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25.09.2009
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CHRIS CACAVAS

Keine Liebe mehr

Chris Cacavas
Lange - und für viele deutlich zu lange - hat es gedauert, bis Altmeister Chris Cacavas ein neues musikalisches Lebenszeichen von sich gab. Nicht, dass der eingewanderte Schwarzwaldmann zwischenzeitlich untätig war: Immer wieder sah man ihn auf den Bühnen der Republik - solo oder als Gastmusiker bei Freunden wie Steve Wynn oder Calexico - Songs aufführen, die es bislang nicht auf Tonträgern gab. Wenn man ihn aber fragte, wann dieses neue Material denn nun endlich erhältlich sein würde, zuckte er meist freundlich mit den Schultern oder meinte beruhigend: "Das kommt schon." Nun ist es da - und hört sich ungefähr so an, wie man sich als Cacavas-Fan das auch vorgestellt hätte: Ein wenig akustischer als gewohnt, weniger rockig, mit einer immer deutlicheren Abkehr vom typischen Americana-Klischee, mit todtraurigen, aber auch gerne humorvollen Songs voller Selbstironie und einigen starken Pop-Momenten. Warum aber hat das so lange gedauert? Musikalische Gründe hierfür können jedenfalls nicht herausgehört werden.

"Hm - ich weiß nicht, welche musikalischen Gründe eine so lange Aufnahmezeit rechtfertigen würden", wischt Chris diese Bedenken dann auch gleich vom Tisch, "wenn so etwas passiert, dann zögert die Band oder der Produzent den Prozess heraus, um mehr Geld vom Label zu bekommen - und ich kann dir versichern, dass das hier nicht der Fall war. Ich denke, die Verzögerung ergab sich durch den Prozess, mit einer neuen Band spielen zu müssen und dass wir viel Zeit dafür brauchten, das neue Material zu lernen und zu spielen. Dann haben wir das meiste rausgeschmissen und wieder von vorne angefangen. Und dann gibt es da noch meine nicht unerhebliche Fähigkeit, Dinge zu verzögern." Als Chris uns die CD schickte, schrieb er auf das Cover "Viel Vergnügen!". Nun ist das Material allerdings durchweg melancholisch (manche würden gar "depressiv" sagen). Wie soll man das denn genießen? (Das ist nicht als Vorwurf gemeint, sondern als Frage, wie Chris selbst die Sache sieht.) "Nun ich glaube nicht, dass, weil etwas (Buch, Film, Scheibe) traurig ist, man es nicht genießen kann", meint er, "ich kann von mir sagen, dass ich einige traurige Bücher, Filme oder Scheiben immens genossen habe. Was das ganze genießbar macht, ist meines Erachtens die Tatsache, dass man durch diese Erfahrung bewegt wird, Gefühl empfindet, sich lebendig fühlt. Gleichzeitig muss ich aber sagen, dass ich dieses Album gar nicht übermäßig traurig oder depressiv finde. Sicher gibt es einige Selbstmordanleitungen auf der Scheibe - aber die haben sich ja bei mir immer gefunden. Ich muss das Album noch durch das Sad-O-Meter jagen und lasse dich dann wissen, was das wissenschaftliche Ergebnis diesbezüglich ist."

Chris Cacavas
Der Titel des neuen Albums "Liebe ist aus" (im Sinne von "nicht mehr erhätlich") ist ja auch wieder ein klassisches Cacavas-Wortspiel. "Also der Titel rührt von meiner Frustration mit der gegenwärtigen Situation her, die auf einer weltweiten Bessessenheit von Geld, Technologie und dem Trend, menschliche Interaktionen zu reduzieren, basiert. Dazu gehört auch, Liebe als Ware zu behandeln. Ein Freund von mir ging neulich zum Arzt und der sagte: 'Sie sind eindeutig depressiv.' Der antwortete: 'Jeder, der nicht depressiv ist, passt nicht richtig auf.' Muss ich da noch mehr sagen?" Ein kluger Kopf sagte mal, Chris sei der Mann, der den Wüstenrock nach Deutschland geholt hat. Nun klingt das ganze heutzutage nicht mehr unbedingt nach Wüstenrock. Wie sieht Chris das selber? "Meine Defintion von Wüstenrock ist: 'Rock, der von Leuten geschrieben und vorgetragen wird, deren Hirne und kreative Prozesse durch die endlose, brütende Hitze der Wüste und oft auch durch Selbstmedikation verändert wurden.'" Und was inspiriert Chris heutzutage musikalisch? "Wüstenrock."

