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27.11.2009
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MARTHA WAINWRIGHT

Spatzen-Klebstoff

Martha Wainwright
Bislang zögerte Martha Wainwright stets, auf Französisch zu singen - obwohl ihre ganze Familie damit keine Probleme hat (Mutter und Tante Kate & Anna McGarrigle singen auch auf Französisch) und obwohl sie perfekt Französisch spricht - sogar ohne erkennbaren kanadischen Akzent. Nun liegt mit "Sans fusils, ni souliers, a Paris" (was soviel heißt wie "ohne Gewehr und ohne Schuhe in Paris") ein Live-Album vor, auf dem sich Martha den Chansons der Edith Piaf widmet. Was sicherlich die Königsklasse des Frankophilen darstellt. Woher kommt denn dieser Sinneswandel?

"Ich bin überredet worden", räumt Martha ein, "es war die Idee des Produzenten Hal Willner und der hat mich überzeugt. Er hat schon vor ein paar Jahren darüber gesprochen, aber ich wollte zuerst meine zweite Scheibe machen, weil ich ein paar Songs geschrieben hatte. Im Laufe der letzten Jahre habe ich immer wieder ein paar kleine Shows mit Piaf-Songs gemacht. Denn um das Material kennenzulernen, musste ich dieses auch üben. Die Shows haben viel Spaß gemacht und das gute war, dass der Fokus auf einer Künstlerin lag. Wir hatten das Potential, eine gute Scheibe auf diese Art zu machen, weil der Live-Kontext eine gewisse Energie einfangen konnte, die ansonsten verloren gegangen wäre. Und die Live-Situation ermöglichte es mir, mich mehr auf die Songs zu konzentrieren anstatt etwa an ein Tribut an die Piaf zu denken - das ich in dieser Form gar nicht wollte." Wie kam Martha denn zur Piaf? "Nun, die Songs der Piaf waren in meiner Kindheit meine Lieblingssongs", erzählt sie, "die Versionen ihrer Hits sind so großartig, dass ich mich daran nicht messen wollte. Für mich war es nicht nur ein Tribut an die Piaf, sondern vor allen Dingen eines an die Musik jener Zeit und die Autoren dieser Chansons. Die Piaf diente mir mehr als der Klebstoff, der das Ganze zusammen hielt. Mir ging es darum, Material zu interpretieren, das eben nicht so oft von nicht französischen Künstlern gesungen wird. Ich bin mehr als eine Sängerin an die Sache herangegangen."

Ist Martha auch als Songwriterin von der Sache fasziniert gewesen? Immerhin enthalten die Chansons der Piaf auch jede Menge interessanter Stories. "Ich bin jemand, der über sein persönliches Leben schreibt und singt. Interessanterweise ist das bei der Piaf auch so - obwohl sie die Stücke nicht selbst schrieb und obwohl die verschiedenen Chansons ein breites Spektrum an Themen enthalten." Wie wählte Martha denn die Songs aus, die nun auf der Scheibe zu finden sind? "Nun, ich hatte 200 Songs zur Auswahl und ich suchte nach Dingen, die mich besonders berührten und die ich singen wollte und konnte. Und ich wollte auch die unterschiedlichen Arten von Songs zeigen, die sie sang. Es sollten nicht alles Liebeslieder sein, sondern ich wollte die verschiedenen Stationen ihres Lebens, die sie musikalisch begleitete, zeigen. Sie mag zwar früh gestorben sein, aber sie hatte dennoch eine sehr lange Karriere." Wie Martha schon andeutete, strahlt die neue Scheibe eine unbändige Energie aus. Martha arbeitete hier mit einer kompletten New Yorker Live-Band. "Die Original-Arrangements sind schon fantastisch - aber ich konnte sie nicht Ton für Ton nachspielen, weil oft ganze Orchester verwendet wurden und ich wollte auch etwas Neues hinzufügen - ein gewisses kontemporäres Element, ohne deswegen gleich hip zu sein und etwa Drum-Computer einzusetzen. Ich habe also verschiedene kreative Leute gefragt und bin so auf Doug Wieselman als Gitarristen gekommen. Denn eine E-Gitarre gab es bei der Piaf definitiv nicht. Und mein Pianist ist 27 Jahre alt, mit verschiedenen musikalischen Hintergründen, und er kann auch etwas der Musik hinzufügen, das nicht klassisch Piaf ist. Es gab also kreative Offenheit und Freiheit."

