühe geben würden."

Für Moby ist es aber natürlich auch ein Kinderspiel, jede Menge Abwechslung auf die Bühne zu zaubern, schließlich hat er es inzwischen aufgegeben, sich irgendwelchen Dingen zu verschließen, besonders musikalisch. "Ich mag soviel verschiedene Sachen: Ich mag die Spice Girls, aber ich finde auch Aphex Twin Klasse. Ich höre gerne daytime radio, aber ich liebe auch John Coltrane. Für mich gibt es bei Musik kein gut oder schlecht. Ich hab's aufgegeben, bestimmte Sachen zu hassen. Das letzte Stück, von dem ich glaubte, ich würde es hassen, war der Celine-Dion-Song. Irgendwann mußte ich mir dann aber doch eingestehen: Ich mag auch ihn."

Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Pressefreigaben-

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