Nun aber mal Ernst beiseite: Der Sound des neuen Materials hat ja schon einen gewissen Klang. Was war denn hier der Gedanke? "Ich wollte eine Scheibe, die einige Elemente beinhaltete, die in der Musik enthalten waren, die ich als Kind hörte: The Guess Who, Velvet Underground, David Bowie. Scott Walker, The Beach Boys etc. Du wirst nun keine direkten Parallelen finden, irgendwo sind aber all diese Acts in diesem oder jenem Grade vertreten. Musikalisch habe ich mich auf das Biertrinken konzentriert." Und inhaltlich? "Ich würde sagen, dass das meiste halb biographisch ist. Das heißt, dass es Textzeilen gibt, die direkt aus meinem täglichen Leben gegriffen sind - oder aber ich verwende fiktive Charaktere in fiktiven Situationen. Manchmal mische ich das auch." Wie sieht Chris sich selbst heutzutage als Songwriter? Wenn man jung ist, möchte man ja gerne die Welt verändern. Er scheint sich aber nun damit abgefunden zu haben, die Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind. "Also ich will mit Sicherheit nicht mehr die Welt verändern - das steht fest", meint er bestimmt. "ich möchte Songs schreiben, aufnehmen und spielen, die ich mag. Wenn ich einen Song schreiben wollte, der sich an eine Zielgruppe wendet, dann wäre der nicht mehr originär. Meiner Meinung nach sind gute Songs solche, die spontan geschrieben wurden, mit Texten, die nicht predigen und nicht zu obskur sind. Ich möchte Scheiben machen, die die Leute von vorne bis hinten genießen können und die man immer wieder hören kann. Persönlich sehe ich meine Musik heutzutage als Vermächtnis und habe keine großen Erwartungen mehr - weder finanziell noch die Kritik betreffend. Etwas, das übrigens gar nicht so leicht zu erreichen ist." Da dies ja keine typische, klassische Americana-Scheibe ist: Wie betrachtet Chris die Sache selbst. "Das ist ein zweischneidiges Schwert. Edgar Heckmann erlaubt seinen Künstlern die totale künstlerische Freiheit - will aber nur das fertige Werk hören und gibt kein Feedback beim Produktionsprozess. Vielleicht ist das ja gar keine schlechte Idee - ich finde es aber ein wenig frustrierend. Ich habe das Album jetzt selbst schon ein paar Mal gehört - weiß aber immer noch nicht, wie ich das kategorisieren soll. Vielleicht so: 'Modern Day Retro Songs for Old Young At Heart Souls'." Gab es einen Masterplan bei der Produktion? "Keinen Masterplan. Das Wichtigste ist immer, den musikalischen Ideen nicht im Weg zu stehen; sich einfach als Leiter zu begreifen und Eingebungen zu nähren und kultivieren ohne sie zu verwässern oder die Feinheiten der ursprünglichen Idee zu zerstören." Okay - was hört sich Chris Cacavas denn zur Entspannung an? "Ich mag gute Musik, die ich zuvor noch nicht gehört habe. Sachen wie Bon Iver, Iron & Wine, The Cinematic Orchestra, Spoon, Calexico oder ältere Sachen wie Clara Mondshine, D.R. Hooker, Scientist, Lalo Shifrin, Mulatu Astatge oder The Remains." Und was macht Chris, wenn er keine Musik macht? "Catering oder Solar-Paneele in meinem Dorf installieren", antwortet er, "oder aber ich koche und versuche, mich über die Runden zu bringen."

Was ist Chris bezüglich der neuen Scheibe am wichtigsten? "Ich bin glücklich, dass das Ding endlich draußen ist und dass ich endlich diese Songwriting-Phase abschließen kann. Die kommende Tour ist die letzte Stufe, aber ich bin schon frei für das nächste Kapitel. Ich hoffe wir werden im Januar 2010 mit einer vierköpfigen Band touren." Abschließend bleibt noch zu sagen, dass Chris Cavas endlich wieder auch tonträgertechnisch zurück ist und dass "Love's Been Discontinued" eine verdammt feine Scheibe geworden ist - auch wenn das mit dem Wüstenrock à la Cacavas dann doch so eine Sache ist...

Weitere Infos:
www.chris-cacavas.com
www.myspace.com/cacavas
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Daniel Weisser-
Chris Cacavas
Aktueller Tonträger:
Love's Been Discontinued
(Blue Rose Records/Soulfood)
 

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