Wie ist Martha die Sache als Sängerin angegangen? Immerhin ist es ja z.B. so, dass sich wohl auch deswegen nicht so viele Interpreten/innen an Piaf-Songs versuchen, weil es seither niemanden mehr mit einer solch voluminösen Stimme gegeben hat. "Es ist schon eine große Herausforderung, diese Songs zu singen", erklärt Martha, "mein Französisch ist zwar sehr gut, aber die Songs verlangen ein gewisses Tempo und es gibt sehr, sehr viele Worte. Und die Melodien sind kompliziert - nun ja, zumindest gibt es eine Menge Wendungen und Haken, und diese muss man nachvollziehen. Es war also eine physische Herausforderung, sich durch diese Songs zu arbeiten. Und es war wichtig, den Inhalt des Songs zu transportieren, deutlich zu singen. Ich musste also so gut wie möglich sein und mich ganz schön motivieren. Es war eine große Herausforderung - aber es war nötig. Denn wenn du hörst, wie sie die Songs sang, dann macht das Sinn und es ist auch notwendig. Sie hat es vielleicht etwas leichter gehabt, weil sie ein solches Volumen hatte. Das gute war, dass ich so nicht daran denken musste, mich mit Edith zu vergleichen, sondern mich einfach auf die Songs konzentrieren konnte." Martha erwähnte ja bereits die komplexe Struktur der Songs - das ist doch etwas, was sie selbst auch gerne so handhabt, oder? "Ich denke schon, dass ich für diese Art empfänglich bin. Wenn du die Piaf-Songs nimmst, dann ist das so etwas wie die französische Version von amerikanischen Standards - die sind auch so komplex aufgebaut mit Intros und Outros und so etwas. Ich denke, dass ich von dieser Art von Musik beeinflusst bin. Vielleicht wegen dieser romantischen Ideen, die viele dieser toten Künstler hervorrufen. Mein Bruder übrigens auch."

Ist es nicht auch so, dass man eine gewisse Spur Schauspielerei braucht, um die Songs der Piaf zu interpretieren? Immerhin gibt es hier eine Unzahl verschiedener Charaktere, vom Freudenmädchen über den Lebemann und den Soldaten bis hin zur Wahnsinnigen, die in "Les Blouses Blanches" ("Die weißen Kittel") besungen werden. "Ja, die weiße Bluse ist - denke ich - ein weißer Kittel. Die Protagonistin denkt hier an ihre Jugend zurück, in der sie ein weißes Kleid trug und wenn sie die Doktoren sieht, die auf sie zukommen, dann verfällt sie in eine Art Wutanfall - das wird in dem Song ausgedrückt. Man braucht schon ein wenig Schauspielerei, das darzustellen, das stimmt schon. Auf der CD gibt es auch eine DVD mit vier Titeln, die von den Shows stammen. Da kann man sehen, dass es eines gewissen Körpereinsatzes bedurfte, diese Songs darzustellen. Und dem Publikum zu vermitteln, worum es in der Story geht. Und tatsächlich gibt es in jedem Song verschiedene Charaktere - Marie Trottoir, den Akkordeonisten, die Soldaten aus Napoleons Armee in 'Les Grognards' - das sind auf gewisse Art auch historische Persönlichkeiten - Zeitzeugen. Im nächsten Jahr wollen wir die ganzen Texte übersetzen, vielleicht ein paar auf Englisch einsingen und eine Art Dokumentation dazu erstellen. Es ist nämlich so, dass wir das Album in Frankreich erst im Frühjahr herausbringen wollen, weil ich momentan auf eine Babypause zusteuere. Dann will ich auch mit dem Album touren." Wie Marthas Leben weiter geht, kann man sich ja ungefähr vorstellen, doch auch künstlerisch gibt es bereits neue Pläne. Im Sommer letzten Jahres fanden im New Yorker Central Park einige Ballett-Vorstellungen mit Musik von Martha Wainwright statt. "Ja, genau, hoffentlich ist das das Sprungbrett für meine nächste Scheibe", erklärt sie, "das war sehr inspirierend. Ein Choreograph namens Christopher Wieldon ist ein Fan von mir und bat mich, Musik für eines seiner Werke zu schreiben. Ich habe mich ein paar Monate hingesetzt und habe eine Art Partitur für ein längeres Tanzstück geschrieben. Es ist ungefähr 25 Minuten lang. Es ist mehr orchestriert als das, was ich sonst mache und bewegt sich durch verschiedene musikalische Sätze. Ich denke, dass meine nächste Scheibe in der Art gestaltet sein wird. Es ging hier um Instrumentalmusik, bei der ich die Stimme als Instrument verwendete. Die Songs waren insofern weniger autobiographisch als visuell, weil ich ja nicht vom Tanz ablenken wollte. Der Gedanke war, musikalische Elemente, Poesie und Themen zu verwenden, um mit der Stimme Charaktere zu erschaffen." Das war also eine große Herausforderung? "Sicher, denn ich machte zunächst mal Demo-Versionen für die Tänzer und musste mir dann eine Weise überlegen, das ganze live zur Gitarre vorzutragen - wobei ich mich eng an die Vorlage halten musste, denn wenn man mit Tänzern arbeitet, kann man nicht irgendetwas weglassen, verkürzen oder improvisieren. Das war sehr schwierig - weil es eben live sein musste. Mir waren die Beschränkungen sehr bewusst dennoch wollte ich bei jeder Show etwas Neues ausprobieren."

Martha Wainwright
Das mal außer acht lassend: Was ist denn für Martha Wainwright generell das Schwierigste als Songwriterin? "Ich denke, es sind die Texte und etwas zu finden, das interessant und irgendwie wichtig sein könnte. Ich habe immer Angst, dass etwas zu banal oder zu spezifisch persönlich sein könnte, da ich ja immer über mein eigenes Leben schreibe. Andererseits habe ich festgestellt, dass es gut ist, Persönliches zu schreiben, da so die Leute mitfühlen können, was uns zusammen bringt - indem man Erlebnisse teilt." Was war beim Piaf-Projekt denn für Martha das Befriedigendste? "Es zu beenden?", fragt sie spaßeshalber, "nein, es war so schwer diese Songs zu singen und brauchte große Anstrengungen meinerseits, so dass die Sache sehr befriedigend war. Das Projekt klingt nicht wie Piaf, sondern es hat seinen eigenen Geist - und dafür bin ich dankbar." Das interessante an Projekten dieser Art ist unter anderem auch, dass auf diese Weise die Musik vergangener Epochen einer neuen Generation schmackhaft gemacht werden kann. Das ist Martha Wainwright mit diesem Album zweifelsohne gelungen. Die Frage ist, ob das den Franzosen schmecken wird, dass sich da ausgerechnet eine Kanadierin an dieses schwierige Thema gewagt hat...

Weitere Infos:
www.marthawainwright.com
de.wikipedia.org/wiki/Martha_Wainwright
www.myspace.com/marthawainwright
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Martha Wainwright
Aktueller Tonträger:
Sans fusils, ni souliers, a Paris
(Drowned in Sounds Recordings/Cooperative Music/Universal)
 

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